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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_75/2020  
 
 
Urteil vom 19. Januar 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Weber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Epper, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Landesverweisung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 28. Oktober 2019 (SBR.2019.29). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Das Bezirksgericht Frauenfeld sprach A.________ am 28. November 2018 des mehrfachen, teilweise qualifizierten Raubs, des mehrfachen, teilweise durch Anstiftung begangenen Diebstahls, der mehrfachen, teilweise versuchten Nötigung, der Sachbeschädigung, des mehrfachen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz, der Hinderung einer Amtshandlung, der mehrfachen Entwendung eines Fahrzeugs zum Gebrauch, des mehrfachen geringfügigen Vermögensdelikts, der mehrfachen Widerhandlung gegen das Personenbeförderungsgesetz, des Ungehorsams des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren, der mehrfachen Übertretung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie der Widerhandlung gegen das Abfallgesetz schuldig. Von den Vorwürfen der Hehlerei und des versuchten Diebstahls sprach es A.________ frei. Das Bezirksgericht bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren, unter Anrechnung der Haft und des vorzeitigen Strafvollzugs, sowie mit einer Busse von Fr. 2'400.--. Zudem widerrief es den durch das Untersuchungsamt Altstätten am 23. Februar 2016 gewährten bedingten Vollzug einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je Fr. 30.--. Eine Landesverweisung sprach das Bezirksgericht nicht aus. 
Die Staatsanwaltschaft Frauenfeld erhob gegen das bezirksgerichtliche Urteil Berufung und beantragte, es sei für A.________ eine Landesverweisung für die Dauer von zehn Jahren auszusprechen. Im Übrigen sei das bezirksgerichtliche Urteil zu bestätigen. Das Obergericht des Kantons Thurgau wies die Berufung der Staatsanwaltschaft am 28. Oktober 2019 ab und sprach keine Landesverweisung für A.________ aus. 
 
B.   
Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der Entscheid des Obergerichts sei teilweise aufzuheben und A.________ sei für die Dauer von zehn Jahren des Landes zu verweisen. Eventualiter sei der Entscheid des Obergerichts teilweise aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an dieses zurückzuweisen. 
 
C.   
Mit Verfügung vom 6. August 2020 bewilligte der Präsident der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts A.________ die unentgeltliche Rechtspflege und setzte Rechtsanwalt Marcel Epper als unentgeltlicher Rechtsbeistand für das bundesgerichtliche Verfahren ein. 
 
D.   
Das Obergericht verzichtet auf Stellungnahme und beantragt die Abweisung der Beschwerde. A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der Staatsanwaltschaft (Beschwerdeführerin) steht das Beschwerderecht in Strafsachen grundsätzlich ohne Einschränkung zu (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 3 BGG; BGE 145 IV 65 E. 1.2 S. 68). Ihre Legitimation ist nicht an den Nachweis eines rechtlich geschützten Interesses gebunden, sondern leitet sich direkt aus dem staatlichen Strafanspruch ab, den sie zu vertreten hat (Urteil 6B_1246/2019 vom 8. September 2020 E. 1 mit Hinweis). Unter Vorbehalt einer genügenden Begründung (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG) ist auf ihre Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 66a StGB. Der Beschwerdegegner sei des Landes zu verweisen. Die Annahme eines schweren persönlichen Härtefalls durch die Vorinstanz sei nicht zu beanstanden. Das öffentliche Interesse an der Landesverweisung sei jedoch ausgesprochen hoch und überwiege das persönliche Interesse des Beschwerdegegners am Verbleib in der Schweiz klar.  
 
2.2. Gemäss Art. 66a Abs. 1 StGB (obligatorische Landesverweisung) verweist das Gericht den Ausländer, der wegen einer der in den lit. a⁠-⁠o ausdrücklich genannten strafbaren Handlungen verurteilt wird, unabhängig von der Höhe der Strafe für 5-15 Jahre aus der Schweiz.  
Nach Abs. 2 des Artikels kann das Gericht ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind. 
Die Härtefallklausel dient der Umsetzung des verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsprinzips (BGE 145 IV 364 E. 3.2 S. 366 f.; 144 IV 332 E. 3.1.2 S. 338; je mit Hinweisen). Sie ist restriktiv anzuwenden (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2 S. 108; 144 IV 332 E. 3.3.1 S. 340). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich zur Prüfung des Härtefalls im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB der Kriterienkatalog der Bestimmung über den "schwerwiegenden persönlichen Härtefall" in Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) heranziehen. Zu berücksichtigen sind namentlich der Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, zu der die Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Respektierung der Werte der Bundesverfassung, die Sprachkompetenzen, die Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung und die familiären Bindungen des Ausländers in der Schweiz bzw. in der Heimat zählen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1; 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteil 6B_1388/2019 vom 30. November 2020 E. 2.1.2; je mit Hinweisen). Da die Landesverweisung strafrechtlicher Natur ist, sind auch strafrechtliche Elemente wie die Aussichten auf soziale Wiedereingliederung des Täters in die Interessenabwägung miteinzubeziehen (BGE 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteile 6B_1424/2019 vom 15. September 2020 E. 3.3.2; 6B_1070/2018 vom 14. August 2019 E. 6.6.2; je mit Hinweisen). 
 
2.3. Die Vorinstanz verzichtet darauf, den Beschwerdegegner des Landes zu verweisen. Sie begründet dies damit, dass ein schwerer persönlicher Härtefall nach Art. 66a Abs. 2 StGB vorliege und die privaten Interessen des Beschwerdegegners an seinem Verbleib in der Schweiz die öffentlichen Interessen an einer Wegweisung überwiegten.  
Sie erwägt, der Beschwerdegegner sei in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Er habe hier sämtliche Schulen besucht, eine Lehre absolviert und spreche Schweizerdeutsch. Auch seine Hauptbezugsperson, sein Bruder, lebe in der Schweiz. Seinen Heimatstaat Portugal kenne der Beschwerdegegner nur von kurzen Ferienaufenthalten. Mit der Mutter, welche angeblich in Portugal lebe, habe er nach eigenen Angaben seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr. Der Vater des Beschwerdegegners lebe mit seiner neuen Ehefrau in der Dominikanischen Republik. Beruflich habe sich der Beschwerdegegner in der Schweiz nicht integrieren können. Nach einer Ausbildung in der Holzverarbeitung habe er während total sieben Wochen als Gerüstbauer sowie Lagerist gearbeitet und von September 2016 bis Mai 2017 Sozialhilfe bezogen. Er habe Schulden von ca. Fr. 5'500.--. Zu berücksichtigen sei aber, dass er vor Antritt seiner Haftstrafe knapp 20 Jahre alt gewesen sei. In diesem Alter könne eine vollständige berufliche Integration nicht ohne Weiteres erwartet werden. Weiter seien die Schulden nicht derart hoch, dass eine Rückzahlung in absehbarer Zeit ausgeschlossen wäre. Angesichts seines Alters, seiner Sprachkenntnisse und seiner in der Schweiz erlangten Berufsausbildung sei nicht ausgeschlossen, dass sich der Beschwerdegegner auch in Portugal eine wirtschaftliche und soziale Existenz aufbauen könne, auch wenn die Arbeitslosenquote in Portugal höher als in der Schweiz sei. Als Angehöriger der zweiten Ausländergeneration in der Schweiz mit geringen Beziehungen zu seinem Heimatland würde ihn eine Wegweisung aber zweifellos sehr hart treffen. 
Gleichzeitig bestehe aufgrund der vom Beschwerdegegner begangenen Straftaten aber auch ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Landesverweisung. Er sei wegen mehrfachen Raubs, teilweise qualifiziert, sowie wegen diverser anderer Delikte zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Den zweiten Raub vom 11. Juli 2017 habe er während laufender Strafuntersuchung und nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft begangen. Zudem weise er eine einschlägige Vorstrafe auf, u.a. wegen eines Raubversuchs. Bei den Delikten handle es sich teilweise um gravierende Verstösse gegen die Rechtsordnung und das Verhalten des Beschwerdegegners lasse durchaus darauf schliessen, dass ihm die hier geltende Rechtsordnung vor seiner letzten Verhaftung ziemlich gleichgültig gewesen sei. 
Zu berücksichtigen sei jedoch, dass der Beschwerdegegner die letzte seiner Straftaten kurz nach seinem 20. Geburtstag begangen habe. Es sei davon auszugehen, dass die strafbaren Handlungen noch im Zusammenhang mit der schwierigen Kindheit und Jugend gestanden seien. So sei sein Vater gewalttätig und jähzornig gewesen. Die Mutter sei schwer alkoholabhängig gewesen und habe sich mehrfach in einer psychiatrischen Klinik befunden. Als der Beschwerdegegner im Kindergarten gewesen sei, hätten sich die Eltern getrennt und die Mutter habe die Familie verlassen, womit er danach allein beim Vater aufgewachsen sei. Als er ca. 13 bis 14 Jahre alt gewesen sei, sei der Vater mit einer neuen Frau zusammengekommen. Zwischen ihr und dem Beschwerdegegner sei es regelmässig zu Problemen und sogar zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen. Er sei danach in eine Pflegefamilie fremdplatziert worden. Spätestens seit Beginn der Oberstufe habe er Cannabis geraucht, sei gewalttätig geworden und habe kleine Diebstähle begangen, um sich seinen Betäubungsmittelkonsum zu finanzieren. Da auch die Pflegefamilie mit ihm überfordert gewesen sei, sei er in ein Jugendheim umplatziert worden. Dort habe er die Möglichkeit gehabt, eine zweijährige Lehre zu absolvieren. Nach Entlassung aus dem Jugendheim habe er keine Arbeitsstelle gefunden. Er sei auch nicht bereit gewesen, mit der Arbeitslosenkasse oder dem Sozialdienst zusammenzuarbeiten. Da er den Mietzins nicht mehr bezahlt habe, habe er danach keinen festen Wohnsitz mehr gehabt. 
Der persönliche Eindruck der ersten Instanz, wonach sich der Beschwerdegegner auf einem guten Weg befinde, habe sich anlässlich der Berufungsverhandlung bestätigt. Er scheine eine persönliche Reifung durchgemacht zu haben und sei nun bereit, sich mit dem bisherigen Leben und seinen Taten auseinanderzusetzen. Insbesondere habe er eine Therapie angefangen und begonnen, mit dem Beistand zusammenzuarbeiten. Für die Zukunft könne ihm eine gute Legalprognose gestellt werden, auch wenn er bisher noch nicht die Gelegenheit gehabt habe, sich in Freiheit zu bewähren. Daran ändere nichts, dass sein positives Verhalten wohl teilweise unter dem Druck der drohenden Landesverweisung erfolgt sei. Denn am Risiko, bei erneuter Straffälligkeit die Schweiz verlassen zu müssen, werde sich für den Beschwerdegegner nach Abschluss dieses Strafverfahrens nichts ändern (vgl. angefochtenes Urteil, E. 5 S. 10 ff.). 
 
2.4. Der Beschwerdegegner, der nicht über die schweizerische Staatsangehörigkeit verfügt, wird u.a. wegen eines am 11. Juli 2017 und damit nach Inkrafttreten der Bestimmungen der Landesverweisung begangenen Raubes für eine Katalogtat gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB verurteilt. Folglich sind die Voraussetzungen für eine obligatorische Landesverweisung grundsätzlich erfüllt. Die Beschwerdeführerin vertritt mit der Vorinstanz sodann nachvollziehbar die Ansicht, es liege ein Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vor. Demzufolge bleibt zu prüfen, ob die vorinstanzliche Interessenabwägung zugunsten des Beschwerdegegners Bundesrecht verletzt und, gegebenenfalls, ob ein völkerrechtlicher Vertrag einer Landesverweisung entgegensteht.  
Den für das Bundesgericht verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen zufolge ist der Beschwerdegegner in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Auch sein Bruder, der laut Stellungnahme des Beschwerdegegners an das Bundesgericht die einzige Person ist, zu welcher er ein vertrautes Verhältnis habe, lebt in der Schweiz. Massgebend für das Interesse des Beschwerdegegners am Verbleib in der Schweiz sind allein diese Umstände. Seine am 21. Januar 2020 verstorbene Mutter lebte zuletzt in Portugal. Sein Vater lebt angeblich in der Dominikanischen Republik. Kinder hat der Beschwerdegegner keine. Eine Landesverweisung wirkt sich daher nicht in relevanter Weise auf dessen Familienleben aus. Über anderweitige soziale Kontakte in der Schweiz verfügt der Beschwerdegegner kaum (vgl. kant. Akten, act. 5 S. 3). Zudem ist es ihm nicht gelungen, hierzulande beruflich Fuss zu fassen. Er spricht sowohl die deutsche als auch portugiesische Sprache. Diese Sprachkenntnisse, seine Ausbildung, sein Alter und seine Gesundheit erlauben es ihm, sich in Portugal zu integrieren. Eine für den Beschwerdegegner möglicherweise schwierigere Wirtschaftslage in Portugal als in der Schweiz schliesst eine Landesverweisung entgegen seiner Auffassung praxisgemäss nicht aus (vgl. Urteil 6B_1299/2019 vom 28. Januar 2020 E. 3.4.2 mit Hinweisen). Die vorinstanzlichen Erwägungen zur Legalprognose überzeugen alsdann nicht. Der Beschwerdegegner delinquierte während laufender Strafuntersuchung und ist mehrfach vorbestraft. Die sich deshalb aufdrängenden Bedenken betreffend die Rückfallgefahr lassen sich nicht lediglich mit einem persönlichen Eindruck an einer Gerichtsverhandlung, dem Beginn einer Therapie oder einer jüngsten Zusammenarbeit mit einem Beistand beseitigen. Aufgrund der zahlreichen Straftaten und dem schweren Verschulden, welches auch durch die rechtskräftige Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren belegt ist, sowie mangels hinreichend ausgeschlossener Rückfallgefahr ist das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung offensichtlich als hoch zu werten. Der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden, wenn sie gestützt auf den Zeitpunkt der letzten Straftat des Beschwerdegegners und einen möglichen Zusammenhang mit einer schwierigen Vergangenheit ein weniger gewichtiges öffentliches Interesse annimmt. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht ausführt, sind diese Aspekte im Rahmen der Strafzumessung, nicht jedoch bei der Bewertung des öffentlichen Interesses an der Landesverweisung von Relevanz. 
Unter Berücksichtigung dieser Umstände hätte die Vorinstanz bei ihrer Prüfung der restriktiv anzuwendenden Härtefallklausel das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung höher werten müssen als das persönliche Interesse des Beschwerdegegners an einem Verbleib in der Schweiz. 
 
2.5.  
Im Weiteren stellt sich mit Blick auf die Mitgliedschaft von Portugal in der EU und die Staatsangehörigkeit des Beschwerdegegners die Frage, ob das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) einer Landesverweisung entgegensteht. In Anbetracht des Ergebnisses ihrer Interessenabwägung überprüfte die Vorinstanz diesen Aspekt nicht (vgl. angefochtenes Urteil, E. 5.e S. 13). Dies ist vorliegend nachzuholen. 
 
2.5.1. Das FZA gibt Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU und der Schweiz u.a. das Recht auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie das Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien (Art. 1 lit. a). Das Einreiserecht wird gemäss den in Anhang I festgelegten Bestimmungen eingeräumt (Art. 3; vgl. BGE 143 IV 97 E. 1.2.1 S. 100). Nach Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA dürfen die im Abkommen eingeräumten Rechte nur durch Massnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden. Die Landesverweisung nach Art. 66a ff. StGB ist als Institut des Strafrechts und nach der Intention des Verfassungs- und des Gesetzgebers primär als sichernde Massnahme zu verstehen (vgl. Art. 121 Abs. 2 und 5 BV; Urteile 6B_1474/2019 vom 23. März 2020 E. 1.6.2; 6B_627/2018 vom 22. März 2019 E. 1.3.2).  
Ob die öffentliche Ordnung und Sicherheit (weiterhin) gefährdet ist, folgt aus einer Prognose des künftigen Wohlverhaltens. Es ist nach Art und Ausmass der möglichen Rechtsgüterverletzung zu differenzieren: Je schwerer die Gefährdung, desto niedriger die Anforderungen an die in Kauf zu nehmende Rückfallgefahr. Ein geringes, aber tatsächlich vorhandenes Rückfallrisiko kann für eine aufenthaltsbeendende Massnahme im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA genügen, sofern dieses Risiko eine schwere Verletzung hoher Rechtsgüter wie z.B. die körperliche Unversehrtheit beschlägt (BGE 145 IV 364 E. 3.5.2 S. 371 f.; Urteile 6B_1474/2019 vom 23. März 2020 E. 1.6.2; 6B_1146/2018 vom 8. November 2019 E. 6.3.2 und 6.3.3). 
 
2.5.2. Mit den neuerlichen Verurteilungen des Beschwerdegegners mitunter für schwere Delikte, u.a. wegen mehrfachen, teilweise qualifizierten Raubs, und seines nicht von der Hand zu weisenden, zumindest geringen Rückfallrisikos sind auch die Voraussetzungen für eine Einschränkung der Freizügigkeit nach Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA erfüllt.  
 
3.   
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird insbesondere über die Dauer der auszusprechenden Landesverweisung zu befinden haben. Kosten sind im bundesgerichtlichen Verfahren keine zu erheben. Dem unentgeltlichen Rechtsbeistand des Beschwerdegegners ist eine angemessene Parteientschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Eine Parteientschädigung ist dem Kanton Thurgau nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 28. Oktober 2019 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.   
Dem Vertreter des Beschwerdegegners, Rechtsanwalt Marcel Epper, wird eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. Januar 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Weber