Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_677/2021  
 
 
Urteil vom 19. Januar 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, 
nebenamtliche Bundesrichterin Pont Veuthey, 
Gerichtsschreiber Uebersax. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Regierung des Kantons Graubünden, 
Graues Haus, Reichsgasse 35, Postfach, 7001 Chur, 
Gemeinde Andeer, Veia da Scola 36, 7440 Andeer. 
 
Gegenstand 
Strassenkorrektion (Projektgenehmigung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 5. Kammer, 
vom 14. September 2021 (R 20 77). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Bundesamt für Strassen ASTRA beabsichtigt, den Bärenburgtunnel der N 13 zwischen Bärenburg und der Rofflaschlucht zu sanieren. Wegen der dafür nötigen teilweisen Schliessung des Tunnels sind zwei Kantonsstrassen als Ausweichrouten auszubauen. Dagegen erhob A.________ Einsprache, im Wesentlichen mit der Begründung, die Bauarbeiten gefährdeten prähistorisch wertvolle Schalensteine. Der in der Folge mit der Abklärung der Steinplatten betraute Archäologische Dienst Graubünden stellte fest, dass keine archäologischen Fundstellen zu verzeichnen seien; die Steinplatten und Felsformationen entlang des betroffenen Strassenabschnitts seien jedoch immerhin landschaftlich prägend, weshalb zu bedenken sei, diese bei den Bauarbeiten grundsätzlich zu schonen und womöglich zu erhalten. Mit Beschluss vom 23. Juli 2020 genehmigte die Regierung des Kantons Graubünden das Strassenbauprojekt mit Änderungen und Auflagen. Insbesondere verfügte sie, während der Bauarbeiten vorsorgliche Vorkehrungen zum Schutz des Schalensteins im Bereich des Landschaftschutzobjekts "Felskuppe bei Bärenburg" zu treffen. Den sinngemäss von A.________ beantragten Verzicht auf das Strassenbauvorhaben wies die Regierung jedoch ab. 
 
B.  
Dagegen führte A.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Er führte aus, er habe keinen Verzicht auf das Strassenbauprojekt beantragt, sondern lediglich kleine Änderungen wie die Verschiebung betroffener Schalensteine. Daran halte er fest. Die von der Regierung zur Sachverhaltsabklärung beigezogenen Experten seien nicht unabhängig, weshalb nicht auf deren Einschätzungen abzustellen sei. Am 14. September 2021 trat das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde mangels Legitimation von A.________ nicht ein. Dieser wohne im Zentrum der Gemeinde Andeer und nicht im Ortsteil Bärenburg. Seine sich dort befindende Megalith-Ausstellung liege rund 150 m vom Projektende entfernt. Damit sei er vom Bauprojekt nicht ausreichend persönlich betroffen. Aus seinem fachlichen Interesse und seiner Tätigkeit als privater Erforscher von Schalensteinen in der Gegend ergebe sich keine Beschwerdeberechtigung. Ergänzend führte das Verwaltungsgericht aus, der Entscheid der Regierung sei auch inhaltlich nicht zu beanstanden, da diese den Sachverhalt vollständig erhoben und zutreffend gewürdigt habe. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 13. November 2021 an das Bundesgericht beantragt A.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Streitsache zur Beweisergänzung und zu erneuter Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersuchte er um Erteilung der aufschiebenden Wirkung. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, seine Forschungstätigkeit verschaffe ihm sehr wohl eine ausreichende Beschwerdelegitimation. In der Sache habe das Verwaltungsgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und es sei bei der Beweiserhebung bzw. der Sachverhaltsfeststellung in Willkür verfallen. 
Die Regierung des Kantons Graubünden schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Verwaltungsgericht stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Die Gemeinde Andeer liess sich nicht vernehmen. 
Mit Eingabe vom 4. Februar 2022 hielt A.________ im Wesentlichen an seinem Standpunkt fest. 
 
D.  
Mit prozessleitender Verfügung vom 22. Dezember 2021 wies das präsidierende Mitglied der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung ab. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gestützt auf Art. 82 lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG) im Bereich des Raumplanungs- und Baurechts, das zum öffentlichen Recht zählt und vom Anwendungsbereich der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nicht ausgenommen ist (vgl. Art. 83 ff. BGG e contrario; BGE 133 II 249 E. 1.2 S. 251).  
 
1.2. Streitgegenstand bildet einzig die Frage, ob das Verwaltungsgericht auf die bei ihm erhobene Beschwerde wegen Fehlens der erforderlichen Legitimation zu Recht nicht eingetreten ist. Dass es sich subsidiär kurz auch zur Sache geäussert hat, führt nicht dazu, dass sich der Streitgegenstand auf die materielle Beurteilung der Sache erstreckt. Das Verwaltungsgericht nahm keine vollständige inhaltliche Prüfung der Streitsache vor, was sich sowohl aus der Begründung als auch aus dem Dispositiv des angefochtenen Entscheids ergibt.  
 
1.3. Mit der Beschwerde an das Bundesgericht kann in rechtlicher Hinsicht, von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen, nur die Verletzung von Bundesrecht unter Einschluss des Bundesverfassungsrechts (vgl. Art. 95 lit. a BGG) gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführenden geltend gemacht und begründet werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Erhöhte Anforderungen an die Begründung gelten, soweit die Verletzung von Grundrechten gerügt wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, das Verwaltungsgericht hätte ihm die Beschwerdeberechtigung zumindest aufgrund seiner Forschungstätigkeit zusprechen müssen.  
 
2.2. Das Verwaltungsgericht richtete sich bei der Beurteilung der Beschwerdelegitimation an der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 89 Abs. 1 BGG aus, die für dessen Vorinstanzen wenigstens als Minimalstandard massgeblich ist (vgl. Art. 110 BGG). Nach dieser Rechtsprechung sind Nachbarn zur Beschwerdeführung gegen ein Bauvorhaben berechtigt, wenn sie mit Sicherheit oder zumindest grosser Wahrscheinlichkeit durch Immissionen wie Lärm, Staub, Erschütterungen, Licht oder andere Einwirkungen betroffen werden, die der Bau oder Betrieb der fraglichen Anlage hervorruft. Als wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Betroffenheit dient in der Praxis die räumliche Distanz zum Bauvorhaben. Die Rechtsprechung bejaht in der Regel die Legitimation von Nachbarn, deren Liegenschaften sich in einem Umkreis von bis zu rund 100 m befinden. Bei grösseren Entfernungen muss eine Beeinträchtigung glaubhaft gemacht und gestützt auf eine Gesamtwürdigung der konkreten Verhältnisse beurteilt werden (BGE 140 II 214 E. 2.3 S. 220 f. mit Hinweisen). Der Beeinträchtigung muss ein gewisses Gewicht zukommen, um eine Betroffenheit zu begründen, die grösser ist als diejenige der Allgemeinheit (Urteil des Bundesgerichts 1C_87/2020 vom 16. Juli 2021 E. 2.2 mit Hinweisen).  
 
2.3. Weder wohnt der Beschwerdeführer in einer Distanz von maximal 100 m vom Bauvorhaben noch liegt seine Megalith-Ausstellung innerhalb dieser massgeblichen Entfernung. Der Beschwerdeführer erleidet auch keine besondere Beeinträchtigung durch vom Bauprojekt ausgehende Immissionen. Er begründet seine angebliche besondere Betroffenheit im Wesentlichen einzig durch seine Forschungstätigkeit zu Schalensteinen und deren Wert für die Allgemeinheit. Ohne die Bedeutung dieser Forschungstätigkeit in Frage zu stellen, verschafft ihm das jedoch keine persönliche Beschwerdelegitimation. Betroffen sind davon öffentliche Interessen, die durch andere Rechtsvorkehren als durch die individuelle Beschwerdelegitimation von Privatpersonen geschützt werden, bspw. durch die Verpflichtung der Behörden, die öffentlichen Interessen zu wahren, oder durch allfällige Beschwerdeberechtigungen juristischer Personen wie namentlich von Heimat- und Denkmalschutzverbänden.  
 
2.4. Das Verwaltungsgericht verstiess damit nicht gegen Bundesrecht, indem es dem Beschwerdeführer die Legitimation zur Beschwerdeerhebung versagte.  
 
3.  
 
3.1. Damit kann sich einzig noch fragen, ob der Beschwerdeführer allenfalls die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör als prozessuales Parteirecht geltend machen könnte. Trotz fehlender Legitimation in der Sache selbst ist die beschwerdeführende Person zur Rüge berechtigt, ihr zustehende Verfahrensgarantien seien verletzt worden, namentlich solche, die auf eine formelle Rechtsverweigerung hinauslaufen. Nicht zu hören sind dabei allerdings Vorbringen, die im Ergebnis auf die Überprüfung des Sachentscheids abzielen (vgl. BGE 135 II 430 E. 3.2; s. auch BGE 138 IV 78 E. 1.3; 129 I 217 E. 1.4; 114 Ia 307 E. 3c).  
 
3.2. Ob insofern eine Beschwerdeberechtigung des Beschwerdeführers besteht, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seinen Ausführungen vermag dieser nämlich nicht darzutun, inwiefern ihm das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die hier einzig zu prüfende Streitfrage der Beschwerdelegitimation das Gehör verweigert haben sollte. Die Beschwerdeberechtigung stellt eine Prozessvoraussetzung dar, die von einer Rechtsmittelinstanz in jedem Fall von Amtes wegen zu prüfen ist. Dazu hat sich in der Rechtsschrift zu äussern, wer ein Rechtsmittel ergreift. Es ist höchstens allenfalls dann dazu nachträglich die Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren, wenn, bspw. wegen einer Praxisänderung, nicht vorhersehbar war, dass die Rechtsmittelinstanz die Legitimation verneinen könnte. Eine solche Ausnahmelage ist hier nicht gegeben. Auf die Frage der Gehörsverweigerung oder der willkürlichen Beweiswürdigung bzw. Sachverhaltsfeststellung in der Sache ist schliesslich schon deshalb nicht einzutreten, weil das nicht zum Streitgegenstand gehört und überdies auf eine unzulässige inhaltliche Überprüfung des angefochtenen Entscheids hinausliefe.  
 
4.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1, Art. 65 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (vgl. Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Regierung des Kantons Graubünden, der Gemeinde Andeer und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. Januar 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax