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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_862/2013  
{T 0/2}  
   
   
 
 
 
Urteil vom 19. Februar 2014  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kernen, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, 
Gerichtsschreiberin Keel Baumann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau,  
Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
R.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 22. Oktober 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Anlässlich einer periodischen Überprüfung berechnete die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, Ausgleichskasse (nachfolgend: SVA Aargau), den Ergänzungsleistungsanspruch des R.________ neu; die Höhe der auszurichtenden Ergänzungsleistung blieb unverändert (Verfügung vom 3. Januar 2013). Die von R.________ erhobene Einsprache, mit welcher er die Höhe der als Ausgaben anerkannten Wohnkosten beanstandete, wies die SVA Aargau ab (Entscheid vom 4. Februar 2013). 
 
B.   
Beschwerdeweise beantragte R.________ sinngemäss, der Einspracheentscheid sei aufzuheben; bei der Berechnung des Ergänzungsleistungsanspruchs seien die effektiven Wohnkosten zu berücksichtigen. Mit Entscheid vom 22. Oktober 2013 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Beschwerde teilweise gut, hob den Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die SVA Aargau zurück. 
 
C.   
Die SVA Aargau erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und der Einspracheentscheid zu bestätigen. Ferner ersucht sie um aufschiebende Wirkung der Beschwerde. 
R.________, das Bundesamt für Sozialversicherungen und das kantonale Versicherungsgericht (Letzteres unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid) verzichten auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beschwerden an das Bundesgericht gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide sind nur zulässig, wenn sie die Zuständigkeit oder den Ausstand betreffen (Art. 92 BGG), einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Rückweisungsentscheide, mit denen eine Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, sind Zwischenentscheide, die nur unter den genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden können (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f.). Anders verhält es sich nur dann, wenn der unteren Instanz, an welche zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt und die Rückweisung nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient (BGE 135 V 141 E. 1.1 S. 143; 134 II 124 E. 1.3 S. 127).  
 
1.2. Durch den angefochtenen kantonalen Entscheid wird die SVA Aargau in Abweichung zu ihrem Einspracheentscheid vom 4. Februar 2013 verpflichtet, den Ergänzungsleistungsanspruch unter Berücksichtigung des steuerrechtlichen Pauschalabzugs für Gebäudeunterhaltskosten neu zu berechnen. Die Rückweisung dient somit einzig der Ermittlung des Betrags, mithin der Umsetzung des vom kantonalen Gericht Angeordneten, und belässt der Verwaltung keinen Entscheidungsspielraum. Angefochten ist damit ein Endentscheid und auf die Beschwerde ist einzutreten (vgl. auch SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C_684/2007 E.1.1).  
 
2.   
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). 
 
3.   
Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben unter anderem Personen, die Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung haben (Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG), wenn die vom Gesetz anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen. Was als Ausgaben anerkannt und was als Einnahmen angerechnet wird, ist in Art. 10 und 11 ELG bestimmt. Bei Personen, die nicht dauernd oder längere Zeit in einem Heim oder Spital leben (zu Hause lebende Personen), sind unter anderem der Mietzins einer Wohnung und die damit zusammenhängenden Nebenkosten als Ausgaben anerkannt (Art. 10 Abs. 1 lit. b ELG). Bei allen Personen (d.h. sowohl bei den [in Art. 10 Abs. 1 erwähnten] zu Hause lebenden Personen als auch bei den [in Art. 10 Abs. 2 erwähnten] dauernd oder längere Zeit in einem Heim oder Spital lebenden Personen) werden zudem als Ausgaben Gebäudeunterhaltskosten und Hypothekarzinse bis zur Höhe des Bruttoertrages der Liegenschaft anerkannt (Art. 10 Abs. 3 lit. b ELG). 
 
4.   
Nach den verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid (vgl. E. 2 hiervor) bewohnt der Beschwerdegegner mit seiner Lebenspartnerin und den beiden gemeinsamen Töchtern eine Liegenschaft, welche die Lebenspartnerin zusammen mit ihrem Bruder im Jahre 2000 erworben hat. Der Beschwerdegegner bezahlt seiner Lebenspartnerin keinen Mietzins. 
 
5.  
 
5.1. Es besteht Einigkeit unter den Parteien, dass in der EL-Berechnung eine Mietzinsausgabe für das Wohnen des Beschwerdegegners und der gemeinsamen Kinder in der Liegenschaft der Lebenspartnerin angerechnet wird, auch wenn der Beschwerdegegner keine Miete bezahlt.  
 
5.2. Streitig ist hingegen die Frage, ob der Beschwerdegegner, welcher nicht Eigentümer der Liegenschaft ist, zusätzlich zum Mietzins und den damit zusammenhängenden Nebenkosten Gebäudeunterhaltskosten als Ausgaben im Sinne von Art. 10 Abs. 3 lit. b ELG geltend machen kann.  
 
5.2.1. Die Vorinstanz erachtete es, ohne dies zu begründen, als selbstverständlich, dass in der EL-Berechnung ausgabeseitig zusätzlich zu den Mietzinsen die Gebäudeunterhaltskosten zu berücksichtigen sind. Sie wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit sie den Ergänzungsleistungsanspruch unter Berücksichtigung des steuerrechtlichen Pauschalabzugs für Gebäudeunterhaltskosten (bei der mehr als 10 Jahre alten Liegenschaft 20 % des Mietrohertrages) neu berechne.  
 
5.2.2. Die Beschwerdeführerin stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, die Bestimmung des Art. 10 Abs. 3 lit. b ELG sei nur auf EL-berechtigte Personen anwendbar, die tatsächlich Eigentümer einer Liegenschaft sind bzw. die entsprechenden Kosten tatsächlich zu tragen haben. Sie macht geltend, ein Mieter, welcher nicht Eigentümer der Liegenschaft sei, könne nicht zusätzlich zum Mietzins und den damit zusammenhängenden Nebenkosten Gebäudeunterhaltskosten als Ausgaben im Sinne des Art. 10 Abs. 3 lit. b ELG geltend machen. Liesse man die Gebäudeunterhaltskosten ohne Liegenschaftsertrag zum Abzug zu, würde die daraus resultierende Ergänzungsleistung nicht der Gewährleistung des Existenzbedarfs des Beschwerdegegners, sondern - zweckwidrig - der Erhaltung des aktuellen Vermögensstandes der Partnerin dienen, was Sinn und Zweck der Ergänzungsleistungen widerspräche.  
 
5.3. Der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung ist beizupflichten. Sie ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei den in Art. 10 Abs. 3 lit. b ELG genannten Gebäudeunterhaltskosten und Hypothekarzinsen um Gewinnungskosten (d.h. Vermögensabgänge, die wesentlich durch die Erzielung von Einkommen verursacht bzw. veranlasst sind; vgl. Urteil 2C_14/2009 vom 22. April 2009 E. 2.1 mit Hinweisen, publ. in: StR 64/2009 S. 571; 2C_1278/2012 vom 14. Oktober 2013, publ. in: ASA 82 S. 308) handelt und zwar um solche zur Erzielung eines Liegenschaftenertrages (vgl. BGE 138 V 17 E. 4.2.1 S. 20 f.). Mit anderen Worten setzt ein entsprechender Abzug eine einen Ertrag abwerfende Liegenschaft voraus (wobei wohl genügt, dass die Liegenschaft einen Ertrag abwerfen würde, wenn das dazu Notwendige vorgekehrt würde; zum Ganzen: Ralph Jöhl, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, SBVR/Band XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1731 f. Rz. 142 und Fn. 475). Ein (tatsächlicher oder hypothetischer) Ertrag kann dem EL-Ansprecher nur zugeordnet werden, wenn die Liegenschaft in seinem Eigentum steht. Einem Mieter wie dem Beschwerdegegner fallen von vornherein keine derartigen Einkünfte aus der (gemieteten) Liegenschaft zu (ebenso wenig wie er Gebäudeunterhaltskosten und Hypothekarzinsen zu tragen hat). Ob der EL-Ansprecher die in seinem Eigentum stehende Liegenschaft vermietet oder selber bewohnt, ist hingegen nicht entscheidend: Als Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. b ELG werden im ersten Fall die Mietzinserträge und im zweiten Fall der Mietwert der eigenen Wohnung berücksichtigt; in beiden Fällen werden die Gebäudeunterhaltskosten und die Hypothekarzinsen als Ausgaben anerkannt (BGE 138 V 17 E. 4.2.3 S. 21 f.; Erwin Carigiet/Uwe Koch, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, 2. Aufl. 2009, S. 170 ff.; vgl. auch Jöhl, a.a.O., S. 1732 f. [auch zu den hier nicht gegebenen besonderen Fällen einer nutzniessungs- oder wohnrechtsbelasteten Liegenschaft]).  
 
5.4. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die SVA Aargau in ihrer EL-Berechnung zu Recht keine Gebäudeunterhaltskosten als Ausgaben anerkannt hat. Demnach ist ihre gegen den (die Berücksichtigung derselben anordnenden) kantonalen Entscheid erhobene Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben.  
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen ist die Frage, ob das unentgeltliche Wohnen des Beschwerdeführers einnahmeseitig als "andere wiederkehrende Leistungen" im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. d ELG zu berücksichtigen wäre (Urteil 9C_388/2013 vom 10. Dezember 2013 E. 3.3.3; vgl. auch Rz. 3455.01 der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL] in der ab 1. April 2011 gültigen Fassung). 
 
6.   
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos. 
 
7.   
Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird umständehalber verzichtet (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 22. Oktober 2013 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, Ausgleichskasse, vom 4. Februar 2013 bestätigt. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 19. Februar 2014 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kernen 
 
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann