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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_54/2010 
 
Urteil vom 19. März 2010 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter von Werdt, Bundesrichter Herrmann, 
Gerichtsschreiber Levante. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Fürsprecherin Ursula Zimmermann, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Solothurn, Zivilkammer, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Solothurn, Zivilkammer, vom 8. Dezember 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Urteil vom 7. Oktober 2009 schied das Richteramt A.________ auf Klage von X.________ die Ehe mit Y.________. Der gemeinsame Sohn B.________, geboren 2006, wurde unter die elterliche Sorge der Mutter gestellt. Auf eine Regelung des persönlichen Verkehrs zwischen Vater und Sohn wurde verzichtet. Von der Festlegung eines Kinderunterhaltsbeitrages sah das Gericht mangels Leistungsfähigkeit des Vaters ab. Zudem stellte es fest, dass die Parteien während der Ehe keine Guthaben der beruflichen Vorsorge erworben haben. Es sprach ihnen beidseitig keine nachehelichen Unterhaltsbeiträge zu. Das Gesuch von X.________ um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wurde gutgeheissen. 
 
B. 
Mit Appellation vom 18. November 2009 erneuerte X.________ vor dem Obergericht Solothurn ihren Antrag um Zusprechung eines Kinderunterhaltsbeitrags von Fr. 510.-- zuzüglich allfälliger Kinderzulagen. Der Präsident der Zivilkammer entzog ihr am 8. Dezember 2009 mit sofortiger Wirkung die unentgeltliche Rechtspflege. 
 
C. 
X.________ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) ist mit Beschwerde in Zivilsachen vom 18. Januar 2010 an das Bundesgericht gelangt. Sie beantragt die Aufhebung der obergerichtlichen Verfügung und die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Appellationsverfahren. Die Beschwerdeführerin stellt weiter für das bundesgerichtliche Verfahren ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtpflege. 
Das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit dem einer Prozesspartei die unentgeltliche Rechtspflege entzogen worden ist. Dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131), dessen ungeachtet, ob er während des Hauptverfahrens, zusammen mit dem Endentscheid oder nach diesem ergangen ist (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007 E. 1.2). 
 
1.2 Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache (BGE 133 III 645 E. 2.2 S. 647). Im vorliegenden Fall sind einzig die Unterhaltsbeiträge an ein unmündiges Kind strittig, womit eine Zivilsache mit Vermögenswert vorliegt (BGE 133 III 393 E. 2 S. 395). Die gesetzliche Streitwertgrenze ist angesichts der gesetzlichen Unterhaltsdauer ohne weiteres erreicht (Art. 74 Abs. 1 lit. b BBG in Verbindung mit Art. 51 Abs. 4 BGG; vgl. Art. 277 Abs. 1 ZGB). Die Beschwerde in Zivilsachen ist nach dem Gesagten in der Hauptsache zulässig, womit sie auch gegen den vorliegenden Zwischenentscheid ergriffen werden kann. Mit ihr kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden, wozu auch das Verfassungsrecht gehört (Art. 95 lit. a BGG). 
 
2. 
Anlass der vorliegenden Beschwerde bildet die Prüfung der Prozessaussichten im Hinblick auf die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. In der Hauptsache geht es um die Zusprechung eines Unterhaltsbeitrages für ein unmündiges Kind. 
 
2.1 Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dass ihr das kantonale Recht weitergehende Ansprüche einräumt, als die in Art. 29 Abs. 3 BV verankerte Minimalgarantie (vgl. BGE 124 I 1 E. 2 S. 2). Nach dieser hier einzig massgebenden Bestimmung hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Begehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Ob der durch die Bundesverfassung garantierte Anspruch verletzt wurde, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei. Soweit es um tatsächliche Feststellungen der kantonalen Instanz geht, ist seine Prüfungsbefugnis auf Willkür beschränkt (BGE 134 I 12 E. 2.3 S. 14). Dabei ist es allerdings nicht seine Aufgabe, dem Sachgericht vorgreifend Stellung zu nehmen, ob das vom Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren gestellte Begehren zu schützen sei oder nicht. Hingegen hat das Bundesgericht mit Blick auf die Prozesschancen zu prüfen, ob der von ihm vertretene Standpunkt im Rahmen des sachlich vertretbaren liegt bzw. von vornherein unbegründet erscheint (BGE 119 III 113 E. 3a S. 115). 
 
2.2 Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Die Prüfung der Prozessaussichten beurteilt sich aufgrund der Verhältnisse im Zeitpunkt des Gesuchs (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 136). Steht - wie vorliegend - der Widerruf der zuvor gewährten unentgeltlichen Rechtspflege in Frage, ist ohne weiteres auf die Verhältnisse im Moment des nunmehr angefochtenen Entscheides abzustellen. 
 
2.3 Die Vorinstanz hat der Beschwerdeführerin die von der Erstinstanz gewährte unentgeltliche Rechtspflege entzogen, weil sie die Aussichten der bei ihr erhobenen Appellation als aussichtslos beurteilte. Ihrer Ansicht nach überzeugt das angefochtene Urteil, mit dem der Beschwerdeführerin für ihren Sohn kein Unterhaltsbeitrag zugesprochen wurde. Weiter wies die Vorinstanz auf den Umstand hin, dass die aktuelle Situation des Unterhaltsschuldners so gut wie nicht bekannt sei. Ungewiss sei insbesondere dessen Aufenthaltsort und entsprechend die finanziellen Verhältnisse. Auf das Erfordernis der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners dürfe nicht mit Blick auf die staatliche Alimentenbevorschussung abgesehen werden. 
 
2.4 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, sie habe vorschnell auf die Aussichtslosigkeit des Unterhaltsbegehrens geschlossen. Dabei verweise diese im Wesentlichen auf den erstinstanzlichen Entscheid, dessen Begründung gerade zur Appellation geführt hätte. Durch den Widerruf der unentgeltlichen Rechtspflege werde ihr - so die Beschwerdeführerin - der Rückzug der Appellation nahegelegt, bevor ihr die Vorinstanz in der Sache das rechtliche Gehör gewährt habe. 
 
2.5 Die Beurteilung der Prozesschancen im Rechtsmittelverfahren darf nicht dazu führen, dass einer Prozesspartei die Überprüfung eines Urteils, mit dem sie nicht einverstanden ist, geradezu verunmöglicht wird. Die Anforderungen an die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege entsprechen denjenigen im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. Ries, Die unentgeltliche Rechtspflege nach der aargauischen Zivilprozessordnung [...], 1990, S. 109 f.). Liegt der Rechtsmittelinstanz ein einlässlich begründetes Urteil vor, so kann sie dieses mit den bei ihr gestellten Anträgen vergleichen. Gerade bei der nur summarischen Prüfungsbefugnis wird ihr damit die Prognose erleichtert. Nur wenn der Gesuchsteller dem erstinstanzlichen Entscheid nichts Wesentliches entgegen setzen kann, läuft er Gefahr, dass ein Rechtsmittel als aussichtslos eingestuft wird, namentlich wenn eine eingeschränkte Kognition oder Rügepflicht gilt (Meichssner, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege, 2008, S. 112). Mit der Appellation nach § 291 ff. ZPO/SO kann das angefochtene Urteil zwar uneingeschränkt überprüft werden. Da sich im vorliegenden Fall in den kantonalen Akten einzig eine Appellationserklärung der Beschwerdeführerin vorfindet, sind die - als neue oder nachträgliche Anbringen möglichen (vgl. § 296 ZPO/SO) - Einwände der Beschwerdeführerin (bisher) jedoch nicht bekannt. Die Eigenheit des kantonalen Verfahrens, dass es zur Erhebung der Appellation genügt, in der Appellationserklärung auszuführen, welche Punkte des Urteils angefochten werden (§ 292 Abs. 2 ZPO/SO), darf der Beschwerdeführerin indes nicht zum Nachteil gereichen. Der Umstand, dass sie sich gegen das erstinstanzliche Urteil wehrt, muss daher für die Abgabe einer Prognose genügen. 
 
2.6 Konkret verlangt die Beschwerdeführerin im Rahmen eines Scheidungsverfahrens einen Unterhaltsbeitrag für den Sohn B.________. Die Unterhaltspflicht der Eltern, und damit der Anspruch des Kindes bzw. der an die Kindsmutter zu leistende wirtschaftliche Beitrag des Kindsvaters, wird zu Recht von keiner Seite in Frage gestellt (Art. 276, Art. 289 Abs. 1 ZGB). Strittig ist einzig die Höhe des Beitrages. Nach Art. 285 Abs. 1 ZGB sind bei dessen Bemessung nicht nur die Bedürfnisse des Kindes, sondern insbesondere auch die Leistungsfähigkeit der Eltern in Betracht zu ziehen. Dass die Beschwerdeführerin, welche von der wirtschaftlichen Sozialhilfe lebt, für den Bedarf des Kindes nicht allein aufkommen kann, steht fest. Demgegenüber sind die Einkünfte des Kindsvaters bisher nicht bekannt. Dieser Umstand veranlasste die Erstinstanz von der Zusprechung eines Unterhaltsbeitrags abzusehen. Ein solcher Entscheid darf nur ergehen, wenn der Unterhaltspflichtige bei gebührende Anstrengung seinen eigenen Lebensaufwand nicht decken kann (Hegnauer, Berner Kommentar, N. 87 zu Art. 285 ZGB). In diesem Sinne besteht kein Anspruch auf einen Minimalunterhalt (Breitschmid, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 3. Aufl. 2006, N. 13 zu Art. 285 ZGB). Ob diese Voraussetzungen auch für den Fall gelten, in dem die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nicht bekannt ist, bildet gerade Gegenstand des kantonalen Verfahrens. Vorab ist jedoch die Tragweite des im Hinblick auf die Kinderbelange geltenden Untersuchungsgrundsatzes (vgl. Art. 280 Abs. 2 ZGB) und der Umfang der Mitwirkungspflicht der Parteien auf den konkreten Fall festzulegen (BGE 128 III 411 E. 3.2.1 S. 412). 
 
2.7 Vor diesem Hintergrund können die Prozessaussichten im Moment nicht abgeschätzt werden, womit der Antrag auf Zusprechung eines Kinderunterhaltes zumindest nicht als aussichtslos im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV bezeichnet werden kann. Die Rüge einer Verletzung der verfassungsmässigen Minimalgarantie ist begründet. 
 
3. 
Die Beschwerde in Zivilsachen ist daher gutzuheissen, ohne dass die weiteren Rügen zu prüfen sind. In Anbetracht der offensichtlichen Mittellosigkeit, welche von der Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung nicht in Frage gestellt wurde, ist der Beschwerdeführerin für das kantonale Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege unter Ernennung ihrer Anwältin zum unentgeltlichen Rechtsbeistand zu gewähren (Art. 107 Abs. 2 BGG). 
Ungeachtet des Verfahrensausgangs sind dem Staat Solothurn keine Kosten aufzuerlegen; indessen hat er die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 66 Abs. 4, Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 8. Dezember 2009 wird aufgehoben und der Beschwerdeführerin wird für das kantonale Berufungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährt sowie Fürsprecherin Ursula Zimmermann zu deren unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Solothurn hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos. 
 
5. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 19. März 2010 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: 
 
Escher Levante