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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_795/2017  
 
 
Urteil vom 19. März 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Oswald. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kaspar Saner, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Neuanmeldung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 23. August 2017 (IV.2017.00606). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1963 geborene A.________, zuletzt bis 30. Juni 2012 bei der B.________ AG als Lagerist angestellt gewesen (letzter effektiver Arbeitstag: 6. Juli 2011), meldete sich im Juni 2012 unter Hinweis auf psychische Beschwerden erstmals bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich (fortan: IV-Stelle) wies das Leistungsbegehren mit (rechtskräftiger) Verfügung vom 9. September 2014 ab.  
 
A.b. Nach einem Arbeitsversuch in seiner angestammten Tätigkeit als Lagerist bei der C.________ AG meldete sich A.________ im Januar 2015 unter Hinweis auf psychische Beschwerden sowie chronische Bauchschmerzen erneut zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle holte (u.a.) beim Ärztlichen Begutachtungsinstitut (ABI) ein polydisziplinäres Gutachten in den Disziplinen Allgemeine Innere Medizin, Psychiatrie, Orthopädie und Gastroenterologie ein (Expertise vom 23. August 2016). Mit Verfügung vom 10. April 2017 verneinte sie den Anspruch auf eine Rente und berufliche Massnahmen (Invaliditätsgrad: 29 %).  
 
B.   
Die von A.________ hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 23. August 2017 ab. 
 
C.   
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. August 2017 sei aufzuheben und es sei ihm eine Invalidenrente zu gewähren. Eventualiter sei die Angelegenheit zur weiteren Sachverhaltsabklärung, subeventualiter zur Prüfung der Gewährung von Eingliederungsmassnahmen, an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem sei ihm die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen und Rechtsanwalt Kaspar Saner als unentgeltlicher Rechtsbeistand beizugeben. 
Die IV-Stelle sowie das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Das Sozialversicherungsgericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Invaliditätsbegriff (Art. 7 f. ATSG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E. 3a S. 352), zur Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG i.V.m. Art. 28a Abs. 1 IVG; BGE 130 V 343 E. 3.4.1 S. 349; vgl. hierzu etwa auch BGE 135 V 297 E. 5.1 ff. S. 300 ff. mit Hinweisen) sowie zum Tabellenlohnabzug (BGE 126 V 75 E. 5b S. 79 f.) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
 
2.  
 
2.1. Die Vorinstanz würdigte die medizinischen Akten und erwog, auf das ABI-Gutachten vom 23. August 2016 könne abgestellt werden. Diesem zufolge sei dem Beschwerdeführer das Heben und Tragen schwerer Lasten aufgrund chronischer Abdominalbeschwerden nicht mehr zumutbar. Eine psychische Störung könne nicht objektiv ableitbar und durch Befunde unterlegbar genannt werden. In seiner bisherigen Tätigkeit als Lagerist sei der Versicherte seit Januar 2015 zu 100 % arbeitsunfähig. In einer körperlich leichten, adaptierten Tätigkeit unter Wechselbelastung bestehe dagegen eine Arbeits- und Leistungsfähigkeit von 80 % (vollschichtig umsetzbar mit erhöhtem Pausenbedarf).  
 
2.2. Die effektive Höhe des massgeblichen Valideneinkommens liess das kantonale Gericht offen. Bei einem Valideneinkommen von Fr. 75'633.- (im Jahr 2010 erzieltes Einkommen, angepasst an die Nominallohnentwicklung bis 2015) und einem Invalideneinkommen von Fr. 53'322.- (Tabellenwert gemäss der periodisch durchgeführten Lohnstrukturerhebung des Bundes [LSE] 2014, 80 % des Totalwerts gemäss Tabelle TA1, Männer, Kompetenzniveau 1, umgerechnet auf die betriebsübliche Arbeitszeit und angepasst an die Nominallohnentwicklung bis 2015) ermittelte es einen Invaliditätsgrad von 29.5 % ([Fr. 75'633.- / Fr. 53'322.-] / Fr. 75'633.- x 100). Bei einem Valideneinkommen von Fr. 76'045.- (wie vom Versicherten geltend gemacht) resultierte ein nur geringfügig höherer Invaliditätsgrad von 29.9 % ([Fr. 76'045.- / Fr. 53'322.-] / Fr. 76'045.- x 100). Die Vorinstanz sah keine Veranlassung, in den Ermessensentscheid der Verwaltung, keinen leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn zu gewähren, einzugreifen.  
 
2.3. Unter Verweis auf die fehlende Eingliederungsbereitschaft des Beschwerdeführers verneinte das Sozialversicherungsgericht auch einen Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen.  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die psychiatrische Begutachtung des ABI genüge den bundesrechtlichen Anforderungen an ein beweiswertiges Gutachten nicht. Die Vorinstanz habe ausserdem den Untersuchungsgrundsatz verletzt, indem sie den Sachverhalt nicht weiter abklärte.  
 
3.1.1. Angesichts der unbestritten vorhandenen psychosozialen Belastungsfaktoren (schwierige familiäre Situation) ist nicht widersprüchlich, dass der psychiatrische Experte des ABI keine krankheitswertige psychische Störung attestierte, obwohl er eine weitere psychiatrische Begleitung empfahl (vgl. BGE 127 V 294 E. 5a S. 299).  
 
3.1.2. Bei der vom Beschwerdeführer ins Feld geführten Schmerzverarbeitungsstörung (ICD-10 F54) handelt es sich um eine Verdachtsdiagnose, was zur Anerkennung eines invalidisierenden Gesundheitsschadens grundsätzlich nicht ausreicht (vgl. Urteil 8C_468/2013 vom 24. Februar 2014 E. 6 mit Hinweisen). Dazu kommt, dass es sich nicht um eine psychiatrische Erkrankung im eigentlichen Sinne handelt. Vielmehr verweist der verwendete ICD-10 Code F54 auf die Sammelkategorie "Psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Krankheiten", die gemäss ICD verwendet wird "um psychische Faktoren und Verhaltenseinflüsse zu erfassen, die eine wesentliche Rolle in der Ätiologie körperlicher Krankheiten spielen, die in anderen Kapiteln der ICD-10 klassifiziert werden". Die sich hierbei ergebenden psychischen Störungen sind "meist leicht, oft langanhaltend (wie Sorgen, emotionale Konflikte, ängstliche Erwartung) und rechtfertigen nicht die Zuordnung zu einer der anderen Kategorien des Kapitels V".  
Den somatisch bedingten funktionellen Einschränkungen wurde im Zumutbarkeitsprofil und mit der Arbeitsfähigkeit von 80 % Rechnung getragen (vgl. E. 2.1 oben). Inwiefern deren Ätiologie (versicherungsrechtlich) von Bedeutung sein sollte, ist nicht ersichtlich. 
Entgegen der Ansicht des Versicherten sind auch aus den Akten keine von den psychosozialen Faktoren psychiatrisch unterscheidbaren Befunde (vgl. hierzu Urteil 9C_648/2017 vom 20. November 2017 E. 2.3.1 und E. 3.2.4.1 mit Hinweisen) erkennbar, die weiterer Abklärung bedurft hätten. 
 
3.1.3. Im Übrigen wiederholt der Versicherte seine bereits im kantonalen Beschwerdeverfahren dargelegte Sicht der Dinge, ohne sich mit den einschlägigen Erwägungen der Vorinstanz (E. 5 des angefochtenen Entscheids) auseinanderzusetzen. Zwar wendet das Bundesgericht das Recht prinzipiell von Amtes wegen an. Indes obliegt es dem Beschwerdeführer, sich in seiner Beschwerde sachbezogen mit den Darlegungen im angefochtenen Entscheid auseinanderzusetzen (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG).  
 
3.1.4. Nach dem Gesagten ist nicht bundesrechtswidrig, dass die Vorinstanz dem ABI-Gutachten vom 23. August 2016 Beweiswert zuerkannte und auf weitere Abklärungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers verzichtet hat.  
 
3.2. Liegt nach - nicht offensichtlich unrichtiger, und damit für das Bundesgericht verbindlicher (Art. 105 Abs. 1 BGG) - Feststellung der Vorinstanz keine (sozialversicherungsrechtlich relevante) psychische Störung vor (vgl. oben E. 3.1.1 f.), stösst die Kritik des Versicherten an der (bereits vom kantonalen Gericht lediglich im Sinne einer Eventualbegründung zur Anwendung gebrachten) früheren "Depressionspraxis" des Bundesgerichts (vgl. etwa Urteile 9C_863/2015 vom 7. Januar 2016 E. 1; 8C_222/2017 vom 6. Juli 2017 E. 6.2) ins Leere. Dass diese zwischenzeitlich mit BGE 143 V 409 und 143 V 418 aufgegeben wurde, ist für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung, da eine Indikatorenprüfung gemäss BGE 141 V 281 unverändert einen versicherten Gesundheitsschaden voraussetzt.  
 
3.3. Auch was der Beschwerdeführer gegen die Bemessung des Invaliditätsgrades durch das kantonale Gericht einwendet, verfängt nicht:  
 
3.3.1. Nicht rechtsfehlerhaft ist, dass die Vorinstanz bezüglich des Invalideneinkommens auf das Total der Tabelle TA1, Kompetenzniveau 1, Männer, der LSE 2014 abstellte, ohne dabei einen leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn zu gewähren. Die diesbezügliche vorinstanzliche Begründung ist einlässlich und überzeugt (E. 6.5 und 6.6 des angefochtenen Entscheids); das Bundesgericht hat ihr nichts anzufügen.  
 
 
3.3.2. Mit der Vorinstanz kann die genaue Höhe des Valideneinkommens offen bleiben, da selbst bei Berücksichtigung eines Valideneinkommens von Fr. 76'045.- gemäss der Argumentation des Beschwerdeführers ein Invaliditätsgrad von (rentenausschliessenden) 30 % resultiert ([Fr. 76'045.- / Fr. 53'322] / Fr. 76'045.-).  
 
3.4. Dass die Vorinstanz schliesslich die subjektive Eingliederungsfähigkeit (vgl. hierzu etwa Urteil 9C_491/2017 vom 26. September 2017 E. 4.3) des Beschwerdeführers verneinte, beruht weder auf willkürlicher Sachverhaltswürdigung noch auf einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, gab der Versicherte doch im Rahmen der Begutachtung deutlich zu erkennen, dass er erst wieder arbeiten wolle, wenn er gesund sei. Gemäss gutachterlicher Einschätzung fehlt jegliche Motivation zur Aufnahme einer dem somatischen Leiden (vgl. E. 2.1 oben) angepassten Tätigkeit. Gegenteilige Anhaltspunkte fehlen gänzlich.  
 
4.   
Zusammenfassend ist die Beschwerde unbegründet. 
 
5.   
Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66Abs. 1 Satz 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG), da seine Bedürftigkeit anhand der Akten ausgewiesen ist und das Verfahren nicht zum Vornherein aussichtslos erschien. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach er der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er später dazu in der Lage ist. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwalt Dr. Kaspar Saner wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.   
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 19. März 2018 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Oswald