Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_446/2022
Urteil vom 19. Mai 2022
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichter Muschietti,
Gerichtsschreiber Matt.
Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Krishna Müller,
Beschwerdeführer,
gegen
1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern,
2. B.A.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Versuchter Mord,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 23. Dezember 2021 (SK 21 115).
Sachverhalt:
A.
Das Regionalgericht Emmental-Oberaargau verurteilte A.A.________ am 22. Dezember 2020 wegen versuchten Mords zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren und zu einer Landesverweisung von 12 Jahren.
Seine dagegen gerichtete Berufung wies das Obergericht des Kantons Bern am 23. Dezember 2021 ab.
B.
A.A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und er sei freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung.
Diese kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG ). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; 143 I 310 E. 2.2; je mit Hinweisen; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 141 III 564 E. 4.1; je mit Hinweisen).
Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 144 IV 345 E. 2.2.3.1-2.2.3.3; 143 IV 500 E. 1.1; je mit Hinweisen; vgl. zum Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel: BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen).
Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, andernfalls darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 146 IV 114 E. 2.1; 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 500 E. 1.1; 142 II 206 E. 2.5; 142 I 135 E. 1.5; je mit Hinweisen).
2.
2.1. Die Vorinstanz stellt fest, dass der Beschwerdeführer am 29. Mai 2019 ein Küchenmesser behändigte, um seinen Sohn zu töten. Er habe sich in das Wohnzimmer zum schlafenden Opfer begeben, habe es gepackt und von der Matratze auf den Boden gezogen, wovon das Opfer erwacht sei. Anschliessend habe sich der Beschwerdeführer über das Opfer gekniet und diesem fünf tiefe Schnitte am Hals zugefügt. Nach einer kurzen körperlichen Auseinandersetzung und nachdem der Beschwerdeführer von sich aus abgelassen habe, habe das Opfer sich befreit und sei geflüchtet. Das Opfer habe neben den Verletzungen am Hals diverse weitere Verletzungen erlitten. Das Motiv sei in der Beziehung des Beschwerdeführers zum Opfer und der damit verbundenen Überforderung des Beschwerdeführers zu sehen. Eine Rolle spiele auch die Homosexualität und Transsexualität des Opfers, welche der Beschwerdeführer mindestens vermutet habe.
2.2. Die Vorinstanz begründet ihre Sachverhaltsfeststellung sehr sorgfältig und ausführlich. Sie würdigt die Akten des kriminaltechnischen Diensts der Kantonspolizei Bern und die Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern. Was die subjektiven Beweismittel betrifft, stellt sie die Aussagen des Beschwerdeführers und des Opfers in den Vordergrund. Diese ergänzt sie mit relevanten Aussagen verschiedener Drittpersonen.
2.3. Akribisch setzt sich die Vorinstanz mit dem Spurenbild am Tatort auseinander. Sie würdigt eingehend die Spuren beim Beschwerdeführer und beim Opfer, namentlich deren Verletzungen und Kleider. Sodann geht die Vorinstanz mit grosser Sorgfalt auf diverse Indizien ein, nämlich das Nachtatverhalten des Beschwerdeführers, die Schilderungen der Nachbarin, den Eindruck des Opfers auf diverse Zeugen unmittelbar nach der Tat und ein Telefongespräch zwischen dem Opfer und seinen beiden Brüdern sowie deren Mutter. Die Vorinstanz rekonstruiert sorgfältig den Tatablauf und äussert sich zur Tötungsabsicht des Beschwerdeführers. Schliesslich untersucht sie eingehend das Tatmotiv. Dabei gelangt sie zum Fazit, dass der Beschwerdeführer die Tat beging, weil die Beziehung zum Opfer schwierig und er damit zeitweise überfordert gewesen sei. Hinzugekommen sei die Homosexualität und Transsexualität des Opfers, die der Beschwerdeführer mindestens vermutet und missbilligt habe.
3.
Was der Beschwerdeführer dagegen vorträgt, dringt nicht durch.
3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, das Opfer habe mehrmals versucht, sich umzubringen, zweimal vor der Tat und einmal danach. Die Vorinstanz habe ausser Acht gelassen, dass das Opfer psychische Probleme und Suizidabsichten habe. Es habe ihn bereits früher falsch beschuldigt. Im Ergebnis behauptet der Beschwerdeführer, das Opfer habe sich die Verletzungen selbst beigebracht. Dies verwirft die Vorinstanz überzeugend.
3.1.1. Erstens prüft die Vorinstanz, ob das Opfer geplant habe, den Beschwerdeführer falsch zu belasten, und sich die Verletzungen zu diesem Zweck zugefügt habe. Sie berücksichtigt, dass es wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten gekommen sei, weil das Opfer Drogen konsumiert habe, spät nach Hause gekommen und homosexuell sei. Doch sieht sie darin keinen erkennbaren Anlass, dem Beschwerdeführer fälschlicherweise einen versuchten Mord anzulasten. Es sei nicht ersichtlich, was sich das Opfer davon erhofft hätte. Schliesslich hält die Vorinstanz fest, selbst wenn das Opfer ein Motiv gehabt hätte, sprächen die übrigen Beweismittel deutlich gegen eine Selbstverletzung.
3.1.2. Zweitens untersucht die Vorinstanz, ob das Opfer einen Selbstmord versuchte, bevor es die Verletzungen dem Beschwerdeführer anlastete. Auch dieses Szenario verwirft sie nachvollziehbar. Sie verweist auf die Wunden an Armen, Schultern, Brustkorb und Rücken des Opfers. Verletzungen solcher Art hätte sich das Opfer gemäss Vorinstanz nicht zugefügt, wenn es sich selbst hätte umbringen wollen. Der Beschwerdeführer brachte im kantonalen Verfahren vor, der Cannabiskonsum des Opfers könne eine mögliche Ursache für eine Selbstverletzung sein. Dem hält die Vorinstanz die Aussage des Sachverständigen entgegen, dass Cannabis erfahrungsgemäss eher beruhigend wirke. Zudem verweist die Vorinstanz auf die Zeugenaussagen, welche die Verfassung des Opfers nach dem Vorfall beschreiben. Im Ergebnis hält sie es für ausgeschlossen, dass sich das Opfer schmerzvolle Schnitte am Hals setzt, nur um kürzeste Zeit danach den Suizidentschluss zu ändern, sich weiter zu verletzen und den Beschwerdeführer zu belasten.
3.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, das Küchenmesser habe an der Klinge und am Griff Blutanhaftungen aufgewiesen. Der kriminaltechnische Dienst habe an fünf Stellen DNA-Abriebe gesammelt und ermittelt, dass die erstellten DNA-Profile vom Opfer stammten. Hingegen sei auf dem Messer keine DNA des Beschwerdeführers nachgewiesen worden. Auch seine Fingerabdrücke seien am Messer nicht gefunden worden.
Dieses Vorbringen belegt keine Willkür in der Sachverhaltsfeststellung. Die Vorinstanz erwägt, der sachverständige Zeuge habe schlüssig erklärt, das Messer sei erheblich mit Blut kontaminiert gewesen. Dies könne das Fehlen von DNA-Spuren und Fingerabdrücken des Beschwerdeführers erklären. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer das Messer in der Hand gehalten habe. Das Messer sei vom Blut des Opfers derart bedeckt gewesen, dass die Spurenerhebung erschwert gewesen sei. Der Beschwerdeführer selbst sei vom Messer nur leicht verletzt worden. Zudem sei das blutige Messer an seiner Jeanshose abgerieben worden.
3.3. Der Beschwerdeführer trägt vor, dass auch andere Sachverhaltsvarianten möglich seien. Damit verkennt er, dass Willkür nach ständiger Rechtsprechung nur vorliegt, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist (BGE 145 IV 154 E. 1.1 mit Hinweisen). Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 144 I 113 E. 7.1 mit Hinweis). Vorliegend kommt hinzu, dass die Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz überzeugt und die Versionen des Beschwerdeführers nicht zutreffender erscheinen.
3.4. Im Übrigen plädiert der Beschwerdeführer wie in einem appellatorischen Verfahren frei zum vorinstanzlichen Beweisergebnis. Dies ist etwa der Fall bei seinen Äusserungen zu den Blutanhaftungen im WC und im Badezimmer, zum Verbleib der Brille des Opfers, zum blutigen Pyjamaoberteil oder zum Telefongespräch zwischen dem Opfer und anderen Familienangehörigen.
Der Beschwerdeführer setzt sich nicht hinreichend mit den Erwägungen der Vorinstanz auseinander. Er greift nur einzelne Elemente der Sachverhaltsfeststellung an, ohne die Gesamtwürdigung der Vorinstanz zu erschüttern. Damit belegt er keine Willkür. Auf unzulässige appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (E. 1).
3.5. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung erweist sich als nicht willkürlich. Darauf ist abzustellen.
4.
Schliesslich macht der Beschwerdeführer der Vorinstanz zum Vorwurf, sie sei voreingenommen, weil sie im angefochtenen Urteil auf seinen kulturellen Hintergrund hinweist.
4.1. Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, die im einschlägigen Punkt dieselbe Tragweite aufweisen, hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird (BGE 139 I 72 E. 2.2.1; 139 I 121 E. 4.1). Die Garantie des verfassungsmässigen Gerichts ist verletzt, wenn bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen (BGE 139 I 121 E. 4.1; 135 I 14 E. 2). Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn im Einzelfall anhand aller tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Gerichts zu erwecken. Diese können namentlich in einem bestimmten Verhalten der Gerichtsperson begründet sein. Auf das bloss subjektive Empfinden einer Partei kann bei dieser Beurteilung nicht abgestellt werden. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen (BGE 142 III 521 E. 3.1.1; 140 III 221 E. 4.1 mit Hinweis).
4.2. Die Vorinstanz musste den kulturellen Hintergrund des Beschwerdeführers beleuchten, um mögliche Motive für die Tat zu prüfen. Dabei durfte sie die Religion und Herkunft des Beschwerdeführers berücksichtigen und zum Schluss gelangen, dass er Homosexualität und Transsexualität missbilligt. Die Vorinstanz gewinnt vom Beschwerdeführer den Eindruck eines autoritären, konservativen und religiösen Vaters, der seine Kinder streng erzieht und gleichzeitig bemüht ist, nach aussen das Bild einer harmonischen Familie ohne Probleme zu vermitteln. Diese willkürfreien Feststellungen sind das Ergebnis der sorgfältigen Sachverhaltsfeststellung und begründen keinen Anschein von Voreingenommenheit. Der Beschwerdeführer weist selbst auf eine Befragung hin, in der er auf die Homosexualität des Opfers angesprochen wurde und zu Protokoll gab, natürlich habe er dies nicht gern. Zudem übergeht der Beschwerdeführer, dass die Vorinstanz letztlich offen lässt, ob die sexuelle Orientierung des Opfers das Hauptmotiv für seine Tat war.
Die Rüge ist unbegründet. Eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK liegt nicht vor.
5.
Unangefochten lässt der Beschwerdeführer die rechtliche Würdigung, die Strafzumessung, die Landesverweisung, die Genugtuung, die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolge sowie die übrigen Verfügungen. Damit hat es sein Bewenden.
6.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. Mai 2022
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Der Gerichtsschreiber: Matt