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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_986/2021  
 
 
Urteil vom 19. Mai 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiberin Pasquini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Waller, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwa ltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Bedingter Strafvollzug; Aufschub des Vollzugs zugunsten einer ambulanten Behandlung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 1. Juli 2021 (SST.2021.68). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Bezirksgericht Muri-Bremgarten verurteile A.________ am 24. September 2020 wegen mehrfacher Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte sowie wegen mehrfacher Pornografie zu einer unbedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Weiter ordnete es eine ambulante Behandlung an und auferlegte ihm ein Berufsverbot für Tätigkeiten im Zusammenhang mit Kindern für die Dauer von 10 Jahren. 
Auf Berufung von A.________, womit er lediglich die Vollzugsform der ausgefällten Strafe anfocht und eventualiter den Aufschub des Vollzugs der Freiheitsstrafe zugunsten der angeordneten ambulanten Massnahme beantragte, bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau am 1. Juli 2021 das bezirksgerichtliche Urteil vollumfänglich. 
 
B.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen im Wesentlichen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 1. Juli 2021 sei teilweise aufzuheben. Die Freiheitsstrafe von 18 Monaten sei bedingt auszusprechen, bei einer Probezeit von drei Jahren. Eventualiter sei der Vollzug der Freiheitsstrafe zugunsten der angeordneten ambulanten Massnahme aufzuschieben. Die obergerichtlichen Verfahrenskosten seien auf die Staatskasse zu nehmen. Die Obergerichtskasse sei anzuweisen, ihm eine Parteientschädigung im Umfang der vom amtlichen Verteidiger eingereichten Honorarnote auszurichten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 42 Abs. 1 StGB. Die Vorinstanz erachte die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach bei Anordnung einer ambulanten Massnahme der bedingte Strafvollzug per se nicht gewährt werden könne, einfach als gefestigt und setzte sich deshalb nicht damit auseinander. Aus den von der Vorinstanz zitierten Lehrmeinungen lasse sich aber nicht der Schluss ziehen, dass diese Praxis von der Lehre wirklich einer Überprüfung unterzogen worden wäre. Der in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vorgenommene Automatismus, bei Anordnung einer Massnahme keinen bedingten Strafvollzug zu gewähren, verhindere die bei der Beurteilung der Legalprognose vom Bundesgericht selbst hervorgehobene Gesamtbetrachtung und verstosse somit gegen Sinn und Zweck von Art. 42 Abs. 2 StGB. Dieser Automatismus beschlage auch das Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV). Gerade in seinem Fall zeige sich aufgrund seines Wohlverhaltens seit den ihm angelasteten Taten, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht nötig ist, um ihn von weiterer Delinquenz zu bewahren (Beschwerde S. 5-13).  
 
1.2. Die Vorinstanz stellt fest, die erste Instanz habe eine ambulante therapeutische Behandlung angeordnet, was der Beschwerdeführer nicht angefochten habe. Ausserdem sei er zur Absolvierung einer solchen Massnahme weiterhin bereit. Das forensisch-psychiatrische Gutachten vom 5. Februar 2020 diagnostiziere beim Beschwerdeführer eine leichtgradige Pädophilie (ICD-10 F65.4) im Sinne einer pädophilen Nebenströmung sowie eine Persönlichkeitsakzentuierung mit schizoiden und zwanghaften Anteilen. Die von ihm begangenen Delikte stünden in direktem Zusammenhang mit seiner psychischen Störung. Es bestehe ein geringes bis moderates Rückfallrisiko in Bezug auf den Konsum von kinderpornografischem Material. Das Risiko für Hands-on-Delikten und für heimliche Aufnahmen im Privatbereich von Kindern sei gering. Weil der Beschwerdeführer dazu neige, Dinge einfach abzuhaken, wegzuschieben und zur Tagesordnung überzugehen, sei eine vertiefte Auseinandersetzung mit seiner Verhaltensweise in Bezug auf die strafbaren Handlungen wichtig. Im Gutachten werde deshalb eine ambulante Psychotherapie zur Senkung des Rückfallrisikos als zweckmässige Massnahme vorgeschlagen (Urteil S. 5 E. 2.3). Die Vorinstanz hält fest, die Anordnung einer ambulanten Massnahme sei gestützt auf das vollständige, schlüssige und nachvollziehbare Gutachten sowohl geeignet als auch erforderlich und erweise sich überdies als verhältnismässig. Dass im Gutachten von einem geringen bis moderaten Rückfallrisiko ausgegangen werde, ändere nichts an der Erforderlichkeit und Verhältnismässigkeit der ambulanten Massnahme. Auch bei einem geringen bis moderaten Rückfallrisiko sei von einer ungünstigen Prognose auszugehen (Urteil S. 5 E. 2.3).  
Weiter erwägt die Vorinstanz, bei der Anordnung von therapeutischen Massnahmen könne gemäss unbestrittener Lehre und Rechtsprechung der Vollzug gleichzeitig ausgesprochener Strafen nicht nach Art. 42 f. StGB sondern nur nach Art. 57 Abs. 2 bzw. Art. 63 Abs. 2 StGB aufgeschoben werden (Urteil S. 4 E. 2.2). Die Freiheitsstrafe von 18 Monaten sei unbedingt auszusprechen (Urteil S. 5 f. E. 2.3). 
 
1.3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der (teil-) bedingte Vollzug gemäss Art. 42 f. StGB nur denkbar, wenn keine ungünstige Prognose vorliegt. Wird aber eine stationäre oder ambulante Massnahme angeordnet, ist diese Voraussetzung von vornherein nicht gegeben. Denn die Anordnung einer Massnahme bedeutet zugleich eine ungünstige Prognose und schliesst demnach den bedingten Aufschub einer Strafe aus (BGE 135 IV 180 E. 2.3; Urteile 6B_1388/2021 vom 3. März 2022 E. 2.2.1; 6B_147/2021 vom 29. September 2021 E. 3.2; 6B_1335/2020 vom 28. Juni 2021 E. 5.2.3; 6B_963/2020 vom 24. Juni 2021 E. 1.3.2; 6B_293/2019 vom 29. März 2019 E. 2.1; 6B_698/2017 vom 13. Oktober 2017 E. 7.2.1; 6B_212/2017 vom 4. August 2017 E. 5.4.1; 6B_652/2016 vom 28. März 2017 E. 3.3.1; 6B_850/2016 vom 7. März 2017 E. 1.5; je mit Hinweisen). Dies gilt auch, wenn eine ambulante Massnahme angeordnet wird (Urteile 6B_963/2020 vom 24. Juni 2021 E. 1.3.2; 6B_293/2019 vom 29. März 2019 E. 2.1; 6B_698/2017 vom 13. Oktober 2017 E. 7.2.1; 6B_212/2017 vom 4. August 2017 E. 5.4.1; 6B_850/2016 vom 7. März 2017 E. 1.5; je mit Hinweisen).  
 
1.4. Indem die Vorinstanz die Freiheitsstrafe unbedingt ausspricht, verletzt sie weder Bundes- noch Verfassungsrecht. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers besteht kein Anlass, von der vorerwähnten, weiterhin aktuellen, bundesgerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen. Der Beschwerdeführer wandte sich im gesamten Verfahren nicht gegen die Anordnung der ambulanten Massnahme. Zwar bringt er im vorliegenden Verfahren vor, sein nun seit Jahren andauerndes Wohlverhalten zeige, dass sich die ihm gutachterlich attestierte Rückfallgefahr nicht manifestiert habe. Mit diesem Einwand vermag der Beschwerdeführer keine Verletzung des Willkürverbots oder von anderem Verfassungs- und Bundesrecht darzutun, obschon ihm sein Wohlverhalten durchaus positiv anzurechnen ist. Die vorinstanzliche Feststellung, dass sich der Beschwerdeführer seit der Begehung der ihm angelasteten Taten wohlverhalten habe, lasse die gutachterlich festgestellte Rückfallgefahr nicht entfallen (Urteil S. 7 E. 3.2), ist nicht zu beanstanden. Sodann wendet sich der Beschwerdeführer, trotz des vorerwähnten Einwands, nicht gegen die Anordnung der ambulanten Massnahme und macht damit auch nicht geltend, sie sei nicht erforderlich. Weil die Anordnung der ambulanten Massnahme aber zugleich eine ungünstige Prognose bedeutet, ist der bedingte Aufschub der gleichzeitig ausgesprochenen Freiheitsstrafe ausgeschlossen. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz hätte bei der Beurteilung der Legalprognose im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung sein Wohlverhalten seit den Taten und seine einwandfreie Arbeitssituation einbeziehen müssen, geht damit an der Sache vorbei. Auf seine diesbezüglichen Vorbringen ist nicht weiter einzugehen.  
 
2.  
 
2.1. Eventualiter beantragt der Beschwerdeführer, der Vollzug der Freiheitsstrafe sei zugunsten der ambulanten Massnahme aufzuschieben. Er rügt eine Verletzung von Art. 63 Abs. 2 StGB und von Art. 10 Abs. 2 BV (Beschwerde S. 14 ff.).  
 
2.2. Die Vorinstanz stellt fest, gemäss Gutachten vom 5. Februar 2020 könne eine ambulante Massnahme auch während des Freiheitsentzugs erfolgen. Ferner sei weder von der Ungefährlichkeit des Beschwerdeführers auszugehen, noch liesse sich ein Aufschub aus Gründen der Heilbehandlung rechtfertigen. Die Vorinstanz gelangt daher zum Schluss, gestützt auf das Gutachten sei ein ausnahmsweise zu gewährender Strafaufschub nicht angezeigt (Urteil S. 6 ff. E. 3).  
 
2.3. Das Gericht kann den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafe gemäss Art. 63 Abs. 2 Satz 1 StGB zugunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Ein Strafaufschub ist anzuordnen, wenn eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der ausgefällten Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde. Die Therapie geht vor, falls eine sofortige Behandlung gute Resozialisierungschancen bietet, welche der Strafvollzug klarerweise verhindern oder vermindern würde (BGE 129 IV 161 E. 4.1). Auch unter neuem Recht ist vom Ausnahmecharakter des Strafaufschubs auszugehen. Eine ambulante Massnahme und entsprechend der damit verbundene mögliche Aufschub der Strafe bedürfen der besonderen Rechtfertigung (Urteile 6B_391/2020 vom 12. August 2020 E. 3.2.1; 6B_1440/2019 vom 25. Februar 2020 E. 4.3; 6B_141/2009 vom 24. September 2009 E. 4; je mit Hinweisen).  
Zur Beurteilung, ob der sofortige Vollzug der Strafe den Therapieerfolg erheblich gefährden würde, muss das Gericht ein Gutachten einholen (BGE 129 IV 161 E. 4.1; 116 IV 101 E. 1b; je mit Hinweisen). Ob ein Gericht die in einem Gutachten oder Fachbericht enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält oder nicht und, ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen der Experten folgen soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die mit Beschwerde an das Bundesgericht wegen Verletzung des Willkürverbots gerügt werden kann. Dasselbe gilt für die Frage, ob ein Gutachten in sich schlüssig ist. Das Gericht darf in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe von Gutachten abweichen und muss Abweichungen begründen (BGE 142 IV 49 E. 2.1.3; 141 IV 369 E. 6.1; je mit Hinweisen). 
 
2.4. Die Rügen des Beschwerdeführers erweisen sich als unbegründet, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. Indem die Vorinstanz einen Aufschub gemäss Art. 63 Abs. 2 StGB ausschliesst und zum Schluss gelangt, die ambulante Behandlung könne auch im Strafvollzug erfolgen, verletzt sie ihr Ermessen nicht. Ein Aufschub der Freiheitsstrafe käme nur in Betracht, wenn der Beschwerdeführer ungefährlich wäre und der Strafvollzug den Erfolg der Therapie vereiteln oder zumindest erheblich beeinträchtigen würde. Entsprechende Anhaltspunkte hierfür sind weder dargelegt noch erkennbar. Die Vorinstanz setzt sich mit den massgebenden Aspekten auseinander. Auf ihre Ausführungen kann verwiesen werden (Urteil S. 6 ff. E. 3). Gestützt auf das Gutachten geht die Vorinstanz ohne Willkür davon aus, dass beim Beschwerdeführer nicht von einer Ungefährlichkeit ausgegangen werden kann (Urteil S. 6 f. E. 3.2).  
 
3.  
Mangels Begründung kann auf die Beschwerde sodann nicht eingetreten werden, soweit der Beschwerdeführer die Neuverteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens beantragt (Beschwerde S. 2). 
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. Mai 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini