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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_84/2022  
 
 
Urteil vom 19. Mai 2022  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Abrecht, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Lotti Sigg, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 11. Januar 2022 (IV.2021.00498). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1975 geborene A.________ war bei der Bank B.________ AG als Sachbearbeiterin Kundendokumentation angestellt. Am 28. Februar 2015 meldete sie sich bei der IV-Stelle des Kantons Zürich zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 1. Juni 2016 verneinte diese einen Rentenanspruch.  
 
A.b. Am 4. September 2017 meldete sich A.________ bei der IV-Stelle wiederum zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 28. Mai 2018 verneinte die IV-Stelle erneut einen Leistungsanspruch. Auf Beschwerde der A.________ hin hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich diese Verfügung auf und wies die Sache zur Ergänzung der medizinischen Akten und erneuter Verfügung über den Rentenanspruch an die IV-Stelle zurück (Urteil vom 24. Juni 2019).  
 
A.c. Die IV-Stelle holte ein polydisziplinäres (internistisches, psychiatrisches, gynäkologisches und gastroenterologisches) Gutachten der ABI, Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH, Basel, vom 26. Oktober 2020 ein. Mit Verfügung vom 30. Juni 2021 wies die IV-Stelle das Leistungsgesuch der A.________ abermals ab.  
 
B.  
Die hiergegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 11. Januar 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, in Aufhebung des kantonalen Urteils sei ihr eine Invalidenrente zuzusprechen. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
Als Rechtsfrage gilt, ob die rechtserheblichen Tatsachen vollständig festgestellt und ob der Untersuchungsgrundsatz bzw. die Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG beachtet wurden. Gleiches gilt für die Frage, ob den medizinischen Gutachten und Arztberichten im Lichte der rechtsprechungsgemässen Anforderungen Beweiswert zukommt (BGE 134 V 231 E. 5.1). Bei den aufgrund dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585). Frei überprüfbare Rechtsfrage ist hingegen, ob und in welchem Umfang die ärztlichen Feststellungen anhand der Indikatoren nach BGE 141 V 281 auf Arbeitsunfähigkeit schliessen lassen (BGE 141 V 281 E. 7). 
 
2.  
Streitig ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Verneinung des Rentenanspruchs bundesrechtskonform ist. 
 
2.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19.6.2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Die dem hier angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1, 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar (Urteil 8C_787/2021 vom 23. März 2022 E. 2.1).  
 
2.2. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung betreffend die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), die Invaliditätsbemessung bei im Gesundheitsfall voll erwerbstätigen Versicherten nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG), die bei der Neuanmeldung der versicherten Person bei der IV-Stelle analog anwendbaren Revisionsregeln (Art. 17 Abs. 1 ATSG; Art. 87 Abs. 3 IVV; BGE 141 V 585 E. 5.3 in fine) und die Voraussetzungen des Rentenanspruchs (Art. 28 IVG) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt bezüglich der Beurteilung der Invalidität bei psychischen Erkrankungen (BGE 145 V 215 E. 5.1 und E. 5.3.2, 144 V 50 E. 4.3, 143 V 409 und 418, 141 V 281), des massgebenden Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 146 V 51 E. 5.1) und des Beweiswerts ärztlicher Berichte (E. 1 hiervor; BGE 125 V 351 E. 3a). Darauf wird verwiesen.  
 
Zu ergänzen ist, dass das Gericht den von Versicherungsträgern im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholten, den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechenden Gutachten externer Spezialärzte vollen Beweiswert zuerkennen darf, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 147 V 79 E. 8.1, 135 V 465 E. 4.4). 
 
3.  
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, bei Erlass der Verfügung der IV-Stelle vom 1. Juni 2016 sei die Beschwerdeführerin aus somatischen Gründen in der bisherigen Tätigkeit als Bankangestellte zu 30 % in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Eine behinderungsangepasste Tätigkeit sei ihr zu sechs bis sieben Stunden pro Tag zumutbar gewesen. 
 
Im Zeitpunkt der strittigen Verfügung vom 30. Juni 2021 sei die Beschwerdeführerin neu zusätzlich psychisch beeinträchtigt gewesen. Das ABI-Gutachten vom 26. Oktober 2020 erfülle die Anforderungen an eine beweiskräftige medizinische Beurteilungsgrundlage. Die ABI-Beurteilung, wonach somatischerseits als Bankangestellte und in einer angepassten Tätigkeit eine 20%ige Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit bestehe, sei nachvollziehbar und überzeugend, weshalb darauf abgestellt werden könne. Gleiches gelte insofern, als die ABI-Gutachter das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung verneint hätten. Nicht überzeugend sei hingegen ihre Diagnose einer komplexen PTBS, zumal diese in der Klassifikation ICD-10 nicht enthalten sei bzw. erst in der am 1. Januar 2022 in Kraft tretenden Fassung ICD-11 und damit nach Entstehung des ABI-Gutachtens figurieren werde. Zudem seien bei der Beschwerdeführerin die diagnostischen Kriterien einer PTBS nicht erfüllt, weshalb die Diagnose einer komplexen PTBS auch nach Inkrafttreten der Klassifikation ICD-11 nicht gestellt werden könnte. 
Nicht gefolgt werden könne - so die Vorinstanz weiter - dem Bericht der Dr. med. C.________, FMH Gynäkologie und Geburtshilfe, vom 5. Dezember 2019, wonach die Beschwerdeführerin somatischer- und psychischerseits zu 50 % arbeitsunfähig sei. Denn abgesehen davon, dass Dr. med. C.________ die psychiatrische Fachkompetenz fehle, sei ihre Einschätzung nicht nachvollziehbar begründet. Nicht abgestellt werden könne mangels nachvollziehbarer Begründung auch auf die Arbeitsfähigkeitsschätzung des Dr. med. D.________, Innere Medizin FMH, vom 11. Februar 2020, wonach der Beschwerdeführerin eine Erwerbstätigkeit nur noch während vier bis allenfalls fünf Stunden pro Tag zumutbar sei. Nicht überzeugend sei weiter der Bericht des Psychiaters Dr. med. E.________, vom 10 März 2020, wonach die Beschwerdeführerin in sämtlichen Tätigkeiten zu 50 % arbeitsunfähig sei, zumal er ebenfalls von einer komplexen PTBS ausgegangen und seine Einschätzung zudem nicht nachvollziehbar begründet sei. Schliesslich sei hinsichtlich der Stellungnahmen der F.________, Fachärztin für Innere Medizin/Prävention und Gesundheitswesen, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) der IV-Stelle, vom 25. Januar 2018 und 9. November 2020 zu beachten, dass sie in psychiatrischer Hinsicht nicht fachkompetent sei. Somit könne auf ihre Einschätzung, dem ABI-Gutachten vom 26. Oktober 2020 dürfe in psychiatrischer Hinsicht, insbesondere bezüglich der Bejahung eine komplexen PTBS, gefolgt werden, nicht abgestellt werden. 
 
Weiter führte die Vorinstanz aus, der Umstand, dass dem ABI-Gutachten vom 26. Oktober 2020 in psychiatrisch-diagnostischer Hinsicht nicht gefolgt werden könne, sei ein gewichtiger Anhaltspunkt dafür, dass es sich beim psychischen Gesundheitsschaden der Beschwerdeführerin bloss um einen geringfügigen, die Arbeitsfähigkeit nicht dauerhaft erheblich beeinträchtigenden psychopathologischen Befund handle, weshalb sich ein strukturiertes Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 erübrigen würde. Diese Frage könne jedoch offen bleiben, da im Rahmen der Beweiswürdigung anhand der Indikatorenprüfung - wofür sich dem ABI-Gutachten hinreichende Ausführungen entnehmen liessen - eine psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin rechtlich zu verneinen sei. Folglich sei gestützt auf das in somatischer Sicht nachvollziehbare und insoweit auch aus rechtlichen Gründen nicht zu beanstandende ABI-Gutachten vom 26. Oktober 2020 davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin die Ausübung der bisherigen und einer angepassten Tätigkeit im Umfang eines Arbeitspensums von 80 % zumutbar sei. 
 
4.  
Die Beschwerdeführerin wendet im Wesentlichen ein, alle Arztpersonen, sowohl die sie behandelnden als auch die ABI-Gutachter, hätten ihre Arbeitsfähigkeit unter Einbezug der somatischen und psychischen Symptome auf insgesamt 50 % geschätzt. Bei Zweifeln am ABI-Gutachten vom 26. Oktober 2020 hätte die Vorinstanz nicht einzelne Aspekte herauspicken, sondern das Gutachten als Ganzes nicht berücksichtigen dürfen. Der Sachverhalt sei somit weiterhin ungenügend abgeklärt. Indem die Vorinstanz auf weitere psychiatrische Abklärungen verzichtet habe, habe sie den Untersuchungsgrundsatz und die Beweiswürdigungsregeln verletzt. Zudem werde bestritten, dass dem psychiatrischen ABI-Gutachten nur teilweiser Beweiswert zukomme. Das Trauma der komplexen PTBS sei gemäss ICD-11 seit 18. Juni 2018 und damit bereits im Gutachtenszeitpunkt anwendbar gewesen. Der psychiatrische ABI-Gutachter habe unter dem Titel "Herleitung der Diagnosen" sehr ausführlich und nachvollziehbar erklärt, weshalb bei der Beschwerdeführerin eine komplexe PTBS diagnostiziert werden müsse. Es sei deshalb dem RAD zuzustimmen, dass das ABI-Gutachten beweiskräftig sei. Im Übrigen habe die Vorinstanz selber eingeräumt, dass der Beweiswert eines Gutachtens allein durch eine unrichtige diagnostische Einordnung des gesundheitlichen Leidens nicht beeinträchtigt werde. Die ABI-Gutachter hätten ihre Arbeitsunfähigkeitsschätzung unter Beachtung der massgebenden Indikatoren hinreichend und nachvollziehbar begründet, weshalb die Vorinstanz keine neue Indikatorenprüfung im Sinne einer Parallelüberprüfung habe vornehmen dürfen. Zudem sei die durch sie erfolgte Indikatorenprüfung aufgrund der Akten nicht nachvollziehbar und falsch. Bei der Beschwerdeführerin sei nur noch eine 50%ige Leistungsfähigkeit ausgewiesen. 
 
5.  
 
5.1. Der Zweck polydisziplinärer Gutachten besteht darin, alle relevanten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erfassen und die sich daraus je einzeln ergebenden Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit in ein Gesamtergebnis zu bringen. Der abschliessenden, gesamthaften Beurteilung von Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit kommt damit dann grosses Gewicht zu, wenn sie auf der Grundlage einer Konsensdiskussion der an der Begutachtung mitwirkenden Fachärzte erfolgt (BGE 143 V 124 E. 2.2.4, 137 V 210 E. 1.2.4; Urteil 8C_483/2020 vom 26. Oktober 2020 E. 4.1 mit Hinweisen).  
 
5.2. Praxisgemäss liegt es nicht allein in der Zuständigkeit der mit dem konkreten Einzelfall (gutachterlich) befassten Arztpersonen, abschliessend und für die rechtsanwendende Stelle (Verwaltung, Gericht) verbindlich zu entscheiden, ob das medizinisch festgestellte Leiden zu einer (andauernden oder vorübergehenden) Arbeitsunfähigkeit (bestimmter Höhe und Ausprägung) führt (BGE 140 V 193 E. 3.1; vgl. auch BGE 145 V 361). Daher ist es im Grundsatz zulässig, einer medizinischen Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit die rechtliche Massgeblichkeit abzusprechen, ohne dass das Gutachten seinen Beweiswert verliert (BGE 144 V 50 E. 4.3; Urteile 8C_787/2021 vom 23. März 2022 E. 14.1 und 8C_483/2020 vom 26. Oktober 2020 E. 2).  
 
Der Arbeitsunfähigkeitsschätzung der medizinischen Gutachterperson ist indessen aus rechtlicher Sicht - insbesondere auch unter dem Gesichtswinkel der Konsistenz - zu folgen, falls sie ihrer Aufgabe unter Berücksichtigung der durch BGE 141 V 281 normierten Beweisthemen überzeugend nachgekommen ist. Andernfalls liegt ein triftiger Grund vor, der rechtlich ein Abweichen davon gebietet (BGE 148 V 49 E. 6.2.1; 145 V 361 E. 4.3; SVR 2021 IV Nr. 47 S. 151, 8C_407/2020 E. 5.1 und E. 6.5). Es liegt keine unzulässige juristische Parallelüberprüfung vor, wenn das kantonale Gericht anhand der medizinischen Indikatorenprüfung die massgeblichen Beweisthemen im Rahmen einer umfassenden Betrachtung eines stimmigen Gesamtbildes schlüssig abgehandelt und nachgewiesen hat, wo die ärztlichen Darlegungen nicht mit den normativen Vorgaben übereinstimmen (BGE 145 V 361 E. 4.1.1). 
 
6.  
 
6.1. Im ABI-Gutachten vom 26. Oktober 2020 wurde festgehalten, der Bericht des RAD vom 29. Januar 2018 vermerke, bei der Beschwerdeführerin seien sowohl die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung als auch diejenigen einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung nicht erfüllt. Dies sei richtig. Es sei in diesem Bericht jedoch nicht das Störungsbild einer komplexen PTBS diskutiert worden. In diesem Rahmen sei nochmals zu erwähnen, dass diese Diagnose noch nicht im aktuellen ICD-10 gelistet und daher häufig unter dem in ICD-10 enthaltenen Störungsbild einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung benannt werde. Dies treffe jedoch kriteriengeleitet nicht zu. Auch im Bericht des behandelnden Psychiaters Dr. med. E.________ vom 28. August 2017 sei die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung gestellt und unter dem Störungsbild einer komplexem PTBS subsumiert worden, wobei jedoch diese beiden Störungsbilder unterschiedliche Krankheitsbilder seien. Die im letztgenannten Arztbericht diagnostizierte rezidivierende depressive Störung sei im Rahmen der komplexen PTBS und nicht als ein eigenständiges Krankheitsbild zu sehen. Im Austrittsbericht der Integrierten Psychiatrie G.________, Klinik H.________, vom 23. März 2017 sei diagnostisch von einer rezidivierenden depressiven Störung und einer somatoformen autonomen Funktionsstörung ausgegangen worden. Es erschliesse sich nicht, weshalb bei der bekannten Vorgeschichte der Beschwerdeführerin im Rahmen des stationären Aufenthalts nicht die Diagnose eines Störungsbildes aus dem Formenkreis der Traumfolgestörungen diskutiert worden sei.  
 
6.2.  
 
6.2.1. Der Vorinstanz ist insofern beizupflichten, als der Beweiswert eines Gutachtens durch eine unkorrekte diagnostische Einordnung nicht beeinträchtigt wird, sofern es hinreichende Ausführungen zu den funktionellen Auswirkungen eines psychischen Gesundheitsschadens enthält (Urteil 9C_345/2019 vom 25. September 2019 E. 4.2.1). Nicht zu überzeugen vermag in diesem Lichte jedoch das vorinstanzliche Argument, der Umstand, dass dem ABI-Gutachten in psychiatrisch-diagnostischer Hinsicht nicht gefolgt werden könne, sei ein gewichtiger Anhaltspunkt dafür, dass es sich beim psychischen Gesundheitsschaden der Beschwerdeführerin bloss um einen geringfügigen, die Arbeitsfähigkeit nicht dauerhaft erheblich beeinträchtigenden psychopathologischen Befund handle.  
 
Mit der Verneinung der im ABI-Gutachten gestellten Diagnose einer komplexen PTSB mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit hat die Vorinstanz nicht mehr eine zulässige freie Beweiswürdigung vorgenommen (vgl. Art. 61 lit. c ATSG). Vielmehr hat sie das ABI-Gutachten bezüglich einer spezifisch medizinischen Frage korrigiert, was unter den gegebenen Umständen bundesrechtswidrig ist und sich insbesondere auch nicht mit der Befugnis des Rechtsanwenders zur rechtlichen Überprüfung der Folgenabschätzung rechtfertigen lässt (siehe auch Urteil 8C_483/2020 vom 26. Oktober 2020 E. 4.3.1). 
 
6.2.2. Hinzu kommt, dass im psychiatrischen ABI-Gutachten eine umfassende und hinreichende Beurteilung nach Massgabe der - anamnestisch, aktuell und prognostisch - relevanten Indikatoren (Schweregrad: Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde und Symptome, Behandlungserfolg oder -resistenz, Komorbidität, Komplex der Persönlichkeit und sozialer Kontext; Konsistenz: Einschränkung des Aktivitätsniveaus in allen vergleichbaren Lebensbereichen und Inanspruchnahme von therapeutischen Optionen; BGE 141 V 281 E. 4.3 f.) fehlt. Die summarische Indikatorenprüfung durch den psychiatrischen ABI-Gutachter bildet keine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Die vorinstanzliche Würdigung des Gutachtens vermag hier die bundesrechtlich geforderte hinreichende Plausibilisierung der Folgenabschätzung durch die Gutachterperson nicht zu erbringen (SVR 2020 IV Nr. 42 S. 148, 8C_423/2019 E. 6.4).  
 
6.2.3. Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes und des Gebots der freien und umfassenden Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) von Bundesrechts wegen in medizinischer Hinsicht weitere Abklärungen vorzunehmen. Dabei hat sie zumindest bei den ABI-Gutachtern eine präzisierende Stellungnahme einzuholen. Falls die Beweislage danach weiterhin nicht schlüssig ist, hat die Vorinstanz ein klärendes gerichtliches Gutachten zu veranlassen (vgl. auch Urteil 8C_889/2017 vom 4. Juli 2018 E. 6.2). Danach hat sie über die Beschwerde neu zu entscheiden.  
 
7.  
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ausserdem hat sie der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 141 V 281 E. 11.1). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 11. Januar 2022 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 19. Mai 2022 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar