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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_568/2007 
 
Urteil vom 19. Juni 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Frésard, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Parteien 
G.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Frey, Stadtturmstrasse 10, 5400 Baden, 
 
gegen 
 
Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 78, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. August 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1947 geborene G.________ war vom 1. April 1985 bis 31. Mai 2006 bei der Firma X.________ als ITO Support Specialist III tätig gewesen. Die Arbeitgeberin löste das Arbeitsverhältnis auf den 31. Mai 2006 auf und richtete ihm eine freiwillige Abgangsentschädigung in der Höhe von Fr. 135'804.- sowie einen "Early Retirement Bonus" von Fr. 135'257.- (einschliesslich Fr. 1'500.- für die Kosten einer allfälligen Steuerberatung) aus. Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau lehnte den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für die Zeit vom 1. Juni 2006 bis 4. Oktober 2007 ab, da er aufgrund der freiwilligen Abgangsleistungen der ehemaligen Arbeitgeberin von insgesamt Fr. 269'561.- in diesem Zeitraum keinen anrechenbaren Arbeits- und Verdienstausfall erlitten habe (Verfügung vom 21. Juli 2006). Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 4. Oktober 2006 fest. 
 
B. 
Die hiegegen geführte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 14. August 2007 ab. 
 
C. 
G.________ lässt Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es seien ihm spätestens ab Ende Dezember 2006 Leistungen der Arbeitslosenversicherung zuzusprechen. Eventuell sei die Sache an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen. 
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung stellt eine vom Bundesgericht ebenfalls zu korrigierende Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG dar (Seiler/von Werdt/Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N. 24 zu Art. 97 BGG). 
 
2. 
Wie das kantonale Gericht zutreffend festgehalten hat, setzt der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung unter anderem voraus, dass die versicherte Person ganz oder teilweise arbeitslos ist (Art. 8 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 10 AVIG) und einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten hat (Art. 8 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 11 AVIG). Der Arbeitsausfall ist gemäss Art. 11 Abs. 1 AVIG anrechenbar, wenn er einen Verdienstausfall zur Folge hat und mindestens zwei aufeinanderfolgende volle Arbeitstage dauert. Er gilt so lange nicht als anrechenbar, als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers den durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Verdienstausfall decken (Art. 11a Abs. 1 AVIG). Als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers bei der Auflösung des privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Arbeitsverhältnisses gelten Leistungen, die nicht Lohn- oder Entschädigungsansprüche nach Art. 11 Abs. 3 AVIG darstellen (Art. 10a AVIV). 
Freiwillige Leistungen bis zum Betrag von Fr. 106'800.- (Art. 22 Abs. 1 UVV) werden nicht berücksichtigt (Art. 11a Abs. 2 AVIG). Zudem können die für die berufliche Vorsorge verwendeten Beträge von den zu berücksichtigenden freiwilligen Leistungen nach Art. 11a Abs. 2 AVIG bis höchstens zum Maximalbetrag des koordinierten Lohnes nach Art. 8 Abs. 1 BVG (Fr. 77'400.-) abgezogen werden (Art. 11a Abs. 3 AVIG in Verbindung mit Art. 10b AVIV; Thomas Nussbaumer Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Auflage, Basel/Genf/München 2007, Rz. 167 ff.). 
 
3. 
3.1 Die Parteien sind sich darüber einig, dass die letzte Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer freiwillige Leistungen in Form einer Abgangsentschädigung von Fr. 135'804.- und eines "Early Retirement Bonus" von Fr. 135'257.- (einschliesslich Fr. 1'500.- für eine allfällige Steuerberatung) zukommen liess. Der Streit dreht sich einzig um die Frage, ob der Bonus als freiwillige Leistung an die berufliche Vorsorge im Sinne von Art. 10b AVIV zu qualifizieren ist. 
 
3.2 Der "Early Retirement Bonus" dient gemäss Schreiben der ehemaligen Arbeitgeberin vom 3. August 2006 als Kompensation für eine allfällig entstehende Vorsorgelücke für die 79 Monate ab vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zur ordentlichen Pensionierung. Da der Bonus dem Versicherten unbestrittenermassen zusammen mit der Abgangsentschädigung auf ein Privatkonto ausbezahlt worden ist, sind Vorinstanz und Verwaltung der Auffassung, aufgrund der damit verbundenen völlig freien Verfügbarkeit über den Bonus falle dieser nicht unter die Bestimmung des Art. 10b AVIV und könne somit nicht bis zum Höchstbetrag von Fr. 77'400.- von den zu berücksichtigenden freiwilligen Leistungen abgezogen werden. 
 
3.3 Demgegenüber stellt sich der Versicherte auf den Standpunkt, damit keine Vorsorgelücke entstehe, zahle er mit dem Bonus weiterhin die Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberbeiträge in die Pensionskasse der Firma X.________ Gesellschaften in der Schweiz ein. Im Jahr 2006 habe er gemäss Bescheinigung der Pensionskasse vom 26. März 2007 Vorsorgebeiträge in der Höhe von Fr. 14'787.50 überwiesen, wovon Fr. 8'626.05 auf die hier interessierende Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 2006 entfalle. Seit 1. Januar 2007 habe er monatlich Fr. 1'191.70 an die Pensionskasse bezahlt. Des Weiteren habe er Fr. 80'000.- in die berufliche Vorsorge seiner Ehefrau einbezahlt. Schliesslich sei er der Ansicht, dass von den freiwilligen Leistungen der ehemaligen Arbeitgeberin nicht die Brutto-, sondern Nettobetreffnisse zu berücksichtigen seien, da hievon Sozialversicherungsabzüge vorgenommen worden seien. 
 
3.4 Wie das Bundesgericht im Urteil C 221/06 vom 24. Oktober 2007 (publ. in SVR 2008 AlV Nr. 9 S. 25) festhielt, führte der Gesetzgeber Art. 11a AVIG ein, weil es allgemein als stossend wahrgenommen wurde, wenn Versicherte von ihrem ehemaligen Arbeitgeber ausserordentlich hohe Leistungen erhielten und vom ersten Tag an Arbeitslosenentschädigung beziehen konnten (Botschaft zu einem revidierten Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 28. Februar 2001, BBl 2001 II 2245, 2278). Gemäss Botschaft geht es bei der Arbeitslosenversicherung um einen Aufschub der Leistungsberechtigung, während bei der Alters- und Hinterlassenenversicherung der Schutz vor zu geringer Versicherung im Vordergrund steht (BBl 2001 II 2279). Die gesetzliche Grundlage ermöglicht deshalb eine von der AHV unabhängige Beurteilung von Anrechnungstatbeständen (Thomas Nussbaumer, a.a.O. Rz. 167). Gestützt auf den Botschaftstext hielt das Bundesgericht im eben erwähnten Urteil (E. 5) sodann fest, dass der Bundesrat die Ausnahmen regeln soll, wenn freiwillige Leistungen von Arbeitgebern in die obligatorische berufliche Vorsorge fliessen oder von den Versicherten selbst in die 2. Säule investiert werden (BBl 2001 II 2279). Weder aus der Botschaft noch aus den Protokollen der Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit und der Räte ergeben sich aber Anhaltspunkte dafür, dass die freiwilligen Leistungen, welche in die 2. Säule des Ehepartners der arbeitslosen Person fliessen, im Rahmen von Art. 11a Abs. 3 AVIG ebenfalls zu berücksichtigen wären (BBl 2001 II 2245 ff.; Amtl. Bull. 2001 S 395; Amtl. Bull. 2001 N 1889). 
 
3.5 In Berücksichtigung dieser Rechtsprechung und des klar geäusserten gesetzgeberischen Willens verletzt der vorinstanzliche Entscheid demnach insofern Bundesrecht, als das kantonale Gericht den "Early Retirement Bonus" in dem Umfang nicht als Leistung an die berufliche Vorsorge qualifizierte, als er ab 1. Juni 2006 tatsächlich vom Versicherten selbst in die Pensionskasse der Firma X.________ Gesellschaften in der Schweiz einbezahlt worden ist. Dass die Firma den Bonus nicht auf ein Sperrkonto der gebundenen beruflichen Vorsorge überwiesen hatte, ändert daran nach dem Gesagten nichts. Die Aktenlage erlaubt indessen keine zuverlässige Beurteilung der vom 1. Juni 2006 bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung Ende Dezember 2007 vom Beschwerdeführer in die 2. Säule geflossenen Betreffnisse, da die letztinstanzlich eingereichte Bescheinigung der Vorsorgebeiträge für das Jahr 2006 an die Pensionskasse der Firma X.________ Gesellschaften in der Schweiz vom 26. März 2007 nur Aufschluss über den überwiesenen Jahresbeitrag von Fr. 14'787.50 und nicht über die ab Juni 2006 eingegangenen Beiträge liefert und bezüglich der Vorsorgebeiträge ab Januar 2007 einzig eine Berechnung (vom 16. Januar 2007) der Beiträge zur Vermeidung von Vorsorgelücken, nicht aber eine Bescheinigung der Pensionskasse über die vom Versicherten effektiv erhaltenen Vorsorgeleistungen vorliegt. Die Sache ist daher an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen, damit sie die entsprechenden Bescheinigungen bei der Pensionskasse der ehemaligen Arbeitgeberin einhole und nachher über die Dauer des durch die freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers bewirkten Leistungsaufschubs und den dementsprechenden Beginn der Anspruchsberechtigung des Beschwerdeführers neu entscheide. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sind dabei, wie bei sämtlichen Berechnungen in der Arbeitslosenversicherung, die Bruttobeträge massgebend (vgl. zur Einheitlichkeit des Lohnbegriffes in der ALV im Sinne des massgebenden Lohnes nach Art. 5 Abs. 2 AHVG: Thomas Nussbaumer, a.a.O. Rz. 174). Von der Arbeitslosenkasse unberücksichtigt zu bleiben hat schliesslich - wie bereits erwähnt (E. 3.4) - die in die berufliche Vorsorge seiner Ehefrau einbezahlte Summe von Fr. 80'000.- der freiwilligen Leistungen der ehemaligen Arbeitgeberin, da solche Einzahlungen in die 2. Säule des Ehepartners nicht zu den Ausnahmen im Sinne von Art. 11b Abs. 3 AVIG in Verbindung mit Art. 10b AVIV gehören (Urteil C 221/06 vom 24. Oktober 2007 publ. In SVR 2008 AlV Nr. 9 S. 25 E. 5). 
 
4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Arbeitslosenkasse, die nicht unter den Ausnahmetatbestand von Art. 66 Abs. 4 BGG fällt (BGE 133 V 637 E. 4), zu zwei Fünfteln und dem Versicherten zu drei Fünfteln aufzuerlegen (Art. 65 Abs. 1 und Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die Arbeitslosenkasse hat dem anwaltlich vertretenen Versicherten nach Massgabe dessen Obsiegens eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 14. August 2007 und der Einspracheentscheid der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau vom 4. Oktober 2006 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau zurückgewiesen, damit sie den Beginn des Taggeldanspruchs im Sinne der Erwägungen neu festsetze. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2. 
Von den Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer Fr. 300.- und der Beschwerdegegnerin Fr. 200.- auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1000.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Staatssekretariat für Wirtschaft und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 19. Juni 2008 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Polla