Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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2D_30/2016
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Urteil vom 19. Juni 2017
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Mayhall.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Erich Stern, Urban Vecellio, Rechtsanwälte,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. Kantonale Kommission für Qualifikationsverfahren,
2. Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Bildung,
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, vom 4. Juli 2016.
Sachverhalt:
A.
A.________ absolvierte in Luzern eine Lehre als Grafikerin. Sie trat im Frühling 2014 zum Qualifikationsverfahren für das eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) Grafikerin und Grafiker an. Am 27. Juni 2014 teilte die kantonale Kommission für Qualifikationsverfahren A.________ mit, sie habe das Qualifikationsverfahren nicht bestanden, weshalb ihr das eidgenössische Fähigkeitszeugnis nicht erteilt werde. Das ungenügende Resultat sei darauf zurückzuführen, dass sie in den Fächern "Praktische Arbeiten" (3.5, Gewichtung 40 %) und "Berufskenntnisse" (3.8, Gewichtung 15 %) ungenügende Noten erzielt habe. A.________ konnte anlässlich einer Prüfungsbesprechung ihre Prüfungsarbeit und das Bewertungsraster nicht kopieren, weshalb sie anschliessend mehrfach, jedoch erfolglos, um Akteneinsicht ersuchte.
B.
Mit Entscheid vom 19. November 2014 wies die kantonale Kommission für Qualifikationsverfahren die von A.________ erhobene Einsprache gegen den Prüfungsentscheid ab. Das Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern wies die von A.________ dagegen geführte Verwaltungsbeschwerde mit Entscheid vom 24. August 2015 ebenfalls ab. Mit Urteil vom 4. Juli 2016 wies das Kantonsgericht Luzern die von A.________ gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
C.
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 7. September 2016 an das Bundesgericht beantragt A.________, das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 4. Juli 2016 sei aufzuheben und die Sache unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die Vorinstanz schliesst auf vollumfängliche Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Bildungs- und Kulturdepartement und die kantonale Kommission für Qualifikationsverfahren hat auf die Einreichung einer Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdeführerin repliziert.
Erwägungen:
1.
1.1. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen auf dem Gebiet von Prüfungsergebnissen und anderen Fähigkeitsbewertungen, namentlich auf den Gebieten der Schule, der Weiterbildung und der Berufsausübung (Art. 83 lit. t, Art. 113 BGG; vgl. BGE 136 I 229 E. 1 S. 231; 136 II 61 E. 1.1.1 S. 63).
1.2. Nach Art. 115 lit. b BGG ist zur Verfassungsbeschwerde berechtigt, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Die Beschwerdeführerin, die am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen, mit ihren Anträgen unterlegen und eine Verletzung ihres Anspruches insbesondere auf ein gerechtes Verfahren (Art. 29 Abs. 1 BV) geltend gemacht, ist in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen und zur Erhebung einer subsidiären Verfassungsbeschwerde legitimiert.
1.3. Mit der Verfassungsbeschwerde kann ausschliesslich die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 116 BGG). Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nur, soweit eine entsprechende Rüge vorgebracht und begründet worden ist. Dabei gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG; vgl. BGE 136 I 229 E. 4.1 S. 235; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254; 133 II 396 E. 3.2 S. 399). Hat das Bundesgericht auf subsidiäre Verfassungsbeschwerde hin die Bewertung von Prüfungsleistungen zu beurteilen, so prüft es die Handhabung der einschlägigen kantonalen Verfahrensvorschriften nur auf Willkür hin (Art. 95 lit. a BGG; Art. 9 BV). In erster Linie prüft es dabei, ob das vorgeschriebene Verfahren unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Minimalgarantien durchgeführt worden ist. Eine besondere Zurückhaltung auferlegt es sich bei der materiellen Beurteilung, indem es erst einschreitet, wenn sich die Behörde von sachfremden oder sonst wie unhaltbaren Erwägungen hat leiten lassen, sodass ihr Entscheid unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als nicht mehr vertretbar und damit als willkürlich erscheint (BGE 136 I 229 E. 6.2 S. 238; 131 I 467 E. 3.1 S. 473 mit Hinweisen; Urteile 2D_6/2013 vom 19. Juni 2013 E. 1.5; 2D_34/2012 vom 26. Oktober 2012 E. 1.3; 2P.26/2003 vom 1. September 2003 E. 2.1).
2.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz sei in willkürlicher Sachverhaltsfeststellung davon ausgegangen, dass ihre Prüfungsleistung (wie durch Art. 19 Abs. 2 der Verordnung vom 10. August 2009 des SBFI über die berufliche Grundbildung Grafikerin/Grafiker mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis [EFZ] [BiVo; SR 412.101.221.10] vorgeschrieben) von zwei Prüfungsexpertinnen oder -experten beurteilt worden sei. Das Protokollraster datiere vom 26. Mai 2014 und sei lediglich von Frau B.________ unterzeichnet worden, während das wichtige und entscheidende Bewertungsraster vom 15. Juni 2014 datiere und nur die Unterschrift von Frau C.________ trage. Aktenmässig würden keine Hinweise dafür bestehen, dass an der Prüfungsbewertung vom 15. Juni 2014 ausser Frau C.________ noch eine andere Expertin beteiligt gewesen wäre. Diese Prüfungsbewertung sei mit einer gesetzes- und verordnungskonformen Vorgehensweise (Art. 19 Abs. 2 BiVo) unter Berücksichtigung des verfassungsmässigen Grundsatzes eines fairen Verfahrens nicht vereinbar, wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren vorgetragen worden sei.
2.1. Für Verwaltungsbehörden vermittelt Art. 29 Abs. 1 BV einen Anspruch auf richtige Zusammensetzung der Entscheidbehörde gemäss anwendbarem Verfahrensrecht (Urteil 2P.26/2003 vom 1. September 2003 E. 3.4; GEROLD STEINMANN, St. Galler Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 3. Aufl. 2014, N. 34 zu Art. 29 BV). Gemäss der unbestrittenermassen anwendbaren Bestimmung von Art. 19 Abs. 2 BiVo beurteilen in jedem Qualifikationsbereich
mindestens zwei Prüfungsexpertinnen und -experten die Leistungen. Bei der Bestimmung von Art. 19 Abs. 2 BiVo über die Zusammensetzung des Prüfungsgremiums handelt es sich um eine wichtige Verfahrensregel, die klar formuliert ist und im Hinblick auf Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit streng zu befolgen ist. Dabei ist nicht von Bedeutung, ob sich die unzulässige Anzahl von Prüfungsexpertinnen oder -experten konkret auf das Prüfungsergebnis ausgewirkt hat oder nicht. Die eindeutige Verfahrensregel ist als solche einzuhalten; in ihrer Missachtung durch die Prüfungsbehörde liegt eine willkürliche Anwendung von Art. 19 Abs. 2 BiVo, womit sich ein entsprechender Entscheid als willkürlich (Art. 9 BV) erweist und der Anspruch einer Prüfungskandidatin oder eines Prüfungskandidaten auf ein gerechtes Verfahren (Art. 29 Abs. 1 BV) verletzt (Urteil 2P.26/2003 vom 1. September 2003 E. 3.4).
2.2. Entgegen dem angefochtenen Urteil geht aus den im Recht liegenden Urkunden nicht hervor, dass die Leistung der Beschwerdeführerin im Qualifikationsbereich "Praktische Arbeit (VPA) " von mehr als einer Prüfungsexpertin (vorliegend Frau C.________)
beurteilt worden wäre.
2.2.1. Die Vorinstanz hat erwogen, die "Praktische Arbeit" der Beschwerdeführerin sei von drei Experten (Chefexpertin C.________ sowie Expertin B.________ und Experte D.________) mit der Note 3.5 bewertet worden (angefochtenes Urteil, E. 3.4.2 S. 8). Das entsprechende Bewertungsraster enthalte drei Spalten und gebe die verwendeten Bewertungskriterien wieder; diese würden nachvollziehbar, transparent und fachlich anerkannt sein (angefochtenes Urteil, E. 3.4.2 S. 8 f., unter Verweis auf die Bel. 11 und 21), weshalb die Prüfung unter diesem Gesichtspunkt nicht beanstandet werden könne. Auf die Rüge der Beschwerdeführerin hin, die Formulare ihre "Praktische Arbeit" betreffend, insbesondere das Bewertungsraster, sei nur von einer Prüfungsexpertin unterzeichnet worden (angefochtenes Urteil, E. 5.1, S. 13), erwog die Vorinstanz, aus den im Recht liegenden Unterlagen gehe hervor, dass für das Qualifikationsverfahren 2014, an welchem die Beschwerdeführerin teilgenommen habe, insgesamt sieben Expertinnen und Experten teilgenommen hätten; die Beschwerdeführerin mache denn auch nicht geltend, dass bei ihrer Präsentation und dem Fachgespräch zur "Praktischen Arbeit" vom 26. Mai 2014 nur eine Expertenperson anwesend gewesen sei. Aus dem von der Chefexpertin eingereichten Ablauf zur Bewertung der Praktischen Arbeit gehe hervor, dass drei Experten an der Prüfung anwesend und auch die Beurteilung durch diese drei vorgenommen worden sei. Der Umstand, dass denn auch der Bewertungsraster von der Chefexpertin C.________ und der Protokollraster von der Expertin B.________ unterzeichnet worden sei, mache deutlich, dass mindestens zwei Expertinnen bei der Beurteilung involviert gewesen seien. Zudem mache es Sinn, dass C.________ als Chefexpertin den massgeblichen Bewertungsraster mit den vergebenen Punktzahlen und der daraus resultierenden Note unterzeichnete (angefochtenes Urteil, E. 5.2, unter Verweis auf die Bel. 26, 22, 21 und 10).
2.2.2. Aus den zitierten Urkunden gehen diese positiven Feststellungen jedoch gerade nicht hervor.
Rechtserheblich und im vorinstanzlichen Verfahren durch Beweis zu belegen war die Tatsache, dass der Qualifikationsbereich "Praktische Arbeit" durch mindestens zwei Prüfungsexpertinnen oder -experten
beurteilt worden ist (oben, E. 2.1) und nicht, dass mehrere Experten an der Prüfung teilgenommen haben. Die zitierten Urkunden Bel. 10 und Bel. 11 beinhalten einen im Voraus erstellten voraussichtlichen Ablauf der Bewertung der Praktischen Arbeit im Qualifikationsverfahren 2014 Grafiker/Grafikerin EFZ; daraus lässt sich zwar ableiten, dass für das am 26. Mai angesetzte Fachgespräch der Beschwerdeführerin drei Expertinnen und Experten ("Gruppe 2: B.________, D.________, C.________")
aufgeboten werden sollten, nicht jedoch, dass die
Beurteilung in der Tat durch mindestens zwei Expertinnen oder Experten erfolgt ist.
Zu der am 26. Mai 2014 abgelegten Prüfung im Qualifikationsbereich "Praktische Arbeit (VPA) " liegen zwei Dokumente im Recht, die unterschiedlich datiert sind sowie unterschiedliche Unterschriften -
und zwar nur je eine - tragen: Ein "Protokollraster" und ein "Bewertungsraster". Das am 26. Mai 2014 erstellte "Protokollraster" (Bel. 22) enthält nur ein Prüfungsprotokoll, jedoch
keinerlei Beurteilung und wurde ausschliesslich durch B.________ unterzeichnet. Die einzige im angefochtenen Urteil erwähnte Urkunde, die eine eigentliche
Beurteilung (in Form eines Notenblatts) und einen (nicht unterzeichneten) Anhang mit einem detaillierten Bewertungsraster enthält (Bel. 21; erwähnt im angefochtenen Urteil, E. 3.4.2), datiert erst vom 15. Juni 2014 und wurde nur durch die Chefexpertin C.________ unterzeichnet. Zu der gemäss Prüfungsprogramm auf den 27. Mai 2014 angesetzten "Definitiven Bewertung" (vgl. Bel. 10), bei welcher unter Einbezug der Fachgespräche nochmals verglichen und entschieden werden sollte, liegen, soweit ersichtlich, überhaupt keine Beweismittel im Recht; das angefochtene Urteil bezieht sich denn auch nicht darauf.
Entgegen der Vorinstanz geht aus den zitierten Beweismitteln somit zwar hervor, dass mehrere Expertinnen und Experten für das auf den 26. Mai (2014) angesetzte Fachgespräch "Praktische Arbeit"
aufgeboten worden sind (Bel. 10, 11), und ist weiter erstellt, dass die Expertin B.________ dieses am 26. Mai 2014 durchgeführte Fachgespräch
protokolliert (Bel. 22) und die Chefexpertin C.________ rund drei Wochen später am 15. Juni 2014 eine detaillierte
Beurteilung anhand eines detaillierten Bewertungsrasters durchgeführt hat. Nicht erstellt anhand dieser Urkunden ist jedoch, dass die
Beurteilung durch mindestens zwei Prüfungsexpertinnen oder -experten erfolgt ist. Der Schluss aus diesen Urkunden auf die positive Feststellung, die
Beurteilung des Qualifikationsbereichs "Praktische Arbeit" der Beschwerdeführerin sei
durch mindestens zwei Prüfungsexpertinnen oder -experten vorgenommen worden, erweist sich demzufolge als
aktenwidrig und damit als willkürlich, geht doch diese Tatsache aus den zitierten Urkunden gerade nicht hervor. Anzumerken ist weiter, dass die übrigen, sich auf den ebenfalls nicht bestandenen Qualifikationsbereich "Berufskenntnisse" beziehenden und im Recht liegenden Notenblätter (Bel. 35 und 37) (wie durch das Formular vorgegeben) durch zwei Expertinnen oder Experten unterzeichnet worden sind.
2.2.3. Der Schluss der Vorinstanz von diesen Urkunden darauf, dass die
Beurteilung der Prüfungsleistung der Beschwerdeführerin "Praktische Arbeit" vom 26. Mai 2014 von mindestens zwei Prüfungsexpertinnen oder -experten vorgenommen worden sei (angefochtenes Urteil, E. 3.4.2 S. 8; E. 5 S. 13), erweist sich nach dem Gesagten als aktenwidrig und unhaltbar, weshalb von einer willkürlichen Beweiswürdigung und damit von einer willkürlichen Sachverhaltsfeststellung auszugehen ist (BGE 138 IV 13 E 5.1 S 22; 134 II 124 E. 4.1 S. 133; 132 III 209 E. 2.1 S. 211), die angesichts des Gewichts des Qualifikationsbereichs "Praktische Arbeit" von 40 % für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann. Das angefochtene Urteil ist aus diesem Grund rügegemäss aufzuheben und die Sache zur neuen Sachverhaltsabklärung und Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen, ohne dass die weiteren Rügen noch zu prüfen wären.
3.
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Kanton Luzern hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist gegenstandslos. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurückgewiesen (Art. 67, Art. 68 Abs. 5 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird gutgeheissen, und das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 4. Juli 2016 wird aufgehoben. Die Sache wird zur Sachverhaltsabklärung und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Luzern hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
4.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgeschrieben.
5.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Luzern und dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. Juni 2017
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Zünd
Die Gerichtsschreiberin: Mayhall