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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_249/2024  
 
 
Urteil vom 19. Juni 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Koch, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Hurni, Hofmann, 
Gerichtsschreiber Forster. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Friedrich Frank, 
 
gegen  
 
1. Christian Märki, 
Bezirksgericht Kulm, Bezirksgebäude, Zentrumsplatz 1, 5726 Unterkulm, 
2. Ralf Meier, 
Bezirksgericht Kulm, Bezirksgebäude, Zentrumsplatz 1, 5726 Unterkulm, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Ausstand, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 23. Januar 2024 (SBK.2023.351). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Strafurteil vom 20. Juni 2023 sprach der Präsident des Bezirksgerichts Kulm (AG) A.________ der Widerhandlung gegen das eidgenössische Geldspielgesetz schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von Fr. 3'600.-- (30 Tagessätzen à Fr. 120.--), bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie mit einer Busse von Fr. 720.--. Gegen das Strafurteil ist die Berufung hängig. Am 30. November 2023 übermittelte der Beschuldigte dem kantonalen Obergericht ein Ausstandsbegehren gegen die zwei am Strafurteil vom 20. Juni 2023 mitwirkenden Justizpersonen, das er am 1. September 2023 beim Bezirksgericht eingereicht hatte. In seinem Ausstandsgesuch stellte der Beschuldigte folgendes Rechtsbegehren: "Herr Gerichtspräsident Christian Märki und Herr Gerichtsschreiber Ralf Meier haben (rückwirkend) in den Ausstand zu treten, und es seien sämtliche Verfahrens- resp. Entscheidhandlungen aufzuheben und zu wiederholen, an welchen sie mitgewirkt haben". 
 
B.  
Mit Entscheid vom 23. Januar 2024 wies das Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, das Ausstandsgesuch ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
Gegen den Entscheid des Obergerichtes gelangte der Beschuldigte mit Beschwerde vom 28. Februar 2024 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Gutheissung des Ausstandsgesuches. 
Am 7. März 2024 gingen die kantonalen Akten beim Bundesgericht ein. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über eine Ausstandssache in einem Verwaltungsstrafverfahren gestützt auf das Bundesgesetz vom 29. September 2017 über Geldspiele (SR 935.51; BGS) (Art. 80 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Art. 92 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 134 Abs. 1 BGS kommt für solche Widerhandlungen das Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (SR 313.0; VStrR) zur Anwendung. Für Ausstandsgesuche in gerichtlichen Verfahren verweist Art. 29 Abs. 3 VStrR auf das einschlägige eidgenössische Recht und damit auf Art. 56 ff. StPO (vgl. auch Art. 82 VStrR). 
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind, von den nachstehenden Vorbehalten abgesehen, grundsätzlich erfüllt. 
 
2.  
 
2.1. Nach Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Justizpersonen ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Dies soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens beitragen und ein gerechtes Urteil ermöglichen (BGE 140 I 240 E. 2.2, 271 E. 8.4, 326 E. 5.1; 140 III 221 E. 4.1; 137 I 227 E. 2.1; je mit Hinweisen). Die grundrechtliche Garantie wird in Art. 56 StPO konkretisiert (BGE 138 I 425 E. 4.2.1 mit Hinweisen).  
 
2.2. Eine in einer Strafbehörde, etwa beim erstinstanzlichen Gericht (Art. 13 lit. b StPO), tätige Person tritt - abgesehen von den übrigen in Art. 56 StPO genannten Fällen - in den Ausstand, wenn sie "aus anderen Gründen", insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (Art. 56 lit. f StPO). Will eine Partei den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen, so hat sie der Verfahrensleitung ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat; die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen (Art. 58 Abs. 1 StPO). Wird ein Ausstandsgesuch nach Art. 56 lit. f StPO geltend gemacht, so entscheidet ohne weiteres Beweisverfahren und endgültig die Beschwerdeinstanz, wenn die erstinstanzlichen Gerichte betroffen sind (Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO).  
 
2.3. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit begründen. Voreingenommenheit und Befangenheit werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein. Bei der Beurteilung solcher Gegebenheiten ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich befangen ist (BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.1; 140 I 240 E. 2.2; 326 E. 5.1; 138 IV 142 E. 2.1; je mit Hinweisen).  
Der Anschein von Befangenheit "aus anderen Gründen" (im Sinne von Art. 56 lit. f StPO) kann vorliegen, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen einer verantwortlichen Justizperson vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken (BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; 138 IV 142 E. 2.3; Urteile 7B_517/2023 vom 8. Februar 2024 E. 3.5; 7B_287/2023 vom 12. September 2023 E. 2.3; 1B_387/2022 vom 22. Februar 2023 E. 3.3; 1B_98/2021 vom 3. März 2022 E. 3.2-3.3). Diesbezüglich sind primär die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen beanstandete Verfahrenshandlungen auszuschöpfen (vgl. BGE 143 IV 69 E. 3.2; 114 Ia 153 E. 3b/bb; je mit Hinweisen). 
 
2.4. Allfällige Ausstandsgründe sind von der Partei ohne Verzug geltend zu machen, sobald sie von ihnen Kenntnis hat (Art. 58 Abs. 1 StPO). Nach der Praxis des Bundesgerichtes sind Ausstandsgründe in der Regel innert etwa einer Woche anzurufen; ein Zuwarten während zwei oder mehr Wochen ist hingegen nicht zulässig (zit. Urteil 7B_517/2023 E. 3.6; Urteile 1B_266/2021 vom 25. August 2021 E. 2; 1B_180/2021 vom 10. Mai 2021 E. 2.1; 1B_496/2019 vom 28. Februar 2020 E. 3.3; je mit weiteren Hinweisen). Wer einen Ausstandsgrund gegen eine Justizperson kennt, diesen aber nicht unverzüglich sondern aus prozesstaktischen Gründen erst später geltend macht, etwa bei ungünstigem Verlauf des Verfahrens, verstösst gegen Treu und Glauben und verwirkt grundsätzlich seinen Anspruch, sich auf den Ausstandsgrund berufen zu können (BGE 121 I 225 E. 3; zit. Urteile 7B_517/2023 E. 3.6; 1B_266/2021 E. 2; 1B_180/2021 E. 2.1; Urteil 1B_647/2020 vom 20. Mai 2021 E. 2).  
 
3.  
 
3.1. Wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, kann offen bleiben, ob das Ausstandsbegehren am 1. September 2023 rechtzeitig erhoben wurde.  
 
3.2. Als Ausstandsgrund führt der Beschwerdeführer appellatorische Vorbringen gegen das Strafurteil vom 20. Juni 2023 des Bezirksgerichts Kulm an. Er vertritt die Ansicht, in Erwägung 3.3.3 des Strafurteils würden "tatsachenwidrige" Feststellungen getroffen.  
Entgegen dem Anschein, den diese Erwägung erwecke, hätten der Bezirksgerichtspräsident und der Gerichtsschreiber gar nicht selber wissen können, was die hängigen Ermittlungen der Eidgenössische Spielbankenkommission in einem separaten Verwaltungsstrafverfahren ergeben hätten. Dennoch verzichteten sie in ihrer sprachlichen Formulierung auf die Verwendung des Konjunktives. Dies erscheine entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht bloss "stilistisch unschön", sondern begründe "unzweifelhaft einen Ausstandsgrund i.S.v. Art. 82 VStrR i.V.m. Art. 56 lit. f StPO". Derartige Erwägungen hätten "in einem Strafurteil schlichtweg nichts zu suchen" und seien "unentschuldbar". 
Dieser Argumentation ist offensichtlich nicht zu folgen. Seine appellatorische Kritik an einzelnen Erwägungen des Strafurteils kann der Beschwerdeführer ohne Weiteres im hängigen Berufungsverfahren vortragen. Für diesen Zweck sieht das Gesetz kein nachträgliches Ausstandsverfahren gegenüber den am erstinstanzlichen Strafurteil mitwirkenden Justizpersonen vor. Darüber hinaus begründen die redaktionellen Beanstandungen des Beschwerdeführers (angeblich fehlender Konjunktiv, gewisse stilistische bzw. sprachliche Fehler) auch keine besonders krassen Verfahrensfehler im Sinne der oben (E. 2.3) dargelegten einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtes. Eine Befangenheit im Sinne von Art. 56 lit. f StPO wird damit nicht dargetan. Es kann offen bleiben, ob die Rüge der Verletzung von Bundesrecht überhaupt ausreichend substanziiert erscheint (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG). 
 
3.3. Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, der Bezirksgerichtspräsident und der Gerichtsschreiber hätten mit diversen Hinweisen auf die StPO "das falsche Verfahrensrecht unmittelbar angewendet". Im Verwaltungsstrafverfahren gelte nämlich "das VStrR, nicht die StPO". Daraus möchte der Beschwerdeführer den Vorwurf einer "Negierung des Rechts an sich" und eines "schlechthin unhaltbaren Zustands" ableiten.  
Diese Vorbringen gehen an den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen vorbei und setzen sich mit den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz nicht nachvollziehbar auseinander. Die Bestimmungen der StPO sind insoweit ergänzend oder sinngemäss anwendbar, als das VStrR dies ausdrücklich festlegt (vgl. Art. 22, Art. 30 Abs. 2-3, Art. 31 Abs. 2, Art. 41 Abs. 2, Art. 43 Abs. 2, Art. 58 Abs. 3, Art. 60 Abs. 2, Art. 80 Abs. 1, Art. 82, Art. 89 und Art. 97 Abs. 1 VStrR). Soweit das VStrR einzelne Fragen nicht abschliessend regelt, sind die Bestimmungen der StPO grundsätzlich analog anwendbar (BGE 139 IV 246 E. 1.2, E. 3.2; Urteile 7B_96/2022 vom 28. September 2023 E. 2; 1B_604/2021 vom 23. November 2022 E. 2; 1B_49/2021 vom 14. Dezember 2021 E. 1.1; je mit weiteren Hinweisen). Dass in den Erwägungen des kritisierten Strafurteils in diesem Sinne auf (ergänzend bzw. analog) anwendbare Bestimmungen der StPO hingewiesen wird, ist nicht zu beanstanden und stellt offensichtlich keinen Ausstandsgrund dar. 
 
3.4. In der Beschwerdeschrift werden auch sonst keine besonders krassen oder ungewöhnlich häufigen Verfahrensfehler dargetan, die eine schwere Verletzung von Amtspflichten begründen könnten.  
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. Juni 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Koch 
 
Der Gerichtsschreiber: Forster