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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.120/2005 /blb 
 
Urteil vom 19. August 2005 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Marazzi, 
Gerichtsschreiber Schett. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Tim Walker, 
 
gegen 
 
Obergericht von Appenzell A.Rh., Justizaufsichtskommission, Postfach, 9043 Trogen. 
 
Gegenstand 
Art. 9 und 29 BV etc. (unentgeltliche Rechtspflege im Scheidungsprozess), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid 
des Obergerichts von Appenzell A.Rh., Justizaufsichtskommission vom 9. Dezember 2004. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 
In dem von ihrem Ehemann mit Eingabe vom 1. März 2001 beim Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden eingeleiteten Ehescheidungsverfahren liess X.________ am 11. Mai 2001 das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne einer Befreiung von amtlichen Kosten, Vorschüssen und Sicherheitsleistungen sowie um unentgeltliche Rechtsverbeiständung durch Rechtsanwalt Tim Walker einreichen. Dem Begehren wurde mit Entscheid vom 5. November 2001 stattgegeben. 
1.2 Mit Verfügung vom 30. Juni 2004 wurde X.________ der Entzug der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung in Aussicht gestellt und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Davon machte X.________ mit Eingabe ihres Rechtsvertreters vom 30. August 2004 Gebrauch. Mit Entscheid vom 31. August 2004 hob die Kantonsgerichtspräsidentin die mit Verfügung vom 5. November 2001 gewährte unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Scheidungsverfahren mit Wirkung ab 31. August 2004 auf mit der Begründung, in der vom Kantonsgericht zu beurteilenden Streitsache seien keine grundlegenden familienrechtlichen Fragen mehr offen, da sich die Ehegatten jetzt über den Scheidungspunkt einig seien. Es sei einzig noch über die finanziellen Nebenfolgen der Scheidung zu entscheiden. Allein dafür bedürfe die Gesuchstellerin keines juristischen Beistandes. 
1.3 Mit Eingabe vom 17. September 2004 liess X.________ Beschwerde bei der Justizaufsichtskommission des Obergerichts von Appenzell Ausserrhoden erheben und beantragte u.a. die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Nach Vorliegen des begründeten Entscheides erhob die Beschwerdeführerin am 10. November 2004 fristgemäss Beschwerde bei der Justizaufsichtskommission und bestätigte die in der Eingabe vom 17. September 2004 gestellten Anträge. 
Mit Entscheid vom 9. Dezember 2004 wies die Justizaufsichtskommission die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wurde abgewiesen. 
1.4 X.________ hat mit Eingabe vom 15. April 2005 beim Bundesgericht gegen den Entscheid der Justizaufsichtskommission staatsrechtliche Beschwerde eingereicht und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Verfügung der Kantonsgerichtspräsidentin vom 31. August 2004. Sodann sei ihr für das Verfahren vor der Justizaufsichtskommission und vor dem Kantonsgerichtspräsidium eine Parteientschädigung zuzusprechen. Ferner ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsvertretung. 
2. 
2.1 Der angefochtene Entscheid der Justizaufsichtskommission des Obergerichts über die unentgeltliche Rechtspflege stellt einen letztinstanzlichen kantonalen Zwischenentscheid dar; gegen diesen ist die staatsrechtliche Beschwerde zulässig (Art. 86 Abs. 1, Art. 87 Abs. 2 OG; BGE 119 Ia 337 E. 1 S. 338). 
2.2 Von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, bei denen die verfassungsmässige Ordnung nicht schon durch Aufhebung des angefochtenen Entscheids oder Erlasses wiederhergestellt werden kann, ist die staatsrechtliche Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 124 I 327 E. 4a S. 332; 118 Ia 64 E. 1e, je mit Hinweisen). Der Antrag, für das Verfahren vor der Justizaufsichtskommission und vor dem Kantonsgerichtspräsidium eine Parteientschädigung zuzusprechen, ist unzulässig. Das Gleiche gilt auch für die Mitanfechtung des Entscheids der Kantonsgerichtspräsidentin, da die Beschwerdeführerin hier keinen Ausnahmegrund anführt (dazu: BGE 128 I 51 E. 1c). 
3. 
Die Justizaufsichtskommission führt aus, laut Entscheid der Kantonsgerichtspräsidentin seien im Ehescheidungsverfahren zur Hauptsache noch der Unterhaltsbeitrag der Ehefrau, die güterrechtliche Auseinandersetzung und ein Ausgleich allfälliger Freizügigkeitsleistungen offen. Gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV beurteile sich die Frage, ob eine unentgeltliche Rechtsverbeiständung sachlich notwendig sei, nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Die bedürftige Partei habe Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwer wiegender Weise betroffen seien und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten biete, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machten. Drohe das in Frage stehende Verfahren besonders stark in die Rechtsposition der betroffenen Person einzugreifen, sei die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters grundsätzlich geboten, sonst nur dann, wenn zur relativen Schwere des Falles besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukämen, denen der Gesuchsteller auf sich alleine gestellt nicht gewachsen wäre (BGE 130 I 182; 128 I 232). Nach Auffassung der Justizaufsichtskommission sei aufgrund der grossen Anzahl der bei den Gerichten anhängigen Ehescheidungsverfahren der Stellenwert der Offizialmaxime in solchen Verfahren ein besonderer. So verwende das Kantonsgericht für die Ermittlung der von den Ehegatten gegenseitig geschuldeten Austrittsleistung ein in grossen Teilen standardisiertes und automatisiertes Verfahren, welches sehr zuverlässige Ergebnisse liefere. Sodann gehöre für das Kantonsgericht die Beurteilung der Frage des nachehelichen Unterhaltes oder der güterrechtlichen Auseinandersetzung zum Alltagsgeschäft und das Gericht verfüge diesbezüglich über grosse Erfahrung. 
Hinzu komme im vorliegenden Ehescheidungsverfahren, dass der Beurteilungsspielraum ohnehin relativ klein sei, nachdem ein Unterhaltsanspruch der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 125 Abs. 3 ZGB bereits im Verfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen abgewiesen worden sei. Zudem dürften im jetzigen Verfahrensstadium die für die Vornahme der güterrechtlichen Auseinandersetzung erforderlichen Fakten und Zahlen zum grössten Teil im Recht liegen, so dass die Beurteilung durch das Gericht ohne weiteres aufgrund der Unterlagen und der Aussagen der Parteien erfolgen könne. Dies gelte im Übrigen auch für die von der Beschwerdeführerin angesprochenen Punkte wie Konkurs des Klägers, Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin, Stichtag, Angaben des Klägers zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen usw. Tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machten, seien entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin vorliegend nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass im Scheidungsverfahren zahlreiche Eingaben durch den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin gemacht worden seien, sage nichts über die Schwierigkeit des Verfahrens aus. Von einem besonders starken Eingreifen in die Rechtsposition der Beschwerdeführerin, welches die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters grundsätzlich gebieten würde, könne nach Meinung der Kommission - angesichts der etwa im Vergleich zu Kinderbelangen eher untergeordneten Bedeutung der im Scheidungsverfahren noch offenen Fragen - ebenfalls nicht gesprochen werden (vgl. BGE 128 I 225 ff.). 
4. 
Gemäss Art. 88 Abs. 3 ZPO/AR kann die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Die Kantonsgerichtspräsidentin hat ihren Entscheid begründet und den Parteien auch das rechtliche Gehör vor ihrem Entscheid eingeräumt. 
Obwohl der Widerruf der unentgeltlichen Rechtspflege kurz vor der Hauptverhandlung Anlass zu Bedenken geben könnte, kann auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden, da sie den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (dazu BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261/262 mit Hinweisen) nicht genügt. 
4.1 Auf die Rüge der unzulässigen rückwirkenden Entziehung der unentgeltlichen Rechtspflege ist nicht einzutreten. Gemäss dem Entscheid der Justizaufsichtskommission hat die Kantonsgerichtspräsidentin mit Entscheid vom 31. August 2004 die unentgeltliche Rechtsverbeiständung mit Wirkung ab 31. August 2004 aufgehoben. Inwiefern damit rückwirkend verfügt wurde, wird nicht begründet (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). 
4.2 Die Beschwerdeführerin rügt, sämtliche in der Beschwerde vom 10. November 2004 gestellten Beweismittelanträge seien in Verletzung von Art. 29 Abs. 1 und 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK explizit und/oder implizit abgewiesen worden. Die Abnahme dieser Beweismittel hätte aber gerade aufgezeigt, dass der mitangefochtene Entscheid der Kantonsgerichtspräsidentin rechtswidrig sei und die anwaltliche Vertretung namentlich vor und an der Hauptverhandlung ohne jeden Zweifel sachlich notwendig gewesen wäre. 
Auf die Rüge kann nicht eingetreten werden, denn es wird nicht dargetan, welche Beweismittel die Beschwerdeführerin beantragt hatte. Der sinngemässe Verweis auf die kantonale Beschwerde genügt dabei nicht, denn die Begründung muss in der Beschwerdeeingabe selbst enthalten sein (BGE 130 I 290 E. 4.10 S. 302). 
4.3 Von vornherein nicht eingetreten werden kann auf die allgemeinen Ausführungen der Beschwerdeführerin zu den Entscheiden der JUAK vom 23. Oktober 1997 und 29. August 2000, da sie nicht sachbezogen sind. Insbesondere wird mit dem allgemeinen Einwand, die Konvention sei längst gescheitert und demgemäss seien zahlreiche Punkte umstritten gewesen, nicht dargetan, warum die Verbeiständung sachlich noch notwendig gewesen ist. Mangels hinreichender Begründung im Sinne von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (dazu BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261/262 mit Hinweisen) kann darauf nicht eingetreten werden. Die Tatsache, dass die Hauptverhandlung bereits provisorisch festgelegt gewesen sei, genügt für sich allein nicht, eine Verfassungsverletzung darzutun. Im Weiteren kann der Willkürvorwurf gegenüber der Justizaufsichtskommission nicht mit den bei Jörg Paul Müller (Grundrechte in der Schweiz, Bern 1999, S. 552, FN 56-65) zitierten Bundesgerichtsentscheiden begründet werden. Zu den im Folgenden speziell erwähnten Bundesgerichtsurteilen wird dann auch bloss angeführt, dass nach Meinung des Bundesgerichts als besondere Schwierigkeiten, die eine Verbeiständung rechtfertigen würden, auch der Grund genüge, dass der Gesuchsteller nicht fähig sei, sich im Verfahren zurechtzufinden. Auch damit kann nicht dargelegt werden, warum der angefochtene Entscheid vor der Verfassung nicht standhalten soll. 
4.4 Sodann macht die Beschwerdeführerin geltend, in sachverhaltlicher und auch in rechtlicher Hinsicht hätte der Prozess vor dem Kantonsgericht erhebliche Schwierigkeiten geboten und der Entzug der unentgeltlichen Rechtsvertretung in diesem heiklen letzten Stadium des Prozesses sei demgemäss völlig willkürlich erfolgt. Es sei vor allem um die Frage des nachehelichen Unterhaltes gegangen, welche für die Beschwerdeführerin äusserst wichtig sei, da sie nach wie vor von einer bescheidenen Invalidenrente und Ergänzungsleistungen lebe. Auch diese Einwände genügen den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht. Namentlich findet sich keine Auseinandersetzung mit der Begründung, dass ein Unterhaltsanspruch der Beschwerdeführerin bereits im Rahmen der vorsorglichen Massnahmen unter Hinweis auf Art. 125 Abs. 3 ZGB abgewiesen worden sei. Im Übrigen hatte die Beschwerdeführerin anlässlich ihrer Anhörung vom 13. November 2003 selbst gesagt, sie beharre nicht auf Unterhaltsbeiträgen. 
4.5 Als Nächstes bringt die Beschwerdeführerin vor, die Vertretung an der Hauptverhandlung sei wegen ihrer psychischen Verfassung unbedingt erforderlich gewesen. Dazu hat sich das Obergericht nicht geäussert, obwohl dies dort geltend gemacht worden ist. Die bei dieser Sachlage einzig mögliche Rüge der Gehörsverletzung gemäss Art. 29 Abs. 2 BV wird jedoch nicht erhoben. 
4.6 Dass die Beschwerdeführerin rechtsunkundig sei, ist für sich allein nicht ausschlaggebend. Diesbezüglich setzt sie sich auch nicht mit dem angefochtenen Entscheid auseinander (E. 3.1 hiervor), weshalb darauf nicht eingetreten werden kann. Schliesslich wird mit dem nicht näher substantiierten Vorbringen, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien unklar, nicht dargelegt, inwiefern die Auffassung des Obergerichts willkürlich sein soll (E. 3.1 hiervor), dass die sachlichen Voraussetzungen für die unentgeltliche Verbeiständung nicht mehr gegeben seien. 
5. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung beantragt. Da die staatsrechtliche Beschwerde von vornherein keine Aussicht auf Erfolg haben konnte, muss das Gesuch abgewiesen werden. Da die Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin ausgewiesen ist, wird von der Erhebung einer Gerichtsgebühr abgesehen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen. 
3. 
Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben. 
4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht von Appenzell A.Rh., Justizaufsichtskommission, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 19. August 2005 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: