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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_566/2021  
 
 
Urteil vom 19. Oktober 2021  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Josef Flury, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Luzern, 
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Rente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 24. Juni 2021 (5V 20 168). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1977, meldete sich am 10. September 2013 wegen der Folgen einer Magenoperation (totale Gastrektomie nach Adeno-Karzinom am 17. Juli 2013) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Luzern tätigte erwerbliche und medizinische Abklärungen. Sie liess A.________ durch das Medizinische Zentrum Römerhof (MZR) polydisziplinär begutachen (Expertise vom 31. Januar 2018). Gestützt darauf sprach sie A.________ mit Verfügung vom 14. April 2020 für den Zeitraum vom 1. März 2014 bis zum 31. Juli 2015 eine befristete ganze Invalidenrente zu. 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Luzern mit Urteil vom 24. Juni 2021 insofern teilweise gut, als es A.________ vom 1. März 2014 bis 31. Oktober 2015 eine ganze Invalidenrente zusprach. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, das kantonale Urteil sei aufzuheben und die Sache sei an die Vorinstanz, eventuell an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit diese ein polydisziplinäres, eventuell ein psychiatrisches Gutachten einhole. Es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (vgl. Urteile 9C_584/2017 vom 17. Juli 2018 E. 1.1, 9C_999/2010 vom 14. Februar 2011 E. 1, 9C_753/2015 vom 20. April 2016 E. 1).  
 
1.2. Die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG stellen frei überprüfbare Rechtsfragen dar (BGE 146 V 240 E. 8.2 mit Hinweisen). Gleiches gilt für die Frage, ob den medizinischen Gutachten und Arztberichten im Lichte der rechtsprechungsgemässen Anforderungen Beweiswert zukommt (BGE 134 V 231 E. 5.1). Die konkrete wie auch die antizipierte Beweiswürdigung betreffen hingegen Tatfragen, die das Bundesgericht lediglich auf offensichtliche Unrichtigkeit und Rechtsfehlerhaftigkeit hin überprüft (Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 146 V 139 E. 2.2; 144 V 111 E. 3).  
 
1.3. Die Rüge des fehlerhaft festgestellten Sachverhalts bedarf einer qualifizierten Begründung (BGE 137 II 353 E. 5.1). Es reicht nicht aus, in allgemeiner Form Kritik daran zu üben oder einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern. Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid geht das Bundesgericht nicht ein (BGE 134 II 244 E. 2.2; Urteil 9C_128/2018 vom 17. Juli 2018 E. 1.2). Zu betonen ist, dass dem kantonalen Versicherungsgericht als Sachgericht im Bereich der Beweiswürdigung ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht (vgl. BGE 120 Ia 31 E. 4b). Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin nur ein, wenn das Sachgericht diesen missbraucht, insbesondere offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche willkürlich ausser Acht lässt (BGE 132 III 209 E. 2.1; zum Begriff der Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 mit Hinweisen).  
 
2.  
Streitig ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es, ohne weitere Abklärungen zum Sachverhalt zu veranlassen, einen über den 31. Oktober 2015 hinaus reichenden Rentenanspruch der Beschwerdeführerin verneinte. 
 
 
3.  
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung des Rentenanspruchs nach Art. 28 Abs. 1 IVG massgeblichen Bestimmungen, insbesondere zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 Abs. 1 ATSG) und zur Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), sowie die zu beachtenden Grundsätze zum Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich des Anspruchs auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2, Art. 28a Abs. 1 IVG und Art. 16 ATSG) sowie des Vorgehens bei einer abgestuften oder befristeten Invalidenrente bei rückwirkender Rentenzusprechung gemäss den Modalitäten einer Revision der Invalidenrente (Art. 17 Abs. 1 ATSG; Art. 88a Abs. 1 und 2 IVV; BGE 141 V 9 E. 2.3). Korrekt sind auch die Ausführungen zur Beurteilung der Invalidität bei psychischen Leiden anhand der sogenannten Standardindikatoren (BGE 141 V 281; 143 V 409 und 418). Darauf wird verwiesen. 
 
4.  
Die Vorinstanz stützte sich in materieller Hinsicht auf das polydisziplinäre Gutachten des MZR vom 31. Januar 2018, gemäss welchem die Beschwerdeführerin von März 2013 bis Juli 2015 vollständig arbeitsunfähig war. Ab dem 1. August 2015 habe unter Berücksichtigung der somatischen und psychiatrischen Diagnosen wieder eine Arbeitsfähigkeit von 70 % in der angestammten Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin und in jeder angepassten Tätigkeit bestanden. Dem Gutachten des MZR sei volle Beweiskraft beizumessen, weshalb weitere medizinische Abklärungen, so auch das beantragte Gerichtsgutachten, nicht angezeigt seien, da davon keine entscheidrelevanten Erkenntnisse zu erwarten seien. Das kantonale Gericht unterzog die vom psychiatrischen Gutachter attestierte Arbeitsunfähigkeit von 30 % in der Folge einer umfassenden Indikatorenprüfung und erkannte, es liege keine starke Ausprägung der diesbezüglichen Gesundheitsschädigung vor. In einer Gesamtschau ergebe das strukturierte Beweisverfahren, dass die bereitstehenden Ressourcen die ressourcenhemmenden Faktoren überwögen, weshalb die aus psychischen Gründen attestierte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit nicht berücksichtigt werden könne. In somatischer Hinsicht sei die Beschwerdeführerin ab dem 1. August 2015 wieder zu 80 % arbeitsfähig. Damit liege ein Revisionsgrund vor. Seit der Begutachtung bis zum Erlass der Verfügung vom 14. April 2020 seien keine wesentlichen gesundheitlichen Veränderungen aktenkundig. In der Folge bestätigte die Vorinstanz das von der IV-Stelle ermittelte Invalideneinkommen und legte dar, weshalb kein leidensbedingter Abzug gerechtfertigt sei. Die IV-Stelle habe sich auf einen nur für Frauen geltenden statistischen Wert gestützt. Die gesundheitlichen Einschränkungen seien bereits bei der Formulierung der zumutbaren Tätigkeit berücksichtigt worden. Bei Fällen, in denen die versicherte Person zwar ganztags arbeitsfähig, aber nur reduziert leistungsfähig sei, sei rechtsprechungsgemäss kein zusätzlicher Abzug angebracht. Schliesslich bejahte das kantonale Gericht in Berücksichtigung von Art. 88a Abs. 1 IVV auch für die Zeit vom 1. August 2015 bis zum 31. Oktober 2015 einen Anspruch auf eine ganze Rente. 
 
5.  
Was in der Beschwerde dagegen vorgebracht wird, vermag zu keinem anderen Ergebnis zu führen. 
 
5.1. Die Beschwerdeführerin erhebt vorwiegend appellatorische Einwände. Auf diese ist rechtsprechungsgemäss (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1; 140 III 264 E. 2.3, je mit Hinweisen; vgl. E. 1 hievor) nicht weiter einzugehen. Es betrifft dies insbesondere die Kritik am Gutachten des MZR vom 31. Januar 2018. Bei all den angeführten Einwänden fehlt es an einer Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Erwägungen. Das kantonale Gericht hat das genannte Gutachten einlässlich gewürdigt und als schlüssig erachtet. Es ist auf die bereits im vorinstanzlichen Verfahren angeführten Rügen am Gutachten eingegangen und hat für jedes der medizinischen Fachgebiete einzeln erklärt, weshalb es auf die Einschätzungen der Experten und nicht auf diejenigen der behandelnden Ärzte abgestellt hat. Im angefochtenen Urteil wird aufgezeigt, dass eine interdisziplinäre Beurteilung der Arbeitsfähigkeit stattfand. Weiter führte das kantonale Gericht eingehend aus, weshalb die Arbeitsunfähigkeitsbeurteilungen von 20 % (somatisch) beziehungsweise 30 % (psychisch) im Gutachten vom 31. Januar 2018 per 1. August 2015 nachvollziehbar und überzeugend seien.  
 
5.2. Soweit die Beschwerdeführerin insbesondere in Bezug auf ihren psychischen Gesundheitszustand aufgrund eigener Schilderungen eine vom Gutachten abweichende Diagnose stellt und daraus auf einen höheren Grad der Arbeitsunfähigkeit schliesst, ohne darzulegen, inwiefern die Vorinstanz diesbezüglich Bundesrecht verletzt habe, ist auf die entsprechenden Vorbringen nicht weiter einzugehen (vgl. E. 1.3).  
 
 
5.3. Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin die Durchführung des strukturierten Beweisverfahrens durch die Vorinstanz und die Verwaltung. Die aufgrund des Gutachtens vom 31. Januar 2018 vorliegenden medizinischen Grundlagen seien dafür ungenügend gewesen.  
Das kantonale Gericht stützte sich in seiner umfassenden Prüfung der Indikatoren auf das Gutachten sowie auf die übrigen Akten, die dafür genügend Informationen lieferten. In diesem Sinne gelangte es ausgehend von den Diagnosen einer leichten depressiven Episode (ICD-10 F32.0), einer Dysthymia (ICD-10 F34.1) und einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren (ICD-10 F45.41) zum Schluss, es liege keine starke Ausprägung der psychischen Gesundheitsschädigung vor und die Beschwerdeführerin verfüge aus dem persönlichen und sozialen Kontext über gute Ressourcen. Die aus psychiatrischer Sicht attestierte Arbeitsunfähigkeit von 30 % sei daher nicht zu berücksichtigen. Letztinstanzlich entscheidend ist aber, dass mit der Vorinstanz selbst unter Berücksichtigung der psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit von 30 %, und damit einer Gesamtarbeitsunfähigkeit in dieser Höhe aus somatischen und psychischen Gründen, kein rentenbegründeter Invaliditätsgrad resultiert. Die Frage, ob die medizinischen Grundlagen genügten, um ein strukturiertes Beweisverfahren durchzuführen, muss letztinstanzlich daher nicht beantwortet werden. 
 
5.4. Auch mit dem Vorbringen, das kantonale Gericht habe sich nicht mit allen in der vorinstanzlichen Beschwerde aufgezeigten Mängeln des polydisziplinären Gutachtens auseinandergesetzt und damit das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt, vermag diese nicht durchzudringen.  
Das kantonale Gericht muss sich nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und nicht jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen; vielmehr genügt es, wenn der Entscheid die wesentlichen Faktoren hinlänglich feststellt und würdigt, sodass er gegebenenfalls sachgerecht angefochten werden kann (BGE 142 II 49 E. 9.2; 136 I 184 E. 2.2.1; 134 I 83 E. 4.1; je mit Hinweisen). Diese Anforderungen erfüllt das angefochtene Urteil. Daraus geht hervor, welche Überlegungen ihm zugrunde liegen. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist somit unbegründet. Insbesondere legt die Beschwerdeführerin auch nicht konkret dar, mit welchen Vorbringen sich die Vorinstanz in gehörsverletzender Weise nicht befasst hätte. 
 
5.5. Die Schlussfolgerung der Vorinstanz, wonach sich aus den Akten keine Hinweise für eine über den 1. August 2015 hinaus andauernde rentenbegründende Arbeitsunfähigkeit ergäben, weshalb ab dem 1. November 2015 kein rentenrelevanter Invaliditätsgrad mehr bestehe, verletzt kein Bundesrecht. Der vorinstanzliche Verzicht auf weitere Abklärungen erfolgte somit in zulässiger antizipierter Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 mit Hinweis; 124 V 90 E. 4b) und damit ohne Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes. Folglich hat das kantonale Gericht im Ergebnis bundesrechtskonform einen Rentenanspruch ab dem 1. November 2015 verneint. Die Beschwerde ist unbegründet. Insbesondere legt die Beschwerdeführerin auch nicht konkret dar, mit welchen Vorbringen sich die Vorinstanz in gehörsverletzender Weise nicht befasst hätte.  
 
6.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwalt Josef Flury wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 19. Oktober 2021 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer