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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 9/02 
 
Urteil vom 19. November 2002 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold 
 
Parteien 
Arbeitslosenkasse des Kantons Appenzell A.Rh., Regierungsgebäude, 9100 Herisau, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
T.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Hedi Mérillat-Holenstein, Postgasse 5, 9620 Lichtensteig, 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden, Trogen 
 
(Entscheid vom 19. September 2001) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Anmeldung vom 3. Februar 1996 ersuchte T.________ (geboren 1963) um Arbeitslosenentschädigung. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Appenzell Ausserrhoden (nachfolgend: Arbeitslosenkasse) lehnte sein Begehren mit Verfügung vom 1. Juli 1996 ab, da der erste Vertrag mit seinem Arbeitgeber, dem Verein X.________ (nachfolgend: Verein), vom 25. März 1995 simuliert und gestützt auf den zweiten Arbeitsvertrag vom 24. Juli 1995 die Anspruchsvoraussetzung der sechsmonatigen Beitragszeit nicht erfüllt sei. Mit Entscheid vom 1. Juli 1997 bestätigte die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Appenzell Ausserrhoden (nachfolgend: Volkswirtschaftsdirektion) diese Verfügung. Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden mit Entscheid vom 18. März 1998 ab. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hob diesen Entscheid mit Urteil vom 9. Mai 2000 (C 185/98) auf, indem es den Arbeitsvertrag vom 25. März 1995 als gültig und somit die Anspruchsvoraussetzung der sechsmonatigen Beitragszeit als erfüllt betrachtete, und wies die Sache an die Arbeitslosenkasse zurück, damit diese über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung neu verfüge. 
B. 
Die Arbeitslosenkasse setzte den versicherten Verdienst auf Fr. 0.- fest, indem sie auf den effektiv bezogenen und nicht den vertraglich vereinbarten Lohn abstellte (Verfügung vom 3. Januar 2001). Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess die Volkswirtschaftsdirektion teilweise gut und erhöhte den versicherten Verdienst auf Fr. 2832.- (Entscheid vom 20. März 2001). 
C. 
Auf Beschwerde hin setzte das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden den versicherten Verdienst auf Fr. 8750.- bzw. auf das gesetzliche Maximum von Fr. 8100.- fest (Entscheid vom 19. September 2001). 
D. 
Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und jener der Volkswirtschaftsdirektion vom 20. März 2001 zu bestätigen. 
 
T.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung. Sowohl die Volkswirtschaftsdirektion als auch das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes gemäss Art. 23 Abs. 1 AVIG ist grundsätzlich von den tatsächlichen Lohnbezügen auszugehen. Von dieser Regelung im Einzelfall abzuweichen, rechtfertigt sich nur dort, wo ein Missbrauch im Sinne der Vereinbarung fiktiver Löhne, welche in Wirklichkeit nicht zur Auszahlung gelangt sind, praktisch ausgeschlossen werden kann. Dabei fällt nicht nur die subjektive Absicht einer Gesetzesumgehung, sondern auch die unter objektivem Gesichtswinkel zu bejahende Missbrauchsgefahr in Betracht (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil V. vom 5. Juni 2002, C 180/01, Erw. 3a/aa und 3b mit Hinweisen). 
2. 
Die Vorinstanz hat den effektiv bezogenen Verdienst unter Berücksichtigung des vom Verein ausbezahlten Lohnes von insgesamt Fr. 23'000.- netto bzw. Fr. 26'147.05 brutto sowie des vom Betreibungsamt ausbezahlten Anteils an fälligen Lohnforderungen in der Höhe von Fr. 23'025.80 berechnet. Zudem verneinte sie die Missbräuchlichkeit des vertraglich vereinbarten Einkommens von Fr. 8750.-, da dieses vom damaligen Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (nachfolgend: BIGA), welches den vom Verein durchgeführten Kurs prüfte und dessen Finanzierung (vorerst) zusagte, anerkannt wurde und nur infolge der finanziellen Schwierigkeiten des Vereins (nach Rückzug der Finanzierungszusage durch das BIGA) nicht zur Auszahlung gelangte. Nachdem dieses Arbeitsentgelt über dem vorgesehenen Höchstbetrag liege, sei der versicherte Verdienst auf das gesetzliche Maximum von Fr. 8100.- festzusetzen. 
 
Die Arbeitslosenkasse rügt in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde, dass die Gefahr missbräuchlicher Absprachen des vereinbarten Lohnes gross sei, da der Versicherte die Arbeitsverträge gleichzeitig als Arbeitnehmer sowie in seiner Funktion als Vereinspräsident als Arbeitgeber zusammen mit seiner als Aktuarin fungierenden Ehefrau unterzeichnet habe. Der vereinbarte Lohn sei nie zur Auszahlung gelangt, selbst nicht in einem Zeitpunkt, als noch Aussicht auf Verwirklichung des Kurses bestanden habe. Der vorliegende Fall sei auch nicht mit dem von der Vorinstanz angeführten Urteil P. vom 31. Mai 1994 (C 14/94) zu vergleichen; denn dort habe ein langjähriges Arbeitsverhältnis bestanden, bei welchem der Lohn nie bestritten gewesen und nur infolge späterer Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zuletzt nicht mehr ausbezahlt worden sei. Die von der Vorinstanz beigezogenen Akten der beiden anderen Angestellten des Vereins seien insofern nicht vergleichbar, als es bei der dortigen Berechnung nicht um den versicherten Verdienst, sondern um die Berechnung des Anspruchs auf Insolvenzentschädigung gehe. Zudem erscheine angesichts der viel tieferen vereinbarten Löhne dieser Mitarbeiter sowie von deren fehlenden Einflussnahme auf den Verein eine Missbrauchsgefahr nicht gegeben. Auch könne entgegen der Vorinstanz die Zahlung des Betreibungsamtes nicht berücksichtigt werden, da diesem keine Befugnis zur Überprüfung der Rechtmässigkeit der Lohnforderungen zugestanden habe. 
3. 
Vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht ist nunmehr unbestritten, dass der versicherte Verdienst gemäss Entscheid der Volkswirtschaftsdirektion zumindest Fr. 2832.- beträgt; streitig ist jedoch, ob dieser nicht höher anzusetzen ist. 
4. 
4.1 Für die Ermittlung des versicherten Verdienstes ist, wie in Erw. 1 dargelegt, grundsätzlich von den tatsächlichen Lohnbezügen auszugehen. Der Begriff des versicherten Verdienstes orientiert sich dabei am massgebenden Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG (BGE 122 V 365 Erw. 4b; vgl. auch Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Basel 1998, Rz 301 ff. mit weiteren Hinweisen). Als massgebender Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt jedes Entgelt für in unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit; es gehören demnach sämtliche Bezüge des Arbeitnehmers dazu, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen (BGE 126 V 222 Erw. 4a mit Hinweisen). Dabei ist unbeachtlich, ob der Lohn vom Arbeitgeber selbst oder von einem Dritten ausbezahlt wird (vgl. etwa ZAK 1987 S. 32 Erw. 2b). In diesem Sinne stellen denn auch Konkursdividenden, welche dem Arbeitnehmer gestützt auf das Arbeitsverhältnis zufliessen, massgebenden Lohn dar (BGE 102 V 157 Erw. b; vgl. auch BGE 123 V 10 Erw. 4b und 107 V 199 Erw. 2). Im Urteil P. vom 31. Mai 1994, C 14/94, wurde lediglich festgehalten, dass die Zahlung des Konkursamtes nicht dem höheren, normalerweise bezogenen Entgelt entspreche, und auf diesen höheren, vertraglich vereinbarten Lohn abgestellt. Nach dem Gesagten gehören demnach auch Zahlungen des Betreibungs- oder Konkursamtes, welche in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis ausgerichtet werden, zum versicherten Verdienst. 
4.2 Entgegen den Ausführungen der Arbeitslosenkasse ist somit bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes nebst den vom Verein veranlassten Zahlungen auch die Abschlagszahlung des Betreibungsamtes in der Betreibung des Beschwerdegegners gegen den Verein im Rahmen der ausstehenden Löhne zu berücksichtigen. Das kantonale Gericht hat demnach zu Recht die effektiv erhaltenen Beträge von Fr. 5'326.- (= [Fr. 26'147.05 + Fr. 23'025.80] : 9.233 Monate) bei der Festsetzung des versicherten Verdienstes berücksichtigt. 
5. 
Der Vorinstanz kann hingegen nicht gefolgt werden, soweit sie den vertraglich vereinbarten Lohnanspruch als massgebend betrachtet. Zwar ist der Einwand der Arbeitslosenkasse, wonach seitens des Vereins der Versicherte sowie seine Ehefrau den Arbeitsvertrag unterzeichnet hätten, unzutreffend, da nicht dessen Ehefrau (S.________), sondern dessen Schwester (U.________) als Aktuarin des Vereins amtete. Auch führt der Beschwerdegegner richtigerweise an, dass der vertraglich vereinbarte Lohn vom BIGA im Rahmen des Kostengutspracheverfahrens nach Art. 62 ff. AVIG nicht beanstandet wurde und die Löhne der zwei übrigen Mitarbeiter lediglich Teilzeitpensen entschädigten, sich jedoch aufgerechnet auf ein Vollzeitpensum und unter Einbezug der Führungsfunktion des Versicherten in vergleichbarer Höhe bewegten. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass sich der mit dem Beschwerdegegner vereinbarte Lohn angesichts seiner Ausbildung und der bei Vertragsunterzeichnung noch nicht gesicherten Finanzierung des Kurses auf einem sehr hohen Niveau bewegt, wenn auch nicht ein Selbstkontrahieren im engeren Sinne, so doch ein Vertragsschluss unter Familienmitgliedern vorliegt, das BIGA die vom Verein vereinbarten Löhne nicht eigentlich überprüfte, sondern lediglich im Rahmen des Budgetpostens "Besoldung Kursleitung und Lehrkräfte" einen Gesamtbetrag genehmigte und das BIGA auch bereits in der Finanzierungszusage das Budget des Vereins um mehr als die Hälfte kürzte. Hinzu kommt, dass das vereinbarte Arbeitsentgelt in Abweichung vom vorinstanzlich angeführten Fall P. vom 31. Mai 1994 (C 14/94) sowie den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen (Erw. 1 hievor) nicht regelmässig und über längere Zeit zur Auszahlung gelangte und bezüglich der Lohnhöhe unter objektivem Gesichtswinkel ein Missbrauch nicht ausgeschlossen werden kann. Aus diesen Gründen hat es bei der Massgeblichkeit der effektiv ausbezahlten Lohnbetreffnisse sein Bewenden. 
6. 
6.1 Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten erweist sich daher als gegenstandslos. 
6.2 Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Arbeitslosenkasse dem Beschwerdegegner im Umfang seines Obsiegens eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
6.3 Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 135 in Verbindung mit Art. 152 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig, das Verfahren nicht vom Beschwerdegegner zu vertreten ist und die Verbeiständung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell Ausserrhoden vom 19. September 2001, der Einspracheentscheid der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 20. März 2001 und die Verfügung der Arbeitslosenkasse des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 3. Januar 2001 aufgehoben und es wird festgestellt, dass der versicherte Verdienst des Beschwerdegegners Fr. 5'326.- beträgt. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die Arbeitslosenkasse des Kantons Appenzell Ausserrhoden hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössische Versicherungsgericht eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'250.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwältin Hedi Mérillat-Holenstein für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'250.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden, der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Appenzell Ausserrhoden und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 19. November 2002 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: