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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_638/2019  
 
 
Urteil vom 20. Januar 2020  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokatin Anouck Zehntner, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 78, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Rückforderung; Arbeitslosenentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 15. August 2019 (VBE.2018.597). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1984, meldete sich am 29. November 2016 zur Arbeitsvermittlung und zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung an. Dabei gab sie an, bereit und in der Lage zu sein, eine vollzeitliche Erwerbstätigkeit auszuüben. In der Folge wurden ihr ab 1. Dezember 2016 Arbeitslosentaggelder gestützt auf eine Vermittlungsfähigkeit bei einem Vollzeitpensum ausgerichtet. 
Am 27. Oktober 2017 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung unter Verweis auf eine volle Arbeitsunfähigkeit seit 19. Mai 2016 sowie eine solche von 80 % seit 1. März 2017 zum Leistungsbezug an. Nachdem das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Aargau Kenntnis davon erlangt hatte, stellte es am 15. März 2018 eine generelle Vermittlungsfähigkeit ab 1. Dezember 2016 in einer Vollzeitstelle sowie gestützt auf den Bericht des Spitals B.________ vom 12. Dezember 2017 ab 1. März 2017 eine Arbeitsfähigkeit von 20 % fest; diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. 
Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau (nachfolgend: Arbeitslosenkasse) sprach A.________ am 8. Mai 2018 für Dezember 2016 Taggeldleistungen von 100 % zu, verneinte aber einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für Januar und Februar 2017 und bejahte einen solchen im Umfang von 20 % von 1. März bis 26. Oktober 2017. Zudem verfügte sie die Rückerstattung der für Januar bis Oktober 2017 zu viel bezahlten Leistungen von netto Fr. 23'170.70, wobei sie den Betrag von Fr. 15'480.15 bereits von weiteren Leistungen abgezogen hatte und die Verrechnung des restlichen Betrags von Fr. 7690.55 mit Folgezahlungen in Aussicht stellte. Mit Einspracheentscheid vom 7. August 2018 hielt die Arbeitslosenkasse daran fest. 
 
B.   
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 15. August 2015 teilweise gut und reduzierte die Rückerstattungsforderung auf Fr. 21'475.05. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid dahingehend abzuändern, dass ihr vom 1. März bis 26. Oktober 2017 Arbeitslosentaggelder im Umfang von 100 % auszurichten seien; zudem sei ihr für das vorinstanzliche Verfahren eine ungekürzte Parteientschädigung zuzusprechen. 
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). 
 
2.   
Vor Bundesgericht ist streitig, ob die Vorinstanz zu Recht den Anspruch der Versicherten auf Arbeitslosenentschädigung vom 31. März bis 26. Oktober 2017 verneint und die Rückerstattungspflicht im Umfang von Fr. 21'475.05 bejaht hat. Zudem ist der Anspruch auf eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren strittig. 
 
3.   
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG; Art. 15 AVIG), den Anspruch auf Leistungen in Form von Taggeldern bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit (Art. 28 Abs. 1 und 4 AVIG; BGE 135 V 185; Urteil 8C_651/2009 vom 24. März 2010, publ. in ARV 2011 S. 55) sowie die Voraussetzungen zur Rückerstattung von unrechtmässig bezogenen Arbeitslosenentschädigungen (Art. 95 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 ATSG) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Massgeblichkeit des Dispositivs einer in Rechtskraft erwachsenen Verfügung (BGE 144 V 418 E. 4.2 S. 425). Darauf wird verwiesen. 
 
4.   
Die Vorinstanz erwog, gestützt auf das Dispositiv der rechtskräftigen Verfügung vom 15. März 2018 gelte als erstellt, dass die Versicherte vom 1. Dezember 2016 bis 28. Februar 2017 vermittlungsfähig im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung und von 1. März bis 26. Oktober 2017 zu 20 % arbeitsfähig gewesen sei. Dies sei kein Widerspruch, weil gemäss Urteil 8C_651/2009 vom 24. März 2010 die Vermittlungsfähigkeit bei "Neubehinderten" bezogen auf ein Ganztagespensum unter Umständen präsumtiv auch bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit bejaht werde. Gestützt auf das Gutachten des Swiss Medical Assessment- and Business Center (SMAB), Bern, vom 26. Januar 2018 und die Beurteilung des Prof. Dr. med. C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 12. Mai 2017 sei mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Versicherte von 1. Dezember 2016 bis 28. Februar 2017 voll arbeitsfähig gewesen sei. Deshalb erfolge die Rückforderung der Leistungen für diese Zeit zu Unrecht. Angesichts der Arbeitsunfähigkeit von 80 % ab 1. März 2016 habe die Versicherte nach Art. 28 Abs. 1 AVIG Anspruch auf das volle Taggeld während 30 Tagen. Ab 31. März 2017 bestehe jedoch kein Anrecht mehr auf Leistungen, da Arbeitslose, die weniger als 50 % arbeitsfähig seien, nach Ablauf der Zeitraums nach Art. 28 Abs. 1 AVIG keinen Anspruch auf Taggelder mehr hätten (Art. 28 Abs. 4 AVIG e contrario; BGE 135 V 185 E. 9.1 S. 192). Deshalb habe die Versicherte die vom 31. März bis 26. Oktober 2017 erhaltenen Leistungen vollumfänglich zurückzuerstatten. Nach dem Gesagten sei der Einspracheentscheid vom 7. August 2018 dahingehend abzuändern, dass die Rückforderung insgesamt Fr. 21'475.05 betrage. Da die Beschwerdeführerin nur in geringfügigem Ausmass obsiege, bestehe kein Anspruch auf eine Parteientschädigung. 
 
5.   
Die Versicherte macht geltend, sie habe gestützt auf Art. 15 Abs. 2 AVIG Anspruch auf die vollen Taggelder. Zudem entscheide die Vorinstanz willkürlich, wenn sie der Formulierung von 20 % arbeitsfähig den Vorrang gegenüber der Vermittlungsfähigkeit von 100 % gebe. 
Die Versicherte übersieht, dass bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit zu unterscheiden ist zwischen vorübergehend fehlender oder verminderter Arbeitsfähigkeit nach Art. 28 AVIG und den behinderten Versicherten nach Art. 15 Abs. 2 AVIG. Massgebend ist das Merkmal der vorübergehenden Einschränkung der Leistungsfähigkeit resp. bei länger andauernder gesundheitlicher Beeinträchtigung die Vermittlungsfähigkeit (BGE 135 V 185 E. 6.1.3 S. 189; Urteil 8C_651/2009 vom 24. März 2010 E. 3.2, publ. in ARV 2011 S. 55). Angesichts der aktenkundigen ärztlichen Berichte, die für den strittigen Zeitraum von 1. Dezember 2016 bis 26. Oktober 2017 intermittierend eine (teilweise) Arbeitsunfähigkeit attestieren (vgl. dazu das Schreiben der Versicherten vom 7. Dezember 2017, wonach sie per 1. März 2017 einen Rückfall erlitten habe, und den beigelegten Bericht des Spitals B.________ vom 29. November 2017, der eine Arbeitsunfähigkeit von 80 % von 5. Juli bis 11. September 2017 sowie vom 16. Oktober 2017 bis 10. Januar 2018 bestätigte, und jener des Dr. med. D.________, vom 1. März 2017, der eine volle Arbeitsunfähigkeit von 1. bis 14. März 2017 attestierte), und den Angaben der Versicherten in den Formularen der Arbeitslosenkasse, wo sie stets eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit angab, ist mit der Vorinstanz von einer bloss vorübergehenden Leistungseinschränkung und nicht einer andauernden gesundheitlichen Beeinträchtigung auszugehen. Damit ist nicht Art. 15 AVIG einschlägig, sondern Art. 28 AVIG (vgl. zum Ganzen THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, Rz. 280 S. 2351 und Rz. 440 f. S. 2396). Der Vorinstanz ist angesichts dieser Sach- und Rechtslage auch keine Willkür oder anderweitige Bundesrechtswidrigkeit vorzuwerfen. 
Entgegen den Ausführungen der Versicherten geht die Vorinstanz nicht davon aus, dass die Verfügung vom 15. März 2018 einen Leistungsanspruch verneine. Vielmehr prüfte sie diesen unter Zugrundelegung der mit rechtskräftiger Verfügung vom 15. März 2018 vorgegebenen Parameter (generelle Vermittlungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit von 20 % ab 1. März 2017) und in Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen, namentlich Art. 28 AVIG. Mit der Begründung, wonach angesichts der massgeblichen Arbeitsfähigkeit von 20 % ab 1. März 2017 gemäss Art. 28 AVIG nur für die ersten 30 Tage des strittigen Zeitraums ein Anspruch auf Leistungen bestehe, setzt sich die Versicherte in ihrer Beschwerde aber nicht auseinander. Mangels entsprechender Rüge der Beschwerdeführerin ist auch nicht zu prüfen, ob sie angesichts der intermittierenden Arbeitsunfähigkeit nicht Anspruch auf Berücksichtigung von maximal 44 Taggeldern (Art. 28 Abs. 1 AVIG) hätte. Somit hat es beim vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden. 
 
6.   
Die Versicherte lässt rügen, ihr stehe infolge ihres teilweisen Obsiegens im kantonalen Verfahren eine volle Parteientschädigung zu. 
 
6.1. Nach Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende beschwerdeführende Person Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Diese werden vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen. Nach der Rechtsprechung wird dies nach einer materiellen Betrachtungsweise unter Zugrundelegung der gestellten Anträge beurteilt und es kann erst dann von einem Obsiegen gesprochen werden, wenn das Gericht den Entscheid zu Gunsten der beschwerdeführenden Person abgeändert hat resp. wenn sich deren Position durch den Entscheid verbessert hat (Urteil 8C_89/2019 vom 19. Juni 2019 E. 8.1 mit Hinweisen).  
 
6.2. Die Versicherte war im kantonalen Beschwerdeverfahren insoweit erfolgreich, als die Rückerstattung von Fr. 23'170.70 auf Fr. 21'475.05 reduziert wurde. Im Vergleich zum beantragten Verzicht auf jegliche Rückforderung obsiegte sie somit nur marginal, wie die Vorinstanz zutreffend erkannte. Es ist demnach nicht zu beanstanden, dass sie einen Anspruch auf eine Parteientschädigung verneinte (vgl. Urteil 8C_89/2019 vom 19. Juni 2019 E. 8.2 mit Hinweis).  
 
7.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende Versicherte hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 20. Januar 2020 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold