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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
P 18/05 
 
Urteil vom 20. Juli 2005 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Flückiger 
 
Parteien 
M.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat André Brunner, Hauptstrasse 34, 4102 Binningen, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
(Entscheid vom 4. April 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
M.________ stellte im Dezember 1999 bei der Ausgleichskasse des Kantons Bern das Gesuch um Übernahme der Kosten einer zahnärztlichen Amalgamsanierung (gemäss Kostenvoranschlag des Dr. med. dent. K.________ vom 15. und 16. Dezember 1999) im Rahmen der Ergänzungsleistungen. Er machte geltend, dieses Vorgehen sei zur Behandlung gesundheitlicher Probleme notwendig, welche wegen übermässig hoher Schwermetallbelastung im Körper (der Versicherte war mit einem Schrotgewehr angeschossen worden) entstanden seien. Nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesamts für Sozialversicherung (BSV) vom 18. August 2000 verneinte die Ausgleichskasse den Vergütungsanspruch (Verfügung vom 21. September 2000), was das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 14. November 2003 bestätigte. Es erwog, Zahnarztkosten, welche der Behandlung einer Allgemeinerkrankung dienten, könnten durch die Ergänzungsleistungen nicht übernommen werden. Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin hob das Eidgenössische Versicherungsgericht, dieser Argumentation widersprechend, mit Urteil vom 6. Mai 2004 (P 73/03; auszugsweise publiziert in BGE 130 V 185) den kantonalen Entscheid auf und wies die Sache an die Vorinstanz zurück, damit sie erneut über die Beschwerde gegen die Verfügung vom 21. September 2000 befinde. 
B. 
Das kantonale Gericht bot den Parteien Gelegenheit, sich nochmals zur Sache zu äussern. Dabei stellte sich heraus, dass M.________ die umstrittene Behandlung zwischenzeitlich im Jahr 2004 bei einem Zahnarzt im Ausland hatte vornehmen lassen und neu die Übernahme der dabei entstandenen Kosten von (umgerechnet) Fr. 2850.- verlangte. Mit Entscheid vom 4. April 2005 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde wiederum ab und verneinte damit einen Anspruch auf Übernahme der nunmehr konkret geltend gemachten Kosten. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ das Rechtsbegehren stellen, es sei die Ausgleichskasse des Kantons Bern zu verpflichten, ihm die Kosten der Amalgamsanierung in der Höhe von umgerechnet Fr. 2850.- zu erstatten; eventuell sei die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner wird um unentgeltliche Verbeiständung ersucht. 
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das BSV verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen und zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig in Form einer Verfügung Stellung genommen hat. Aus prozessökonomischen Gründen kann das Verfahren jedoch auf eine ausserhalb des Anfechtungsgegenstandes, d.h. ausserhalb des durch die Verfügung bestimmten Rechtsverhältnisses liegende spruchreife Frage ausgedehnt werden, wenn diese mit dem bisherigen Streitgegenstand derart eng zusammenhängt, dass von einer Tatbestandsgesamtheit gesprochen werden kann, und wenn sich die Verwaltung zu dieser Streitfrage mindestens in Form einer Prozesserklärung geäussert hat (BGE 122 V 36 Erw. 2a mit Hinweisen). Analog dazu ist ausnahmsweise eine Ausdehnung des Prozessthemas in zeitlicher Hinsicht - im Sinne des Einbezugs von Umständen, welche sich erst nach Verfügungserlass zugetragen haben - zulässig, wenn die zusätzlichen Sachverhaltselemente hinreichend abgeklärt und die Verfahrensrechte der Parteien respektiert worden sind (BGE 130 V 140 f. Erw. 2.1 mit Hinweisen). 
1.2 Den formellrechtlichen Anfechtungsgegenstand im kantonalen Verfahren bildete nach der Rückweisung durch das letztinstanzliche Urteil vom 6. Mai 2004 grundsätzlich weiterhin die Verfügung vom 21. September 2000, mit welcher die Ausgleichskasse des Kantons Bern einen Anspruch auf eine Amalgamsanierung mangels Zweckmässigkeit verneint hatte. Konkret zur Diskussion stand damals eine Behandlung bei Dr. med. dent. K.________, welcher die Kosten einer Amalgamsanierung auf Fr. 8339.10 geschätzt hatte. Die Frage nach einer Übernahme dieser Kosten stellt sich jedoch nicht mehr. Das kantonale Gericht hat zu Recht stattdessen den Vergütungsanspruch für die zwischenzeitlich tatsächlich durchgeführte Behandlung bei Dr. med. dent. S.________ geprüft. 
2. 
Bezügern einer jährlichen Ergänzungsleistung ist ein Anspruch auf die Vergütung von ausgewiesenen, im laufenden Jahr entstandenen Kosten für den Zahnarzt einzuräumen (Art. 3d Abs. 1 lit. a ELG). Der Bundesrat hat die ihm in Art. 3d Abs. 4 ELG übertragene Befugnis, die vergütbaren Kosten zu bezeichnen, an das Departement des Innern subdelegiert (Art. 19 Abs. 1 lit. a ELV). Dieses wiederum hat die Voraussetzungen und (gegebenenfalls) den Umfang einer Kostenübernahme in der Verordnung über die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten bei den Ergänzungsleistungen (ELKV) geregelt. Deren Art. 5 bezieht sich auf im Ausland entstandene Krankheits- und Hilfsmittelkosten. Umstritten und zu prüfen ist, ob diese Norm einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die in Prag durchgeführte Behandlung begründet. 
3. 
3.1 Gemäss Art. 5 Abs. 1 ELKV werden in der Schweiz entstandene Krankheits-, Behinderungs- und Hilfsmittelkosten vergütet. Im Ausland entstandene Kosten werden ausnahmsweise vergütet, wenn sie während eines Auslandaufenthaltes notwendig werden oder wenn die medizinisch indizierten Massnahmen nur im Ausland durchgeführt werden können (Art. 5 Abs. 2 ELKV). 
3.2 Die im Jahr 2004 im Ausland durchgeführte Amalgamsanierung war nicht während eines Auslandaufenthaltes notwendig geworden. Vielmehr hatte der Beschwerdeführer das entsprechende Leistungsgesuch bereits im Dezember 1999 gestellt. Eine Vergütung kommt demnach gemäss der zitierten Verordnungsbestimmung einzig dann in Frage, wenn die Massnahme nur im Ausland durchgeführt werden konnte. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird diesbezüglich geltend gemacht, eine Behandlung im Inland sei unmöglich gewesen, weil der Beschwerdeführer die Kosten nicht selbst habe tragen können und deren Übernahme durch die Ergänzungsleistungen wegen des seit Dezember 1999 dauernden, immer noch nicht beendeten Verwaltungs- und Beschwerdeverfahrens blockiert gewesen sei. Die Mittel für die wesentlich kostengünstigere Behandlung im Ausland habe er sich dagegen durch Aufnahme eines privaten Darlehens beschaffen können. Aus Gründen der Finanzierbarkeit sei deshalb die Durchführung der fraglichen Massnahme in der Schweiz nicht, wohl aber im Ausland möglich gewesen. 
3.3 Die Regelung gemäss Art. 5 ELKV entspricht derjenigen in andern Sozialversicherungszweigen, wonach prinzipiell das Territorialitätsprinzip gilt, während für bestimmte Konstellationen Ausnahmen vorbehalten bleiben. Deren Umschreibung stimmt inhaltlich im Wesentlichen mit derjenigen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Art. 36 Abs. 1 KVV und dazu BGE 128 V 80 f. Erw. 4b) überein. Auch wenn die EL-rechtliche Regelung im Gegensatz zu Art. 34 Abs. 2 Satz 1 KVG nicht ausdrücklich voraussetzt, dass eine Leistung "aus medizinischen Gründen" im Ausland erbracht wird, ist Art. 5 Abs. 2 ELKV mit der Vorinstanz in diesem Sinne auszulegen. Liesse man es genügen, dass die gesuchstellende Person nicht in der Lage ist, die Behandlung selbst zu finanzieren - was angesichts der finanziellen Voraussetzungen eines EL-Anspruchs eher die Regel denn die Ausnahme darstellen dürfte -, gälte das Territorialitätsprinzip nicht mehr, sobald die Beurteilung durch Verwaltung und/oder Gericht überdurchschnittlich lange dauert oder zeitliche Dringlichkeit besteht. Einen Vergütungsanspruch begründende Massnahmen im Ausland blieben damit nicht auf den relativ engen Bereich medizinisch begründeter Notwendigkeit beschränkt, sondern könnten - gerade bei Zahnbehandlungen - in einer potenziell hohen Zahl von Fällen stattfinden. Die damit verbundene Aushöhlung des Territorialitätsprinzips entspricht nicht der Konzeption von Art. 5 Abs. 2 ELKV, der die Übernahme im Ausland entstandener Kosten nur ausnahmsweise vorsieht. Zudem würde die Sicherstellung von Zweckmässigkeit und Qualität der erbrachten Leistung erschwert, welche beispielsweise dadurch erfolgt, dass die Randziffern 5037 und 5037.1 der vom BSV herausgegebenen Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL) die Behandlung durch Zahnärzte und Zahnärztinnen verlangen, welche eidgenössisch diplomiert sind oder eine kantonale Berufsausübungsbewilligung erhalten haben. Abgesehen von diesen administrativen Schwierigkeiten kann aber auch der Aussage, bei knappen finanziellen Verhältnissen sei eine Behandlung in der Schweiz ausgeschlossen, nicht beigepflichtet werden. Denn bei gegebener Bedürftigkeit hat die öffentliche Sozialhilfe die Kosten aus gesundheitlichen Gründen notwendiger Zahnbehandlungen oder anderer medizinischer Eingriffe, welche nicht durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung getragen werden, im Prinzip zumindest vorläufig (gegen Abtretung eines allfälligen Anspruchs auf Versicherungsleistungen) zu übernehmen, wenn die betroffene Person dazu nicht in der Lage ist (vgl. Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe [SKOS], Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe, 4. Auflage, April 2005, Abschnitt B.4-1 und 4-3; den Richtlinien kommt im Kanton Bern Verbindlichkeit zu [Art. 8 Abs. 1 der Verordnung über die öffentliche Sozialhilfe vom 24. Oktober 2001, BSG 860.111]). Diese Regelung ermöglicht es, eine notwendige und zeitlich dringliche Behandlung auch dann in der Schweiz durchführen zu lassen, wenn sich - wie im vorliegenden Fall geschehen - ein Rechtsmittelverfahren über den Vergütungsanspruch gegen einen Versicherungsträger aussergewöhnlich lange hinzieht. 
3.4 Wenn eine Person aus schützenswerten Gründen von einem gesetzlichen Leistungsanspruch keinen Gebrauch macht und stattdessen einen funktionell gleichen Behelf zur Erreichung desselben gesetzlichen Zieles wählt, können dessen Kosten unter Umständen über die Rechtsfigur der Austauschbefugnis (BGE 127 V 123 Erw. 2a, 120 V 285 Erw. 4a, 292 Erw. 3c; vgl. auch BGE 126 III 351 Erw. 3c; noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil S. vom 19. April 2005, H 384/00, Erw. 3) vergütet werden. Auch dieser Grundsatz ermöglicht jedoch die Übernahme der Kosten für eine im Ausland durchgeführte Behandlung nicht, wenn diese die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 2 ELKV nicht erfüllt. Denn analog zur Rechtslage in der Krankenversicherung (BGE 126 V 332 Erw. 1b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 126 III 351 Erw. 3c) kann die Berufung auf die Austauschbefugnis auch im EL-Bereich nicht dazu führen, Pflichtleistungen durch Nichtpflichtleistungen zu ersetzen, und zwar auch dann nicht, wenn diese billiger wären als die Pflichtleistungen (BGE 111 V 326 Erw. 2a; noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil S. vom 19. April 2005, H 384/00, Erw. 3.2.2). 
4. 
Das Verfahren hat Versicherungsleistungen zum Gegenstand und ist deshalb kostenlos (Art. 134 OG). Die unentgeltliche Verbeiständung (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG) kann gewährt werden, da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Advokat André M. Brunner, Binningen, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1072.80 (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 20. Juli 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: