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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_448/2024  
 
 
Urteil vom 20. August 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, Hofmann, 
nebenamtliche Bundesrichterin Schär, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Henzen, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Vollzugs- und Bewährungsdienst 
des Kantons Luzern, 
Straf- und Massnahmenvollzug, 
Murmattweg 8, 6000 Luzern 30 AAL, 
2. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Gesuch um bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 21. März 2024 
(4H 23 31 / 4U 23 18). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Mit Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 31. März 2009 wurde A.________ zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 5 Monaten und 15 Tagen verurteilt. A.________ befand sich seit dem 19. Dezember 2007 im vorzeitigen sowie in der Folge im regulären Strafvollzug. Am 23. August 2010 gelang ihm die Flucht aus dem Strafvollzug. Am 12. Juli 2018 wurde A.________ in Brasilien erneut verhaftet und am 13. September 2019 wieder in den (schweizerischen) Strafvollzug versetzt. Der Vollzugs- und Bewährungsdienst des Kantons Luzern lehnte mit Entscheiden vom 30. September 2019 und 9. April 2020 die Gesuche von A.________ um bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug ab. Am 26. Juli 2020 hatte A.________ die vom Obergericht am 31. März 2009 ausgesprochene Freiheitsstrafe vollständig verbüsst.  
 
A.b. Mit Urteil des Kriminalgerichts des Kantons Luzern vom 2. Dezember 2020 wurde A.________ zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren 6 Monaten und 15 Tagen verurteilt, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Obergerichts vom 31. März 2009. Bereits am 27. Juli 2020 war der Übertritt in den vorzeitigen Vollzug im Hinblick auf die durch das Kriminalgericht zu beurteilende Strafsache erfolgt.  
 
A.c. Mit Entscheid vom 25. März 2021 stellte der Vollzugs- und Bewährungsdienst fest, dass die vom Kriminalgericht am 2. Dezember 2020 ausgesprochene Zusatzstrafe nicht gemeinsam mit, sondern nachträglich an die am 31. März 2009 vom Obergericht ausgesprochene Strafe vollzogen werde. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel wies das Kantonsgericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 18. August 2021 ab. Auf eine dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen trat das Bundesgericht mangels aktuellen Rechtsschutzinteresses mit Urteil 6B_1145/2021 vom 4. Juli 2022 nicht ein.  
 
B.  
 
B.a. Am 11. Juli 2023 stellte A.________ ein Gesuch um bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug per 5. November 2023. Nachdem A.________ angehört und ihm das rechtliche Gehör gewährt worden war, wies der Vollzugs- und Bewährungsdienst mit Entscheid vom 21. September 2023 das Gesuch ab.  
 
B.b. Gegen den Entscheid vom 21. September 2023 erhob A.________ am 5. Oktober 2023 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Kantonsgericht. Mit Urteil vom 21. März 2024 wies das Kantonsgericht die Beschwerde ab und stellte fest, dass das Beschleunigungsgebot im Sinne von Art. 5 Ziff. 4 EMRK verletzt worden war.  
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 15. April 2024 gelangt A.________ an das Bundesgericht. Er beantragt die vollumfängliche Aufhebung des Urteils vom 21. März 2024. Ihm sei rückwirkend auf den 5. November 2023 die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug zu gewähren. Die mit Urteil des Kriminalgerichts vom 2. Dezember 2020 ausgesprochene Zusatzstrafe sei gemeinsam mit der Grundstrafe zu vollziehen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege unter Verbeiständung durch Rechtsanwalt Christoph Henzen. 
Es wurden die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die vorinstanzlich bestätigte Abweisung seines Gesuchs um bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug. Umstritten ist somit eine Frage des Vollzugs von Strafen im Sinne von Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG (vgl. auch Urteil 7B_243/2023 vom 14. November 2023 E. 1). Das form- (Art. 42 BGG) und fristgerecht (Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereichte Rechtsmittel richtet sich gegen ein letztinstanzliches kantonales Urteil (Art. 80 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer ist zur Erhebung der Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde in Strafsachen ist somit einzutreten. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV
 
2.1. Der Beschwerdeführer trägt vor, er habe im vorinstanzlichen Verfahren beantragt, dass je ein Amtsbericht bei der Staatsanwaltschaft sowie beim Kriminalgericht Luzern einzuholen sei. Der Leitende Staatsanwalt sowie die für den Entscheid vom 2. Dezember 2020 zuständige Gerichtspräsidentin hätten mündlich ausgeführt, dass bei der Beurteilung der beiden Strafverfahren von einer Gesamtstrafe von 12 Jahren ausgegangen werde, damit die Zweidrittelsregelung der bedingten Entlassung nach 8 Jahren greife. Nach Auffassung des Beschwerdeführers liesse sich mit den Amtsberichten nachweisen, dass sich die beiden Personen entsprechend geäussert hätten.  
 
2.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV räumt der betroffenen Person unter anderem einen Beweisführungsanspruch ein. Aus Art. 29 Abs. 2 BV resultiert aber kein genereller Anspruch auf eine Beweisabnahme, wenn eine Behörde aufgrund der bereits abgenommenen oder aktenkundigen Beweise ihre Überzeugung gebildet hat und in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass ihre Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde. Diese antizipierte Beweiswürdigung prüft das Bundesgericht nur unter dem Aspekt der Willkür (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 147 IV 534 E. 2.5.1; 146 III 7.3 E. 5.2.2; 144 II 427 E. 3.1.3; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Für die vorliegend zu klärende Frage, ob der Beschwerdeführer bedingt aus dem Strafvollzug zu entlassen ist, wird gemäss Art. 86 Abs. 1 StGB vorausgesetzt, dass sein Verhalten im Strafvollzug die Entlassung rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen (vgl. auch E. 3.2 hiernach). Die Vorinstanz erwägt vor diesem Hintergrund zutreffend, dass die Möglichkeit einer (späteren) bedingten Entlassung auf die Frage der Strafzumessung keinen Einfluss hat. Vielmehr hängt die Prüfung des Gesuchs um bedingte Entlassung massgeblich vom Verhalten der verurteilten Person im Strafvollzug ab. Entsprechend ist für die vorliegende Angelegenheit nicht entscheidrelevant, wie sich der Leitende Staatsanwalt und die Gerichtspräsidentin zur Strafe und deren Zusammensetzung mündlich geäussert haben.  
 
2.4. Die Vorinstanz hat demnach die Anträge um Einholung eines Amtsberichts bei der Staatsanwaltschaft sowie beim Kriminalgericht zu Recht abgewiesen. Eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV liegt nicht vor. Auch ist weder hinreichend dargetan noch ersichtlich, inwiefern in diesem Zusammenhang der Beizug weiterer Akten erforderlich gewesen wäre.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer wendet sich in der Sache gegen die Verweigerung der bedingten Entlassung gemäss Art. 86 StGB. Mit Blick auf Art. 4 f. der Verordnung vom 19. September 2006 zum Strafgesetzbuch und zum Militärstrafgesetz (V-StGB-MStG; SR 311.01) beanstandet er eine Verletzung des Legalitätsprinzips gemäss Art. 5 Abs. 1 BV sowie die bundesrechtswidrige Anwendung der Verordnungsbestimmungen. 
 
3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, in einem ersten Strafverfahren sei er vom Obergericht mit Urteil vom 31. März 2009 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 5 Monaten und 15 Tagen verurteilt worden. In einem zweiten Strafverfahren habe ihn das Kriminalgericht mit Urteil vom 2. Dezember 2020 zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren 6 Monaten und 15 Tagen verurteilt, als teilweise Zusatzstrafe zum ersten Strafurteil. Die Vorinstanz stelle für die Berechnung des frühestmöglichen Termins für die bedingte Entlassung lediglich auf die Zusatzstrafe ab. Nach Auffassung des Beschwerdeführers sind für die Berechnung des frühestmöglichen Termins der bedingten Entlassung die Grund- und die Zusatzstrafe zusammenzurechnen und ist auf die Gesamtstrafe abzustellen. Die Vorinstanz, so der Beschwerdeführer weiter, wende Art. 4 f. V-StGB-MStG e contratrio an. Dieser Verordnungsbestimmung fehle es indes an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage, zumal es sich bei einer Freiheitsstrafe um einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit nach Art. 10 BV handle.  
 
3.2. Gemäss Art. 86 Abs. 1 StGB ist die sich im Freiheitsentzug befindende Person nach Verbüssung von zwei Drittel der Strafe bedingt zu entlassen, wenn es ihr Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, sie werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen.  
 
3.2.1. Die bedingte Entlassung stellt die Regel und die Verweigerung die Ausnahme dar. In dieser letzten Stufe des Strafvollzugs soll der Entlassene den Umgang mit der Freiheit erlernen. Diesem rein spezialpräventiven Zweck stehen die Schutzbedürfnisse der Allgemeinheit gegenüber, welchen umso höheres Gewicht beizumessen ist, je hochwertiger die gefährdeten Rechtsgüter sind. Die Prognose über das künftige Wohlverhalten ist in einer Gesamtwürdigung zu erstellen, welche nebst dem Vorleben, der Persönlichkeit und dem Verhalten des Täters während des Strafvollzugs vor allem dessen neuere Einstellung zu seinen Taten, seine allfällige Besserung und die nach der Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnisse berücksichtigt (BGE 133 IV 201 E. 2.3; Urteile 7B_243/2023 vom 14. November 2023 E. 3.2.1; 7B_280/2023 vom 15. August 2023 E. 2.2.1).  
Die zuständige Behörde prüft gemäss Art. 86 Abs. 2 StGB von Amtes wegen, ob der Gefangene bedingt entlassen werden kann. Sie holt einen Bericht der Anstaltsleitung ein und hört den Gefangenen an. Beim Entscheid über die bedingte Entlassung steht der zuständigen Behörde ein Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift in die Beurteilung der Bewährungsaussicht nur ein, wenn sie ihr Ermessen über- oder unterschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat (BGE 133 IV 201 E. 2.3; Urteile 7B_243/2023 vom 14. November 2023 E. 3.2.3; 7B_280/2023 vom 15. August 2023 E. 2.2.1). 
 
3.2.2. Treffen Freiheitsstrafen im Vollzug zusammen, so sind sie gemäss Art. 4 V-StGB-MStG gemeinsam entsprechend ihrer Gesamtdauer nach den Artikeln 76-79 StGB zu vollziehen. Bei gleichzeitig vollziehbaren zeitlich beschränkten Freiheitsstrafen berechnet sich der früheste Zeitpunkt der bedingten Entlassung aufgrund der Gesamtdauer der Freiheitsstrafen (vgl. Art. 5 Abs. 1 V-StGB-MStG).  
Art. 4 und Art. 5 V-StGB-MStG regeln praktische Probleme, die sich ergeben können, wenn mehrere Freiheitsstrafen gleichzeitig vollziehbar sind. Indem sie vorsehen, dass die Gesamtdauer der Freiheitsstrafen massgebend ist, verhindern sie namentlich, dass die verurteilte Person für eine erste Strafe Anspruch auf Halbgefangenschaft nach Art. 77b StGB oder auf bedingte Entlassung nach Art. 86 Abs. 1 StGB hat, für die zweite Strafe jedoch nicht. Der klare Wortlaut von Art. 4 f. V-StGB-MStG verlangt, dass gleichzeitig (mehrere) rechtskräftig beurteilte Strafen vollzogen werden. Nicht ausreichend ist, dass sich die beschuldigte Person in irgendeiner Form in Haft befindet. Art. 4 und Art. 5 V-StGB-MStG kommen somit erst zum Tragen, wenn in den betreffenden Strafverfahren Strafurteile gefällt wurden, die in Rechtskraft erwachsen sind. Eine Kumulation kann somit erst vorgenommen werden, wenn mehrere rechtskräftig beurteilte Freiheitsstrafen gleichzeitig zu vollziehen sind (vgl. Urteil 6B_440/2012 vom 14. Dezember 2012 E. 2.2.1 f.). 
 
3.3. Zunächst ist der Einwand des Beschwerdeführers zu prüfen, wonach Art. 4 f. V-StGB-MStG vor dem Legalitätsprinzip nicht standhalte (sogenannte vorfrageweise Normenkontrolle).  
 
3.3.1. Bei Art. 4 f. V-StGB-MStG handelt es sich um gesetzesvertretende Verordnungsbestimmungen, mit denen der Verordnungsgeber das Gesetzesrecht ergänzt (vgl. BGE 115 IV 4 E. 5; 113 IV 8 E. 4b; vgl. auch Urteil 1B_56/2007 vom 15. Mai 2007 E. 3.4). Dies ist zulässig, soweit das Gesetz den Verordnungsgeber hierzu ermächtigt. Denn Grundlage und Schranke des staatlichen Handelns ist das Recht (vgl. Art. 5 Abs. 1 BV).  
Das Legalitätsprinzip in seiner allgemeinen Bedeutung nach Art. 5 Abs. 1 BV besagt, dass ein staatlicher Akt sich auf eine materiell-gesetzliche Grundlage stützen muss, die hinreichend bestimmt und vom staatsrechtlich hierfür zuständigen Organ erlassen worden ist. Er dient damit einerseits dem demokratischen Anliegen der Sicherung der staatsrechtlichen Zuständigkeitsordnung, andererseits dem rechtsstaatlichen Anliegen der Rechtsgleichheit, Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit staatlichen Handelns (vgl. BGE 141 II 169 E. 3.1; 130 I 1 E. 3.1; 128 I 113 E. 3c; Urteil 6B_702/2016 vom 19. Januar 2017 E. 2.2). 
Räumt die gesetzliche Delegationsnorm dem Bundesrat einen sehr weiten Spielraum für die inhaltliche Ausgestaltung der unselbständigen Rechtsverordnung ein, ist dieser Gestaltungsbereich für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden verbindlich (vgl. Art. 190 BV). Das Bundesgericht setzt bei der Überprüfung der Verordnung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Bundesrates, sondern beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Verordnung den Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich überschreitet oder aus anderen Gründen gesetzes- oder verfassungswidrig ist (vgl. BGE 144 II 454 E. 3.3; 141 II 169 E. 3.4; 139 II 460 E. 2.2 f.). 
 
3.3.2. In formeller Hinsicht ist die staatsrechtliche Zuständigkeitsordnung beim Erlass von Art. 4 f. V-StGB-MStG eingehalten. Gemäss Art. 387 Abs. 1 lit. a StGB ist der Bundesrat befugt, nach Anhörung der Kantone Bestimmungen über den Vollzug von Gesamtstrafen, Zusatzstrafen und mehreren gleichzeitig vollziehbaren Einzelstrafen und Massnahmen zu erlassen. Auf diese (formell-gesetzliche) Delegationsnorm nimmt der Ingress der Verordnung vom 19. September 2006 zum Strafgesetzbuch und zum Militärstrafgesetz denn auch Bezug.  
Auch in materieller Hinsicht hat der Bundesrat seine Bindung an die Delegationsnorm mit Rücksicht auf ihren Wortlaut, ihre Tragweite sowie den Sinn und Zweck gewahrt: Während sich Art. 4 V-StGB-MStG zu gleichzeitig vollziehbaren Freiheitsstrafen im Allgemeinen äussert, regelt Art. 5 V-StGB-MStG die bedingte Entlassung bei gleichzeitig vollziehbaren Freiheitsstrafen. Damit konkretisiert der Bundesrat in den Art. 4 f. V-StGB-MStG inhaltlich den Vollzug von mehreren gleichzeitig vollziehbaren Einzelstrafen, so wie dies die Delegationsnorm explizit vorsieht (vgl. Art. 387 Abs. 1 lit. a StGB). Nicht zu folgen ist dem Beschwerdeführer, wenn er vorträgt, die Verordnungsbestimmungen würden den Freiheitsentzug im Sinne von Art. 31 BV an sich regeln. 
 
3.3.3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers halten die Regelungen in Art. 4 f. V-StGB-MStG dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit von Art. 5 Abs. 1 BV ohne Weiteres stand.  
 
3.4. Die Frage, ob und wie Art. 4 f. V-StGB-MStG in der vorliegenden Angelegenheit zum Tragen kommen, betrifft alsdann nicht mehr die soeben vorgenommene (vorfrageweise) Geltungskontrolle, sondern die Anwendungskontrolle im konkreten Einzelfall.  
 
3.4.1. In tatsächlicher Hinsicht ist vorliegend unbestritten, dass der Beschwerdeführer den Vollzug der mit Urteil des Obergerichts vom 31. März 2009 rechtskräftig ausgesprochenen Strafe (aus dem ersten Strafverfahren) am 31. März 2009 antrat. Nachdem dem Beschwerdeführer am 23. August 2010 die Flucht aus dem Strafvollzug gelungen war, konnte er am 12. Juli 2018 gefasst und zwecks Vollzugs der Strafe aus dem ersten Strafverfahren wieder in Haft genommen werden. Am 26. Juli 2020 hatte der Beschwerdeführer die Freiheitsstrafe aus dem ersten Strafverfahren vollständig verbüsst. Anschliessend erfolgte zwar am 27. Juli 2020 der Übertritt in den vorzeitigen Strafvollzug des zweiten Strafverfahrens. Das zweite Strafverfahren wurde aber erst mit Urteil des Kriminalgerichts vom 2. Dezember 2020 rechtskräftig abgeschlossen.  
 
3.4.2. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können Art. 4 f. V-StGB-MStG nur zum Tragen kommen, wenn die Strafverfahren, aus denen sich gleichzeitig vollziehbare Freiheitsstrafen ergeben, rechtskräftig abgeschlossen sind. Vor dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gilt eine Freiheitsstrafe nicht als "vollziehbar" im Sinne von Art. 4 und Art. 5 V-StGB-MStG. Eine Kumulation respektive eine Berechnung aufgrund der Gesamtdauer der Freiheitsstrafen kann somit erst vorgenommen werden, wenn mehrere rechtskräftige beurteilte Freiheitsstrafen zu vollziehen sind (vgl. zum Ganzen E. 3.2.2 hiervor).  
In der vorliegenden Angelegenheit ist die Strafe des zweiten Strafverfahrens erst mit Rechtskraft des Urteils vom 2. Dezember 2020 vollziehbar geworden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beschwerdeführer die Strafe aus dem ersten Strafverfahren am 26. Juli 2020 bereits vollständig verbüsst. Wenn der Beschwerdeführer daher verlangt, die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug sei gemäss Art. 5 Abs. 1 V-StGB-MStG auf Grundlage der Gesamtdauer der (beiden) Freiheitsstrafen zu berechnen, ist ihm nach dem Gesagten nicht zu folgen. Daran vermag nichts zu ändern, dass der Aufenthalt in der Auslieferungshaft in Brasilien formal an die erste Strafe angerechnet wurde, obwohl die Auslieferung mit Blick auf das zweite Strafverfahren ersucht wurde. 
 
3.4.3. Im Übrigen wird der Beschwerdeführer aufgrund der Regelungen zu den gleichzeitig vollziehbaren Freiheitsstrafen auf Verordnungsstufe auch nicht benachteiligt oder einer willkürlichen zeitlichen Zufälligkeit ausgesetzt. Sofern der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung gemäss Art. 86 Abs. 1 StGB erfüllt, hat er für jede Einzelstrafe die Möglichkeit, nach Verbüssung von zwei Drittel der Freiheitsstrafe bedingt entlassen zu werden. Dies ergibt in der Summe dieselbe Strafvollzugsdauer, wie wenn der früheste Zeitpunkt der bedingten Entlassung aufgrund der Gesamtdauer der Freiheitsstrafen berechnet wird.  
Demgegenüber hat der Beschwerdeführer in der vorliegenden Angelegenheit angesichts seiner Flucht aus dem Strafvollzug die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung aus dem Vollzug der Strafe des ersten Strafverfahrens offenkundig nicht erfüllt. Entsprechend hat der Vollzugs- und Bewährungsdienst die damaligen Gesuche um bedingte Entlassung vom 30. September 2019 und 9. April 2020 abgewiesen (vgl. Sachverhalt A.a). Im Ergebnis versucht der Beschwerdeführer somit, die bereits abgewiesenen Gesuche um bedingte Entlassung aus dem Vollzug der (ersten) Grundstrafe infrage zu stellen und im Rahmen des Vollzugs der (zweiten) Zusatzstrafe nachträglich die bedingte Entlassung zu erwirken. 
Der Beschwerdeführer lässt überdies ausser Acht, dass die bedingte Entlassung gestützt auf die in der formell-gesetzlichen Grundlage von Art. 86 Abs. 1 StGB genannten Voraussetzungen zu beurteilen ist, unabhängig davon, ob Einzelstrafen oder mehrere gleichzeitig vollziehbare Freiheitsstrafen vorliegen. Das Vollzugsverhalten (Flucht) des Beschwerdeführers wäre auch bei einer Beurteilung der bedingten Entlassung aufgrund der Gesamtstrafe, so wie es der Beschwerdeführer verlangt, zu berücksichtigen gewesen. Eine Entlassung nach 8 Jahren stünde diesfalls von vornherein nicht zur Diskussion. 
 
3.5. Vorliegend waren nicht gleichzeitig mehrere rechtskräftig beurteilte Freiheitsstrafen zu vollziehen. Die Voraussetzungen für den gemeinsamen Vollzug der Grund- und der Zusatzstrafe im Sinne von Art. 4 f. V-StGB-MStG lagen somit nicht vor. Die Vorinstanz hat das Gesuch um bedingte Entlassung daher zu Recht nur aufgrund der Zusatzstrafe beurteilt. In diesem Vorgehen ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch kein Ermessensmissbrauch oder überspitzter Formalismus zu erkennen, zumal der Vorinstanz im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für die Beantwortung der vorliegenden Frage kein Ermessensspielraum zukommt. Nach dem Dargelegten spielt es auch keine Rolle, ob eine Gesamtstrafe nach Art. 49 StGB ausgefällt wurde. Art. 49 StGB ist für die Beurteilung der bedingten Entlassung nicht von Relevanz.  
 
4.  
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Treu und Glauben nach Art. 9 BV
 
4.1. Der Beschwerdeführer führt aus, ein Mitarbeiter des Vollzugs- und Bewährungsdienstes habe dem Leitenden Staatsanwalt mitgeteilt, dass es "nicht darauf ankomme, [...], da die Zweidrittelsentlassung schlussendlich auf die Gesamtstrafe zu prüfen sei". Der Leitende Staatsanwalt habe die Auskunft des Mitarbeiters unverändert an den Beschwerdeführer weitergeleitet, der aufgrund dieser Auskunft nachteilige Dispositionen getroffen habe.  
 
4.2. Der in Art. 9 BV verankerte Grundsatz von Treu und Glauben verleiht einer Person Anspruch auf den Schutz des berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden, sofern sich dieses auf eine konkrete, die betreffende Person berührende Angelegenheit bezieht. Vorausgesetzt ist im Weiteren, dass die Person, die sich auf den Vertrauensschutz beruft, berechtigterweise auf diese Grundlage hat vertrauen dürfen und gestützt darauf nachteilige Dispositionen getroffen hat, die sie nicht mehr rückgängig machen kann. Ausserdem scheitert die Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben dann, wenn ihr überwiegende öffentliche Interessen gegenüberstehen (vgl. BGE 137 I 69 E. 2.5.1; 129 I 161 E. 4.1).  
 
4.3. Es erscheint zumindest fraglich, ob die Auskunft des Mitarbeiters des Vollzugs- und Bewährungsdienstes gegenüber dem Leitenden Staatsanwalt eine Vertrauensgrundlage darstellt, die sich an den Beschwerdeführer richtet und auf die dieser deshalb berechtigterweise hat vertrauen dürfen. Darüber hinaus fehlt es der Auskunft am zusichernden Charakter: Der Mitarbeiter trifft keinen Entscheid über den Zeitpunkt der bedingten Entlassung, sondern weist klar darauf hin, dass die "Zweidrittelsentlassung [...] zu prüfen sei". Der Hinweis auf eine noch durchzuführende Prüfung steht im Widerspruch zur vom Beschwerdeführer erkannten Zusicherung. Im Weiteren behauptet der Beschwerdeführer zwar ausführlich, worin seine nachteiligen Dispositionen bestünden. Er lässt dabei allerdings ausser Acht, dass ihm - wie bereits dargelegt (vgl. E. 3.4.3 hiervor) - kein Nachteil durch den Umstand entsteht, dass die beiden Freiheitsstrafen nicht zusammen (als Gesamtstrafe) vollzogen werden. Vielmehr hat er die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung aus dem Vollzug der Strafe des ersten Strafvollzugs nicht erfüllt, sodass es auf die Auskunft von vornherein nicht ankommt. Eine Verletzung von Art. 9 BV liegt demnach nicht vor.  
 
5.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Begehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. August 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler