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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_447/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 20. September 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Josef Flury, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Departement Gesundheit und Soziales, Abteilung Gesundheit, Bachstrasse 15, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 9. Mai 2017 (VBE.2017.52). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1971 geborene A.________ wohnt seit dem 4. Oktober 2008 in der Schweiz. Er ist bei der deutschen B.________-Krankenversicherung AG (nachfolgend: B.________) versichert, wobei der Versicherungsschutz auch in der Schweiz gilt. Im Dezember 2015 ersuchte er um Befreiung von der Versicherungspflicht nach KVG. Das aargauische Departement Gesundheit und Soziales (nachfolgend: Departement) wies das Gesuch mit Verfügung vom 22. September 2016 ab; gleichzeitig verpflichtete es A.________, sich innert 30 Tagen bei einer schweizerischen Krankenkasse zu versichern. Daran hielt es mit Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2016 fest. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 9. Mai 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 9. Mai 2017 und des Einspracheentscheids vom 20. Dezember 2016 sei er von der Versicherungspflicht in der Schweiz zu befreien; eventuell sei die Sache zur weiteren Sachverhaltsabklärung an das Departement zurückzuweisen. Ferner ersucht er um aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Grundsätzlich muss sich jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz innert drei Monaten nach der Wohnsitznahme in der Schweiz für Krankenpflege versichern lassen (Art. 3 Abs. 1 KVG). Der Bundesrat kann indessen Ausnahmen von der Versicherungspflicht vorsehen (Art. 3 Abs. 2 KVG). Nach Art. 2 Abs. 8 KVV sind insbesondere Personen, für welche eine Unterstellung unter die schweizerische Versicherung eine klare Verschlechterung des bisherigen Versicherungsschutzes oder der bisherigen Kostendeckung zur Folge hätte und die sich auf Grund ihres Alters und/oder ihres Gesundheitszustandes nicht oder nur zu kaum tragbaren Bedingungen im bisherigen Umfang zusatzversichern könnten, auf Gesuch hin von der Versicherungspflicht ausgenommen. Dem Gesuch ist eine schriftliche Bestätigung der zuständigen ausländischen Stelle mit allen erforderlichen Angaben beizulegen.  
 
2.2. Angesichts der restriktiven Vorgaben des Gesetzes zum Versicherungsobligatorium liegt in der Regel keine klare Verschlechterung des bisherigen Versicherungsschutzes oder der bisherigen Kostendeckung im Sinne von Art. 2 Abs. 8 KVV vor, wenn die bestehende Versicherung Pflegekosten nicht so deckt, dass auch die Leistungen gemäss Art. 25a sowie Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG und Art. 7 KLV (zumindest annähernd) gewährleistet sind (Urteile 9C_8/2017 vom 20. Juni 2017 E. 2.2 und 4.2; 9C_858/2016 vom 20. Juni 2017 E. 2.2 und 4.3).  
 
2.3. Die Frage, ob eine Person auf Grund ihres Alters und/oder ihres Gesundheitszustandes nicht oder nur zu kaum tragbaren Bedingungen eine Zusatzversicherung im bisherigen Umfang abschliessen könnte, ist eine Tatfrage. Ob eine Verschlechterung des bisherigen Versicherungsschutzes oder der bisherigen Kostendeckung hinreichend erheblich ist, um eine Befreiung von der Versicherungspflicht zu rechtfertigen, und unter welchen Gesichtspunkten dies zu beantworten ist, sind hingegen vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfragen (SVR 2012 KV Nr. 6 S. 18, 9C_510/2011 E. 2.3; Urteile 9C_8/2017 vom 20. Juni 2017 E. 2.3; 9C_858/2016 vom 20. Juni 2017 E. 2.3).  
 
3.   
Die Vorinstanz hat erwogen, für den Aufenthalt in einem Pflegeheim bestehe eine erhebliche Differenz zwischen den Leistungen nach KVG und jenen des deutschen Privatversicherers. Dieser richte lediglich ein Pflegegeld von jährlich EUR 8'736.- aus; dass der Versicherte zusätzlich Anspruch habe auf einen Betrag von jährlich bis zu EUR 24'060.-, sei nicht nachgewiesen. Für andere Behandlungen bestehe Versicherungsdeckung mindestens nach den gesetzlichen Tarifen in Deutschland; sie sei aber auf die "vereinbarten Tarife" limitiert, während gleichzeitig der Tarifschutz gemäss Art. 44 KVG fehle. Somit müsse der Beschwerdeführer im Versicherungsfall möglicherweise wesentlich höhere Kosten selber tragen, als wenn er nach KVG versichert wäre. Diese Nachteile würden von den Vorteilen der deutschen Versicherung - die im Wesentlichen Erholungskuren beträfen - nicht aufgewogen. Somit könne bei Unterstellung des Beschwerdeführers unter die schweizerische Versicherung nicht von einer klaren Verschlechterung des bisherigen Versicherungsschutzes oder der bisherigen Kostendeckung im Sinne von Art. 2 Abs. 8 KVV gesprochen werden. Folglich hat sie eine Ausnahme von der Versicherungspflicht verneint. 
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer erblickt eine "Voreingenommenheit" darin, dass stets die gleiche Person das Verwaltungsverfahren geführt, die Verfügung vom 22. September 2016 und den Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2016 erlassen und im Beschwerdeverfahren eine Stellungnahme abgegeben habe. Daraus kann er nichts für sich ableiten: Abgesehen davon, dass dieser Umstand grundsätzlich keinen Ausstandsgrund darstellt (vgl. Art. 36 Abs. 1 i.V.m. Art. 52 Abs. 1 ATSG; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 16 zu Art. 36 ATSG), bildet nicht das Verhalten der Verwaltung resp. ihrer Mitarbeiterin, sondern der vorinstanzliche Entscheid Anfechtungsobjekt im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG; Urteil 9C_447/2011 vom 21. Juli 2011 E. 4.1.3), weshalb auf die entsprechenden Rügen nicht weiter einzugehen ist.  
 
4.2. Dass § 5 lit. b der allgemeinen Versicherungsbedingungen der B.________ auch für Leistungen der Langzeitpflege gelten soll, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Sodann ist der Vorinstanz beizupflichten, dass nicht dem KVG unterstellte Personen nicht vom Tarifschutz nach Art. 44 KVG profitieren, weshalb Leistungserbringer ihnen gegenüber nicht an die (tarif-) vertraglich oder behördlich festgelegten Tarife und Preise gebunden sind.  
 
4.3. Es wird nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich, dass die vorinstanzlichen Feststellungen betreffend die Höhe der Versicherungsleistungen, welche die B.________ bei Langzeitpflege ausrichtet, offensichtlich unrichtig sein oder auf eine Rechtsverletzung beruhen sollen. Sie bleiben daher für das Bundesgericht verbindlich (E. 1). Mit der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nach KVG sind nicht nur Leistungen der Akut- und Übergangspflege (im Anschluss an einen Spitalaufenthalt), sondern auch solche der Langzeitpflege (ambulant oder im Pflegeheim) abgedeckt (vgl. Art. 25a KVG), und zwar zusätzlich zu den allgemeinen Leistungen bei Krankheit gemäss Art. 25 KVG (Urteil 9C_858/2016 vom 20. Juni 2017 E. 4.4). Auch wenn für die Langzeitpflege nebst dem Pflegegeld von jährlich EUR 8'736.- ein Betrag von jährlich EUR 24'060.- fällig würde, werden dadurch die im schweizerischen Obligatorium vorgesehenen Leistungen bei weitem nicht gedeckt (vgl. zu den Kosten Art. 25a Abs. 5 KVG und Art. 7a KLV; vgl. auch Urteile 9C_8/2017 vom 20. Juni 2017 E. 4.3; 9C_858/2016 vom 20. Juni 2017 E. 4.5). In diesem Zusammenhang kann daher nicht von einer Verletzung der Abklärungspflicht (vgl. Art. 61 lit c ATSG; im Verwaltungsverfahren Art. 43 Abs. 1 ATSG) gesprochen werden.  
 
4.4. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers genügt für eine Ausnahme von der Versicherungspflicht nach Art. 2 Abs. 8 KVG nicht jede Verschlechterung des bisherigen Versicherungsschutzes; vielmehr ist  insgesamteine  klare Verschlechterung erforderlich. Auch wenn aufgrund eines Rückenleidens der bisherige Versicherungsschutz nur begrenzt mit einer Zusatzversicherung kompensiert werden kann, ist die ungenügende Deckung für Pflegekosten höher zu gewichten (Urteile 9C_8/2017 vom 20. Juni 2017 E. 4.5; 9C_858/2016 vom 20. Juni 2017 E. 4.6). Daran ändert nichts, dass der "Vorzustand auch in Deutschland künftig nicht mehr versicherbar" wäre, zumal der Beschwerdeführer nicht geltend macht, in absehbarer Zeit wieder nach Deutschland zu ziehen. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
5.   
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos. 
 
6.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 20. September 2017 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann