Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
4A_410/2020
Urteil vom 20. Oktober 2020
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Niquille,
Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiber Leemann.
Verfahrensbeteiligte
A.________ GmbH,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Weidmann, Beschwerdeführerin,
gegen
Obergericht des Kantons Zug, I. Zivilabteilung, Beschwerdegegner,
1. B.________,
vertreten durch Rechtsanwälte Daniel Staffelbach und Antonio Carbonara,
2. C.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Philip R. Bornhauser, Verfahrensbeteiligte.
Gegenstand
Rechtsverweigerung, Rechtsverzögerung,
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zug, I. Zivilabteilung,
vom 18. Juni 2020 (Z1 2020 5, Z1 2020 9).
Sachverhalt:
A.
B.________, U.________, (Kläger, Berufungsbeklagter, Verfahrensbeteiligter 1) klagte am 28. Januar 2016 beim Kantonsgericht Zug gegen die A.________ GmbH, U.________, (Beklagte 1, Berufungsklägerin 1, Beschwerdeführerin) und C.________, U.________, (Beklagter 2, Berufungskläger 2, Verfahrensbeteiligter 2) auf Zahlung von Fr. 9'268'483.12 zuzüglich Verzugszins.
Mit Entscheid vom 18. Dezember 2019 verurteilte das Kantonsgericht die Beklagte 1 zur Zahlung von Fr. 9'268'483.12 zuzüglich Zins. Soweit sich die Klage gegen den Beklagten 2 richtete, enthält das Urteilsdispositiv keine Anordnungen.
B.
Mit separaten Eingaben erhoben die Beklagte 1 und der Beklagte 2 in der Folge beim Obergericht des Kantons Zug Berufung gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Zug vom 18. Dezember 2019. Das Obergericht eröffnete zwei Berufungsverfahren (Z1 2020 9 betreffend die Beklagte 1 und Z1 2020 5 betreffend den Beklagten 2).
Die Beklagte 1 beantragte in ihrer Berufung in erster Linie, es sei der Entscheid des Kantonsgerichts Zug vom 18. Dezember 2019 aufzuheben und es sei ein Rückweisungsentscheid mit der Auflage zu erlassen, dass das erstinstanzliche Verfahren vor Kantonsgericht in neuer Zusammensetzung, ohne die Mitwirkung zweier Kantonsrichter, zu wiederholen sei (Antrags-Ziffer 1). Eventualiter stellte sie Anträge in der Sache (Antrags-Ziffern 2-7).
Mit Präsidialverfügung vom 28. Februar 2020 beschränkte das Obergericht das Berufungsverfahren Z1 2020 9 einstweilen auf Ziffer 1 der von der Beklagten 1 gestellten Berufungsbegehren.
Der Kläger reichte am 4. Mai und 12. Juni 2020 seine Berufungsantworten ein, wobei er insbesondere geltend machte, auf die Berufungen der sich in notwendiger Streitgenossenschaft befindenden Beklagten sei mangels eines gemeinsamen Vorgehens nicht einzutreten.
Mit Präsidialverfügung vom 18. Juni 2020 vereinigte das Obergericht die Berufungsverfahren Z1 2020 9 und Z1 2020 5 (Dispositiv-Ziffer 1) und hob die im Verfahren Z1 2020 9 mit Verfügung vom 28. Februar 2020 einstweilen angeordnete Beschränkung des Verfahrens auf Ziffer 1 der von der Beklagten 1 gestellten Berufungsbegehren auf (Dispositiv-Ziffer 2). Weiter stellte das Obergericht den Parteien verschiedene Dokumente zu (Dispositiv-Ziffer 3) und setzte den Beklagten Frist zur Einreichung einer Berufungsreplik an (Dispositiv-Ziffer 4).
Das Obergericht führte zur Begründung unter anderem aus, dass über Antrags-Ziffer 1 der Berufung der Beklagten 1 erst dann zu befinden sei, wenn auf die Berufung eingetreten werden könne. Es sei daher nicht angezeigt, das Verfahren auf einzelne Fragen oder Rechtsbegehren zu beschränken, sei doch zum einen die Beantwortung der Frage, ob auf die Berufung einzutreten sei, unmittelbar mit dem anwendbaren materiellen Recht verknüpft und sei zum anderen nicht zu erwarten, dass mit einer vorläufigen Beschränkung auf die Ausstandsproblematik ein erheblicher Zeitaufwand vermieden werde. Unter den gegebenen Umständen erscheine es als prozessökonomischer, über sämtliche sich stellenden Fragen in einem einzigen, abschliessenden Entscheid zu befinden.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beklagte 1 dem Bundesgericht, es sei die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zug vom 18. Juni 2020 aufzuheben und es sei das Obergericht anzuweisen, im Verfahren Z1 2020 9 in einem Vor- oder Zwischenentscheid über Rechtsbegehren Ziffer 1 der Berufung zu entscheiden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt sie, es sei der Beschwerde hinsichtlich Dispositiv-Ziffer 1 (Verfahrensvereinigung), Ziffer 2 (Aufhebung der Verfahrensbeschränkung) und Ziffer 4 (Fristansetzung zur Einreichung der Berufungsreplik) der angefochtenen Verfügung aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Mit Eingabe vom 27. August 2020 erklärte der Beschwerdegegner, keine Einwände gegen das Gesuch um aufschiebende Wirkung zu erheben. Der Verfahrensbeteiligte 2 erklärte mit Eingabe vom 15. September 2020, er sei mit der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich Dispositiv-Ziffer 1 einverstanden; im Übrigen verzichte er auf eine Stellungnahme zum Gesuch. Der Verfahrensbeteiligte 1 beantragte mit Stellungnahme vom 22. September 2020, das Gesuch um aufschiebende Wirkung sei abzuweisen. Zu diesen Eingaben äusserte sich die Beschwerdeführerin in einer weiteren Eingabe vom 28. September 2020.
Auf die Einholung von Beschwerdeantworten wurde verzichtet.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 141 III 395 E. 2.1).
1.1. Gegen selbständig eröffnete Zwischenentscheide, mit denen weder über die Zuständigkeit noch über Ausstandsbegehren entschieden wurde (vgl. Art. 92 BGG), ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Der nicht wieder gutzumachende Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss ein Nachteil rechtlicher Natur sein, der auch durch einen späteren günstigen Endentscheid nicht oder nicht gänzlich beseitigt werden kann, wogegen rein tatsächliche Nachteile wie die Verfahrensverlängerung oder -verteuerung nicht ausreichen (BGE 144 III 475 E. 1.2 S. 479; 142 III 798 E. 2.2 S. 801; 141 III 80 E. 1.2; je mit Hinweisen).
Die selbständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden bildet aus prozessökonomischen Gründen eine Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll (BGE 144 III 475 E. 1.2 S. 479; 142 III 798 E. 2.2 S. 801; 141 III 80 E. 1.2 S. 81). Diese Ausnahme ist restriktiv zu handhaben (BGE 144 III 475 E. 1.2; 138 III 94 E. 2.2 S. 95). Dabei obliegt es der beschwerdeführenden Partei darzutun, dass die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Anfechtbarkeit eines Zwischenentscheids erfüllt sind, soweit deren Vorliegen nicht offensichtlich in die Augen springt (BGE 142 III 798 E. 2.2 S. 801; 141 III 80 E. 1.2 S. 81; 138 III 46 E. 1.2 S. 47; 137 III 324 E. 1.1 S. 328 f.; 133 III 629 E. 2.3.1).
1.2. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, inwiefern die Voraussetzungen nach Art. 93 BGG für die Anfechtung der Präsidialverfügung vom 18. Juni 2020 erfüllt sein sollen; ebenso wenig springt offensichtlich ins Auge, dass diese gegeben wären. Die Beschwerdeführerin bringt vielmehr unter Berufung auf Art. 94 BGG vor, in der angefochtenen Verfügung werde zu Unrecht ein selbständig anfechtbarer Vor- oder Zwischenentscheid verweigert; zudem liege eine Rechtsverzögerung vor. Diese Rüge ist zulässig.
Auf die Beschwerde gegen den angefochtenen Zwischenentscheid ist demnach einzig insoweit einzutreten, als damit ein unrechtmässiges Verweigern oder Verzögern eines anfechtbaren Entscheids geltend gemacht wird (Art. 94 BGG).
1.3. Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht gilt eine qualifizierte Rügepflicht. Das Bundesgericht prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
2.
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung vor, indem sie sich weigerte, das Verfahren zunächst auf die Frage des Ausstands zu beschränken und darüber vorab in einem anfechtbaren Entscheid zu befinden.
2.1. Eine Rechtsverweigerung liegt vor, wenn es eine Behörde ausdrücklich ablehnt, eine Entscheidung zu treffen, obwohl sie dazu verpflichtet ist (BGE 124 V 130 E. 4 S. 133 mit Hinweisen). Um eine - ebenfalls gegen Art. 29 Abs. 1 BV verstossende - Rechtsverzögerung handelt es sich dagegen, wenn sich die zuständige Behörde zwar bereit zeigt, einen Entscheid zu treffen, diesen aber nicht binnen der Frist fällt, die nach der Natur der Sache und nach der Gesamtheit der übrigen Umstände als angemessen erscheint. Dabei ist es für die Rechtsuchenden unerheblich, auf welche Gründe - beispielsweise auf ein Fehlverhalten der Behörde oder auf andere Umstände - die Rechtsverzögerung zurückzuführen ist; entscheidend ist ausschliesslich, dass die Behörde nicht fristgerecht handelt (BGE 107 Ib 160 E. 3b S. 164; Urteil 4A_321/2018 vom 25. Juli 2018 mit Hinweisen).
2.2. Die Beschwerdeführerin bringt zu Unrecht vor, sie habe gestützt auf Art. 50 ZPO einen Anspruch darauf, dass die Vorinstanz über das Ausstandsbegehren unmittelbar in Form eines anfechtbaren Zwischenentscheids entscheide, wobei ein Zuwarten bis zum Endentscheid unzulässig sei. Sie verkennt mit ihren Ausführungen offensichtlich den Anwendungsbereich der erwähnten Bestimmung: Sie macht im Berufungsverfahren nicht etwa Ausstandsgründe gegen Gerichtspersonen der Rechtsmittelinstanz - also des Obergerichts - geltend, sondern beruft sich vielmehr darauf, zwei Richter der Erstinstanz - also des Kantonsgerichts - seien befangen gewesen und hätten in den Ausstand treten müssen. Die von der Beschwerdeführerin in ihrer Berufungsschrift gerügte Missachtung von Ausstandsgründen (vgl. Art. 47 ZPO) bildet demnach - neben weiteren Punkten - Gegenstand des Berufungsverfahrens. Art. 50 ZPO gewährt jedoch offensichtlich keinen Anspruch darauf, dass im Rahmen des Berufungsverfahrens vorab über die in der Berufung gerügte Verletzung von Ausstandsvorschriften entschieden wird. Ein Anspruch auf separate Entscheidungen über einzelne Fragen, die Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bilden, lässt sich daraus nicht ableiten.
Der Vorwurf der Rechtsverweigerung ist unbegründet.
2.3. Steht der Beschwerdeführerin kein Anspruch darauf zu, dass im Rechtsmittelverfahren in einem separaten Entscheid über die in der Berufung gerügte Verletzung von Ausstandsvorschriften entschieden wird, lässt sich auch der Vorwurf der Rechtsverzögerung nicht damit begründen, eine Beschränkung des Verfahrens auf diese Frage hätte zu einer rascheren Erledigung geführt bzw. die Weigerung der Verfahrensbeschränkung führte zu einer Verzögerung. Dass der Vorinstanz in sonstiger Weise eine ungerechtfertigte Verzögerung vorzuwerfen wäre, indem sie ihren Entscheid über die Berufung nicht innert der nach den Umständen gebotenen Frist fällen würde, wird in der Beschwerde nicht aufgezeigt.
Die Rüge der Rechtsverzögerung erweist sich ebenfalls als offensichtlich unbegründet.
3.
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
Die Beschwerdeführerin wird bei diesem Ausgang des Verfahrens kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdegegner und den Verfahrensbeteiligten wird keine Parteientschädigung zugesprochen ( Art. 68 Abs. 2 und 3 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und den Verfahrensbeteiligten schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. Oktober 2020
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Kiss
Der Gerichtsschreiber: Leemann