Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4D_77/2012 
 
Urteil vom 20. November 2012 
I. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin, 
Bundesrichter Corboz, Bundesrichterin Kiss, 
Gerichtsschreiberin Reitze. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Lars Dubach, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
X.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Grass, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Zulässigkeit des Rechtsmittels, 
 
Verfassungsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer, vom 27. Juni 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die Gesellschaft X.________ AG (Verwalterin, Klägerin, Beschwerdegegnerin) verwaltet die im Miteigentum von A.________ und B.________ (Eigentümer, Beklagte, Beschwerdeführer) befindliche Liegenschaft an der Y.________strasse in Z.________. Nach Erstellung der Schlussabrechnung für die Verwaltung der genannten Liegenschaft, führte die Verwalterin irrtümlicherweise eine Zahlung an die Eigentümer doppelt aus. 
 
Die Eigentümer verweigern die Rückerstattung dieser Doppelzahlung und machen eine Verrechnungsforderung geltend. 
 
B. 
B.a Am 5. April 2011 reichte die Verwalterin beim Regionalgericht Bern-Mittelland Klage gegen die Eigentümer ein, mit dem im Laufe des Verfahrens abgeänderten Begehren, die Eigentümer seien unter solidarischer Haftbarkeit zu verurteilen, ihr einen Betrag von Fr. 10'312.47 nebst Zins zu 5 % seit dem 26. März 2009 zu bezahlen. 
 
Die Eigentümer beantragten demgegenüber, der Verwalterin seien maximal Fr. 1'998.37 zuzusprechen; soweit weitergehend sei die Klage abzuweisen. 
Mit Entscheid vom 15. März 2012 hiess das Regionalgericht Bern-Mittelland die Klage teilweise gut und verurteilte die Beklagten unter solidarischer Haftbarkeit, der Klägerin einen Betrag von Fr. 10'312.47 nebst 5 % seit dem 31. März 2009 zu bezahlen und auferlegte ihnen die Gerichts- und Parteikosten. 
B.b Gegen diesen Entscheid erhoben die Beklagten Berufung an das Obergericht des Kantons Bern. Dieses trat mit Entscheid vom 27. Juni 2012 nicht auf die Berufung ein. 
 
C. 
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragen die Beklagten dem Bundesgericht, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 27. Juni 2012 sei aufzuheben und die Angelegenheit sei zur Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. 
 
Die Klägerin beantragt auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 417 E. 1 S. 417 mit Hinweisen). 
 
1.2 Die Beschwerde hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 117 i.V.m. Art. 107 Abs. 2 BGG), ist grundsätzlich ein materieller Antrag erforderlich. Hat die Vorinstanz hingegen - wie vorliegend - einen Nichteintretensentscheid gefällt und demnach die Sache materiell nicht beurteilt, so kann das Bundesgericht im Falle der Gutheissung der Beschwerde nicht reformatorisch entscheiden, sondern müsste die Angelegenheit zum Entscheid in der Sache an die Vorinstanz zurückweisen. Ein materieller Antrag ist daher in solchen Fällen nicht erforderlich (Urteil 4A_330/2008 vom 27. Januar 2010 E. 2.1 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 136 III 102; Urteil 4A_516/2010 vom 2. Dezember 2010 E. 1.2). Der Antrag der Beschwerdeführer, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen, ist daher zulässig. 
 
1.3 Der angefochtene Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern ist ein verfahrensabschliessender Endentscheid (Art. 117 i.V.m. Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 114 i.V.m. Art. 75 Abs. 1 BGG). Der Streitwert erreicht die erforderliche Streitwertgrenze von Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG nicht, weshalb die Beschwerde in Zivilsachen im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Die erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde erweist sich demnach als das zulässige Rechtsmittel (Art. 113 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde - unter Vorbehalt einer rechtsgenüglichen Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG) - einzutreten. 
 
2. 
Mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde kann nur die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden (Art. 116 BGG). Die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten muss in der Beschwerde vorgebracht und begründet werden (Art. 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeführer müssen angeben, welches verfassungsmässige Recht verletzt wurde, und substanziiert darlegen, worin die Verletzung besteht. Das Bundesgericht kann die Verletzung eines Grundrechts nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde klar und detailliert erhoben und soweit möglich belegt ist (BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen). Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein. Soweit die Beschwerdeschrift diesen Begründungsanforderungen nicht genügt, ist darauf nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 245 f.). 
 
3. 
Anlass zum vorliegenden Verfahren bildet die Zulässigkeit der von den Beschwerdeführern an das Obergericht des Kantons Bern erhobenen Berufung vom 30. April 2012. 
 
Die Vorinstanz ist mit dem angefochtenem Entscheid nicht auf die Berufung der Beschwerdeführer eingetreten. Sie hat erwogen, dass der massgebliche Streitwert nach Art. 308 Abs. 2 ZPO nicht erreicht sei, weshalb gegen den erstinstanzlichen Entscheid keine Berufung habe erhoben werden können. Der Streitwert bestimme sich nach den zuletzt aufrechterhaltenen Rechtsbegehren resp. nach dem, was zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils noch streitig war; die Beschwerdegegnerin habe Fr. 10'312.47 eingeklagt, was die Beschwerdeführer im Umfang von Fr. 1'998.37 anerkannt hätten. Deshalb sei im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Entscheids nur noch ein Betrag in der Höhe von Fr. 8'314.10 streitig gewesen, womit die Streitwertgrenze nach Art. 308 Abs. 2 ZPO nicht erreicht sei. So könne die Rechtsmitteleingabe die ausdrücklich als "Berufung" betitelt worden sei auch nicht als Beschwerde entgegengenommen werden. Von einer lediglich falschen Bezeichnung des Rechtsmittels könne keine Rede sein. Es sei einer rechtsmittelführenden Partei zuzumuten, sich über die Abgrenzung der beiden Hauptrechtsmittel zu erkundigen und es sei nicht Aufgabe des Gerichts auf dem Wege der Auslegung der Rechtsmittelerklärung, das erhobene Rechtsmittel als ein anderes, zulässiges Rechtsmittel zu interpretieren. Eine Konversion der Berufung in eine Beschwerde nach Art. 320 ZPO würde dazu führen, dass die Berufungsinstanz Sachverhaltsrügen prüfen müsste, welche die Beschwerdeführer nicht geltend gemacht haben. 
 
Die Beschwerdeführer würden keinen Vertrauensschutz geniessen, weshalb ihnen aus der falschen Rechtsmittelbelehrung des Regionalgerichts kein Nachteil erwachsen sei; ihr Rechtsvertreter habe erkennen können, dass die Berufung gegen den erstinstanzlichen Entscheid nicht möglich gewesen sei, weshalb nicht darauf eingetreten werden könne. 
 
4. 
Die Beschwerdeführer rügen in erster Linie eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs. Sie bringen vor, die Vorinstanz begründe nur, weshalb sie nicht auf die Berufung eingetreten sei. Dem angefochtenen Entscheid lasse sich jedoch keine Begründung entnehmen, weshalb die Vorinstanz auf ihre gleichzeitig mit ihrer Berufung vom 30. April 2012 erhobene Kostenbeschwerde nicht habe eintreten können. Gestützt auf Art. 29 Abs. 2 BV hätten sie einen Anspruch darauf, dass die Vorinstanz begründe, weshalb sie nicht auf ihre Kostenbeschwerde habe eintreten können, und einen Anspruch darauf, dass ihre Anträge zum Kostenpunkt von der Vorinstanz geprüft würden. 
 
4.1 Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) folgt unter anderem die grundsätzliche Pflicht der Behörden, die rechtserheblichen Vorbringen der Parteien anzuhören und bei der Entscheidfindung zu berücksichtigen (BGE 124 I 241 E. 2 S. 242). Damit sich die Parteien ein Bild über die Erwägungen des Gerichts machen können, ist sein Entscheid zu begründen. Die Begründung muss kurz die Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die sich sein Entscheid stützt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich der Entscheid mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinander setzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Es genügt, wenn der Entscheid gegebenenfalls sachgerecht angefochten werden kann (BGE 136 I 184 E. 2.2.1 S. 188; 130 II 530 E. 4.3 S. 540; 129 I 232 E. 3.2 S. 236; 126 I 97 E. 2b S. 102 f., je mit Hinweisen). 
 
4.2 Die Beschwerdeführer machen zu Recht geltend, dass sich aus der Begründung der Vorinstanz nicht ergibt, weshalb nicht auf ihre gleichzeitig mit der Berufung eingereichte Kostenbeschwerde eingetreten werden konnte. Die Vorinstanz hätte zu der Kostenbeschwerde Stellung nehmen und zumindest begründen müssen, weshalb sie auch darauf nicht eintrat; die diesbezüglich vollständig fehlende Begründung kommt einer Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV gleich. 
 
5. 
Die Beschwerdeführer rügen sodann eine Verletzung von Art. 9 BV. Nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung dürfe einer Partei aus einer falschen Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen; von einem Anwalt dürfe nicht verlangt werden, dass er nebst dem Gesetzestext auch die dazugehörige Rechtsprechung und Literatur konsultiere um die Fehlerhaftigkeit einer Rechtsmittelbelehrung zu erkennen. Auch die Vorinstanz habe die falsche Rechtsmittelbelehrung der ersten Instanz nur nach Konsultation der einschlägigen Literatur erkennen können, weshalb das Vertrauen der Beschwerdeführer in die Rechtsmittelbelehrung des Regionalgerichts zu schützen sei. 
 
5.1 Aus dem Prinzip von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) leitet die Rechtsprechung ein Recht auf Vertrauensschutz ab. Daraus ergibt sich, dass den Parteien aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich keine Nachteile erwachsen dürfen. Den erwähnten Schutz kann eine Prozesspartei nur dann beanspruchen, wenn sie sich nach Treu und Glauben auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte. Dies trifft auf die Partei nicht zu, welche die Unrichtigkeit erkannte oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen. Allerdings vermag nur eine grobe prozessuale Unsorgfalt der betroffenen Partei oder ihres Anwalts eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen (BGE 135 III 374 E. 1.2.2.1 S. 376 mit Hinweisen). Wann der Prozesspartei eine als grob zu wertende Unsorgfalt vorzuwerfen ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen und nach ihren Rechtskenntnissen, wobei bei Anwälten naturgemäss ein strengerer Massstab anzulegen ist. Von ihnen wird jedenfalls eine "Grobkontrolle" der Rechtsmittelbelehrung durch Konsultierung der anwendbaren Verfahrensbestimmungen erwartet. Dagegen wird nicht verlangt, dass neben den Gesetzestexten auch noch die einschlägige Rechtsprechung oder Literatur nachgeschlagen wird (BGE 138 I 49 E. 8.3.2 S. 53 f. mit Hinweisen). 
 
5.2 Die Beschwerdeführer resp. ihr Rechtsvertreter hätte bei gehöriger Sorgfalt mit einem Blick auf Art. 308 Abs. 2 ZPO erkennen können, dass in vermögensrechtlichen Angelegenheiten die Berufung nur zulässig ist, wenn der Streitwert der zuletzt aufrechterhaltenen Rechtsbegehren mindestens Fr. 10'000.-- beträgt. Sie selber haben im erstinstanzlichen Verfahren die Klage der Beschwerdegegnerin im Umfang von Fr. 1'998.37 anerkannt. Es muss einem praktizierenden Anwalt ohne weiteres bewusst sein, dass sich der Streitwert mit einer teilweisen Klageanerkennung dementsprechend reduziert bzw. dass insoweit kein aufrechterhaltenes Rechtsbegehren mehr vorliegt. Dafür muss weder Literatur noch Rechtsprechung herangezogen werden. Eine Verletzung des Vertrauensschutzes ist weder dargetan noch ersichtlich. 
 
6. 
Der Entscheid der Vorinstanz hält nach dem Gesagten einer Überprüfung teilweise nicht stand. Entsprechend ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde teilweise gutzuheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 27. Juni 2012 ist aufzuheben und die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese sich zur Kostenbeschwerde äussert. 
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wir die Beschwerdegegnerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 27. Juni 2012 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen zurückgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 20. November 2012 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Klett 
 
Die Gerichtsschreiberin: Reitze