Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_499/2024
Urteil vom 20. November 2024
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Denys, Rüedi,
Gerichtsschreiber Matt.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Camill Droll,
Beschwerdeführer,
gegen
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, 5001 Aarau,
2. Eidgenössische Spielbankenkommission ESBK, Eigerplatz 1, 3003 Bern,
Beschwerdegegnerinnen.
Gegenstand
Widerhandlung gegen das Geldspielgesetz,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 7. Mai 2024 (SST.2023.202).
Sachverhalt:
A.
A.________ wird vorgeworfen, zwischen dem 1. Januar 2017 und 3. September 2019 im Gasthof B.________ ohne Konzession die Tischgeräte U23415 und U23417 mit diversen Spielbankenspielen angeboten zu haben.
B.
Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte A.________ am 7. Mai 2024 wegen Durchführung von Spielbankenspielen ohne Konzession (Dispositiv-Ziffer 2). Es auferlegte ihm eine bedingte Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 140.-- (Dispositiv-Ziffer 3) und verpflichtete ihn zu einer Ersatzforderung von Fr. 180'000.-- (Dispositiv-Ziffer 4). Es ordnete an, dass die beschlagnahmten Tischgeräte U23415 und U23417 einschliesslich Zubehör zur Durchführung eines separaten Einziehungsverfahrens bei der ESBK verbleiben (Dispositiv-Ziffer 5.1), während die beschlagnahmten Daten ab dem Mobiltelefon [U23414] und die diversen Notizzettel [U23416] nach Rechtskraft des Urteils an A.________ zurückgegeben werden (Dispositiv-Ziffer 5.2). Den Kasseninhalt der beiden Tischgeräte von Fr. 20.-- [U23415] und Fr. 4'180.-- [U23417] sowie den Inhalt einer Geldkassette von Fr. 3'140.-- zog es ein (Dispositiv-Ziffer 5.3). Schliesslich regelte es die Kosten- und Entschädigungsfolgen (Dispositiv-Ziffer 6.1-6-4) und stellte eine Verletzung des Beschleunigungsgebots fest (Dispositiv-Ziffer 1).
C.
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde ist zu begründen, wobei anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern dieser Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGG). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür in der Sachverhaltsfeststellung bestehen qualifizierte Rügeanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG).
1.2. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG ; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid geradezu unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). Für die Willkürrüge gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG ). Es genügt nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 148 V 366 E. 3.3; 137 II 353 E. 5.1 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1; 205 E. 2.6; 146 IV 88 E. 1.3.1). Dem Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel kommt im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung zu (BGE 148 IV 409 E. 2.2; 146 IV 88 E. 1.3.1).
2.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Verurteilung wegen Durchführung von Spielbankenspielen ohne Konzession gemäss Art. 130 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 29. September 2017 über Geldspiele (Geldspielgesetz, BGS; SR 935.51). Das Geldspielgesetz wurde in der Volksabstimmung vom 10. Juni 2018 angenommen und fasst das bisherige Spielbankengesetz und das Lotteriegesetz zusammen. Es trat am 1. Januar 2019 in Kraft. Die Anwendbarkeit des Geldspielgesetzes ist unbestritten.
3.
3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 300 Abs. 1 lit. StPO. Die ESBK habe ein Verfahren eröffnet, nachdem ihr am 18. Dezember 2018 ein anonymes Schreiben zugegangen sei. Nach Erhalt des Schreibens habe sie die Kantonspolizei Aargau telefonisch beauftragt, Abklärungen im Gasthof B.________ vorzunehmen. Dies ergebe sich aus einem E-Mail-Austausch zwischen Mitarbeitenden der Kantonspolizei und der ESBK. Die Kantonspolizei habe den Auftrag am 4. April 2019 und 4. Mai 2019 unter Umgehung des Formzwangs von Art. 2 Abs. 2 StPO ausgeführt und damit unzulässige Zwangsmassnahmen ergriffen. Art. 48 VStrR und Art. 141 StPO seien verletzt, weil die Hausdurchsuchung vom 3. September 2019 rechtswidrig erfolgt sei. Er sei daher mangels verwertbarer Beweise freizusprechen.
3.2.
3.2.1. Bei Widerhandlungen im Zusammenhang mit den Spielbankenspielen und bei Hinterziehung der Spielbankenabgabe ist das VStrR anwendbar (Art. 134 Abs. 1 BGS). Ist die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen, so findet das VStrR Anwendung (Art. 1 VStrR). Auch nach dem Inkrafttreten der StPO und des StBOG am 1. Januar 2011 bleibt das VStrR auf Fälle der Bundesgerichtsbarkeit in Verwaltungsstrafsachen weiterhin anwendbar. Das VStrR wurde durch die StPO (Anhang 1 Ziff. II/11) und das StBOG (Anhang Ziff. II/9) teilweise geändert. Die Bestimmungen der StPO sind im Verwaltungsstrafverfahren nur insoweit ergänzend oder sinngemäss anwendbar, als das VStrR dies ausdrücklich festlegt. Soweit das VStrR einzelne Fragen nicht abschliessend regelt, sind sie grundsätzlich analog anwendbar. Die allgemeinen strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Grundsätze sind auch im Verwaltungsstrafverfahren zu berücksichtigen (BGE 139 IV 246 E. 1.2, E. 3.2; Urteile 6B_594/2022 vom 9. August 2023 E. 4.2.1; 6B_928/2020 vom 6. September 2021 E. 3.3.3; je mit Hinweisen).
3.2.2. Ermittlungen der Polizei richten sich grundsätzlich nach der StPO. Vorermittlungen dagegen fallen unter das Polizeirecht. Die Grenze zwischen polizeirechtlicher und strafprozessualer Tätigkeit verläuft in der Praxis fliessend, und eine klare Trennung ist nicht immer möglich. Das entscheidende Abgrenzungskriterium für die Anwendbarkeit der StPO ist der strafprozessuale Anfangsverdacht (BGE 146 I 11 E. 4.1; Urteil 6B_1136/2021 vom 7. November 2022 E. 4.4.2 mit Hinweisen). Übt die Polizei im Rahmen ihrer vom Gesetzgeber zugewiesenen Kernaufgaben zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor dem Vorliegen eines konkreten Tatverdachts und ohne Auftrag seitens der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts Tätigkeiten im Bereich der Verbrechensverhütung aus, handelt es sich dabei um sogenannte polizeiliche Vorermittlungen. Diese sind unterhalb der Schwelle des strafprozessualen Tatverdachts durchaus möglich. Solche polizeiliche Vorermittlungen werden nicht von den Bestimmungen der StPO zum Vorverfahren nach Art. 299 ff. StPO erfasst, sondern unterstehen dem kantonalen Polizeirecht (Urteil 6B_1136/2021 vom 7. November 2022 E. 4.4.2 mit Hinweisen). Typisch ist solches Handeln, wenn die Polizei Meldungen aus der Bevölkerung über verdächtige Wahrnehmungen nachgeht (BGE 140 I 353 E. 6.1). Vorermittlungen bezwecken, einen Sachverhalt so abzuklären, dass entschieden werden kann, ob ein Ermittlungsverfahren gemäss Art. 306 StPO zu eröffnen ist (vgl. statt vieler: GALELLA/RHYNER, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Schweizerische Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung, 3. Auflage 2023, N. 9 zu Art. 306 StPO).
3.3.
3.3.1. Die Vorinstanz erwägt, am 4. April 2019 habe die Kantonspolizei den Gasthof B.________ betreten, nachdem die ESBK ein anonymes Schreiben erhalten habe, wonach sich dort Glücksspielautomaten befänden. Die Polizisten hätten festgestellt, dass die Gäste an mehreren Geräten spielten. Am 4. Mai 2019 habe eine Nachtpatrouille die gleichen Beobachtungen gemacht. Am 3. September 2019 habe die ESBK mit Unterstützung der Kantonspolizei Aargau eine Hausdurchsuchung durchgeführt.
3.3.2. Die Vorinstanz verneint einen hinreichenden Tatverdacht, weil das anonyme Schreiben nicht erheblich und konkreter Natur gewesen sei. Sie verweist zutreffend auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach blosse Gerüchte oder Vermutungen für die Eröffnung einer Strafuntersuchung nicht genügen. Der Anfangsverdacht soll eine plausible Tatsachengrundlage haben, aus der sich die konkrete Möglichkeit der Begehung einer Straftat ergibt (Urteil 6B_178/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 2.2.2 mit Hinweisen).
3.3.3. Die Vorinstanz betont, dass dem Hinweis im anonymen Schreiben dennoch nachgegangen werden musste, um abzuklären, ob allenfalls eine Strafuntersuchung zu eröffnen ist. Dies gelte unabhängig davon, ob die Kantonspolizei das anonyme Schreiben selbst erhalten oder durch die ESBK davon erfahren habe. Zudem könne das Sekretariat der ESBK als verfolgende Behörde (vgl. Art. 20 Abs. 1 VStrR i.V.m Art. 134 Abs. 2 BGS) wie eine Staatsanwaltschaft die Akten für ergänzende Ermittlungen an die Polizei überweisen, wenn der Tatverdacht nicht hinreichend erscheine.
3.3.4. Bezogen auf den konkreten Fall hält die Vorinstanz fest, die Vorermittlung der Polizei vom 4. April 2019 richte sich nach der Polizeigesetzgebung. § 35 Abs. 1 der damals gültigen Fassung des Polizeigesetzes des Kantons Aargau (PolG; SAR 531.200) erlaube der Polizei die (präventive) Observation an öffentlichen oder allgemein zugänglichen Orten, wenn dies zur Verhinderung oder Aufdeckung von Straftaten dient und andere Massnahmen weniger Erfolg versprechen oder erschwert wären. Der Gasthof B.________ sei zweifellos ein allgemein zugänglicher Ort. Entsprechend habe die Kantonspolizei das Lokal zu Vorermittlungen betreten dürfen. Im Rahmen ihrer verwaltungsrechtlichen Aufgaben habe die Kantonspolizei den Gasthof B.________ ohnehin betreten dürfen (§ 4 Abs. 2 lit. d PolG i.V.m. § 4 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 Polizeidekret [PolD; SAR 531.210]).
3.3.5. So gelangt die Vorinstanz zum Schluss, dass die Vorermittlung der Polizei vom 4. April 2019 auf Polizeirecht und damit auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgt sei. Erst danach habe sich der Verdacht erhärtet, der im anonymen Schreiben an die ESBK geäussert worden sei. Darauf sei am 3. September 2019 die Hausdurchsuchung im Gasthof B.________ durchgeführt worden. Diesbezüglich liege ein schriftlicher Durchsuchungsbefehl des Direktors der ESBK vor (Art. 48 Abs. 3 VStrR). Aufgrund der Feststellungen der Polizei habe ein genügend hinreichender Tatverdacht bestanden, wonach im Gasthof B.________ illegales Glücksspiel angeboten werde. Die Hausdurchsuchung sei daher keine unzulässige "fishing expedition" gewesen. Dass am 4. Mai 2019 eine Nachtpatrouille ein Foto des Innern des Gasthofs B.________ geschossen habe, sei für die Hausdurchsuchung irrelevant, da sich der hinreichende Tatverdacht bereits aus den Erkenntnissen der polizeilichen Vorermittlung vom 4. April 2019 ergeben habe und nicht auf die Erkenntnisse der Nachtpatrouille abgestellt worden sei.
3.3.6. Mit dieser Begründung gelangte die Vorinstanz zum zutreffenden Schluss, dass keine unrechtmässige Zwangsmassnahme vorliegt, die ein Beweisverwertungsverbot gemäss Art. 141 StPO nach sich ziehen würde. Folgerichtig verwertete sie die Beweise der Hausdurchsuchung und deren Folgebeweise.
3.4. Im Sinne einer Eventualbegründung hielt die Vorinstanz fest, die Hausdurchsuchung vom 3. September 2019 wäre selbst dann rechtmässig erfolgt, wenn das anonyme Schreiben einen hinreichenden Tatverdacht gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO begründet hätte. Denn diesfalls hätte gleichzeitig auch ein hinreichender Tatverdacht für die Hausdurchsuchung bestanden (Art. 48 Abs. 1 VStrR; vgl. auch Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO). Demnach seien die Beweise so oder anders verwertbar.
3.5. Bei diesem Ergebnis verzichtete die Vorinstanz zu Recht auf die vom Beschwerdeführer beantragte Befragung der am E-Mail-Verkehr beteiligten Mitarbeitenden der Kantonspolizei und der ESBK. Denn in der Tat waren keine relevanten Aussagen zur Frage der Rechtmässigkeit der Hausdurchsuchung zu erwarten.
4.
Der Beschwerdeführer begründet den beantragten Freispruch mit der Unverwertbarkeit sämtlicher Beweise. Nach dem Gesagten sind die Beweise aber verwertbar.
Die vorinstanzliche Subsumtion des Sachverhalts unter den Straftatbestand von Art. 130 Abs. 1 lit. a BGS greift der Beschwerdeführer nicht an, weshalb auf die diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden kann. Wie bereits vor Vorinstanz äussert sich der Beschwerdeführer nicht zur Strafzumessung und zur Ersatzforderung. Gegen die Einziehung der Vermögenswerte von insgesamt Fr. 7'340.-- opponiert er vor Bundesgericht auch nicht mehr. Auf die entsprechenden Erwägungen der Vorinstanz kann verwiesen werden.
5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. November 2024
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Der Gerichtsschreiber: Matt