Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_389/2024
Urteil vom 20. November 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiber Jancar.
Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Advokat Nicolai Fullin,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Unfallversicherung (Valideneinkommen; Invalidenrente),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 29. November 2023 (UV.2023.37).
Sachverhalt:
A.
A.a. Der 1982 geborene A.________ schloss die Lehre als Maurer ab. Weil ihm diese Arbeit aufgrund einer Gefässkrankheit (Morbus Raynaud) nicht mehr zumutbar war, gewährte ihm die IV- Stelle Basel-Stadt eine vom 21. September 2009 bis 31. Oktober 2011 dauernde Umschulung zum Hauswart. Der Versicherte beendete diese Ausbildung ohne Abschlussprüfung. Seit 27. Mai 2013 war er bei der B.________ GmbH als Bauhilfsarbeiter angestellt und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch unfallversichert. Am 23. August 2013 erlitt er bei einem Motorradunfall ein Polytrauma. Die Suva kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Mit Verfügung vom 19. Dezember 2017 sprach sie dem Versicherten eine Integritätsentschädigung von 20 % zu.
A.b. Am 3. Juli 2018 erlitt der Versicherte eine mediale Meniskushinterhornwurzel-Ruptur links. Die Suva übernahm auch diesbezüglich die Heilbehandlung und das Taggeld. Mit Verfügung vom 13. Januar 2022 verneinte sie einen Rentenanspruch, da der Invaliditätsgrad des Versicherten hinsichtlich beider Unfälle 3 % betrage. Auf seine Einsprache hin nahm sie diese Verfügung zurück. Sie verneinte später trotzdem einen Rentenanspruch, da bei ihm keine Erwerbseinbusse bestehe (Verfügung vom 30. August 2022). Hieran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 28. Juni 2023 fest.
B.
In Gutheissung der hiergegen von A.________ geführten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt den Einspracheentscheid auf und verpflichtete die Suva, ihm eine Invalidenrente auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 16 % auszurichten (Urteil vom 29. November 2023).
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Suva die Aufhebung des kantonalen Urteils und Bestätigung ihres Einspracheentscheids.
A.________ und die Vorinstanz schliessen auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2, Art. 105 Abs. 3 BGG ).
2.
Streitig ist, ob die vorinstanzliche Zusprache einer Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 16 % vor Bundesrecht standhält.
2.1. Umstritten ist in diesem Rahmen einzig das vom Beschwerdegegner im Gesundheitsfall hypothetisch erzielbare sog. Valideneinkommen. Die Vorinstanz hat die diesbezügliche Rechtsprechung richtig dargelegt (BGE 135 V 297 E. 5.1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 144 I 103 E. 5.3).
2.2. Zu ergänzen ist, dass beim Valideneinkommen in der Regel am zuletzt erzielten, der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst anzuknüpfen ist, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre; Ausnahmen müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 144 I 103 E. 5.3). Erst wenn sich das Valideneinkommen aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse nicht hinreichend genau beziffern lässt, darf auf statistische Werte wie die LSE zurückgegriffen werden, soweit dabei die für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten persönlichen und beruflichen Faktoren mitberücksichtigt werden (BGE 139 V 28 E. 3.3.2; Urteil 8C_603/2023 vom 25. September 2024 E. 4.1.1).
3.
3.1. Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, laut Schreiben der B.________ GmbH vom 2. September 2013 habe der Beschwerdegegner im Juni und Juli 2013 nicht bei ihr gearbeitet. Im Mai 2013 habe er gemäss ihrer Lohnabrechnung 25.5 Stunden und im August 2013 bis zum Unfall vom 23. August 2013 70 Stunden jeweils im Stundenlohn gearbeitet. Im Juni 2013 habe er bei der C.________ AG, 107.69 Stunden im Stundenlohn geleistet. Im Juni und Juli 2013 habe er zusätzlich ein Unfalltaggeld von Fr. 4'398.- bzw. Fr. 5'131.- erhalten. In den Monaten davor habe er folgende Löhne bei der C.________ AG erzielt: Fr. 7'146.65 (Januar 2013), Fr. 9'501.80 (inkl. Fr. 2'151.80 Unfalltaggelder, Februar 2013), Fr. 8'699.- (März 2013), Fr. 8'855.- (April 2013) und Fr. 5'348.- (Mai 2013). Im Juli und August 2012 habe der Beschwerdegegner im Baugeschäft D.________ im Stundenlohn gearbeitet. Am 6. September 2013 habe er der Suva angegeben, er arbeite normalerweise ab Herbst bis Frühling bei der C.________ AG im Messebau als Plattenleger. Den Sommer durch arbeite er zu 100 % bei der B.________ GmbH. Im Jahr 2013 habe er bis April bei der C.________ AG gearbeitet, dann im Mai bei der B.________ GmbH und im Juni und Juli nochmals bei der C.________ AG. Im August 2013 sei er dann wieder bei der B.________ GmbH tätig gewesen. Er habe am 4. Juni 2013 noch einen Unfall gehabt und sei bis zum 13. August 2013 voll arbeitsunfähig gewesen. Laut der Auskunft der B.________ GmbH vom 2. Juni 2020 habe er vom 10. August 2013 bis zum Unfall vom 23. August 2013 bei ihr als Hilfsarbeiter gearbeitet bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden und einem Stundenlohn von Fr. 40.- (inkl. 13. Gehalt, Ferienzulagen). Am 11. August 2022 habe die B.________ GmbH der Suva mitgeteilt, wäre der Beschwerdegegner heute ohne Unfall mit einem 100%igen Pensum bei ihr tätig, würde er einen Jahreslohn von Fr. 60'000.- bis Fr. 65'000.- erzielen. Er sei - so die Vorinstanz weiter - im Unfallzeitpunkt bereits während einer längeren Zeitspanne wieder im angestammten Beruf beschäftigt gewesen. Es habe sich daher weder um eine Ausnahme gehandelt noch sei der erzielte Verdienst überdurchschnittlich hoch ausgefallen. Dass er in den Jahren 2007-2009 umgeschult worden sei, sei daher für die Bestimmung des Validenlohns irrelevant. Es sei daher der tatsächliche Lohn des Beschwerdegegners heranzuziehen und kein Grund ersichtlich, nicht auf den von der Suva am 30. August 2020 ermittelten, von ihm während eines Jahres vor dem Unfall erzielten Verdienst von Fr. 78'267.- abzustellen. Dieser beziehe sich auf die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden bzw. den Lohnersatz als Folge eines vorangehenden Unfalls.
3.2. Die Suva wendet im Wesentlichen ein, nach Art. 15 Abs. 2 UVG gelte als versicherter Verdienst für die Bemessung der Rente der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn. Bei ihrer Berechnung vom 30. August 2020 habe es sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz um die Ermittlung des versicherten Verdienstes und nicht des Valideneinkommens gehandelt. Bei der Ermittlung des Letzteren stelle sich dagegen die Frage, was der Beschwerdegegner ohne Unfall im Zeitpunkt des Beginns der Invalidenrente verdienen würde. Im Unfallzeitpunkt am 23. August 2013 sei er ab dem 12. August 2013 bei der B.________ GmbH tätig gewesen, dies nach einem dortigen kurzen Arbeitseinsatz im Mai 2013. Zuvor habe er u.a. bei der C.________ AG und beim Baugeschäft D.________ verschiedene Tätigkeiten auf dem Bau ausgeübt und wiederholt Unfalltaggeld bezogen, nachdem er von 2009-2011 aufgrund einer Gefässkrankheit eine durch die IV-Stelle Solothurn finanzierte Umschulung zum Hauswart (ohne Abschluss) absolviert habe. Der Beschwerdegegner habe angegeben, im Unfallzeitpunkt temporär angestellt gewesen zu sein. Insbesondere habe es sich gemäss seinen Angaben bei den Tätigkeiten bei der B.________ GmbH und der C.________ AG um Temporäranstellungsverhältnisse gehandelt. Insgesamt lasse seine bisherige berufliche Laufbahn keinen Schluss hinsichtlich der im Gesundheitsfall ausgeübten Tätigkeit zu. Das Valideneinkommen sei damit aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse nicht hinreichend genau bezifferbar, weshalb auf die LSE zurückzugreifen sei.
3.3. Wie die Vorinstanz richtig erkannte, war der Beschwerdegegner im Zeitpunkt des Unfalls vom 23. August 2013 bei der B.________ GmbH angestellt. Der Suva ist beizupflichten, dass es sich gestützt auf seine eigenen Angaben in der vorinstanzlichen Beschwerde um eine temporäre Anstellung handelte. Gegenteiliges ist nicht erstellt und ergibt sich entgegen dem Beschwerdegegner auch nicht aus den Verlautbarungen der B.________ GmbH gegenüber der Suva vom 7. Januar 2014 und 2. Juni 2020. Somit ist nicht erstellt, dass der Beschwerdegegner auch ohne den Unfall weiterhin bei der B.________ GmbH gearbeitet hätte, zumal keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese mit ihm für die Zukunft einen unbefristeten Arbeitsvertrag hätte eingehen wollen (vgl. auch Urteile 8C_581/2020 vom 3. Februar 2021 E. 6.2, 8C_728/2016 vom 21. Dezember 2016 E. 3.2.3 und 8C_277/2016 vom 20. Juli 2016 E. 3.3.2). Nichts anderes ergibt sich übrigens auch hinsichtlich seiner noch im Juni 2013 erfolgten Arbeit bei der C.________ AG, da es sich gemäss dem Arbeitsvertrag vom 1. Dezember 2012 ebenfalls um ein Temporärarbeitsverhältnis handelte. Somit ist bei der Bestimmung des Valideneinkommens - der Suva folgend - auf die LSE abzustellen.
4.
4.1. Die Suva macht geltend, die IV-Stelle habe dem Beschwerdegegner vom 21. September 2009 bis 31. Oktober 2011 eine Umschulung zum Hauswart gewährt, weil ihm die ursprünglich gelernte Arbeit als Maurer krankheitsbedingt nicht mehr zumutbar sei. Da ihm die angestammte Maurer-Tätigkeit mithin aus unfallfremden Gründen nicht mehr zumutbar sei, rechtfertige es sich, das Valideneinkommen anhand der LSE 2020 Tabelle TA1, Total, Männer im Kompetenzniveau 1 (einfache Tätigkeiten körperlicher oder handwerklicher Art) zu berechnen. Dies ergebe ein Valideneinkommen von Fr. 65'815.- bzw. verglichen mit dem Invalideneinkommen in gleicher Höhe keine unfallbedingte Erwerbseinbusse. Selbst wenn zu Gunsten des Beschwerdegegners davon ausgegangen würde, dass er ohne den Unfall weiterhin in der Baubranche tätig wäre, führe dies nicht zu einem Rentenanspruch. Beim Abstellen auf den diesbezüglichen Totalwert der LSE 2020 im Kompetenzniveau 1 resultiere ein Valideneinkommen von Fr. 71'007.- und verglichen mit dem Invalideneinkommen von Fr. 65'815.- eine Lohneinbusse von 7.31 %. Damit bestehe auch diesfalls kein Rentenanspruch (Art. 18 Abs. 1 UVG).
4.2. Der Suva ist beizupflichten, dass dem Argument der Vorinstanz und des Beschwerdegegners, er sei im Unfallzeitpunkt am 23. August 2013 wieder in seinem angestammten Beruf tätig gewesen, nicht gefolgt werden kann. Wie die Suva nämlich richtig festhält, steht fest, dass ihm schon vor diesem Unfall seine ursprüngliche Tätigkeit als gelernter Mauer krankheitsbedingt nicht mehr zumutbar war. Er arbeitete denn auch nicht mehr als Maurer, sondern im Winter bei der C.________ AG im Messebau, damit er mit Rücksicht auf seine Krankheit nicht draussen tätig sein musste, und im Sommer bei der B.________ GmbH als Bauhilfsarbeiter.
Auch wenn er bis zum Unfall vom 23. August 2013 mithin wieder in der Baubranche arbeitete, tat er dies nicht im Rahmen seiner abgeschlossenen Ausbildung als Maurer. Unter diesen Umständen ist der Suva - entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des Beschwerdegegners - darin zu folgen, dass bei der Berechnung des Valideneinkommens im Rahmen der LSE auf das Kompetenzniveau 1 und nicht auf das Kompetenzniveau 2 abzustellen ist (vgl. E. 4.1 hiervor).
4.3. Im Übrigen ist der Einkommensvergleich der Suva, der keinen rentenbegründenden Invaliditätsgrad ergab (siehe E. 4.1 hiervor), in betraglicher Hinsicht unbestritten, weshalb es damit sein Bewenden hat.
5.
Der unterliegende Beschwerdegegner trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Suva, die in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 29. November 2023 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Suva vom 28. Juni 2023 bestätigt.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 20. November 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Der Gerichtsschreiber: Jancar