Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_652/2023
Urteil vom 20. November 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokatin Dominique Flach,
Beschwerdeführerin,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 19. April 2023 (UV.2023.2).
Sachverhalt:
A.
Die 1970 geborene A.________ ist seit September 2008 bei der B.________ AG als Patentanwältin angestellt und bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 2. Mai 2021 stürzte sie auf einer geführten Skitour in eine rund 20 Meter tiefe Gletscherspalte, konnte jedoch nach ca. einer halben Stunde geborgen werden. Die Untersuchung im erstbehandelnden Spital C.________, zeigte ein die rechte Körperseite betreffendes Polytrauma am Oberkörper und im Gesicht (Frakturen der Augenhöhle, des Jochbeins mit Orbitabeteiligung, der Nase, Rissquetschwunden am Oberlid ohne Tränenwegs- oder Lidkantenbeteiligung, Rippenserienfrakuren mit apikalem Pneumothorax, Lungenprellung). Nach der Überführung ins Spital D.________ fand tags darauf unter anderem ein Eingriff zur Korrektur der Orbitabodenfraktur statt. Die postoperative Nachkontrolle ergab zusätzlich eine innere und äussere Okulomotoriusparese rechts. Die Suva erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Mitte Mai 2022 erhielt A.________ eine Gleitsichtbrille verschrieben. Mit Verfügung vom 15. August 2022 verneinte die Suva ihre Leistungspflicht für die neue Brillenversorgung in Anbetracht der vorgängig eingeholten versicherungsinternen Beurteilungen. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 7. Dezember 2022 fest.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde der A.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Urteil vom 19. April 2023 ab.
C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des sozialversicherungsgerichtlichen Urteils und des Einspracheentscheids vom 7. Dezember 2022 sei die Suva zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen zu erbringen.
Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ; BGE 148 V 209 E. 2.2 mit Hinweis).
1.2. Das vorliegende Beschwerdeverfahren beschlägt ein Hilfsmittel (Gleitsichtbrille) und somit eine Sachleistung (Art. 14 ATSG; Urteil 8C_527/2016 vom 5. September 2017 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 143 V 148, aber in: SVR 2017 UV Nr. 34 S. 113). Die Ausnahmereglung des Art. 105 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 2 BGG kommt daher nicht zur Anwendung. Vielmehr bleibt das Bundesgericht nach Art. 105 Abs. 1 BGG an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG e contrario; vgl. auch: BGE 135 V 412 E. 1.2.2). Es kann diese nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ; BGE 144 V 418 E. 1.3).
2.
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Verneinung einer Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für die verschriebene Gleitsichtbrille aus Sicht des Bundesrechts stand hält.
2.2. Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze über den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 4 ATSG) erforderlichen natürlichen (und adäquaten) Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und eingetretenem Schaden (BGE 142 V 435 E. 1; 129 V 177 E. 3.1 f.) zutreffend dargelegt. Richtig sind ferner die Ausführungen zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a), insbesondere was die Angaben versicherungsinterner Ärzte anbelangt (BGE 145 V 97 E. 8.5; 142 V 58 E. 5.1; je mit Hinweisen), sowie hinsichtlich des massgeblichen Beweisgrads der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6). Darauf wird verwiesen.
3.
Die Vorinstanz hat den versicherungsinternen ophthalmologischen Stellungnahmen des Dr. med. E.________ vom 10. Juni/11. Juli und 12. August 2022 Beweiskraft zuerkannt, wonach kein (natürlicher) Kausalzusammenhang zwischen der fraglichen Brillenkorrektur und dem Unfallereignis vom 2. Mai 2021 bestehe. Sie hat erwogen, selbst die behandelnde Augenärztin Prof. Dr. med. F.________, Spital G.________, Augenklinik, stimme dem zu. Angesichts der in diesem Punkt einhelligen medizinischen Akten bestünden keine (auch nur geringen) Zweifel an der Schlüssigkeit und Zuverlässigkeit der versicherungsinternen Aktenbeurteilungen. Damit könne dahingestellt bleiben, ob auf die Berichte des Dr. med. E.________ oder die Aussagen der behandelnden Augenärztin abgestellt werde. So oder anders scheide eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin aus. Gestützt darauf hat das kantonale Gericht den Einspracheentscheid vom 7. Dezember 2022 bestätigt.
4.
4.1. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht einwendet, begründete Dr. med. E.________ nicht hinreichend, weshalb die verschriebene Gleitsichtbrille keine Residuen der unfallkausalen Okulomotoriusparese am rechten Auge behandeln soll. Wohl räumte die behandelnde Augenärztin Prof. Dr. med. F.________ basierend auf dem am 16. Mai 2022 ausgestellten Brillenrezept (Korrektur rechts: +2,0/-0,25/0; links: -0.25/0/0; Nahaddition beidseits +1,75) ein, es sei richtig, dass die darin ausgewiesene "Brechkraft Änderung" nicht in Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 2. Mai 2021 gesehen werden könne (vgl. vorinstanzliche Erwägung 3.4). Darüber hinaus hielt sie jedoch fest, dennoch müsste die Beschwerdeführerin eigentlich bei praktisch planen Werten links (-0,25) und einer geringfügigen Weitsichtigkeit rechts ohne die Okulomotoriusparese mit einer leichten Lesebrille zurechtkommen ("Monovision"). Durch die Augenmuskelparese sehe sie aber immer dann doppelt, wenn die Augen abweichen würden. Mit einer entsprechenden optischen Hilfestellung sei die Sehschärfe hingegen gut genug und die Augenlähmung ausreichend kompensiert ("zurückgebildet"), sodass ein binokulares Fusionsblickfeld gelinge. Das setze eine beidseitige Korrektur voraus, bestehend aus einer Fern- mit zusätzlicher Nähekorrektur rechts und einem minimalen Ausgleich für die Ferne mit Anpassung der Nahsicht links. Ausserdem beeinträchtige die Okulomotoriusparese die Akkomodation rechts höchstwahrscheinlich dermassen, dass die (angeborene) Hyperopie nicht mehr über die altersbedingte Presbyopie (degenerativer Verlust der Nahanpassungsfähigkeit) hinaus ausgeglichen werden könne (vgl. Kostenübernahmegesuch vom 28. Juni 2022).
4.2. Dazu äusserte sich der von der Beschwerdegegnerin beigezogene Augenarzt Dr. med. E.________ lediglich insoweit, als keine medizinische Begründung für eine unfallkausale Refraktionsänderung oder das Beheben einer unfallbedingten Schielabweichung erkennbar sei (vgl. Stellungnahme vom 12. August 2022). Indessen bleiben dabei, anders als im angefochtenen Urteil dargelegt, wesentliche Aspekte hinsichtlich Ursache, Art und Ausmass der fraglichen Sehbeeinträchtigung unbeachtet. Der Ophthalmologe des versicherungsmedizinischen Dienstes berücksichtigte denn auch offenkundig nicht, dass aufgrund der von Prof. Dr. med. F.________ diagnostizierten Motilitätsstörung peripher neurogenen Ursprungs die (Augen-) Hebung stärker eingeschränkt ist als die (Augen-) Senkung. Daher nehme - so die behandelnde Augenärztin - die Beschwerdeführerin eine leichte Kopfzwangshaltung (Kopfhebung) ein, um ein doppelbildfreies Fusionsbild erzeugen zu können. Ob diese Schwierigkeit am Ende durch eine Blickverlagerung mittels Prismen behandelt werden müsse, hänge von der Entwicklung der Nackenbeschwerden ab, welche durch die unnatürliche Kopfhaltung bedingt sein könnten (vgl. Bericht vom 8. Juni 2022). Trotz dieser Angaben beschränkte sich Dr. med. E.________ hauptsächlich darauf, an das Brillenrezept vom 16. Mai 2022 zu erinnern, womit seiner Meinung nach lediglich altersbedingte Sehveränderungen ausgeglichen würden (vgl. Stellungnahme vom 12. August 2022). Die von der gestörten Augenbewegung herrührenden Doppelbilder erwähnte er hingegen mit keinem Wort. Ebenso wenig findet sich eine Aussage zur gemäss Einschätzung der Prof. Dr. med. F.________ zumindest nicht auszuschliessenden Zusatzkorrektur mittels Prismen. In dieser Hinsicht liess es Dr. med. E.________ mit der Feststellung bewenden, es seien "keine Prismen" verordnet worden, was den Sachverhalt nur erheblich verkürzt wiedergibt. Abgesehen davon fehlt es in den versicherungsinternen Beurteilungen an einer Auseinandersetzung mit der beschriebenen, höchstwahrscheinlich durch die Okulomotoriusparese - und damit den Unfall - ausgelösten Akkomodationsproblematik (vgl. E. 4.2 a. E. hiervor). Vor diesem Hintergrund kann nicht ohne Weiteres auf eine rein altersbedingte (d.h. unfallfremde) Fehlsichtigkeit geschlossen werden, zumal Dr. med. E.________ keine eigene klinische Untersuchung durchführte. Demzufolge sind (wenigstens geringe) Zweifel an der Aussagekraft der versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen angebracht (vgl. Urteil 8C_434/2023 vom 10. April 2023 E. 4.3 mit weiteren Hinweisen, nicht publ. in: BGE 150 V 188, aber in: SVR 2024 UV Nr. 27 S. 107). Die vorinstanzliche Schlussfolgerung, anhand der medizinischen Akten ergebe sich "einhellig", dass die Beschwerdegegnerin ihre Leistungspflicht für die beantragte Gleitsichtbrille aufgrund des fehlenden (natürlichen) Kausalzusammenhangs habe verneinen dürfen, erweist sich somit als rechtsfehlerhaft.
4.3. Zusammenfassend beruht das angefochtene Urteil auf einem in medizinischer Hinsicht offensichtlich unrichtig (unvollständig) festgestellten Sachverhalt. Der vom kantonalen Gericht bestätigte Verzicht auf weitere Abklärungen stellt eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes dar (vgl. Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG ). Es rechtfertigt sich daher, die Sache zur Einholung ergänzender medizinischer Auskünfte an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie im Verfahren nach Art. 44 ATSG ein medizinisches (ophthalmologisches, allenfalls unter neurologischer Beteiligung erstelltes) Gutachten einhole und anschliessend über den Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin neu verfüge.
5.
Die Rückweisung der Sache an die Beschwerdegegnerin zu erneuter Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG , unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 146 V 28 E. 7; 141 V 281 E. 11.1 mit Hinweis). Die unterliegende Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 68 Abs. 5 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 19. April 2023 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) vom 7. Dezember 2022 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Suva zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 20. November 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder