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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_242/2018  
 
 
Urteil vom 21. Februar 2019  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch B.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen 
vom 7. Februar 2018 (EL 2016/51). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1980 geborene A.________ bezieht Ergänzungsleistungen zu seiner Invalidenrente. Im Revisionsfragebogen vom 15. November 2015 gab er an, er bewohne seine Mietwohnung nicht mehr allein, sondern mit seiner Anfang April 2015 aus Deutschland zugezogenen Lebenspartnerin und demnächst einem Kleinkind. Aufgrund der Geburt der gemeinsamen Tochter am 18. November 2015 sprach ihm die Invalidenversicherung eine ausserordentliche Kinderrente zu (Verfügung vom 11. Dezember 2015). Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen nahm Mietzinsaufteilungen vor, berechnete den Ergänzungsleistungsanspruch neu und forderte unrechtmässig bezogene Ergänzungsleistungen (April 2015 bis März 2016) von insgesamt Fr. 3'542.- zurück (Verfügung vom 23. Juni 2016; Einspracheentscheid vom 21. Oktober 2016). 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde des A.________ hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 7. Februar 2018 teilweise gut, hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur weiteren Abklärung und neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen an die Verwaltung zurück. 
 
C.   
Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene und der Einspracheentscheid vom 21. Oktober 2016 seien aufzuheben und die Rückforderung auf Fr. 3'042.- festzusetzen. 
A.________ und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Vorinstanz hat den Einspracheentscheid vom 21. Oktober 2016 aufgehoben und die Sache an die Beschwerdeführerin zurückgewiesen, damit sie die Intensität der Wohnungsnutzung durch die am 18. November 2015 geborene Tochter des Versicherten abkläre, gestützt darauf eine Mietzinsaufteilung vornehme und die Ergänzungsleistung neu festsetze. Damit wäre sie gezwungen, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen und sähe sich gleichzeitig ausser Stande, ihren eigenen Rechtsakt anzufechten. Der kantonale Rückweisungsentscheid könnte somit aus Sicht der Verwaltung nicht mehr korrigiert werden. Daher ist ein irreversibler Nachteil im Sinne des Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bejahen, zumal der angefochtene Rückweisungsentscheid (betreffend die anrechenbaren Ein- und Ausgaben) materiellrechtliche Vorgaben enthält, welche die Beschwerdeführerin bei ihrem neuen Entscheid befolgen müsste (statt vieler: BGE 133 V 477 E. 5.2.4 S. 484; 140 V 282 E. 4.2 S. 286). Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Streitgegenstand bildet die Frage, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie eine Mietzinsaufteilung nach Köpfen (vgl. Art. 16c Abs. 2 ELV) verneint hat. Ferner ist zu prüfen, ab wann die jährliche Ergänzungsleistung anzupassen ist.  
 
3.2. Das kantonale Gericht hat erwogen, es hänge allein von der Intensität der Wohnungsnutzung ab, ob ein Kleinkind bzw. ein Säugling in die Mietzinsaufteilung einbezogen werde oder nicht. Vor diesem Hintergrund hat es die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen, weil nicht feststehe, wie es sich mit der Raumaufteilung und der Wohnungsnutzung in der neu von drei Personen bewohnten Dreizimmerwohnung verhalte. Sodann hat die Vorinstanz die Ergänzungsleistung im Zusammenhang mit der Geburt der Tochter des Versicherten zeitlich gestaffelt angepasst: Einerseits seien die Mehrausgaben, welche sich mit Blick auf die Vergrösserung der Familie ergäben, per 1. Dezember 2015 anzurechnen (vgl. Art. 25 Abs. 2 lit. a Satz 1 ELV). Bei der zugesprochenen Kinderrente der Invalidenversicherung handle es sich andererseits um einen Einnahmeposten. Dieser sei bereits ab Beginn des neuen Rentenanspruchs, nämlich per 1. November 2015, zu berücksichtigen (Art. 25 Abs. 2 lit. a Satz 2 ELV).  
 
4.  
 
4.1. In Bezug auf die Mietzinsaufteilung nach Art. 16c Abs. 2 ELV wendet die Verwaltung in ihrer Beschwerde zu Recht ein, die vorinstanzliche Auffassung verstosse gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichts (statt vieler: BGE 142 V 299 E. 3.2 S. 303 f. mit Hinweis auf BGE 127 V 10 E. 5d S. 16; Urteil 9C_210/2014 vom 6. Mai 2014 E. 1.2). Danach gibt grundsätzlich bereits das gemeinsame Bewohnen Anlass für eine Mietzinsaufteilung. Das Alter des Kindes, das mit der ergänzungsleistungsberechtigten Person zusammen lebt, spielt dabei keine Rolle. So ist selbst ein wenige Tage alter Säugling zu berücksichtigen, zumal er bereits Wohnraum beansprucht und diesen, insbesondere Küche und Bad, zumindest mittelbar mitbenutzt. Dass sich ein Kleinkind im Vergleich zu einem Neugeborenen intensiver in der Wohnung bewegt, führt nicht zu einer wesentlich anderen Ausgangslage und begründet keine Ausnahme vom Grundsatz der Mietzinsaufteilung nach Köpfen. Der Umstand, dass das mitbewohnende Kind allenfalls jünger als zwölf Monate ist, ist mit den anerkannten Ausnahmetatbeständen - etwa einer rechtlichen bzw. moralischen Verpflichtung zum Zusammenwohnen oder der Nutzung des grössten Teils der Wohnung durch einen einzelnen Mieter - nicht vergleichbar. Damit entfällt, wie dies das kantonale Gericht selber einräumt, auch die Festlegung einer Altersgrenze bei der Mietzinsaufteilung mit Beteiligung von Kleinkindern (einlässlich dazu: Urteil 9C_178/2016 vom 17. Juni 2016 E. 3.2 mit Hinweisen; bestätigt mit Urteil 9C_412/2018 vom 6. August 2018).  
 
4.2. Ernsthafte sachliche Anhaltspunkte für eine Praxisänderung ergeben sich weder aus dem angefochtenen Entscheid noch aus der Vernehmlassung der Vorinstanz vom 30. April 2018 (zu den Voraussetzungen vgl. BGE 141 II 297 E. 5.5.1 S. 303; 137 V 417 E. 2.2.2 S. 422). Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit keine Ausnahmen vom Grundsatz der Mietzinsaufteilung nach Köpfen mehr möglich sein sollten. An der bisherigen Rechtsprechung ist festzuhalten. Weiterungen dazu erübrigen sich.  
 
5.  
 
5.1. Die jährliche Ergänzungsleistung ist gemäss Art. 25 Abs. 1 ELV u.a. bei jeder Veränderung der der Berechnung zugrunde liegenden Personengemeinschaft (lit. a) und bei jeder Änderung der Rente der Alters-, Hinterlassenen- oder Invalidenversicherung (lit. b) zu erhöhen, herabzusetzen oder aufzuheben.  
 
5.2. Betreffend den Anpassungszeitpunkt bestimmt Art. 25 Abs. 2 lit. a ELV was folgt:  
 
"2 Die jährliche Ergänzungsleistung ist auf folgenden Zeitpunkt neu zu verfügen: 
a. in den Fällen von Absatz 1 Buchstaben a und b bei Veränderung der Personengemeinschaft ohne Einfluss auf die Rente auf den Beginn des der Veränderung folgenden Monats; bei Änderung der Rente auf den Beginn des neuen Rentenanspruchs oder des Monats, in dem der Rentenanspruch erlischt; 
b. [...]." 
 
5.3. Dessen - in erster Linie massgebender - Wortlaut (vgl. dazu BGE 143 V 312 E. 5.1 S. 316; 141 II 57 E. 3.2 S. 61 mit Hinweisen) ist kein Hinweis auf eine separate zeitliche Überprüfung jeder einzelnen Berechnungsposition zu entnehmen, wie die Vorinstanz meint. Im Gegenteil spricht die Bestimmung einleitend explizit von einem Zeitpunkt, auf welchen hin die jährliche Ergänzungsleistung als Ganzes neu zu verfügen ist. Das gilt bei jeder Veränderung der der Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung zugrunde liegenden Personengemeinschaft, bei jeder Änderung der Rente der AHV oder IV sowie bei Eintritt einer voraussichtlich längere Zeit dauernden wesentlichen Verminderung oder Erhöhung der vom Gesetz anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen sowie des Vermögens (vgl. Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL; Stand: 1. Januar 2019], Ziff. 3641.01; zur Tragweite von Verwaltungsweisungen statt vieler: BGE 141 V 365 E. 2.4 S. 368; 138 V 346 E. 6.2 S. 362).  
Dass ausgerechnet bei einer Änderung der Personengemeinschaft, wie sie hier offenkundig vorliegt, mehr als ein Revisionszeitpunkt massgebend sein sollte, leuchtet auch aus systematischer und teleologischer Sicht nicht ein. Denn die Anpassung der Ergänzungsleistung beruht in diesem Fall auf dem Eintritt eines einzigen neuen Lebenssachverhalts (hier: der Geburt eines Kindes). Die Veränderung der ein- und ausgabenseitigen Berechnungsfaktoren, auf welche das kantonale Gericht abgestellt hat, stellen lediglich dessen Rechtsfolgen dar. Sie können daher für die Bestimmung des Revisionszeitpunktes klarerweise nicht relevant sein. Dieser richtet sich vielmehr allein danach, ob die Veränderung ohne Einfluss auf die Rente ("sans effet sur la rente", "senza influenza sulla rendita") bleibt, oder ob dadurch eine Änderung der Rente ("modification de la rente", "modificazione della rendita") eintritt (vgl. Art. 25 Abs. 2 lit. a ELV). Hinzu kommt, dass die Berücksichtigung lediglich der Einnahmenseite bereits ab November 2015 - wenn auch nur vorübergehend - zu einer Kürzung des Ergänzungsleistungsanspruchs führt, obschon den Beschwerdegegner gleichzeitig auch die mit dem Familienzuwachs verbundenen Mehrausgaben treffen. Inwieweit es sachlich gerechtfertigt sein soll, diese zu Ungunsten des Versicherten erst einen Monat später anzurechnen, geht aus dem angefochtenen Entscheid nicht hervor und ist auch nicht ansatzweise erkennbar. Triftige Gründe, die ein Abweichen vom Wortlaut rechtfertigten, liegen somit nicht vor. 
 
5.4. Was die Bestimmung des konkreten Anpassungszeitpunktes betrifft, stellt die am 11. Dezember 2015 zugesprochene ausserordentliche Kinderrente der Invalidenversicherung, wie dies die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, einen strikt akzessorischen Anspruch zur Stammrente des Beschwerdegegners dar (vgl. Art. 35 Abs. 4 IVG; BGE 143 V 241 E. 5.1 S. 248, 134 V 15 E. 2.3.3 S. 17). Weil dem Beschwerdegegner durch die Geburt seiner Tochter ein zusätzlicher Rentenanspruch erwuchs, führte die Änderung der Personengemeinschaft offenkundig zu einer Änderung der Rente. Folglich ist die jährliche Ergänzungsleistung auf den Beginn des neuen Rentenanspruchs am 1. November 2015 anzupassen (vgl. Art. 25 Abs. 2 lit. a Satz 2 ELV).  
 
6.   
Zusammengefasst verletzt der angefochtene Entscheid in den strittigen Punkten Bundesrecht. Die Meldepflichtverletzung (vgl. Art. 24 ELV) im Zusammenhang mit dem Zuzug der Lebensgefährtin des Versicherten am 8. April 2015 wird in letzter Instanz nicht (substanziiert) angefochten. 
Daran ändern die Vorbringen des Beschwerdegegners in seiner Vernehmlassung nichts, wonach nicht sicher gewesen sei, ob seine neue Lebenspartnerin in der Schweiz habe bleiben wollen oder nicht. Im Übrigen gibt es im Verfahren vor Bundesgericht grundsätzlich keine Anschlussbeschwerde (Urteil 8C_859/2018 vom 8. Mai 2018 E. 1.3 mit Hinweis auf BGE 134 III 332 E. 2.5 S. 335). Somit kann dem Versicherten die Hälfte des damaligen Mietzinses (Fr. 1'000.- monatlich) erst ab Mai 2015 angerechnet werden, was - wie dies die Beschwerdeführerin zutreffend beantragt - zu einer Rückforderung von noch Fr. 3'042.- (Fr. 3'542.- abzüglich Fr. 500.-) führt. Die Beschwerde ist begründet. 
 
7.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Gerichtskosten und eine allfällige Parteientschädigung hätte grundsätzlich die unterliegende Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG; BGE 133 V 642). Unnötige Kosten hat indessen zu bezahlen, wer sie verursacht (Art. 66 Abs. 3 und Art. 68 Abs. 4 BGG). Dies gestattet es auch, die Gerichtskosten ausnahmsweise dem kantonalen Gericht bzw. dem Gemeinwesen, dem dieses angehört, aufzuerlegen. Die Vorinstanz setzt sich konsequent über die anwendbare Rechtsprechung des Bundesgerichts (E. 4) hinweg, was sie in ihrer Vernehmlassung erneut deutlich zum Ausdruck bringt. Damit hat das kantonale Gericht die Verwaltung zur Beschwerde gezwungen. Dieser Umstand kann nicht dem Beschwerdegegner angelastet werden. Demnach sind dem Kanton St. Gallen die Gerichtskosten aufzuerlegen (vgl. Urteil 8C_468/2018 vom 6. Dezember 2018 E. 5). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 7. Februar 2018 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen vom 21. Oktober 2016 insoweit abgeändert, als die Beschwerdeführerin Anspruch auf Rückerstattung ungerechtfertigt bezogener Ergänzungsleistungen in Höhe von insgesamt Fr. 3'042.- hat. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Kanton St. Gallen auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 21. Februar 2019 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder