Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_623/2018  
 
 
Urteil vom 21. Februar 2019  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiberin Oswald. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
 A.________, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Kinderrente; Erlass der Rückerstattung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. Juni 2018 (IV.2017.01293). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1993 geborene A.________ nahm im September 2015 als Zweitausbildung ein Studium der Sozialpädagogik an der Hochschule B.________ auf und erhielt ab dem 1. September 2015 eine Kinderrente zur Invalidenrente ihrer Mutter direkt ausbezahlt (Verfügung vom 30. September 2015). Im Oktober 2016 stellte die IV-Stelle fest, A.________ habe von September 2015 bis August 2016 ein Einkommen in Höhe von monatlich Fr. 2'700.- bis Fr. 2'800.- und ab August 2016 ein solches von Fr. 2'500.- erzielt. Mit rechtskräftiger Verfügung vom 7. Dezember 2016 forderte sie von A.________ zu viel ausbezahlte Kinderrenten der Monate September 2015 bis September 2016 in Höhe von Fr. 5'538.- (13 x Fr. 426.-) zurück. Deren Erlassgesuch hiess die Verwaltung mit Verfügung vom 1. November 2017 teilweise - die Zeit vom 1. September 2015 bis 31. Januar 2016 bzw. den Betrag von Fr. 2'130.- betreffend - gut und beschränkte die Rückforderung auf Fr. 3'408.- für die Monate Februar bis September 2016 (8 x Fr. 426.-). 
 
B.   
Die hiergegen gerichtete Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. Juni 2018 gut. Es hob die Verfügung vom 1. November 2017 auf und stellte fest, A.________ werde die Rückerstattung der zu viel ausgerichteten Kinderrenten auch für die Monate Februar bis September 2016 erlassen (insgesamt Fr. 5'538.-). 
 
C.   
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der Entscheid vom 28. Juni 2018 sei aufzuheben. Es sei festzustellen, dass der gute Glaube von A.________ aufgrund einer Meldepflichtverletzung nicht gegeben und daher das Gesuch um Erlass der Rückerstattung zu viel ausgerichteter Kinderrenten in der Höhe von Fr. 3'408.- zu Recht abgewiesen worden sei. 
 A.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde und ersucht um Kostenbefreiung (unentgeltliche Prozessführung). Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
Das kantonale Gericht hat die Voraussetzungen, die für den Erlass der Rückforderung erfüllt sein müssen (kumulativ: guter Glaube und grosse Härte, Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG; BGE 112 V 97 E. 2c S. 103; vgl. zur Erlassvoraussetzung des guten Glaubens ausserdem BGE 138 V 218 E. 4 S. 220 f.; 122 V 221 E. 3 S. 223) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
 
3.   
Die Vorinstanz bejahte das fehlende (subjektive) Unrechtsbewusstsein der Beschwerdegegnerin - als Tatfrage (BGE 122 V 221, a.a.O.; Urteil 8C_535/2018 vom 29. Oktober 2018 E. 5.2) - bezüglich des ganzen Bezugszeitraums, was die Verwaltung nicht als offensichtlich unzutreffend rügt. Diese Feststellung bindet das Bundesgericht (E. 1 hiervor). Ebenfalls unbestritten ist - wie schon vor Vorinstanz - das Vorliegen einer grossen Härte sowie die Gutgläubigkeit im Zeitraum zwischen September 2015 und Januar 2016. 
Zu prüfen bleibt einzig, ob die Beschwerdegegnerin für die Zeit von Februar bis September 2016 die Unrechtmässigkeit des Kinderrentenbezugs - zufolge Überschreitens der Einkommensgrenze gemäss Art. 49bis Abs. 3 AHVV (i.V.m. Art. 35 Abs. 1 IVG und Art. 25 Abs. 5 AHVG; zur Bundesrechtskonformität von Art. 49bis Abs. 3 AHVV vgl. BGE 142 V 226 E. 7.2.2 S. 232) - bei gebotener Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, was das Bundesgericht als Rechtsfrage frei prüft (BGE 122 V 221 E. 3 S. 223; zit. Urteil 8C_535/2018 E. 5.2, je mit Hinweisen). Auch im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG) prüft das Bundesgericht indes unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die vorgebrachten Rügen, sofern eine Rechtsverletzung nicht geradezu offensichtlich ist. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn ihm diese nicht vorgetragen werden (BGE 143 V 19 E. 2.3 S. 23 f. mit Hinweisen). 
 
4.   
Das Sozialversicherungsgericht erwog, die Studierende sei zwar in der Verfügung vom 30. September 2015 ausdrücklich auf die Meldepflicht bei Veränderungen in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die den Leistungsanspruch beeinflussen könnten, hingewiesen worden. Anlässlich der erstmaligen Beurteilung habe indes die Verwaltung die Frage eines Erwerbseinkommens der Studentin nicht geprüft. Diese sei demnach bezüglich der Thematik nicht sensibilisiert gewesen; an ihren wirtschaftlichen Verhältnissen habe sich seit der Zusprache der IV-Kinderrente auch nichts geändert. Die Verfügung vom 30. September 2015 habe - im Unterschied zur Mitteilung betreffend die Wiederausrichtung vom 20. Juli 2017 keinen Hinweis enthalten auf eine Einkommensgrenze, bei deren Überschreiten der Anspruch auf eine Kinderrente erlösche. Nachdem ihre Erwerbstätigkeit von der IV-Stelle zu Beginn nicht geprüft worden sei, habe die Tochter am Bestand bzw. Weiterbestand ihres Rechts auf eine Kinderrente keine ernsthaften Zweifel hegen müssen. Dies gelte umso mehr, als die Schreiben der Verwaltung vom 2. Februar (dessen Erhalt offen bleiben könne) sowie vom 3. August 2016 nicht auf ihren Einzelfall angepasst gewesen seien. Sie hätten vielmehr eine Auswahl einzureichender Unterlagen enthalten, welche die Adressatin teilweise gar nicht betrafen. Von einer groben Fahrlässigkeit könne unter den gegebenen Umständen nicht gesprochen werden, wenn diese davon ausging, die Aufforderung, Unterlagen betreffend zusätzliches Erwerbseinkommen während der Ausbildung einzureichen, betreffe nicht ihre Fallkonstellation. Ihr guter Glaube sei demnach für die gesamte Zeitspanne vom 1. September 2015 bis 30. September 2016 zu bejahen. 
 
5.   
Die IV-Stelle moniert, nicht nur eine Melde- oder Anzeigepflichtverletzung könne den guten Glauben ausschliessen, sondern auch eine unterlassene Erkundigung bei der Verwaltung (i.c.: nach dem Einfluss des Einkommens auf die Kinderrente). Eine solche hätte die Beschwerdegegnerin ihr zufolge nach Erhalt des Schreibens vom 2. Februar 2016 tätigen müssen. Diese bestreitet indes bereits den Erhalt des besagten Schreibens (wie schon gegenüber der Verwaltung und vor Vorinstanz). Das kantonale Gericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen, sondern ausdrücklich offen gelassen, ob die Beschwerdegegnerin Kenntnis der Zuschrift der Beschwerdeführerin vom 2. Februar 2016 erlangt hat. Das Bundesgericht kann den Sachverhalt diesbezüglich ergänzen, da die Akten insoweit liquid sind (E. 1 hiervor; BGE 143 V 19 E. 6.1.3 i.f. S. 32). Es finden sich darin Kopien der an die Beschwerdegegnerin sowie deren Mutter (als Hauptrentnerin) adressierten Schreiben. Zustellnachweise fehlen, und die IV-Stelle macht auch nicht geltend, über solche zu verfügen. Rechtsprechungsgemäss obliegt der Beweis der Zustellung von Verfügungen der Verwaltung, welche die entsprechende (objektive) Beweislast trägt. Wird die Zustellung uneingeschriebener Sendungen bestritten, muss daher im Zweifel auf die Darstellung der Empfängerin abgestellt werden (vgl. etwa BGE 136 V 295 E. 5.9 S. 309; 129 I 8 E. 2.2 S. 10; Urteile 2C_836/2018 vom 23. Januar 2019 E. 4.2; 9C_609/2016 vom 23. Mai 2017 E. 3.2.2). Vorliegend hat die Verwaltung den Nachweis für die Zustellung ihrer Briefe vom 2. Februar 2016 nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. dazu Urteile 9C_61/2011 vom 4. Mai 2011 E. 2.3 und I 218/04 vom 31. August 2004 E. 5.1) erbracht. Daran ändert nichts, dass die Studierende Mitte Februar eine neue Immatrikulationsbestätigung einreichte und das Schreiben vom 2. Februar 2016 von der Post nach Aussage der IV-Stelle nicht als unzustellbar retourniert wurde. Die Darstellung der Beschwerdegegnerin, sie habe die Immatrikulationsbestätigung am 11. Februar 2016 erhalten und wenige Tage später (am 17. Februar 2016) unaufgefordert an die IV-Stelle übermittelt, ist nicht zum vornherein unglaubwürdig, und die Einreichung der Immatrikulationsbestätigung deshalb nicht geeignet, die Zweifel am Erhalt des Schreibens vom 2. Februar 2016 zu beseitigen, ebensowenig wie das Fehlen eines Unzustellbarkeitsnachweises. Dies gilt umso mehr, als die Verwaltung nicht vorbringt, die Einschreibebestätigung sei im Antwortcouvert, das dem Schreiben vom 2. Februar 2016 beilag, eingegangen, und sich solches auch nicht aus den Akten ergibt. 
 
6.   
Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
7.   
Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Damit ist das Gesuch der Beschwerdegegnerin um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Kostenbefreiung gegenstandslos. Die nicht anwaltlich vertretene Beschwerdegegnerin hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung, da die Interessenwahrung keinen Arbeitsaufwand verursacht hat, der den Rahmen dessen überschreitet, was die Einzelne üblicher- und zumutbarerweise zur Besorgung ihrer persönlichen Angelegenheiten auf sich zu nehmen hat (BGE 129 V 113 E. 4.1 S. 116). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 700.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 21. Februar 2019 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Oswald