Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 778/04 
 
Urteil vom 21. März 2005 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiberin Schüpfer 
 
Parteien 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
F.________, 1950, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Koni Messikommer, Alte Obfelderstrasse 30a, 8910 Affoltern am Albis 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 29. September 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
F.________, geboren 1950, ist gelernter Holzbildhauer und arbeitete als selbstständig erwerbender Möbelhändler und Restaurator. Am 3. August 2000 musste er sich einer Diskushernienoperation (L4/5 links) unterziehen. In der Folge meldete er sich am 15. September 2000 bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, IV-Stelle, zum Bezug einer Rente an. Diese zog verschiedene Arztberichte bei, welche übereinstimmend festhielten, der Versicherte sei in seiner bisherigen Tätigkeit 100 % arbeitsunfähig, bei leichter, rückenschonender Arbeit bestehe indessen eine 50%ige Arbeitsfähigkeit. Die IV-Stelle ermittelte bei einem Valideneinkommen von Fr. 36'746.- und einem Invalideneinkommen von Fr. 24'615.- einen Invaliditätsgrad von 33,01 %. Sie lehnte mit Verfügung vom 30. September 2003 den Anspruch auf eine Rente ab. Daran wurde auch auf Einsprache hin festgehalten (Entscheid vom 4. Dezember 2003). 
B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher eine halbe Invalidenrente beantragt wurde, gut (Entscheid vom 29. September 2004). 
C. 
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und ersucht um Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides. 
F.________ lässt auf Abweisung schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdegegners auf eine Invalidenrente. 
1.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Invaliditätsbegriff (Art. 8 ATSG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der hier anwendbaren [BGE 129 V 4 Erw. 1.2] bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung) und die Grundsätze über die Aufgabe des Arztes bei der Invaliditätsbemessung (BGE 105 V 158 Erw. 1) sowie den Beweiswert eines Arztberichts (BGE 125 V 352 Erw. 3a) zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen. Weiter hat das kantonale Gericht richtig ausgeführt, dass für die Bestimmung des Invaliditätsgrades das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung zum Erwerbeinkommen gesetzt wird, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Art. 16 ATSG). 
1.2 Da keine laufenden Leistungen im Sinne der übergangsrechtlichen Ausnahmebestimmung des Art. 82 Abs. 1 ATSG, sondern Dauerleistungen im Streit stehen, über welche noch nicht rechtskräftig verfügt worden ist, ist - den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln folgend - für die Zeit bis 31. Dezember 2002 auf Grund der bisherigen Rechtslage und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen des auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretenen ATSG und dessen Ausführungsverordnung (BGE 130 V 446 Erw. 1) zu entscheiden. Das selbe gilt für die per 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des IVG vom 21. März 2003 und der IVV vom 21. Mai 2003 (4. IV-Revision) sowie die damit einhergehenden Anpassungen des ATSG. 
 
Zu präzisieren ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene ATSG hinsichtlich der IV-rechtlichen Invaliditätsbemessung keine substantiellen Änderungen gegenüber der bis zum 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Normenlage brachte (BGE 130 V 343), was zur Folge hat, dass die zur altrechtlichen Regelung ergangene Judikatur grundsätzlich weiterhin anwendbar ist. 
2. 
Einig ist man sich hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit in einer leichten, dem Versicherten noch zumutbaren, seinen Behinderungen angepassten Tätigkeit. Diese ist auf 50 % festzusetzen. Gewisse Divergenzen herrschen darüber, was er dabei noch zu verdienen vermöchte. Der Hauptstreitpunkt liegt hingegen in der Bemessung des Valideneinkommens. Während die Vorinstanz ein solches von Fr. 44'455.- ermittelte, geht die Beschwerde führende IV-Stelle davon aus, dieses betrage lediglich Fr. 36'746.-. Sie rügt, das kantonale Gericht habe zu Unrecht die Einkommen gemäss IK-Auszug für die Jahre 1990 bis 1999 in seine Festsetzung des Valideneinkommens miteinbezogen. Dieser Zeitraum sei zu gross. 
3. 
3.1 Für den Einkommensvergleich gemäss Art. 28 Abs. 2 IVG beziehungsweise Art. 16 ATSG sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Beginns des - möglichen - Rentenanspruchs massgebend, wobei Validen- und Invalideneinkommen auf zeitidentischer Grundlage zu erheben und allfällige rentenwirksame Änderungen der Vergleichseinkommen bis zum Erlass des Einspracheentscheides zu berücksichtigen sind (vgl. BGE 129 V 222). Mit Bezug auf eine Rentenleistung gilt die Invalidität in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Anspruch nach Art. 29 Abs. 1 IVG entsteht, das heisst frühestens wenn die versicherte Person mindestens zu 40 % bleibend erwerbsunfähig geworden ist (lit. a) oder während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 % arbeitsunfähig gewesen war (lit. b) und wenn sich daran eine Erwerbsunfähigkeit in mindestens gleicher Höhe anschliesst (BGE 121 V 274 Erw. 6b/cc, 119 V 115 Erw. 5a mit Hinweisen). 
3.2 Der Anmeldung zum Rentenbezug und dem Arztbericht des Dr. med. R.________, Innere Medizin FMH, vom 9. November 2000 ist zu entnehmen, dass der Beschwerdegegner seit dem 17. Mai 2000 in seiner bisherigen Tätigkeit vollständig arbeitsunfähig ist. In Anwendung von Art. 29 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 IVG ist der mögliche Rentenbeginn damit auf Mai 2001 anzusetzen, womit es die Verhältnisse in jenem Zeitpunkt zu prüfen gilt. 
4. 
4.1 Gemäss Verfügung vom 30. September 2003 ermittelte die IV-Stelle das Valideneinkommen von Fr. 36'746.- aufgrund des Durchschnitts der in den Steuerakten ausgewiesenen Erwerbseinkommen der Jahre 1998 (Fr. 22'521.-) und 1999 (Fr. 47'006.-), welcher mittels Nominallohnindex bis ins Jahr 2003 aufgerechnet wurde. 
4.2 Wie bereits die Vorinstanz festgestellt hat, führte dies zu einer sehr ungenauen Feststellung des Valideneinkommens. Es ist zu beachten, dass dieses hypothetisch auf Grund der beim Rentenbeginn bestehenden Verhältnisse festzusetzen ist. Massgebend ist daher nicht, welches Einkommen der Beschwerdegegner in den Jahren 1998 und 1999 versteuert hat, sondern, was er als Gesunder ab 2001 verdient hätte. Das Valideneinkommen ist nicht eine vergangene, sondern eine hypothetische Grösse. Es ist ziffernmässig möglichst genau zu ermitteln. Das Einkommen eines selbstständig Erwerbenden lässt sich nicht einfach der Steuereinschätzung entnehmen. Zumindest hätten dabei die AHV/IV/EO-Beiträge hinzugerechnet und festgestellt werden müssen, inwiefern der Buchhaltungsabschluss durch Rückstellungen, Abschreibungen und weiteres mehr beeinflusst wurde. Die erhebliche Differenz zwischen den Einkommen der Jahre 1998 und 1999 (mehr als eine Verdoppelung) zeigt, dass dieser kurze Zeitraum vorliegend auf keinen Fall ausreicht, um zuverlässige Fakten für das hypothetische Valideneinkommen ab dem Jahr 2001 zu liefern. Aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass die IV-Stelle versucht hätte den Grund für diese erhebliche Schwankung zu ermitteln. Sie rechtfertigen jedoch das Vorgehen des kantonalen Gerichts, welches - um die jährlichen Differenzen auszugleichen - einen langen Zeitraum von 10 Jahren in seine Festsetzung des strittigen Einkommens miteinbezogen hat. 
 
Der Steuererklärung des Jahres 2001 lässt sich entnehmen, dass der Versicherte von seiner Krankentaggeldversicherung ("die Mobiliar") in jenem Jahr persönliche Taggeldleistungen von Fr. 95'995.- bezogen hat. Dies ist zumindest ein Indiz dafür, dass er auch als Gesunder in jenem Jahr nicht blosse Fr. 36'746.- verdient hätte. Erfahrungsgemäss bezahlt eine Krankentaggeldversicherung nicht Summen in dieser Höhe, ohne dass sie Abklärungen über den tatsächlich entgangenen Verdienst getätigt hätte. Nach der Aktenlage wurde nicht versucht, diese Unstimmigkeit zu klären. 
4.3 Zusammenfassend ist der Beschwerdeführerin insofern zuzustimmen, als sie rügt, dass die Einträge aus dem IK-Auszug der Jahre 1990 bis 1999 Auskunft über abgerechnete Einkommen der Jahre 1987 bis 1996 geben und nicht ohne weiteres zur Bestimmung des Valideneinkommens des Jahres 2001 herangezogen werden können. Dabei fehlen insbesondere die drei Jahre vor Eintritt des Gesundheitsschadens. Zudem hätte der errechnete Durchschnittswert nicht ab dem letzten Jahr (1999), sondern ab dem mittleren Jahr bis zum Rentenbeginn indexiert werden müssen. Indessen ist auch das Vorgehen der Beschwerdeführerin nicht zu schützen, weil es keineswegs Gewähr für eine zuverlässigere Schätzung bietet. Vielmehr können der Aktenlage keine genauen Fakten entnommen werden, welche es erlauben würden, das Valideneinkommen möglichst genau zu bestimmen. Die Sache ist daher an die Beschwerdeführerin zurückzuweisen, welche dieses neu festzusetzen haben wird. Sie wird sich dabei entweder auf ein betriebswirtschaftliches Gutachten zu stützen oder durch andere Ermittlungen konkrete Fakten zu sammeln haben, welche schliesslich ein widerspruchsfreies Bild über die tatsächlichen Verhältnisse ergeben. 
4.4 In Bezug auf das Invalideneinkommen kann auf die richtigen Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Da auch dieses möglichst konkret zu ermitteln ist, hat die Vorinstanz zu Recht auf die Lohnerhebungen in den Bereichen Detailhandel und Reparaturgewerbe und nicht auf den Durchschnittswert aller Wirtschaftszweige abgestellt, wie es die Beschwerdeführerin fordert. Der Versicherte ist seit Jahrzehnten in jenen Bereichen tätig und hat nach seiner Diskushernienoperation offenbar im Tierfutterhandel ein neues, seinen Fähigkeiten und körperlichen Einschränkungen ideal angepasstes Betätigungsfeld gefunden. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 29. September 2004 und der Einspracheentscheid vom 4. Dezember 2003 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen wird, damit diese, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 21. März 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: