Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1C_146/2022
Urteil vom 21. März 2022
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichter Chaix,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Dold.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Schlegel,
gegen
Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern.
Gegenstand
Auslieferung an Polen,
Beschwerde gegen den Entscheid vom
17. Februar 2022 des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer (RR.2021.114).
Sachverhalt:
A.
Die Republik Polen ersuchte die Schweiz mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 um die Auslieferung des polnischen Staatsangehörigen A.________ zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe. Gemäss dem Rechtshilfeersuchen war dieser mit Urteil des Bezirksgerichts Bydgoszcz vom 18. Mai 2012 wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt worden. Er trat die Strafe nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils an und wurde am 27. Mai 2015 vorzeitig bedingt entlassen. Am 8. Mai 2017 widerrief das Bezirksgericht Zielona Góra die bedingte Entlassung und ordnete die Vollstreckung des Rests der Freiheitsstrafe (1 Jahr, 1 Monat und 4 Tage) an. Im Zuge der in der Folge eingeleiteten internationalen Fahndung stellten die polnischen Strafbehörden fest, dass sich A.________ in der Schweiz aufhält.
Am 10. März 2021 wurde A.________ von der Staatsanwaltschaft Luzern zum Auslieferungsersuchen einvernommen. Dabei bestand er auf die Durchführung des ordentlichen Auslieferungsverfahrens.
Mit Auslieferungsentscheid vom 29. April 2021 bewilligte das Bundesamt für Justiz (BJ) die Auslieferung im Sinne der Erwägungen für die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Straftaten im Zusammenhang mit dem Kaufgeschäft von 998.84 g Amphetamin. Für die restlichen Tathandlungen lehnte es die Auslieferung dagegen im Sinne der Erwägungen ab. Zur Begründung der teilweisen Ablehnung führte es aus, dass es bei den im Auslieferungsersuchen erwähnten Delikten im Zusammenhang mit Hanf an der beidseitigen Strafbarkeit fehle, da nicht feststehe, dass der THC-Gehalt die Schwelle für die Anwendbarkeit der schweizerischen Betäubungsmittelgesetzgebung erreiche. Nach der Auslieferung werde das zuständige polnische Gericht somit eine Strafausscheidung vornehmen müssen.
Eine von A.________ gegen den Auslieferungsentscheid des BJ erhobene Beschwerde wies das Bundesstrafgericht mit Entscheid vom 17. Februar 2022 ab. Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies es wegen Aussichtslosigkeit ebenfalls ab.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 3. März 2022 beantragt A.________, der Entscheid des Bundesstrafgerichts sei aufzuheben und die Auslieferung zu verweigern. Eventualiter sei die Sache zur Vervollständigung der Akten an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt.
Erwägungen:
1.
1.1. Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unter den in Art. 84 BGG genannten Voraussetzungen zulässig. Im vorliegenden Fall geht es um eine Auslieferung und damit um ein Sachgebiet, bei dem die Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 BGG insoweit möglich ist. Weiter ist erforderlich, dass es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt.
Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG; BGE 145 IV 99 E. 1 S. 104 ff. mit Hinweisen).
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Ein besonders bedeutender Fall ist deshalb mit Zurückhaltung anzunehmen. Dem Bundesgericht steht insofern ein weiter Ermessensspielraum zu (BGE 145 IV 99 E. 1.2 S. 104 f. mit Hinweisen).
Ein besonders bedeutender Fall kann auch bei einer Auslieferung nur ausnahmsweise angenommen werden. In der Regel stellen sich insoweit keine Rechtsfragen, die der Klärung durch das Bundesgericht bedürfen, und kommt den Fällen auch sonst wie keine besondere Tragweite zu (BGE 134 IV 156 E. 1.3.4 S. 161).
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Rechtsschrift in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein besonders bedeutender Fall nach Art. 84 BGG vorliegt, so ist auszuführen, warum diese Voraussetzung erfüllt ist (BGE 145 IV 99 E. 1.5 S. 107 mit Hinweisen).
Nach Art. 109 BGG entscheidet die Abteilung in Dreierbesetzung über Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen kein besonders bedeutender Fall vorliegt (Abs. 1). Der Entscheid wird summarisch begründet und es kann ganz oder teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Abs. 3).
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Entscheid des Bezirksgerichts Zielona Góra vom 8. Mai 2017, mit dem die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug widerrufen worden sei, bewirke einen neuerlichen Freiheitsentzug. Eine Begründung sei deshalb erforderlich, fehle aber gänzlich. Unter diesen Umständen stünden Art. 5 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 2 lit. a IRSG (SR 351.1) einer Auslieferung entgegen.
Das Bundesstrafgericht führt aus, die Voraussetzungen und das Verfahren des Widerrufs der bedingten Entlassung richteten sich nach dem Recht des ersuchenden Staats, das von der schweizerischen Rechtshilfebehörde grundsätzlich keiner Überprüfung zu unterziehen sei. Insbesondere sei nicht zu prüfen, ob im Zusammenhang mit dem Vollzug polnischer Strafurteile allenfalls prozessuale Grundrechte des Beschwerdeführers missachtet worden sein könnten. Auch seien die Umstände, die zum Widerruf führten, im Rahmen des Auslieferungsverfahrens nicht zu prüfen. Beim Widerruf gehe es nämlich um eine Modalität der Urteilsvollstreckung. Vor diesem Hintergrund sei auch die gerügte Verletzung des Art. 5 Ziff. 1 EMRK nicht auszumachen. Werde eine bedingte Entlassung widerrufen, sei der weitere Freiheitsentzug von Art. 5 Ziff. 1 lit. a EMRK gedeckt.
Zwar kann sich der bedingt aus dem Strafvollzug Entlassene bei erneuter Inhaftierung auf Art. 5 EMRK bzw. Art. 9 UNO-Pakt II (SR 0.103.2) berufen (UNO-Menschenrechtsausschuss,
Manuel gegen Neuseeland, Entscheidung vom 18. Oktober 2007, Nr. 1385/2005, E. 7.3). Einer Auslieferung stehen diese Bestimmungen im vorliegenden Fall jedoch nicht entgegen. Das Urteil des Bezirksgerichts Bydgoszcz vom 18. Mai 2020 stellt ein vollstreckbares verurteilendes Erkenntnis im Sinne von Art. 12 Ziff. 2 lit. a des hier anwendbaren Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (SR 0.353.1; im Folgenden: EAUe) dar. Zudem erging nach der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug ein gerichtlicher Beschluss über deren Widerruf. Dass dieser Beschluss nur im Dispositiv, d.h. ohne Begründung, vorliegt, steht der Auslieferung nicht entgegen (vgl. Urteil 1A.118/2004 vom 3. August 2004 E. 3.8). Anhaltspunkte dafür, dass das Verfahren in Polen dem in Art. 2 lit. a IRSG verankerten internationalen ordre public widerspricht, bestehen nicht (zur Anwendbarkeit dieser Bestimmung zwischen Vertragsparteien des EAUe: BGE 126 II 324; Urteil 1A.91/2000 vom 19. Juni 2000 E. 4a/aa mit Hinweisen). Da es sich bei Polen um einen EMRK-Vertragsstaat handelt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass dieser Staat die Konventionsgarantien in der Praxis gewährleistet (BGE 126 II 324 E. 4e; Urteil 1A.124/2001 vom 28. März 2002 E. 3.1). Sollte dennoch der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt werden, kann er dies zunächst im ersuchenden Staat und in der Folge mit Individualbeschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Art. 34 EMRK geltend machen (Urteil 1A.91/2000 vom 19. Juni 2000 E. 4a/bb mit Hinweisen).
Es liegen somit keine Gründe für die Annahme vor, dass das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist. Auch stellen sich keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung.
3.
Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.
Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
2.2. Rechtsanwalt Dr. Stephan Schlegel wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung, und dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. März 2022
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Der Gerichtsschreiber: Dold