Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_50/2024
Urteil vom 21. März 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichter Kölz, Hofmann,
Gerichtsschreiber Schurtenberger.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, 3. Abteilung, Bahnhofstrasse 4,
Postfach 128, 8832 Wollerau,
2. B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Lüscher,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Einstellung Strafverfahren,
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Schwyz vom 1. Dezember 2023 (BEK 2023 92).
Sachverhalt:
A.
Der Verband C.________ erstattete am 5. April 2022 Strafanzeige betreffend ungetreue Geschäftsbesorgung und eventuell andere Delikte gegen B.________, CEO der D.________ AG und der A.________ AG. Sie wirft ihm vor, seit 2012 Leistungen einer externen Buchhaltungsgesellschaft von rund Fr. 600'000.00 sowie Löhne und Dienstleistungen für Mitarbeiter der D.________ AG zu Unrecht der A.________ AG verrechnet zu haben.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz eröffnete eine Strafuntersuchung gegen B.________, zweifelte indes die Parteistellung des Verbands C.________ an, worauf sich am 30. Januar 2023 die A.________ AG als Privatklägerin im Straf- und Zivilpunkt konstituierte und in der Folge mitteilte, ihre Interessen durch E.________ vertreten zu lassen.
B.
Nach Abschluss der Untersuchung wies die Staatsanwaltschaft am 3. Juli 2023 die Beweisergänzungsanträge der A.________ AG ab und stellte das Strafverfahren gegen B.________ betreffend ungetreue Geschäftsbesorgung im Zusammenhang mit seiner Funktion als CEO der A.________ AG bezüglich Ausgaben für die Führung der Buchhaltung und Lohnkosten für zwei Mitarbeiter ein.
Dagegen erhob E.________ namens der A.________ AG Beschwerde an das Kantonsgericht des Kantons Schwyz. Er beantragte, die Einstellungsverfügung aufzuheben und das Verfahren zwecks Weiterführung und Ergänzung der Untersuchung sowie anschliessender (eventualiter: nur) Anklageerhebung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen mit der Weisung zur Befragung von weiteren drei Personen. Die Staatsanwaltschaft beantragte in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. B.________ verlangte, auf die Beschwerde mangels gültiger Konstitutierungserklärung nicht einzutreten, eventualiter sie abzuweisen.
Mit Verfügung vom 1. Dezember 2023 trat das Kantonsgericht auf die Beschwerde nicht ein.
C.
Die A.________ AG verlangt mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 15. Januar 2024, die Verfügung des Kantonsgerichts sei aufzuheben, die (kantonale) Beschwerde gutzuheissen und es sei das Strafverfahren zwecks Weiterführung und Ergänzung der Untersuchung sowie anschliessender Anklageerhebung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen, wobei dieser "insbesondere, aber nicht abschliessend, die Weisung zu erteilen sei, F.________, G.________, H.________ und I.________ zu befragen". Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht zur Beschwerde vernehmen lassen. Das Kantonsgericht hat kurze Hinweise zur Beschwerde eingereicht, ohne einen Antrag zu stellen und unter Verzicht auf eine umfassende Stellungnahme. B.________ hat in seiner Vernehmlassung Antrag gestellt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit dem auf die (kantonale) Beschwerde gegen eine Verfahrenseinstellung nicht eingetreten wird. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 Abs. 1, Art. 80 und Art. 90 BGG grundsätzlich offen. Die Beschwerdeführerin ist unabhängig von ihrer Beschwerdeberechtigung in der Sache (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 5 BGG) befugt, diese dem Bundesgericht zur Beurteilung vorzulegen (siehe BGE 141 IV 1 E. 1.1).
Streitgegenstand des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens ist einzig der angefochtene Nichteintretensentscheid (BGE 142 I 155 E. 4.4.2). Demgegenüber fällt die von der Beschwerdeführerin angestrebte materielle Beurteilung ihrer vor der Vorinstanz gestellten Rechtsbegehren von vornherein ausser Betracht (BGE 144 II 184 E. 1.1; 135 II 38 E. 1.2). Insoweit erweist sich die Beschwerde als unzulässig.
2.
B.________ begründete seinen Nichteintretensantrag vor der Vorinstanz damit, dass sich die Beschwerdeführerin nicht gültig (als Privatklägerin) konstituiert habe. An der Verwaltungsratssitzung der Beschwerdeführerin vom 21. März 2022 hätten die Anträge auf eine Forderungsklage über Fr. 320'000.-- und die Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung die nach dem Organisationsreglement erforderliche einstimmige Zustimmung verfehlt. Deshalb sei die Strafanzeige von Vertretern der nicht direkt geschädigten und nicht als Privatklägerin zugelassenen Verband C.________ und nicht von der Beschwerdeführerin eingereicht worden.
Die Vorinstanz erwägt, die Beschwerdeführerin berufe sich in ihrer Beschwerde hinsichtlich ihrer Legitimation ohne weitere Erklärungen auf eine Konstituierung im Strafverfahren. Den Einwänden des Beschwerdegegners 2 in der Beschwerdeantwort gegen die Gültigkeit dieser Konstituierung opponiere sie nicht. Namentlich mache sie nicht geltend, das eingereichte Organisationsreglement, das eine einstimmige Beschlussfassung des Verwaltungsrats zur Einleitung von Gerichtsverfahren und sonstigen Verfahren mit einem Streitwert von mehr als Fr. 250'000.-- vorsehe, sei nicht anwendbar. Ebenso wenig opponiere sie der Ansicht des Beschwerdegegners 2, dass es an einer erforderlichen einstimmigen Beschlussfassung ihres Verwaltungsrats zur Mitwirkung am Strafverfahren als Straf- und Zivilkläger fehle bzw. eine solche an der Sitzung vom 21. März 2022 nicht zustande gekommen sei. Mithin erschienen die Unterzeichner des Konstituierungsschreibens vom 30. Januar 2023 weder zu den entsprechenden Erklärungen für die Beschwerdeführerin noch zur Ermächtigung von E.________ zur Vertretung der Interessen der Beschwerdeführerin befugt. Demzufolge sei davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin, obwohl sie dazu Gelegenheit gehabt habe, nicht rechtzeitig im Strafverfahren gültig als Privatklägerin konstituiert habe. Damit sei sie nicht Partei im Sinne von Art. 382 Abs. 1 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 lit. b und Art. 118 f. StPO und mithin nicht legitimiert, Beschwerde zu erheben.
Im Übrigen - so die Vorinstanz weiter - sei weder offensichtlich noch dargelegt, dass E.________, der die kantonale Beschwerde für die Beschwerdeführerin unterzeichnet hat, namens der Beschwerdeführerin vertretungsbefugt, insbesondere zur Beschwerdeerhebung ermächtigt sei. Zwar sei er seit dem 14. Februar 2023 im Handelsregister als Einzelzeichnungsberechtigter eingetragen. Indes sei die Erteilung von Prokuren und allgemeinen Handlungsvollmachten ebenfalls einer einstimmigen Beschlussfassung durch den Verwaltungsrat vorbehalten, welche die Beschwerdeführerin auch nach der Beschwerdeantwort des Beschwerdegegners 2 nicht eingereicht habe. Insoweit scheine E.________ nicht gültig ermächtigt zu sein, die A.________ AG in ein Beschwerdeverfahren zu involvieren.
3.
3.1. Die Parteien können die Nichtanhandnahmeverfügung innert 10 Tagen bei der Beschwerdeinstanz anfechten (Art. 322 Abs. 2 StPO). Die Privatklägerschaft nimmt am Strafverfahren als Partei teil (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO). Der Strafantrag ist dieser Erklärung gleichgestellt (Art. 118 Abs. 2 StPO). Geschädigt ist, wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Art. 115 Abs. 1 StPO). Geschädigte, die sich nicht als Privatkläger konstituiert haben, können eine Nichtanhandnahme- oder Einstellungsverfügung mangels Parteistellung grundsätzlich nicht anfechten. Diese Einschränkung gilt dann nicht, wenn die geschädigte Person noch keine Gelegenheit hatte, sich zur Frage der Konstituierung zu äussern, so etwa, wenn eine Einstellung ergeht, ohne dass die Strafverfolgungsbehörde die geschädigte Person zuvor auf ihr Konstituierungsrecht aufmerksam gemacht hat (BGE 141 IV 380 E. 2.2; Urteil 6B_158/2021 vom 2. Mai 2022 E. 1.1).
3.2. Die Begründung der Vorinstanz, die Beschwerdeführerin habe sich nicht als Privatklägerin konstituiert, hält der Überprüfung durch das Bundesgericht nicht stand:
Gemäss dem Handelsregistereintrag der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Konstituierung als Privatklägerin, also am 30. Januar 2023, waren die beiden Unterzeichner des Schreibens, Verwaltungsratspräsident J.________ und Verwaltungsratsmitglied K.________, je kollektiv zu zweien zeichnungsberechtigt.
Nach Art. 718a OR können die zur Vertretung befugten Personen im Namen der Gesellschaft alle Rechtshandlungen vornehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringen kann (Abs. 1). Eine Beschränkung dieser Vertretungsbefugnis hat gegenüber gutgläubigen Dritten keine Wirkung; ausgenommen sind die im Handelsregister eingetragenen Bestimmungen über die ausschliessliche Vertretung der Hauptniederlassung oder einer Zweigniederlassung oder über die gemeinsame Vertretung der Gesellschaft (Abs. 2).
Unter Rechtshandlungen, die der Gesellschaftszweck mit sich bringen kann, sind nicht bloss solche zu verstehen, die der Gesellschaft nützlich sind oder in ihrem Betrieb gewöhnlich vorkommen; erfasst sind vielmehr ebenfalls ungewöhnliche Geschäfte, sofern sie auch nur möglicherweise im Gesellschaftszweck begründet sind, d.h. durch diesen zumindest nicht geradezu ausgeschlossen werden (BGE 116 II 320 E. 3a; 111 II 284 E. 3b; 95 II 442 E. 3 mit weiteren Hinweisen). Nur in Extremfällen sind Vertretungshandlungen wegen Zweckwidrigkeit und damit Überschreitung der Vertretungsmacht als von Anfang an für die Gesellschaft unverbindlich und ungültig anzusehen. Der Umfang der Vertretungsmacht des Verwaltungsrats im Aussenverhältnis erfasst demnach alle Rechtsgeschäfte, die vom objektiv verstandenen Gesellschaftszweck nicht geradezu ausgeschlossen sind (Urteile 4A_46/2016 vom 20. Juni 2016 E. 5.2; 4A_147/2014 vom 19. November 2014 E. 3.1.1 mit Hinweis).
Weshalb die Konstituierung der Unterzeichnenden vorliegend nicht rechtsgültig erfolgt sein soll, ist nicht erkennbar. Handlungen der gemäss Handelsregistereintrag zur Vertretung ermächtigten Personen sind der Gesellschaft zuzurechnen, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob die entsprechenden Organe die gesellschaftsinternen Kompetenz- und Handlungsrichtlinien beachtet haben (Urteile 4A_46/2016 vom 20. Juni 2016 E. 5.2; 4A_147/2014 vom 19. November 2014 E. 3.2.5; 4A_617/2013 vom 30. Juni 2014 E. 5.2; 4A_459/2013 vom 22. Januar 2014 E. 3.1.3; 4A_357/2007 vom 8. April 2008 E. 4.2). Ob der Auffassung des Beschwerdegegners 2 zu folgen ist, wonach interne Beschränkungen der Vertretungsbefugnis den Strafbehörden dann entgegengehalten werden können, wenn diese davon Kenntnis haben, braucht vorliegend nicht abschliessend beantwortet zu werden. Weder der von der Vorinstanz für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellten Sachverhalt (vgl. Art. 105 BGG) noch die Vorbringen des Beschwerdegegners 2 in seiner Vernehmlassung lassen den Schluss zu, die Staatsanwaltschaft hätte von einer (allfälligen) Überschreitung der (internen) Vertretungsbefugnis Kenntnis gehabt oder haben müssen.
Die Vorinstanz kann demnach nicht unter Berufung auf das Organisationsreglement der Beschwerdeführerin begründen, dass deren an die Staatsanwaltschaft gerichtete Prozesshandlung ohne Rechtswirkungen geblieben ist, und es kann offenbleiben, ob die Konstituierung als Privatklägerin mangels eines dahingehenden Verwaltungsratsbeschlusses tatsächlich im Widerspruch zu den gesellschaftsinternen Regeln stand, wie der Beschwerdegegner 2 meint.
Am Gesagten vermag auch nichts zu ändern, dass die Ausführungen des Beschwerdegegners 2 zu dieser Frage im kantonalen Beschwerdeverfahren offenbar unwidersprochen geblieben sind. Auf diesen Umstand kann nur schon deshalb nicht abgestellt werden, weil das Kantonsgericht das Doppel der Beschwerdeantwort des Beschwerdegegners 2 und die Beilagen der Beschwerdeführerin lediglich "zur Kenntnisnahme" zugestellt und keinen zweiten Schriftenwechsel angeordnet hat, wie sie es in Anwendung von Art. 390 Abs. 3 StPO hätte tun können. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin somit nicht anerkannt, dass es ihr mangels rechtsgültiger Konstituierung als Privatklägerin am Beschwerderecht fehlt.
4.
Die Beschwerde ist begründet und gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Die angefochtene Verfügung ist aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese neu über die Eintretensvoraussetzungen und gegebenenfalls in der Sache über die Beschwerde entscheidet.
Der Beschwerdegegner 2, der vor der Vorinstanz Antrag auf Nichteintreten und vor Bundesgericht auf Abweisung der Beschwerde gestellt hat, trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens vor Bundesgericht (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin sind im bundesgerichtlichen Verfahren keine Kosten entstanden, für die sie nach Art. 68 Abs. 2 BGG zu entschädigen wäre (siehe BGE 133 III 439 E. 4 und das Reglement über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht vom 31. März 2006 [SR 173.110.210.3]).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird. Die Verfügung des Kantonsgerichts Schwyz vom 1. Dezember 2023 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdegegner 2 auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schwyz schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. März 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger