Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
B 105/05 
B 108/05 
 
Urteil vom 21. April 2006 
I. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard; Gerichtsschreiberin Kopp Käch 
 
Parteien 
B 105/05 
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
 
und 
 
B 108/05 
K.________, 1974, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Galligani, Ruederstrasse 8, 5040 Schöftland, 
 
gegen 
 
Firma X.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Armin Schätti, Marktplatz 2, 5734 Reinach, 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 16. August 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1974 geborene K.________ hatte vom 1. Dezember 1992 bis 31. August 2000 bei der Firma E.________ AG gearbeitet. In der Zeit vom 26. Februar bis 1. Juni 2001 war sie für die Firma X.________ tätig. Aufgrund langjähriger gesundheitlicher Beschwerden sprach die IV-Stelle Aargau K.________ mit Einspracheentscheid vom 28. Oktober 2003 und Verfügung vom 16. Januar 2004 rückwirkend ab 1. Juni 2002 eine halbe Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 56 % zu. 
 
Nach entsprechender Anfrage des Rechtsvertreters von K.________ teilte die Firma X.________ mit Schreiben vom 18. Mai 2004 mit, es sei keine Anmeldung bei ihrer Pensionskasse erfolgt, weil es sich beim Arbeitsverhältnis mit K.________ um einen befristeten dreimonatigen Arbeitseinsatz gehandelt habe. 
B. 
Mit Klage vom 28. Januar 2005 liess K.________ beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau beantragen, die Firma X.________ habe sie nachträglich mittels Anmeldung an die Personalvorsorgeeinrichtung anzuschliessen und rückwirkend zu versichern. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die Klage mit Entscheid vom 16. August 2005 ab. 
C. 
C.a Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) die Aufhebung des Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 16. August 2005 und die Anweisung der Firma X.________, K.________ rückwirkend für die Zeitspanne vom 26. Februar bis 1. Juni 2001 bei ihrer Vorsorgeeinrichtung anzumelden. 
 
Die Firma X.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, K.________ auf deren Gutheissung. 
C.b Auch K.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und beantragen, der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 16. August 2005 sei aufzuheben und die Firma X.________ zu verpflichten, K.________ nachträglich mittels Anmeldung an deren Personalvorsorgeeinrichtung anzuschliessen und rückwirkend zu versichern. 
Die Firma X.________ lässt wiederum auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, das BSV auf deren Gutheissung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Da den beiden Verwaltungsgerichtsbeschwerden derselbe Sachverhalt zu Grunde liegt, sich die gleichen Rechtsfragen stellen und die Rechtsmittel den nämlichen vorinstanzlichen Entscheid betreffen, rechtfertigt es sich, die beiden Verfahren zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu erledigen (BGE 128 V 126 Erw. 1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 128 V 194 Erw. 1). 
2. 
2.1 Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 130 V 104 Erw. 1.1, 112 Erw. 3.1.2, 128 II 389 Erw. 2.1.1, 128 V 258 Erw. 2a, 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen). 
2.2 Die Arbeitgeberin hat sich geweigert, die Arbeitnehmerin bei ihrer Vorsorgeeinrichtung anzumelden und die Vorsorgebeiträge zu entrichten, weshalb die Vorinstanz zu Recht deren Passivlegitimation bejaht hat (Art. 66 Abs. 3 BVG und Art. 10 BVV2; vgl. auch BGE 129 V 320). 
2.3 Der angefochtene Entscheid hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über die obligatorische Versicherung der Arbeitnehmer (Art. 2 BVG) sowie über die Nichtunterstellung unter die obligatorische Versicherung von Arbeitnehmern mit einem befristeten Arbeitsvertrag von höchstens drei Monaten (Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Richtig sind auch die Ausführungen über das befristete Arbeitsverhältnis. 
4. 
Aus den Akten ersichtlich und unbestritten ist, dass K.________ (nachfolgend: Beschwerdeführerin 2) in der Zeit vom 26. Februar bis 1. Juni 2001 bei der Firma X.________ angestellt war. Streitig und zu prüfen ist, ob die damalige Arbeitgeberin die Beschwerdeführerin 2 bei ihrer Vorsorgeeinrichtung hätte anmelden und versichern müssen. 
4.1 Die Firma X.________ verweigerte eine Anmeldung der Beschwerdeführerin 2 bei ihrer Vorsorgeeinrichtung unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2 mit der Begründung, es sei ein auf rund drei Monate befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart worden, wobei die erste Märzwoche 2001 mit den drei letzten Arbeitstagen des Monats Februar 2001 (Montag, 26. Februar bis Mittwoch, 28. Februar 2001) und die letzte Maiwoche (dauernd bis Donnerstag, 31. Mai 2001) mit dem ersten Arbeitstag des Monats Juni 2001 (Freitag, 1. Juni 2001) "aufgefüllt" worden seien. 
4.2 Das kantonale Gericht bestätigte diesen Standpunkt im Wesentlichen mit der Begründung, grundsätzlich sei eine dreimonatige Beschäftigungsdauer abgemacht gewesen, wobei die angefangenen Wochen bei Beginn und am Ende "aufgefüllt" worden seien. Gemäss Zweck der Norm von Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2 sowie in Analogie zur Rechtsprechung zu Art. 2 Abs. 1 lit. b AHVV sei zu tolerieren, dass die vom Verordnungswortlaut geforderte Dreimonatsfrist durch das "Auffüllen" der Wochen bei Beginn und am Ende des Arbeitsverhältnisses überschritten werde, ohne dass dies eine Versicherungspflicht auslöse. 
4.3 In seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertritt das BSV die Auffassung, das "Auffüllen" der Wochen auf ganze Arbeitswochen sei in Bezug auf die Ausnahmeregelung von Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2 nicht zulässig. Es verweist insbesondere auf den klaren und eindeutigen Wortlaut der massgeblichen Bestimmung, welcher seiner Meinung nach auch mit dem Normzweck übereinstimmt. Die als zulässig anerkannten Ausnahmefälle von Art. 2 Abs. 1 lit. b AHVV sodann unterschieden sich - so das BSV - von der Situation in der zweiten Säule und könnten daher nicht analog beigezogen werden. 
4.4 Die Beschwerdeführerin 2 schliesslich macht geltend, es habe sich nicht um einen befristeten Arbeitseinsatz gehandelt, sondern das unbefristete Arbeitsverhältnis sei infolge ihrer anfangs Juni eingetretenen Arbeitsunfähigkeit aufgelöst worden. Unabhängig davon sei darauf hinzuweisen, dass die Dreimonatsfrist von Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2 überschritten worden sei. 
5. 
5.1 Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich von Sinn und Zweck sowie der dem Text zu Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 131 II 31 Erw. 7.1, 131 V 93 Erw. 4.1, 128 Erw. 5.1, 130 V 232 Erw. 2.2, 295 Erw. 5.3.1, 428 Erw. 3.2, 475 Erw. 6.5.1, 484 Erw. 5.2, 129 V 284 Erw. 4.2, je mit Hinweisen). 
5.2 Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2 unterstellt Arbeitnehmer mit einem befristeten Arbeitsvertrag von höchstens drei Monaten nicht der obligatorischen Versicherung. Der Wortlaut dieser Bestimmung stimmt in den drei Sprachversionen überein ("Arbeitnehmer mit einem befristeten Arbeitsvertrag von höchstens drei Monaten", "les salariés engagés pour une durée limitée ne dépassant pas trois mois", "i salariati assunti per un periodo limitato non superiore ai tre mesi") und ist klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich. Ein ausnahmsweises Abweichen davon wäre - wie oben dargelegt - nur zulässig, wenn triftige Gründe dafür vorlägen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Dies ist nicht der Fall. Die Regelung von Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2 wurde - wie dem Kommentar des BSV zum Entwurf der BVV2 vom Sommer 1983 entnommen werden kann - vor allem zur administrativen Entlastung der Vorsorgeeinrichtung aufgestellt. Wie das BSV in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausführt, kann damit keinesfalls gemeint sein, die Anmeldung von Arbeitnehmenden mit auf rund drei Monate befristeten Arbeitsverträgen ins Belieben der Arbeitgebenden zu stellen, sondern einzig die Entlastung der Vorsorgeeinrichtungen von kurzzeitig aufeinanderfolgenden Ein- und Austritten ihrer Versicherten. Dabei wurde die Grenze für die Kurzzeitigkeit auf höchstens drei Monate festgelegt, was - wie jede klare Grenze - immer Fälle nach sich zieht, die ganz wenig daneben liegen, jedoch keine Ausnahmebehandlung rechtfertigen. Nichts anderes ergibt sich auch aus allfälligen Toleranzen bezüglich Überschreitung der Dreimonatsfrist von Art. 2 Abs. 1 lit. b AHVV. Wie das BSV überzeugend ausführt, liegt bei der Anwendung dieser Bestimmung eine andere Interessenlage vor, geht es doch dabei um die erste Säule von Personen, die während längstens drei aufeinanderfolgenden Monaten eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz ausüben und dafür von einem Arbeitgeber im Ausland entlöhnt werden, sodass mit grosser Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie nicht auf eine Versicherung im Schweizerischen Sozialversicherungssystem angewiesen sind, sondern bereits im Herkunfts- oder Wohnsitzland entsprechend versichert sind. 
5.3 Da mit dem Arbeitseinsatz der Beschwerdeführerin 2 vom 26. Februar bis 1. Juni 2001 die Grenze von höchstens drei Monaten eindeutig überschritten worden war, braucht nicht weiter abgeklärt zu werden, ob es sich um einen befristeten Arbeitsvertrag (auf eine Dauer von über drei Monaten) gehandelt hat oder aber ob ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorlag, welches durch das Eintreten der Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin 2 beendet wurde. In beiden Fällen ist Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2 nicht anwendbar, was zur Folge hat, dass die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin 2 für die Zeitspanne vom 26. Februar bis 1. Juni 2001 nachträglich bei ihrer Vorsorgeeinrichtung zu versichern und die entsprechenden Beiträge zu entrichten hat. Da das kantonale Gericht mit seinem Entscheid demzufolge Bundesrecht verletzt hat, sind der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die beiden Verwaltungsgerichtsbeschwerden gutzuheissen. 
6. 
6.1 Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Prozessausgang entsprechend hat die unterliegende Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen und der Beschwerdeführerin 2 für die beiden Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
6.2 Für das kantonale Verfahren hat die Vorinstanz der Beschwerdeführerin 2 keine Parteientschädigung zugesprochen. Weil auf dem Gebiete der beruflichen Vorsorge kein bundesrechtlicher Anspruch auf Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verfahren besteht (vgl. Art. 73 BVG; BGE 126 V 145 Erw. 1b), ist davon abzusehen, die Akten zum allfälligen Entscheid über eine Neuverlegung der Parteikosten dem kantonalen Gericht zuzustellen. Hingegen ist es der letztinstanzlich obsiegenden Beschwerdeführerin 2 unbenommen, mit Blick auf den Ausgang des Prozesses vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht bei der Vorinstanz einen entsprechenden Antrag zu stellen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verfahren B 105/05 und B 108/05 werden vereinigt. 
2. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerden wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 16. August 2005 aufgehoben, und es wird die Firma X.________, verpflichtet, K.________ nachträglich für die Zeit vom 26. Februar bis 1. Juni 2001 bei ihrer Vorsorgeeinrichtung zu versichern und die entsprechenden Beiträge zu entrichten. 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Firma X.________ auferlegt. 
4. 
Die Firma X.________ hat K.________ für die beiden Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 3500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau zugestellt. 
Luzern, 21. April 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: