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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_580/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 21. August 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiberin Pasquini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Patricia Jucker, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Rechtsdienst der Amtsleitung, Hohlstrasse 552, 8090 Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Verschiebung des Strafantritts, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin, vom 20. März 2017. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Bezirksgericht Hinwil verurteilte X.________ am 11. April 2014 wegen qualifiziertem Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage, mehrfacher Veruntreuung, mehrfacher Urkundenfälschung und qualifizierter Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde im Umfang von 18 Monaten aufgeschoben und die Probezeit auf vier Jahre festgesetzt. Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft. 
 
B.  
X.________ wurde am 26. Februar 2016 zur Verbüssung der Freiheitsstrafe per 1. Juni 2016 in den Strafvollzug in Hindelbank vorgeladen, wogegen sie Rekurs erhob. Sie beantragte, den Vollzug der Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Das Amt für Justizvollzug (AJV) wies das Gesuch am 18. Mai 2016 ab und setzte den Strafantrittstermin angesichts einer bevorstehenden Schulteroperation neu auf den 3. Januar 2017 fest. Dagegen erhob X.________ am 29. Juni 2016 Rekurs bei der Justizdirektion des Kantons Zürich. Sie beantragte die Aufhebung der Verfügung vom 18. Mai 2016 und einen Aufschub des Strafantrittstermins auf unbestimmte Zeit. Die Justizdirektion wies den Rekurs am 19. Oktober 2016 ab. 
Am 23. November 2016 gelangte X.________ an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und verlangte erneut einen Strafaufschub auf unbestimmte Zeit. Am 20. Dezember 2016 teilte sie mit, dass sie am 4. Januar 2017 an der Blase operiert werde. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde am 20. März 2017 ab und setzte den Termin für den Strafantritt auf den 17. April 2017 an. 
 
C.  
X.________ gelangt mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt aufschiebende Wirkung und die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. März 2017. Ihr Gesuch vom 4. April 2016 um Aufschub des Strafantrittstermins auf unbestimmte Zeit sei gutzuheissen. Sie ersucht ferner um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerdeführerin beantragt, der Termin zum Strafantritt sei auf unbestimmte Zeit aufzuschieben. Auf die Beschwerde ist daher unabhängig davon, dass der ursprüngliche Termin bereits vergangen ist, einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, indem die Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung auf das Einholen ärztlicher Berichte verzichte, verfalle sie in Willkür. Sodann befinde sie sich mitten in mehreren ärztlichen und therapeutischen Behandlungen. Die Vorinstanz stelle den relevanten Sachverhalt offensichtlich unrichtig fest und verletze wiederholt die Untersuchungsmaxime sowie das rechtliche Gehör. Es stünden dringende körperliche Eingriffe bevor, was regelmässige und engmaschige Abklärungen sowie ein koordiniertes Vorgehen der involvierten Spezialärzte und Therapeuten notwendig mache. Seit April 2016 habe es mehrere wesentliche Veränderungen in ihrem Gesundheitszustand gegeben, dem die Vorinstanz nicht Rechnung trage. Die medizinischen Behandlungen und Therapien könnten in den Anstalten Hindelbank nicht gewährleistet werden. Es bestehe deshalb die konkrete Gefahr, dass ihr Leben oder ihre Gesundheit durch den sofortigen Strafvollzug gefährdet würden. Die Verfügung zum sofortigen Strafantritt sei aufzuheben und der Strafantrittstermin sei auf unbestimmte Zeit zu verschieben, weil ihr verfassungsmässiges Recht auf persönliche Freiheit bzw. körperliche Integrität und das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt seien. Im Übrigen verletze die Vorinstanz mit ihrem Vorgehen klares Recht sowie den Grundsatz von Treu und Glauben, da mit der sofortigen Anordnung des Strafantritts ihr nicht einmal die notwendige Zeit für die Regelung ihrer privaten Angelegenheiten eingeräumt werde.  
 
2.2.  
 
2.2.1. Der Vollzug von Strafen und somit auch der hier fragliche Strafantritt richten sich nach kantonalem Recht (Art. 372 Abs. 1 StGB, Art. 439 Abs. 1 und 2 StPO).  
Nach § 48 Abs. 3 der Justizvollzugsverordnung des Kantons Zürich vom 6. Dezember 2006 (JVV/ZH; LS 331.1) kann das Amt für Justizvollzug auf Gesuch der verurteilten Person den Strafantritt auf einen späteren Termin verschieben, wenn dadurch erhebliche Gesundheitsrisiken oder andere erhebliche, nicht wieder gutzumachende Nachteile vermieden werden und weder der Vollzug der Strafe in Frage gestellt wird noch erhöhte Risiken für Dritte entstehen. 
Das öffentliche Interesse am Vollzug rechtskräftig verhängter Strafen und der Gleichheitssatz schränken den Ermessensspielraum der Vollzugsbehörde hinsichtlich einer Verschiebung des Strafvollzugs nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erheblich ein. Der Strafvollzug bedeutet für die betroffene Person immer ein Übel, das von den einen besser, von den anderen weniger gut ertragen wird. Die blosse Möglichkeit, dass Leben oder Gesundheit der verurteilten Person gefährdet sein könnten, genügt nicht für einen Strafaufschub auf unbestimmte Zeit. Verlangt wird, dass mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, der Strafvollzug gefährde Leben oder Gesundheit der betroffenen Person. Selbst in diesem Fall ist eine Abwägung von öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen, wobei neben den medizinischen Gesichtspunkten auch die Art und Schwere der begangenen Tat und die Dauer der Strafe zu berücksichtigen sind (BGE 108 Ia 69 E. 2b und c; Urteile 6B_1343/2016 vom 6. Februar 2017 E. 1.2; 6B_606/2013 vom 27. September 2013 E. 1.2; 6B_377/2010 vom 25. Mai 2010 E. 2.1.; je mit Hinweisen). Es darf nicht dazu kommen, dass die Selbstgefährdung zu einem gängigen letzten Verteidigungsmittel wird, das von rechtskräftig Verurteilten in Fällen eingesetzt wird, in denen ein Begnadigungsgesuch keine Erfolgsaussichten hat. Ein Strafaufschub ist so lange nicht in Betracht zu ziehen, als die Gefahr der Selbsttötung durch geeignete Massnahmen im Vollzug erheblich reduziert werden kann (BGE 108 Ia 69 E. 2d; BGE 136 IV 97 E. 5.1; Urteil 1B_149/2011 vom 4. Mai 2011 E. 5.1, nicht publiziert in: BGE 137 IV 186). 
 
2.2.2. Das Bundesgericht überprüft die Anwendung kantonalen Rechts - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - nur auf Willkür (vgl. Art. 95 BGG; BGE 141 IV 305 E. 1.2; 140 III 385 E. 2.3; je mit Hinweisen). Die Feststellung des Sachverhalts kann vor Bundesgericht ebenfalls nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig und damit willkürlich ist (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 317 E. 5.4 mit Hinweisen). Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar erscheint, genügt nicht (BGE 141 IV 305 E. 1.2 mit Hinweisen). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht gilt sodann eine qualifizierte Rügepflicht. Das Bundesgericht prüft Rügen nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden sind (Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
2.3. Die Vorinstanz geht davon aus, dass der Sachverhalt umfassend ermittelt scheine. Daher sei es angezeigt, auf weitere Untersuchungen zu verzichten, da zusätzliche Abklärungen keine wesentlichen neuen Erkenntnisse versprechen würden. Bei der Frage der Hafterstehungsfähigkeit gehe es nicht um die Krankengeschichte der verurteilten Person, sondern um ihren aktuellen Gesundheitszustand sowie die möglichen künftigen Entwicklungen im Hinblick auf den Eintritt in den Strafvollzug. Ein Verschiebung des Vollzugs einer rechtskräftigen Strafe komme ohnehin nur in Ausnahmefällen in Frage. Die Vorinstanz nennt die Voraussetzungen, unter welchen ein Strafaufschub gewährt werden könne. Leide die verurteilte Person an physischen, psychischen oder geistigen Störungen, so heisse dies in der Regel nicht, dass die Strafe nicht vollzogen werden könnte, sondern vielmehr, dass der Strafvollzug in angepasster Form durchzuführen sei. Aus den Akten ergebe sich nicht, dass die Beschwerdeführerin auf eine medizinische Betreuung angewiesen wäre, die ihr im Strafvollzug nicht gewährleistet werden könnte.  
 
2.4. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, inwiefern die Erörterungen der Vorinstanz und das Ergebnis willkürlich wären. Die Vorinstanz stellt fest, dass zusätzliche Abklärungen keine wesentlichen neuen Erkenntnisse versprechen würden. Sie weist zu Recht darauf hin, dass es nicht um die Krankheitsgeschichte geht, sondern um den aktuellen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin sowie um die möglichen künftigen Entwicklungen im Hinblick auf den Eintritt in den Strafvollzug. Ihre Krankengeschichte sei insofern relevant, als diese einen Einfluss auf ihren aktuellen Gesundheitszustand habe. So gingen die Schulterbeschwerden sowie das Lymphödem direkt auf vergangene Operationen bzw. Erkrankungen zurück. Das ergebe sich bereits in genügender Weise aus den vorgelegten Arztzeugnissen. Dasselbe gelte für die Krebserkrankungen, die Blasenbeschwerden, das geschwächte Immunsystem sowie die suizidalen Tendenzen der Beschwerdeführerin. Die vorliegenden Arztzeugnisse seien erst wenige Monate alt und genügend aktuell. Das ist nicht zu beanstanden. Nicht zu beanstanden ist zudem, dass die Vorinstanz zum Schluss gelangt, für die Einholung eines Gutachtens zur Hafterstehungsfähigkeit bestehe keine Notwendigkeit. Vielmehr genüge es, wenn der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Berichte anlässlich der Eintrittsuntersuchung durch medizinisches Fachpersonal abgeklärt werde und bei Bedarf geeignete Massnahmen veranlasst würden. Der Arzt und der Psychiater hätten die ärztlichen Berichte schon erhalten und geprüft. Sie würden den Strafantritt der Beschwerdeführerin befürworten. Auch aus den eingereichten ärztlichen Zeugnissen sei nicht erkennbar, dass eine zeitliche Verzögerung die Gesundheit der Beschwerdeführerin derart gefährden würde, dass eine Verschiebung des Strafantritts gerechtfertigt wäre. Sollte sich während des Vollzugs erweisen, dass die Knieoperation unmittelbar durchgeführt werden müsse, sei dies auch während des Vollzugs oder im Rahmen eines Strafunterbruchs möglich. Auch der zeitweisen Beeinträchtigung der Beweglichkeit des Arms könne in den Anstalten Hindelbank hinreichend Rechnung getragen werden. Ferner würden auch die suizidalen Tendenzen keine Hafterstehungsunfähigkeit zu begründen vermögen. Schliesslich erwiesen sich auch die übrigen geltend gemachten Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin nicht als derart erheblich, dass auf fehlende Hafterstehungsfähigkeit geschlossen werden müsste. Gesundheitsbeeinträchtigungen geringeren Grades könnten auch während des Vollzugs ausreichend medizinisch behandelt werden. Insbesondere bestehe die Möglichkeit die Beschwerdeführerin in eine psychiatrische Klinik zu verlegen, wenn dies notwendig sein sollte.  
Weiter vermag die Beschwerdeführerin nicht schlüssig zu begründen, dass ein Strafantritt unweigerlich eine beträchtliche Gefahr für ihr Leben oder ihre Gesundheit bedeuten würde, der mit einem angepassten Strafvollzug nicht begegnet werden könnte. Die Vorinstanz eruiert die zahlreichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin sorgfältig und stellt plausibel dar, dass neben einer zweckentsprechenden therapeutischen Behandlung auch die Möglichkeit und Gewähr für einen den Umständen angemessenen Vollzug der Strafe bestehe, sodass sich kein Aufschub der Strafe aufdränge. Die Kritik der Beschwerdeführerin, die Anstalten Hindelbank seien nicht in der Lage, eine ausreichende medizinische und therapeutische Betreuung sicherzustellen, was sich darin zeige, dass die diesbezüglichen (telefonischen) Auskünfte von einer Sekretärin stammten, ist abwegig. Ebenso ist die Kritik der Beschwerdeführerin, man habe ihr nicht einmal die nötige Zeit eingeräumt, um vor Strafantritt ihre persönlichen Angelegenheiten zu ordnen, unbehelflich: Sie ist erstinstanzlich am 14. April 2014 wegen diverser Delikte zu einer 36-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden und erstmals am 26. Februar 2016 per 1. Juni 2016 zum Strafantritt aufgeboten worden. Dass die rechtskräftig gewordene Freiheitsstrafe zum Vollzug kommen wird, muss auch der Beschwerdeführerin schon seit langem klar sein. 
Die Beschwerdeführerin moniert, die Vorinstanz setze sich mit ihren Angstzuständen und suizidalen Tendenzen nicht auseinander und lege nicht ansatzweise dar, wie die Anstalten Hindelbank der Suizidgefahr konkret entgegenwirken würden. Die Kritik ist unbegründet. Der Hinweis der Vorinstanz, die Anstalten Hindelbank seien in der Lage, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, ist ausreichend. Die Vorinstanz braucht nicht im Einzelnen darzulegen, worin gegebenenfalls diese Massnahmen bestehen würden. 
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, das Urteil der Vorinstanz verletze ihr Recht auf persönliche Freiheit sowie das Verhältnismässigkeitsprinzip, genügt ihre Beschwerde den Begründungsanforderungen nicht. Darauf ist nicht einzutreten. 
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um aufschiebende Wirkung ist gegenstandslos. Die Beschwerdeführerin wird grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario). Den angespannten finanziellen Verhältnissen der Beschwerdeführerin ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. August 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini