Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_1086/2023
Urteil vom 21. August 2024
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Denys, Bundesrichter Muschietti,
Gerichtsschreiber Roux-Serret.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Fürsprecher Adrian Blättler,
Beschwerdeführerin,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Verbrechen gegen das Betäubungsmittelgesetz; Strafzumessung; Landesverweisung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 30. Juni 2023 (SB220405-O/U/nk-as).
Sachverhalt:
A.
A.________ vermittelte der Abnehmerin B.________ am 24. August 2021 in Zürich 30 Gramm Kokaingemisch (23,5 Gramm Reinmenge) für Fr. 1'900.--. Sie erhielt Fr. 250.-- als Vermittlungsgebühr und bezahlte Fr. 1'650.-- an die Drittperson, die das Kokain gebracht hatte.
B.
Das Bezirksgericht Zürich sprach A.________ mit Urteil vom 7. April 2022 des Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie der Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes schuldig und bestrafte sie mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten sowie einer Busse von Fr. 300.--. Zudem ordnete das Gericht eine Landesverweisung für die Dauer von 5 Jahren an. Dagegen erhob A.________ Berufung.
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte mit Urteil vom 30. Juni 2023 die Rechtskraft des Schuldspruchs wegen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes fest und sprach A.________ im Übrigen des Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig (Dispositiv Ziffer 1). Es bestrafte sie mit einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten sowie einer Busse von Fr. 300.-- (Dispositiv Ziffer 2 und Ziffer 3). Weiter ordnete es eine Landesverweisung für die Dauer von 5 Jahren an (Dispositiv Ziffer 4).
C.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache der Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei sie in Abänderung von Dispositiv Ziffer 1 des angefochtenen Urteils des Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig zu sprechen und in Abänderung von Dispositiv Ziffer 2 und Ziffer 3 mit einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 30.-- abzüglich der erstandenen Haft von 52 Tagen sowie zu einer Busse von Fr. 300.-- zu verurteilen. In Abänderung von Dispositiv Ziffer 4 sei von einer Landesverweisung abzusehen.
Schliesslich ersucht A.________ für das bundesgerichtliche Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass sie mit ihren Verhalten den Tatbestand von Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG erfüllt habe.
1.1. Die Beschwerdeführerin behauptet, diese Qualifikation setze voraus, dass der Täter oder die Täterin wisse oder annehmen müsse, dass seine oder ihre Widerhandlungen mittelbar oder unmittelbar die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen könne. Im Gegensatz zur entsprechenden Norm des Betäubungsmittelgesetzes, die bis am 1. Juli 2011 in Kraft gewesen sei, setze das heute geltende Gesetz nicht mehr bei der Menge der fraglichen Droge an, sondern bei der konkreten Widerhandlung, die zu beurteilen sei.
Die Vorinstanz meine in Anlehnung an die Rechtsprechung zum früheren Gesetzestatbestand, dass vorliegend keine Gewissheit darüber bestanden habe, ob effektiv nur sechs Leute an der Party anwesend sein bzw. ob die Drogen nicht an weitere Personen weitergegeben würden. Vor diesem Hintergrund könne die abstrakte Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen im konkreten Fall nicht als vernachlässigbar beurteilt werden. Das Bundesgericht habe aber schon in seiner Praxis zum altrechtlichen Tatbestand betreffend das Kriterium der Gesundheitsgefährdung konstant festgehalten, dass die Norm angesichts der erheblichen Verschärfung der Strafandrohung im Vergleich zum Grundtatbestand restriktiv auszulegen und die darin genannte Gesundheitsgefahr für viele Menschen nur mit Zurückhaltung anzunehmen sei. Sie sei nicht schon zu bejahen, wenn der Gebrauch der Droge psychisch abhängig mache, sondern erst, wenn er seelische oder körperliche Schäden verursachen könne; diese Gefahr für die Gesundheit müsse ausserdem eine naheliegende und ernstliche sein. Der unbestimmte Rechtsbegriff "viele Menschen" bedeute in der Praxis seit langem mindestens zwanzig Personen. Erforderlich sei demnach die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der betreffende Stoff einem unbestimmten und nicht zum Voraus bestimmbaren Kreis potenzieller Konsumenten zugänglich gemacht werde.
In objektiver Hinsicht stehe fest, dass die Abnehmerin der Beschwerdeführerin erklärt habe, das Kokaingemisch für eine Party mit sechs Leuten zu brauchen. Darüber hinaus habe sie anlässlich ihrer Einvernahme vor erster Instanz zugesichert, dass ihre Abnehmer das Kokaingemisch ausschliesslich zu privaten Zwecken verwendeten und nicht weiterverkaufen würden. Somit seien die 23,5 Gramm Kokain für einen relativ kleinen Kreis von sechs bis sieben Personen gedacht gewesen.
Die Vorinstanz argumentiere der Beschwerdeführerin zufolge, dass keine Gewissheit darüber bestanden habe, ob effektiv nur sechs Leute an der Party anwesend sein bzw. ob die Drogen nicht an weitere Personen weitergegeben würden. Die Beschwerdeführerin habe davon ausgehen müssen, dass die ihr nicht näher bekannten Abnehmer ihrerseits eine gewisse Menge weitergeben würden. Wie genau die Drogen aufgeteilt werden sollten, sei nicht bekannt; ausschlaggebend sei, dass die Beschwerdeführerin eine grössere Anzahl Personen Endverbraucher zumindest in Kauf genommen habe.
Gemäss der Bundesgerichtspraxis brauche es für eine Gesundheitsgefährdung von Kokain für eine Person mindestens 0,9 Gramm. Deshalb brauche es bei Kokain mindestens 18 Gramm Reinsubstanz, um die Gesundheit von mindestens 20 Personen zu gefährden. Beim vorliegenden Sachverhalt mit sechs Abnehmern, die das bezogene Kokain von je rund 4 Gramm Reinsubstanz zumindest zum Teil selber konsumiert hätten, sei keine realistische Konstellation denkbar, bei welcher mindestens 20 Personen mit einer Portion von mindestens je 0,9 Gramm Kokain versorgt worden wären. Es sei nicht realistisch anzunehmen, dass die sechs Abnehmer jeweils mehr als die Hälfte ihrer Portion weitergegeben hätten. Selbst bei der Annahme, dass alle von diesen sechs Abnehmern das Kokain gemeinsam mit der Lebenspartnerin oder anderen Drittpersonen konsumiert oder geteilt hätten, wären nicht mehr als weitere sechs bis maximal 12 Personen erreicht worden. Wenn angenommen würde, einer der Abnehmer von jeweils durchschnittlich 4 Gramm Reinsubstanz hätte das bezogene Kokain an einer grösseren Party an 15 oder 20 Personen gratis abgeben können, so wären die dabei unterstellten Konsumeinheiten zu klein, um die Gesundheit der Betroffenen nachhaltig zu gefährden. Der verwirklichte Sachverhalt sei nicht geeignet gewesen, mit hoher Wahrscheinlichkeit die betreffenden Betäubungsmittel vielen Menschen zuzuführen und bei diesen gesundheitliche Schädigungen hervorzurufen. Die Gefahr für die Gesundheit vieler Menschen sei somit keine naheliegende und ernstliche gewesen.
Das Bundesgericht sei bei der Festsetzung der kritischen Menge von 18 Gramm Kokain noch von der intravenösen Applikation ausgegangen, die heute nicht nur bei durchschnittlichen, sondern sogar unter bedürftigen Konsumenten verpönt sei. Das Worst-Case-Szenario, das der bundesgerichtlichen Praxis zur damaligen Zeit zugrunde gelegen sei, nämlich die intravenöse Applikation des grössten Teils der fraglichen Gesamtmenge Kokain, sei im hier zu beurteilenden Zeitraum so weit weg von der Realität, dass es nicht geeignet sei, eine wenigstens abstrakte Gesundheitsgefährdung vieler Menschen zu begründen.
Bei der hier vorliegenden Konstellation einer Vermittlung von 23,5 Gramm Kokainhydrochlorid an eine Abnehmerin, die es an sechs weitere "gut situierte" Abnehmer zur privaten Verwendung habe weitergeben wollen, sei kein Szenario denkbar, bei dem mindestens 20 Menschen in ihrer Gesundheit naheliegend und ernstlich gefährdet worden wären. Aus diesen Gründen sei das angefochtene Urteil aufzuheben.
1.2.
1.2.1. Gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. c BetmG macht sich unter anderem strafbar, wer Betäubungsmittel unbefugt veräussert, verordnet, auf andere Weise einem anderen verschafft oder in Verkehr bringt. Die Bestimmung ist als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet (BGE 118 IV 200 E. 3f; Urteile 6B_1280/2022 vom 4. Mai 2023 E. 4.1.1; 6B_134/2021 vom 20. Juni 2022 E. 1.3.1; 6B_932/2018 vom 24. Januar 2019 E. 1.2.4, nicht publ. in: BGE 145 IV 146; je mit Hinweis). Art. 19 Abs. 1 BetmG untersagt generell alle Handlungen, die dazu führen, dass Drogen in den Umlauf geraten oder allfälligen Konsumenten zugänglich gemacht werden (Urteile 6B_1280/2022 vom 4. Mai 2023 E. 4.1.1; 6B_134/2021 vom 20. Juni 2022 E. 1.3; 6B_1440/2019 vom 25. Februar 2020 E. 2.3.1 mit Hinweis).
1.2.2. Ein schwerer Fall nach Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG liegt vor, wenn der Täter weiss oder annehmen muss, dass die Widerhandlung mittelbar oder unmittelbar die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. In objektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand eine direkte oder indirekte Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen. In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der Täter von dieser Gefährdung wusste oder hätte wissen müssen. Die objektive und die subjektive Voraussetzung müssen kumulativ erfüllt sein (BGE 145 IV 312 E. 2.1.1; Urteil 6B_17/2022 vom 18. März 2024 E. 1.4, zur Publikation vorgesehen; je mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung ist die Schwelle zu einem qualifizierten Fall überschritten und von einer Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen (d. h. von mindestens 20 Personen) auszugehen, wenn ein Betäubungsmittelgemisch mindestens 18 Gramm reines Kokain enthält. Die reine Betäubungsmittelmenge bildet trotz des im Gesetzestext nicht mehr explizit enthaltenen Mengenbezugs weiterhin ein zentrales Kriterium zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Gesundheitsgefahr für viele Menschen (vgl. BGE 145 IV 312 E. 2.1.1-2.1.3; Urteile 6B_17/2022 vom 18. März 2024 E. 1.4, zur Publikation vorgesehen; 6B_1280/2022 vom 4. Mai 2023 E. 4.1.1; 6B_1078/2022 vom 25. Januar 2023 E. 3.1.2; 6B_134/2021 vom 20. Juni 2022 E. 1.3.1; je mit Hinweisen).
1.3.
1.3.1. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin überzeugen nicht. Unbestritten ist, dass sie mit 23,5 Gramm eine Reinmenge Kokain vermittelte, die grundsätzlich geeignet ist, die Gesundheit von mindestens 20 - und damit einer grossen Anzahl - Personen zu gefährden.
1.3.2. Zwar erlaubt der seit 2011 geltende Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG neben der (nach wie vor das zentrale Kriterium bildenden) Menge an Betäubungsmittel die Berücksichtigung weiterer Elemente, dies ändert jedoch nichts an der weiterhin geltenden Ausgestaltung der Norm als abstraktes Gefährdungsdelikt (vgl. Urteil 6B_17/2022 vom 18. März 2024 E. 1.7, zur Publikation vorgesehen, mit Hinweisen). Entsprechend ist nicht von Belang, ob sich die geschaffene Gefahr (für die Gesundheit vieler Menschen) im konkreten Fall auch tatsächlich realisierte.
Auch wenn die Abnehmerin der Beschwerdeführerin zusicherte, die Betäubungsmittel seien für einen reduzierten Konsumentenkreis (sechs "gut situierte" Leute) bestimmt, erwägt die Vorinstanz korrekt, dass in casu keine Gewissheit über die tatsächliche Anzahl Endkonsumenten resp. die weitere Verwendung des Kokains bestand. Die Beschwerdeführerin wäre an der betreffenden Party weder anwesend gewesen noch kannte sie die Gästeliste. Mithin konnte sie die Verbreitung der von ihr vermittelten Drogen weder steuern noch überprüfen. Entsprechend musste sie wissen, dass sie mit der Weitergabe der 23,5 Gramm Kokainhydrochlorid eine (ernstliche) abstrakte Gefahr für viele Menschen im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG schuf. Unbehelflich sind vor diesem Hintergrund die von der Beschwerdeführerin angestellten (im Übrigen rein hypothetischen) Berechnungen, wonach bei Annahme eines Abnehmerkreises von sechs Personen und unter Zugrundelegung eines bestimmten Konsumverhaltens selbst bei Weitergabe eines Teils des Kokains keine Gefährdung vieler Menschen denkbar gewesen wäre.
1.3.3. Die Vorinstanz erachtet den Tatbestand von Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG zu Recht als erfüllt.
1.4. Die Beschwerdeführerin begründet ihre Eventualbegehren - namentlich auch das Absehen von der Landesverweisung - mit einem Obsiegen im Hauptantrag. Auf diese ist demnach nicht einzugehen.
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrer angespannten finanziellen Lage wird bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung getragen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. August 2024
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Der Gerichtsschreiber: Roux-Serret