Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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1B_483/2017
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Urteil vom 21. November 2017
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Uebersax.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Bischoff,
gegen
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich.
Gegenstand
Anordnung von Untersuchungshaft,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 20. Oktober 2017 (UB170132-O/U/BEE).
Sachverhalt:
A.
A.________ verbüsste bis zum 27. September 2017 eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg. Am 26. September 2017 verfügte die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat die vorläufige Festnahme von A.________ per 28. September 2017, dem Tag unmittelbar nach Beendigung des Strafvollzugs. Am 27. September 2017 beantragte sie beim Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich die Anordnung von Untersuchungshaft wegen verschiedener im Strafvollzug begangener Straftaten. Mit Verfügung vom 29. September 2017 ordnete das Zwangsmassnahmengericht antragsgemäss Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr an.
B.
Dagegen führte A.________ Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerde mit Beschluss vom 20. Oktober 2017 ab.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 8. November 2017 beantragt A.________, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an dieses zurückzuweisen. Zudem stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Zur Begründung wird eine Verletzung des Replikrechts und damit des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren geltend gemacht.
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht verzichteten beide auf eine Stellungnahme.
Erwägungen:
1.
1.1. Gegen den angefochtenen kantonal letztinstanzlichen Haftentscheid steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen.
1.2. Der Beschwerdeführer nahm am vorinstanzlichen Verfahren teil und hat als Häftling und Beschuldigter sowie als direkter Adressat des angefochtenen Beschlusses ein rechtlich geschütztes Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung. Er ist damit zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 81 Abs. 2 BGG).
1.3. Mit der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht unter Einschluss des Bundesverfassungsrechts gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
2.
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV. Diese Rechte sind formeller Natur. Ihre Verletzung führt ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 137 I 195 E. 2.2 S. 197), wenn eine Heilung in oberer Instanz ausser Betracht fällt (zu den Voraussetzungen s. BGE 137 I 195 E. 2.3.2 S. 197).
2.2. Gemäss Art. 29 Abs. 1 und 2 BV sowie nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK haben die Parteien eines Gerichtsverfahrens Anspruch auf rechtliches Gehör und auf ein faires Gerichtsverfahren, unter Beachtung des Grundsatzes der Waffengleichheit. Diese Garantien enthalten auch das Recht, von den beim Gericht eingereichten Stellungnahmen Kenntnis zu erhalten und sich dazu äussern zu können (sog. Replikrecht: BGE 133 I 98 E. 2.1 S. 99). Das Replikrecht hängt nicht von der Entscheidrelevanz der Eingaben ab (BGE 138 I 154 E. 2.3.3 S. 157). Die Wahrnehmung des Replikrechts setzt voraus, dass die von den übrigen Verfahrensbeteiligten eingereichten Eingaben der Partei zugestellt werden (BGE 137 I 195 E. 2.3.1 S. 197). Es ist Sache der Partei zu beurteilen, ob eine Entgegnung erforderlich ist oder nicht. Hingegen zählt es zu den Aufgaben des Gerichts, in jedem Einzelfall ein effektives Replikrecht der Parteien zu gewährleisten. Dazu gehört insbesondere, dass diese auch in zeitlicher Hinsicht die Gelegenheit wahrnehmen können, sich zu äussern (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 5D_112/2013 vom 15. August 2013 E. 2.).
2.3. Nach Art. 85 StPO erfolgt die Zustellung schriftlicher strafprozessualer Verfahrenshandlungen insbesondere durch eingeschriebene Postsendung (Abs. 2); sie ist, von hier nicht interessierenden Spezialtatbeständen abgesehen, erfolgt, wenn die Sendung von der Adressatin oder dem Adressaten entgegengenommen wurde (Abs. 3); eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als abgeholt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Abs. 4 lit. a). Bei eingeschriebenen Postsendungen gilt die widerlegbare Vermutung, dass der oder die Postangestellte den Avis ordnungsgemäss in den Briefkasten oder in das Postfach des Empfängers gelegt hat und das Zustellungsdatum korrekt registriert worden ist (BGE 142 IV 201 E. 2.3 S. 204 f.). Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen (Art. 90 Abs. 1 StPO). Sie sind eingehalten, wenn die Verfahrenshandlung spätestens am letzten Tag bei der zuständigen Behörde vorgenommen wird (Art. 91 Abs. 1 StPO).
3.
3.1. Im vorliegenden Fall erhob der Beschwerdeführer am 6. Oktober 2017 Beschwerde an das Obergericht. Dieses gab mit Verfügung vom 9. Oktober 2017 der Staatsanwaltschaft und dem Zwangsmassnahmengericht Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Zwangsmassnahmengericht verzichtete am gleichen Tag auf Bemerkungen. Hingegen liess sich die Staatsanwaltschaft am 10. Oktober 2017 vernehmen und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
3.2. Mit Verfügung vom 12. Oktober 2017 setzte das Obergericht dem Beschwerdeführer, adressiert an dessen Rechtsvertreter, eine Frist "zur freigestellten Replik innert 3 Arbeitstagen, vom Empfang an gerechnet". Diese Verfügung wurde als eingeschriebene Sendung am Donnerstag, 12. Oktober 2017, 19.00 Uhr, bei der schweizerischen Post aufgegeben. Mit im Postfach hinterlegtem Postavis vom Freitag, 13. Oktober 2017, 09.05 Uhr, wurde dem Rechtsvertreter die Sendung zur Abholung bis zum 20. Oktober 2017 angezeigt. Dieser nahm die Sendung am Freitag, 20. Oktober 2017, 08.11 Uhr, entgegen. Ebenfalls am 20. Oktober 2017 fällte das Obergericht den hier angefochtenen Haftentscheid und gab ihn am gleichen Tag der Post auf. Er wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am Montag, 23. Oktober 2017, 08.02 Uhr, zugestellt. In E. I. 5. des angefochtenen Entscheids hält das Obergericht fest, der Beschwerdeführer habe (im obergerichtlichen Verfahren) auf die Einreichung einer Replik verzichtet.
3.3. Der Adressat einer eingeschriebenen Sendung hat nach erfolglosem Zustellungsversuch während der Abholfrist von sieben Tagen Zeit, um die Sendung entgegenzunehmen, bevor die Abholfiktion greift (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO e contrario). Bei erfolglosem Zustellungsversuch hinterlegt die Post eine Abholungseinladung. Dem ist die gleiche im Postfach ohne förmlichen Zustellungsversuch hinterlegte Abholungseinladung gleichzusetzen. Für die Zustellung der hier massgeblichen Verfügung vom 12. Oktober 2017 über die Fristansetzung kommt es demnach nicht auf die Hinterlegung des Postavis am 13. Oktober 2017, sondern auf die am 20. Oktober 2017 rechtsgültig und im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften innert Abholfrist vorgenommene Abholung der Sendung an. Die Replikfrist von drei Arbeitstagen begann, da es sich beim 21. und 22. Oktober 2017 um ein Wochenende handelte, am Montag, 23. Oktober 2017, zu laufen und sie endete erst am Mittwoch, 25. Oktober 2017. Da das Obergericht seinen Haftentscheid in der Sache bereits am Freitag, 20. Oktober 2017, fällte, verblieb dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit zur Replik bzw. insbesondere dazu, sich zur dem Obergericht eingereichten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 10. Oktober 2017 zu äussern. Damit verletzte die Vorinstanz das Replikrecht des Beschwerdeführers. Eine Heilung dieses Verfahrensmangels im bundesgerichtlichen Verfahren fällt nur schon deshalb ausser Betracht, weil das Bundesgericht jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht nicht über volle Kognition verfügt (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG) und tatsächliche Gesichtspunkte hier massgeblich sein könnten.
3.4. Das Obergericht wird dem Beschwerdeführer nochmals die Gelegenheit zur Replik einzuräumen und danach über die allfällige Fortsetzung des Schriftenwechsels zu befinden haben, bevor es gestützt darauf erneut in der Sache entscheiden muss.
4.
Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist an das Obergericht zurückzuweisen zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen.
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (vgl. Art. 66 BGG). Hingegen hat der Kanton Zürich den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 BGG). Über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist unter diesen Umständen nicht zu entscheiden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
1.1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, und der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 20. Oktober 2017 wird aufgehoben.
1.2. Die Sache wird an das Obergericht des Kantons Zürich zurückgewiesen zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Markus Bischoff, eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu entrichten.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Straf-kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. November 2017
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Uebersax