Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
5A_435/2023
Urteil vom 21. November 2024
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Herrmann, Präsident,
Bundesrichter von Werdt, Bovey, Hartmann,
Bundesrichterin De Rossa,
Gerichtsschreiberin Lang.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Lind,
Beschwerdeführer,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Prozesskostenvorschuss (Ehescheidung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, vom 1. Mai 2023 (ZSU.2023.33, ZSU.2023.86).
Sachverhalt:
A.
A.________ (geb. 1950) und B.________ (geb. 1976) waren verheiratet. Am 10. August 2022 sprach das Bezirksgericht Laufenburg die Scheidung aus und regelte deren Nebenfolgen. Beide Parteien erhoben gegen das Scheidungsurteil Berufung am Obergericht des Kantons Aargau.
B.
B.a. Für das Berufungsverfahren ersuchte B.________ am 15. September 2022 und - nachdem sie über die Berufungserhebung durch A.________ Kenntnis erhalten hatte - am 7. November 2022 beim Bezirksgericht Laufenburg um die Zusprechung eines Prozesskostenvorschusses zu Lasten von A.________ in Höhe von Fr. 50'000.-- (Gesuch vom 15. September 2022) und Fr. 30'000.-- (Gesuch vom 7. November 2022).
B.b. Das Bezirksgericht trat auf die Gesuche nicht ein. Es erachtete sich als nicht zuständig, über Prozesskostenvorschussgesuche für das vor Obergericht hängige Berufungsverfahren zu entscheiden. Das ausserdem gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies es ab.
B.c. Das Obergericht, an das B.________ berufungs- (betreffend Prozesskostenvorschuss) bzw. beschwerdeweise (betreffend Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege) gelangt war, hiess die Rechtsmittel mit Entscheid vom 1. Mai 2023 gut. Es hob den Entscheid des Bezirksgerichts auf und wies die Sache an dieses zur weiteren Beurteilung zurück (Dispositiv-Ziff. 1). Die obergerichtliche Spruchgebühr von Fr. 1'500.-- auferlegte es A.________ (Dispositiv-Ziff. 4), den es ausserdem zur Zahlung einer Parteientschädigung von Fr. 1'050.-- an den Rechtsvertreter von B.________ verpflichtete (Dispositiv-Ziff. 5).
B.d. Bereits zuvor, nämlich am 28. März 2023, schloss das Obergericht das Scheidungsverfahren zwischen den Parteien ab. Keine der Parteien hat dagegen ein Rechtsmittel ergriffen. Noch nicht beurteilt hat das Obergericht hingegen das im Berufungsverfahren von B.________ gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege; es sistierte das diesbezügliche Verfahren bis zum Vorliegen eines materiellen Entscheids über das Prozesskostenvorschussgesuch.
C.
Gegen den ihm am 9. Mai 2023 eröffneten Entscheid vom 1. Mai 2023 gelangt A.________ (Beschwerdeführer) am 7. Juni 2023 an das Bundesgericht. Diesem beantragt er die Aufhebung der Dispositiv-Ziffern 1 (soweit die Berufung, also die Gutheissung in Bezug auf den Prozesskostenvorschuss betreffend) sowie 4 und 5 des Entscheids vom 1. Mai 2023. Stattdessen sei auf die Gesuche der Beschwerdegegnerin vom 15. September 2022 und vom 7. November 2022 nicht einzutreten. Die Beschwerdegegnerin sei sodann zur Übernahme der vorinstanzlichen Gerichtskosten sowie zur Erstattung einer Parteientschädigung von Fr. 1'050.-- an den Beschwerdeführer zu verpflichten. Eventualiter sei das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Beschwerdegegnerin, eventualiter zulasten des Kantons Aargau.
Das Bundesgericht lud die Beschwerdegegnerin und die Vorinstanz zur Beantwortung der Beschwerde ein. Die Vorinstanz verwies mit Schreiben vom 15. November 2023 auf den angefochtenen Entscheid, ohne explizit einen Antrag zu stellen. Die Beschwerdegegnerin ersuchte das Bundesgericht mit Eingabe vom 15. Januar 2024 um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung und beantragte die Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens, bis über dieses Gesuch rechtskräftig befunden werde. Mit Verfügung vom 23. Januar 2024 bewilligte das Bundesgericht das von der Beschwerdegegnerin gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung, zumal die Ehe bereits vor Anhebung der Beschwerde am Bundesgericht rechtskräftig geschieden war und die Beschwerdegegnerin vom Beschwerdeführer keinen Prozesskostenvorschuss mehr erhältlich machen konnte. Das Bundesgericht ordnete ihr Rechtsanwalt Julian Burkhalter als unentgeltlicher Rechtsbeistand bei. Damit wurde das von der Beschwerdegegnerin gestellte Sistierungsgesuch gegenstandslos. Am 16. Februar 2024 erstattete die Beschwerdegegnerin schliesslich innert erstreckter Frist ihre Beschwerdeantwort. Sie beantragte die Abweisung der Beschwerde, sofern darauf einzutreten sei; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Beschwerdeführers. Weitere Eingaben erfolgten nicht. Das Bundesgericht hat im Übrigen die kantonalen Akten eingeholt.
Erwägungen:
1.
Fristgerecht (Art. 100 Abs. 1 BGG) angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher, auf Rechtsmittel hin von einem oberen Gericht gefällter (Art. 75 BGG) Rückweisungsentscheid. Er betrifft den Prozesskostenvorschuss für ein Scheidungsverfahren und damit eine vermögensrechtliche Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG), schliesst das Verfahren aber nicht ab. Folglich liegt ein selbständig eröffneter Zwischenentscheid vor. Dieser ist in einem selbständigen Massnahmeverfahren ergangen. Er unterliegt deshalb gemäss Art. 92 Abs. 1 BGG der Beschwerde in Zivilsachen, zumal er endgültig und für die Instanz verbindlich die Zuständigkeitsfrage entscheidet (BGE 138 III 555 E. 1; Urteil 5A_485/2020 vom 25. März 2021 E. 1.3, nicht publ. in: BGE 147 III 351). Das Streitwerterfordernis ist erfüllt (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) und der Beschwerdeführer ist ausserdem zur Beschwerde berechtigt (Art. 76 Abs. 1 BGG), die gegenteiligen Ausführungen der Beschwerdegegnerin treffen nicht zu. Die Beschwerde in Zivilsachen erweist sich folglich - entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin - als das zutreffende Rechtsmittel.
2.
Der Entscheid über ein im Rahmen des Scheidungsverfahrens gestelltes Gesuch um Leistung eines Prozesskostenvorschusses beschlägt eine vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG (Urteil 5A_786/2021 vom 18. März 2022 E. 2 mit Hinweisen). Daher kann mit der Beschwerde nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. Auch eine Berichtigung oder Ergänzung der Sachverhaltsfeststellungen kommt nur infrage, wenn die kantonale Instanz verfassungsmässige Rechte verletzt hat (BGE 133 III 585 E. 4.1). Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte prüft das Bundesgericht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; Rügeprinzip). Es prüft nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen, während es auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt (BGE 146 I 62 E. 3; 144 II 313 E. 5.1; 142 III 364 E. 2.4). Vorausgesetzt ist daher, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzt (BGE 145 I 121 E. 2.1
in fine mit Hinweis).
3.
Gemäss Art. 4 Abs. 1 ZPO regelt das kantonale Recht die sachliche und funktionelle Zuständigkeit der Gerichte, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Zu beurteilen ist vorliegend die Frage, ob die ZPO für den Prozesskostenvorschuss entsprechende Vorschriften enthält bzw. ob Art. 276 ZPO für die Beurteilung eines Prozesskostenvorschussgesuchs für ein in der Berufungsinstanz hängiges Scheidungsverfahren verbindlich diese Instanz für zuständig erklärt.
3.1. Die Vorinstanz verneint diese Frage. Sie beruft sich auf ihre langjährige, auf kantonales Recht (insbesondere das Einführungsgesetz zur Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 23. März 2010, [EG ZPO]; SAR 221.200) gestützte Praxis, wonach das Obergericht für die Beurteilung von in (bei ihm hängigen) Rechtsmittelverfahren gestellten Gesuchen um vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 276 ZPO bzw. erstmals gestellten Prozesskostenvorschussbegehren nicht zuständig sei. Dies sei stattdessen das erstinstanzliche Eheschutz- bzw. Massnahmegericht.
3.2. Der Beschwerdeführer sieht die Sache anders. Wie (implizit) die Vorinstanz geht er von der Annahme aus, der Prozesskostenvorschuss sei eine vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 276 ZPO. Seiner Ansicht nach geht aus Art. 276 ZPO sodann hervor, dass über den Instanzenzug betrachtet das jeweils mit der Sache befasste Scheidungsgericht für die Beurteilung von Prozesskostenvorschussgesuchen zuständig sei. Nach Berufungserhebung sei das Bezirksgericht daher nicht mehr zur Beurteilung des Prozesskostenvorschussgesuchs für das vor Obergericht hängige Berufungsverfahren zuständig gewesen, weshalb auf die Gesuche - wie die Erstinstanz dies gemacht habe - nicht einzutreten gewesen wäre. Indem die Vorinstanz - gestützt auf kantonales Recht - zum gegenteiligen Schluss komme, habe sie den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts gemäss Art. 49 Abs. 1 BV verletzt und sich überdies dem Willkürvorwurf (Art. 9 BV) aufgesetzt.
3.3. Die Beschwerdegegnerin moniert zunächst, es sei nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rüge. Dies trifft offensichtlich nicht zu. Entgegen ihrer Auffassung kann dem Beschwerdeführer auch nicht vorgeworfen werden, den Rügeanforderungen (oben E. 2, siehe auch nachfolgend E. 4) nicht zu genügen. Soweit sich die Beschwerdegegnerin zur vorliegend zu klärenden Frage (E. 3) äussert, führt sie im Wesentlichen aus, Art. 276 ZPO habe nicht zum Zweck, die (sachliche) Zuständigkeit zu regeln. Die Zuständigkeiten seien in Art. 4 ff. ZPO geregelt. Die sachliche Zuständigkeit sei Sache der Kantone. Selbst wenn Art. 276 ZPO verletzt worden wäre, sei damit höchstens ein Bundesgesetz und nicht die Verfassung verletzt worden, eine Bundesrechtsverletzung könne vorliegend aber nicht gerügt werden. Der Beschwerdeführer übersehe, dass die Vorinstanz kantonales Recht angewendet habe. Dass sie hierbei in Willkür verfallen wäre, mache er nicht geltend. Das Willkürverbot (Art. 9 BV) sei nicht verletzt.
4.
Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts bzw. der Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts gemäss Art. 49 Abs. 1 BV kann als verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden. Wird es - wie hier - angerufen, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition, ob die kantonale Norm mit dem Bundesrecht im Einklang steht. Um zu entscheiden, ob ein Konflikt zwischen einer bundesrechtlichen Bestimmung und einer kantonalen Norm vorliegt, sind diese Regeln vorerst auszulegen (zum Ganzen: BGE 149 III 287 E. 1.2 mit Hinweisen).
5.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und der Lehre beschlägt ein Gesuch um einen Prozesskostenvorschuss im Rahmen eines Scheidungsverfahrens eine vorsorgliche Massnahme nach Art. 276 ZPO (Urteile 5D_17/2024 vom 6. November 2024 E. 4.2.1; 5A_482/2019 vom 10. Oktober 2019 E. 2.1; 5D_83/2015 vom 6. Januar 2016 E. 1.2; anders: Urteil 5A_239/2017 vom 14. September 2017 E. 3.2; WEINGART, Provisio ad litem - Der Prozesskostenvorschuss für eherechtliche Verfahren, in: Festschrift für Jolanta Kren Kostkiewicz, 2018, S. 680 f.; TAPPY, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 40 zu Art. 276 ZPO; BÄHLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 6 zu Art. 276 ZPO; SPYCHER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 9 zu Art. 276 ZPO).
6.
Damit stellt sich die - vom Bundesgericht bisher nicht explizit beantwortete - Frage, welche Instanz für die Beurteilung eines Prozesskostenvorschussgesuchs zuständig ist, wenn das Scheidungsverfahren in zweiter Instanz hängig ist bzw. ob Art. 276 ZPO diese Frage regelt, womit kantonale Bestimmungen ausgeschlossen wären (Art. 122 BV, Art. 4 Abs. 1 ZPO).
6.1. Das Bundesgericht tritt auf bei ihm eingereichte Gesuche um Prozesskostenvorschüsse jeweils nicht ein, weil es ihm an der funktionellen Zuständigkeit fehlt (BGE 143 III 617 E. 7; Urteile 5A_716/2021 vom 7. März 2022 E. 1.3; 5A_561/2020 vom 3. März 2021 E. 1.2). Es verweist die Parteien an das zuständige Sachgericht im kantonalen Verfahren oder - selbst bei hängigem Scheidungsverfahren - an das für Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft zuständige Gericht (BGE 143 III 617 E. 7; Urteil 5A_841/2018, 5A_843/2018 vom 12. Februar 2020 E. 2.3.2), ohne dieses aber näher zu bestimmen. Dabei hat es auch schon (betreffend ein Ehescheidungsverfahren) ausgeführt, dass daher "das Bezirksgericht" hierüber entscheiden müsse, auch wenn es um ein Verfahren vor einer oberen Instanz gehe (Urteil 5A_266/2021 vom 1. Juni 2021 E. 8). In diesen Urteilen ging es aber jeweils nicht um die Klärung der Zuständigkeit für das kantonale Rechtsmittelverfahren, sondern um die Unzuständigkeit des Bundesgerichts, über Prozesskostenvorschussgesuche für das bundesgerichtliche Verfahren zu entscheiden. Von daher kommt ihnen zur Klärung der sich vorliegend stellenden Frage nur beschränkt Bedeutung zu.
6.2. Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der
ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 142 III 557 E. 8.3 mit Hinweisen).
6.2.1. Gemäss Art. 276 Abs. 1 ZPO trifft "das Gericht" die nötigen vorsorglichen Massnahmen. Gemeint ist damit das Scheidungsgericht, das - in Abgrenzung zur Zuständigkeit des Eheschutzgerichts - ab Rechtshängigkeit der Scheidung die notwendigen vorsorglichen Massnahmen trifft (BGE 148 III 95 E. 4.2) bzw. hierzu sachlich zuständig ist (Urteil 5A_344/2015 vom 29. Februar 2016 E. 8.3). Die Bestimmung äussert sich aber nicht explizit zur vorliegend zu klärenden Frage.
6.2.2. Zu beachten ist allerdings auch das Rechtsmittelsystem der Schweizerischen Zivilprozessordnung. So kommt der Berufung insbesondere ein sogenannter "Devolutiveffekt" zu. Ein Gericht verliert seine Gerichtsbarkeit, sobald es in der Sache sein Urteil gefällt hat (BGE 139 III 466 E. 3.4; Urteil 5A_625/2019 vom 22. Juli 2020 E. 4.2). Art. 315 Abs. 2 ZPO überträgt sodann die Zuständigkeit zum Entscheid über die vorzeitige Vollstreckung, die Anordnung sichernder Massnahmen oder der Leistung einer Sicherheit der Rechtsmittelinstanz. Beides spricht dafür, dass sich aus dem Rechtsmittelsystem der ZPO eine Zuständigkeit des Berufungsgerichts im Sinn von Art. 276 ZPO ergibt. Soweit ersichtlich, äussert sich auch die überwiegende Lehre in diesem Sinn (TAPPY, a.a.O., N. 14 zu Art. 276 ZPO; FOUNTOULAKIS/D'ANDRÈS, in: Chabloz et al. [Hrsg.], Petit commentaire CPC, 2020, N. 5 zu Art. 276 ZPO; SUTTER-SOMM/SEILER, in: Handkommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2021, N. 3 zu Art. 276 ZPO; TSCHUDI/AMMANN, Eherechtlicher Unterhalt im Berufungsverfahren betreffend die Scheidungsnebenfolgen, in: BJM 2018, S. 336 und FN 22; REETZ, in: Sutter-Somm et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2016, N. 7 zu Art. 315 ZPO; offen lässt die Frage demgegenüber WEINGART, a.a.O., S. 690, die darauf hinweist, dass die Kantone unterschiedliche Praxen haben; WUFFLI/FUHRER, Handbuch unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess, 2019, S. 224 Rz. 621, führen ohne Begründung aus, ein Gesuch um Gewährung eines Prozesskostenvorschusses müsse vor dem erstinstanzlichen Eheschutzgericht anhängig gemacht werden). Dagegen spricht allenfalls, dass ein Gesuch um Prozesskostenvorschuss nicht den Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens betrifft (siehe dazu Urteil 5A_362/2017 vom 24. Oktober 2017 E. 4).
Aus der Rechtsprechung, mit welcher das Bundesgericht seine funktionelle Zuständigkeit zur Beurteilung eines Prozesskostenvorschussgesuchs verneint, lässt sich nichts zugunsten des Standpunkts der Vorinstanz ableiten, denn: Vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 104 BGG sind auf Massnahmen beschränkt, die dazu dienen, den bestehenden Zustand zu erhalten oder bedrohte Interessen einstweilen sicherzustellen. Nach Art. 276 Abs. 1 ZGB trifft das Gericht dagegen die nötigen vorsorglichen Massnahmen. Eine Beschränkung - wie sie in Art. 104 BGG enthalten ist - fehlt. Vielmehr erklärt Art. 276 Abs. 1 Satz 2 ZGB die Bestimmungen über die Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft, in deren Rahmen eine Partei auch zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses verpflichtet werden kann, für sinngemäss anwendbar.
6.2.3. Zu beachten ist ausserdem der vom BGG vorgegebene Grundsatz des doppelten Instanzenzugs (Art. 75 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht ist hiervon aber in einigen Fällen abgewichen, so insbesondere für vorsorgliche Massnahmen im Scheidungs- oder Eheschutzverfahren, die vom Berufungsgericht angeordnet wurden (BGE 143 III 140 E. 1.2; Urteile 5A_767/2020 vom 25. Juni 2021 E. 1; 5A_17/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 1.1), oder im Fall eines Entscheids der Berufungsinstanz über ein bei ihm eingereichtes Prozesskostenvorschussgesuch (Urteile 5A_786/2021 vom 18. März 2022 E. 1.3; 5A_725/2016 vom 6. März 2017 E. 1.2). Es hat sodann ausgeführt, diese im Hinblick auf Art. 75 Abs. 2 lit. a-c zusätzlichen Ausnahmen würden sich damit rechtfertigen, dass das Zivilprozessrecht dem oberen Gericht die funktionelle Kompetenz einräume, so dass dem kantonalen Organisationsrecht kein Mangel vorgeworfen werden könne (BGE 143 III 140 E. 1.2
in fine). Damit geht das Bundesgericht implizit davon aus, dass die funktionelle Zuständigkeit der Berufungsinstanz sich aus der ZPO ergibt.
6.3. Schliesslich spricht auch die Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung für eine Absicht des Gesetzgebers, die Berufungsinstanz zum Entscheid über vorsorgliche Massnahmen, die bei ihr beantragt werden, funktionell zuständig zu erklären. Zwar fehlen einschlägige Ausführungen zum jetzigen Art. 276 ZPO. Im Zusammenhang mit den Regelungen zur Berufung und dem Devolutiveffekt wurde jedoch erläutert, das obere Gericht entscheide insbesondere, ob vorsorgliche Anordnungen zu treffen seien. Würde die erste Instanz zuständig bleiben, so könnten die betreffenden Verfügungen wiederum mit Berufung oder Beschwerde angefochten werden, was eine unnötige Komplikation bedeute (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7372 f. Ziff. 5.23.1). Dieses Verständnis entspricht somit auch dem mit der Einführung der Schweizerischen Zivilprozessordnung verfolgten Zweck zur Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts.
6.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Art. 276 ZPO die Zuständigkeit der Berufungsinstanz, bei der das Scheidungsverfahren hängig ist, zum Entscheid über im Rechtsmittelverfahren beantragte vorsorgliche Massnahmen im Sinn von Art. 276 ZPO und damit auch zum Entscheid über ein Prozesskostenvorschussgesuch für das Berufungsverfahren vorsieht. Es besteht damit kein Raum für den Kanton Aargau, diese Zuständigkeit abweichend zu regeln. Der gegenteilige Schluss der Vorinstanz verletzt Art. 49 Abs. 1 BV.
7.
7.1. Antragsgemäss ist der Entscheid der Vorinstanz damit in Bezug auf die Gutheissung der Berufung betreffend den Prozesskostenvorschuss aufzuheben und die Berufung ist abzuweisen. Die Feststellung, wonach demnach auf die Prozesskostenvorschussgesuche der Beschwerdegegnerin nicht eingetreten wird, erweist sich hingegen nicht als notwendig. Mit Bezug auf die Kosten des kantonalen Verfahrens ist entgegen den Anträgen des Beschwerdeführers jedoch kein reformatorischer Entscheid zu treffen, sondern wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie darüber neu entscheide. Dabei wird sie auch zu berücksichtigen haben, dass die Beschwerdegegnerin sich an ihre - bundesrechtswidrige - Praxis gehalten hat. Der Beschwerdegegnerin steht es ausserdem frei, ihr Gesuch allenfalls unter Berufung auf Art. 63 Abs. 1 ZPO (vgl. Urteil 4A_592/2013 vom 4. März 2014 E. 3.2) beim zuständigen Gericht einzureichen.
7.2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und den Beschwerdeführer für seinen Aufwand angemessen zu entschädigen ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ). Ausnahmsweise und insbesondere unter Berücksichtigung, dass sich die Beschwerdegegnerin an die Praxis der Vorinstanz gehalten hat, ist auf die Erhebung von Gerichtskosten jedoch zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Mit Verfügung vom 23. Januar 2024 hat das Bundesgericht der Beschwerdegegnerin zudem die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. Entsprechend ist ihr Rechtsvertreter aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen. Die Beschwerdegegnerin wird darauf hingewiesen, dass sie der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, falls sie dazu später in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege entbindet die unterliegende Beschwerdegegnerin jedoch nicht von der Pflicht zur Bezahlung einer Parteientschädigung an den Beschwerdeführer (Art. 64 Abs. 1
e contrario).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
1.1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheids des Obergerichts des Kantons Aargau vom 1. Mai 2023 (ZSU.2023.33, ZSU.2023.86) wird, soweit die Gutheissung der Berufung betreffend, aufgehoben. Die Berufung wird stattdessen abgewiesen.
1.2. Ebenfalls aufgehoben werden Dispositiv-Ziffern 4 und 5 des Entscheids des Obergerichts des Kantons Aargau vom 1. Mai 2023 (ZSU.2023.33, ZSU.2023.86), wobei die Sache zur Neuregelung der Kosten des kantonalen Verfahrens an das Obergericht zurückgewiesen wird.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
4.
Der Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin, Rechtsanwalt Julian Burkhalter, wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'000.-- entschädigt.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, mitgeteilt.
Lausanne, 21. November 2024
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Herrmann
Die Gerichtsschreiberin: Lang