Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_40/2024
Urteil vom 21. November 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Silvan Meier Rhein, Procap Schweiz,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. Oktober 2023 (IV.2022.00549).
Sachverhalt:
A.
A.a. Der 1971 geborene A.________ meldete sich im März 2012 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich holte unter anderem ein polydisziplinäres Gutachten der Aerztliches Begutachtungs-Institut GmbH, Basel (ABI), vom 17. Juli 2014 ein. Mit Verfügung vom 3. März 2016, auf Beschwerde hin bestätigt durch das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. August 2017, verneinte sie einen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung.
A.b. Im März 2017 meldete sich A.________ unter Hinweis auf eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Zwischenverfügung vom 18. November 2019 hielt die IV-Stelle an einer Begutachtung (ohne Gesprächsaufzeichnungen) durch die PMEDA, Polydisziplinäre Medizinische Abklärungen, Zürich (PMEDA), fest. In Gutheissung der dagegen von A.________ geführten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Zwischenverfügung auf mit der Feststellung, die IV-Stelle habe eine neue zufallsbasierte Zuweisung eines polydisziplinären Gutachtens zu veranlassen und die Gutachterstelle anzuweisen, Tonaufnahmen zu machen oder zuzulassen (Urteil vom 24. März 2020). In Nachachtung dieses Urteils holte die IV-Stelle die Expertise des Swiss Medical Assessment- and Business-Centers, St. Gallen (SMAB), vom 13. Oktober 2021 ein. Gestützt darauf verneinte sie mit Verfügung vom 8. September 2022 auch dieses Mal einen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren.
B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde ab (Urteil vom 31. Oktober 2023).
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Urteils sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen und diese sei zur Einholung eines Gerichtsgutachtens und nachfolgenden neuen Entscheidung über die im vorinstanzlichen Verfahren gestellten Rechtsbegehren zu verpflichten.
Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Vernehmlassung, während die IV-Stelle ohne weitere Ausführungen auf Abweisung der Beschwerde schliesst. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) reicht eine Stellungnahme ein, ohne Antrag zu stellen.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ; zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4; Urteil 8C_385/2023 vom 30. November 2023 E. 1.1).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Verneinung eines Anspruchs auf Leistungen der Invalidenversicherung Bundesrecht verletzt.
3.
3.1. Im angefochtenen Urteil werden die massgeblichen Bestimmungen zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und zur Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG) korrekt dargelegt. Zutreffend wiedergegeben wird auch die Rechtsprechung betreffend den Beweiswert und die Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 143 V 124 E. 2.2.2; 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a). Darauf wird verwiesen.
3.2.
3.2.1. Bei einer Neuanmeldung zum Leistungsbezug finden die Grundsätze zur Rentenrevision (vgl. Art. 17 Abs. 1 ATSG) analog Anwendung ( Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV ; BGE 130 V 71 E. 3.2.3). Daher ist zunächst eine anspruchsrelevante Veränderung des Sachverhalts erforderlich; erst in einem zweiten Schritt ist der (Renten-) Anspruch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend zu prüfen (BGE 141 V 9; Urteil 9C_587/2023 vom 8. April 2024 E. 2.3.1).
3.2.2. Für die Annahme einer anspruchserheblichen Veränderung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG genügt unter medizinischen Aspekten für sich alleine weder eine im Vergleich zu früheren ärztlichen Einschätzungen ungleich attestierte Arbeitsunfähigkeit noch eine unterschiedliche diagnostische Einordnung des geltend gemachten Leidens; massgeblich ist vielmehr eine (erheblich) veränderte Befundlage (BGE 141 V 9 E. 2.3; Urteil 9C_587/2023 vom 8. April 2024 E. 2.3.2).
4.
4.1. Die Vorinstanz erkannte zutreffend, dass hier der für eine erhebliche Sachverhaltsveränderung (im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG) massgebliche Referenzzeitpunkt auf den Erlass der anspruchsverneinenden Verfügung vom 3. März 2016 fällt (vgl. BGE 133 V 108 E. 5.4).
Sie stellte nach umfassender Würdigung der medizinischen Akten fest, sowohl aus somatischer als auch aus psychiatrischer Sicht habe sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers verglichen mit dem Zeitpunkt der Verfügung vom 3. März 2016 nicht massgeblich verändert. Im SMAB-Gutachten vom 13. Oktober 2021 sei angegeben worden, die Frage nach der Veränderung des Gesundheitszustandes könne nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Die Experten hätten aber erklärt, dass die Entwicklung der psychiatrischen Problematik vor dem Jahr 2016 erfolgt sei und die von ihnen attestierte vollständige Arbeitsunfähigkeit sicherlich seit dem 3. März 2016 bestanden habe. Damit fehle es an Anhaltspunkten für eine gesundheitliche Verschlechterung seit März 2016. Diese Auslegung dränge sich auch auf, weil erste stationäre Behandlungen in psychiatrischen Kliniken bereits ab 2012 und damit vor dem 3. März 2016 stattgefunden hätten. Die Darstellung des Beschwerdeführers, wonach die Grunderkrankung zwar seit längerem angelegt gewesen sei, sich aber erst in neuster Zeit im Sinne einer funktionellen Einschränkung und einer Verschlechterung ausgewirkt habe, sei nicht belegt und widerspreche der gutachterlichen Beurteilung des Verlaufs der Arbeitsfähigkeit. Soweit die Gutachter eine volle Arbeitsunfähigkeit attestierten - welche allerdings einer Indikatorenprüfung nicht standhalte - sei im Übrigen von einer anderen Beurteilung des gleichen Sachverhalts auszugehen. Von somatischer Seite habe sich der Beschwerdeführer im September 2017 einen Abriss des Tuberculum majus der rechten Schulter zugezogen. Im Dezember 2019 sei eine Femurkopfnekrose mit leichtgradiger subchondraler Fraktur in den kranialen und ventralen Anteilen des Femurkopfes festgestellt worden. Gemäss SMAB-Gutachten würden sich die somatischen Diagnosen jedoch nicht auf die Arbeitsfähigkeit in einer körperlich angepassten Tätigkeit auswirken. Auch aus somatischer Sicht bestehe daher verglichen mit März 2016 keine massgebliche gesundheitliche Verschlechterung. Nach Prüfung der Standardindikatoren sei sowohl für die angestammte als auch für eine angepasste Tätigkeit eine zumutbare Arbeitsfähigkeit von 100 % anzunehmen. Die IV-Stelle habe damit einen Rentenanspruch zu Recht verneint.
4.2. Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts, da die Vorinstanz die Diagnose einer Myalgischen Enzephalomyelitis (ME) bzw. eines Chronic Fatigue-Syndroms (CFS) nicht anerkannt habe. Ausserdem werde durch das angefochtene Urteil Bundesrecht verletzt, weil gemäss BGE 139 V 346 bei einem CFS mit organischer Grundlage das strukturierte Beweisverfahren nicht anwendbar sei. Hier seien wiederholt erhöhte Entzündungswerte ausgewiesen, weshalb die durchgeführte Indikatorenprüfung als Rechtsverletzung zu qualifizieren sei. Schliesslich sei in Missachtung der Abklärungspflicht im Sinne von Art. 61 lit. c und Art. 43 ATSG die Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu Unrecht nicht hinreichend geprüft worden. Das fehlerhafte Urteil sei aufzuheben und die Angelegenheit an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit dieses das bereits vorinstanzlich beantragte Gutachten einhole.
4.3. Das BSV bringt vor, es gebe keinen Grund, das strukturierte Beweisverfahren nur bei psychischen Leiden anzuwenden. Vielmehr sollte dieses in der Invalidenversicherung für sämtliche Gesundheitsschädigungen den Standard bilden, gerade weil es nicht auf die Diagnose selbst, sondern auf die funktionellen Auswirkungen im Einzelfall ankomme. Auch eine entsprechende Konsistenzprüfung habe logischerweise in allen Fällen zu erfolgen, da nach Art. 7 Abs. 2 ATSG weiterhin nur die aus objektiver Sicht überwindbaren Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen seien.
5.
5.1. Soweit der Beschwerdeführer behauptet, die Vorinstanz habe keinen Vergleich zwischen dem Sachverhalt zur Zeit der ersten abschlägigen Verfügung vom 3. März 2016 und demjenigen im Zeitpunkt der erneuten Leistungsablehnung vom 8. September 2022 vorgenommen, kann ihm nicht beigepflichtet werden. Es trifft zwar zu, dass sie die vom Beschwerdeführer als Erklärung seiner Symptome herangezogene Diagnose einer ME als (medizinisch) nicht anerkannt wertete (vgl. ICD-10 G93.3 und 93.4) und sich mit der allfälligen Entwicklung und den Auswirkungen von ME/CFS nicht auseinandersetzte. Daraus lässt sich jedoch unter den vorliegenden Umständen nichts zugunsten des Beschwerdeführers ableiten. Denn die SMAB-Gutachter gehen davon aus, dass die Entwicklung der psychiatrischen Problematik vor dem Jahr 2016 datiere und sicherlich schon seit dem 3. März 2016 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bestehe. Die nach Einschätzung der Gutachter seit dem Datum der ersten leistungsablehnenden Verfügung vom 3. März 2016 durchwegs vorhandene volle Arbeitsunfähigkeit spricht mit der Vorinstanz für die Annahme eines im Wesentlichen unveränderten Sachverhalts. Beschwerdeweise wird nicht gerügt, dass dies offensichtlich unrichtig wäre. Ob die als psychiatrisch eingestufte Problematik allenfalls zum Teil eine somatische Ursache hatte, ist dabei nicht relevant. Es liegt zudem keineswegs auf der Hand und wird vom Beschwerdeführer auch nicht dargetan, dass eine abweichende diagnostische Einordnung im Sinne eines CFS oder einer ME in dieser Hinsicht etwas anderes (etwa einen späteren Beginn der Krankheit oder einen wesentlich anderen Krankheitsverlauf) ergeben würde. Der Beschwerdeführer bringt letztlich nichts vor, was in tatsächlicher Hinsicht für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach dem 3. März 2016 sprechen würde und von der Vorinstanz verkannt worden wäre.
5.2. Eine anspruchserhebliche Veränderung des Sachverhalts seit der Verfügung vom 3. März 2016 scheidet damit aus. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit den Diagnosen ME/CFS konnte folglich vorinstanzlich (und auch auf Verwaltungsstufe) unterbleiben. Das kantonale Gericht durfte ohne Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) oder sonstigen Bundesrechts auf die beantragte Einholung einer Ergänzungsexpertise einer auf ME/CFS spezialisierten Fachperson verzichten (antizipierende Beweiswürdigung, vgl. BGE 144 V 361 E. 6.5; 136 I 229 E. 5.3).
5.3. Mit Blick auf die im Wesentlichen unveränderten gesundheitlichen Verhältnisse seit der leistungsablehnenden Verfügung vom 3. März 2016 erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den weiteren Rügen des Beschwerdeführers, so auch mit der von ihm kritisierten vorinstanzlichen Indikatorenprüfung. Eine sich allenfalls im Rahmen des strukturierten Beweisverfahrens nach BGE 141 V 281 (vgl. auch BGE 143 V 418) ergebende andere Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bliebe nämlich hier bei seit 3. März 2016 gleicher Befundlage ohne Auswirkung auf das Ergebnis (vgl. E. 3.2.2). Offen bleiben kann deshalb an dieser Stelle auch, wie es sich mit der vom BSV vertretenen Ansicht verhält, wonach das strukturierte Beweisverfahren nicht nur bei psychischen Leiden anzuwenden sei (vgl. immerhin E. 5.11 des zur Publikation vorgesehenen Urteils 8C_104/2024 vom 22. Oktober 2024).
6.
Zusammenfassend hat die Vorinstanz einen Rentenanspruch zu Recht mangels eines Revisionsgrundes (analog Art. 17 Abs. 1 ATSG) verneint. Die Beschwerde ist unbegründet.
7.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 21. November 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz