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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 9/05 
 
Urteil vom 21. Dezember 2005 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Berger Götz 
 
Parteien 
Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Stampfenbachstrasse 32, 8001 Zürich, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
A._________, 1955, Beschwerdegegner 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 23. November 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 10. Oktober 2003 verneinte das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich (nachfolgend: AWA) die Vermittlungsfähigkeit des 1955 geborenen A._________ mit Wirkung ab 19. Mai 2003. Daran hielt es auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 14. Juli 2004). 
B. 
In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid auf und stellte fest, A._________ sei für die Zeit ab 19. Mai 2003 vermittlungsfähig und habe Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, falls auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien (Ent-scheid vom 23. November 2004). 
C. 
Das AWA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des kantonalen Gerichts vom 23. November 2004 sei aufzuheben. 
 
A._________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbe-schwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 19. Mai 2003. Massgebend für die richterliche Beurteilung ist nach ständiger Rechtsprechung der Sachverhalt, wie er sich bis zum Erlass des Einspracheentscheides (vom 14. Juli 2004) entwickelt hat (BGE 121 V 366 Erw. 1b; vgl. auch BGE 131 V 11 Erw. 1). 
1.1 Nachdem das AWA im bisherigen Verfahren den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung auf Grund fehlender Vermittlungsfähigkeit verneint hat, macht es letztinstanzlich in erster Linie geltend, der Beschwerdegegner habe seit seiner letzten Anstellung bei der Firma W.________ AG, einen Statuswechsel zum Selbstständigerwerbenden vollzogen, weshalb ihm schon aus diesem Grund keine Arbeitslosenentschädigung ausgerichtet werden könne. Eventualiter sei der Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung abzulehnen, weil der Beschwerdegegner zufolge Beibehaltung seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht vermittlungsfähig sei. 
1.2 Der Beschwerdegegner wendet dagegen ein, er habe sich im Jahr 2002, nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Firma W.________ AG, zur Schadensbegrenzung selbstständig gemacht. Daneben bemühe er sich seit 2002 aktiv um eine Festanstellung. Die Vermittlungsfähigkeit sei nie tangiert gewesen, weil der Zeitaufwand für die selbstständige Erwerbstätigkeit auf Randstunden und Wochenenden gelegt worden sei und von Oktober 2003 bis Juli 2004 maximal 15 Stunden und danach noch vier bis fünf Stunden pro Woche betragen habe. 
2. 
2.1 Auf Grund der Akten steht fest, dass der Beschwerdegegner seine letzte Arbeitsstelle als Creative Director (und Mitglied der Geschäftsleitung) bei der Firma W.________ AG auf den 31. August 2002 kündigte, weil sich das Unternehmen neu ausrichtete ("Verzicht auf klassische Werbung, wirtschaftliche Schwierigkeiten"). Ab 1. August 2002 war er der Ausgleichskasse des Kantons Zürich als Selbstständigerwerbender im Haupterwerb angeschlossen (Mitteilung der Ausgleichskasse vom 21. August 2002). Seine selbstständige Erwerbstätigkeit als Creative Consultant nahm er am 1. September 2002 auf. Am 19. Mai 2003 meldete er sich bei der Arbeitslosenkasse GBI (ab 1. Januar 2005: Unia Arbeitslosenkasse) zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung an. Dennoch liess er sich am 26. Mai 2003 von der Freizügigkeitsstiftung der Zürcher Kantonalbank eine Freizügigkeitsleistung von Fr. 38'729.05 erstatten; als Auszahlungsgrund wurde "Selbstständigkeit" angegeben. Auf Grund dieser widersprüchlichen Situation überwies die Arbeitslosenkasse die Angelegenheit dem AWA zum Entscheid. Auf Anfrage des AWA führte der Versicherte am 25. September 2003 aus, er habe sich selbstständig gemacht, um der drohenden Entlassung als Angestellter einer Werbeagentur zuvorzukommen. Mit seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit strebe er wirtschaftliche und unternehmerische Unabhängigkeit an. In der Zeit vom 1. September 2002 bis 30. September 2003 habe er aus selbstständiger Erwerbstätigkeit Fr. 40'000.- eingenommen. Zufolge einer Krise in der Werbebranche habe er aber keine Aufträge (mehr), weshalb er sich zur Arbeitsvermittlung angemeldet habe. Falls er eine Vollzeitdauerstelle antreten könnte, so würde er seine selbstständige Erwerbstätigkeit sofort aufgeben. 
2.2 
2.2.1 Gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG haben Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Nach der Rechtsprechung ist der Ausschluss der in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG genannten Personen vom Entschädigungsanspruch absolut zu verstehen. Amtet ein Arbeitnehmer als Verwaltungsrat, so ist eine massgebliche Entscheidungsbefugnis im Sinne der betreffenden Regelung ex lege gegeben, und zwar selbst dann, wenn seine Kapitalbeteiligung klein ist und er nur über die kollektive Zeichnungsberechtigung verfügt (BGE 123 V 237 Erw. 7a mit Hinweisen). 
2.2.2 Hinsichtlich des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung findet sich in Art. 8 ff. AVIG keine der Regelung bei Kurzarbeit entsprechende Norm. Mit Bezug auf den Anspruch der in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG genannten arbeitgeberähnlichen Personen auf Arbeitslosenentschädigung ist nach der Rechtsprechung indessen eine Überprüfung unter dem Gesichtspunkt der rechtsmissbräuchlichen Gesetzesumgehung möglich, wobei verschiedene Fallkonstellationen zu unterscheiden sind. Wird ein Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers mit arbeitgeberähnlicher Stellung gekündigt, kann nicht von einer Gesetzesumgehung gesprochen werden, wenn der Betrieb geschlossen wird, das Ausscheiden des betreffenden Arbeitnehmers mithin definitiv ist. Entsprechendes gilt für den Fall, dass das Unternehmen zwar weiter besteht, der Arbeitnehmer aber mit der Kündigung endgültig auch jene Eigenschaft verliert, deretwegen er bei Kurzarbeit auf Grund von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung ausgenommen wäre. Eine grundsätzlich andere Situation liegt jedoch dann vor, wenn der Arbeitnehmer nach der Entlassung seine arbeitgeberähnliche Stellung im Betrieb beibehält und dadurch die Entscheidungen des Arbeitgebers weiterhin bestimmen oder massgeblich beeinflussen kann (BGE 123 V 237 f. Erw. 7b/bb). 
2.3 In BGE 123 V 234 entliess ein Arbeitnehmer mit arbeitgeberähnlicher Stellung sich selbst, um hierauf trotz weiter bestehendem Verwaltungsratsmandat in seiner Firma Arbeitslosenentschädigung zu beantragen. Vorliegend kündigte der Beschwerdegegner seine Vollzeitanstellung bei einer Werbeagentur und nahm ohne Unterbruch eine selbstständige Erwerbstätigkeit in derselben Branche auf. Erst über acht Monate nach Auflösung des letzten Anstellungsverhältnisses meldete er sich unter Hinweis auf die schlechte Auftragslage zur Arbeitsvermittlung an. Entgegen der BGE 123 V 234 zu Grunde liegenden Konstellation hatte der Beschwerdegegner zu jenem Zeitpunkt keine arbeitgeberähnliche Stellung inne. Andauernd selbstständig erwerbende Personen sind allerdings in der Regel bereits von vornherein vom Arbeitslosentaggeldbezug ausgeschlossen. Die Anwendung der in Erw. 2.2.2 hiervor erwähnten Rechtsprechung, wonach eine Überprüfung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung unter dem Gesichtspunkt der rechtsmissbräuchlichen Gesetzesumgehung möglich sein muss, rechtfertigt sich daher gleichermassen bei selbstständig Erwerbstätigen, welche sich zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung anmelden. Wie das AWA in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zutreffend vorgebracht hat, ist dabei massgebend, ob der Status des Selbstständigerwerbenden mit dem Ziel dauernder wirtschaftlicher und unternehmerischer Unabhängigkeit beibehalten wird. 
2.4 Seit dem 1. August 2002 ist der Beschwerdegegner bei der Ausgleichskasse als Selbstständigerwerbender registriert. Er machte auch anlässlich der Anmeldung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung (19. Mai 2003) sowie in der Zeit danach keine Anstalten, diesen Status aufzugeben. Das Gegenteil ist der Fall. Für die Auszahlung der Freizügigkeitsleistung am 26. Mai 2003 war die Stellung als Selbstständigerwerbender zwingende Voraussetzung. Auf Grund der Angabe des Beschwerdegegners vom 25. September 2003, er wolle mit seiner selbstständigen Tätigkeit als Creative Consultant wirtschaftliche und unternehmerische Unabhängigkeit erreichen, steht zudem ausser Frage, dass diese Beschäftigung auf Dauer angelegt war. Eine Anmeldung zum Bezug von Taggeldern der Arbeitslosenversicherung erfolgte lediglich auf Grund mangelnder Aufträge. Es ist dem AWA zuzustimmen, dass dem Beschwerdegegner unter diesen Umständen keine Arbeitslosenentschädigung zusteht. 
2.5 Der Beschwerdegegner hat die Verwaltung nach ihrer Aufforderung, zusätzliche Unterlagen einzureichen, am 17. Juni 2003 informiert, dass er als Selbstständigerwerbender tätig sei. Am 25. September 2003 hat er ausserdem angegeben, dass er bereit und in der Lage sei, innert 24 Stunden eine Vollzeitstelle anzutreten und diesfalls seine selbstständige Erwerbstätigkeit sofort einstellen würde. Da die Verwaltung somit im Verlauf des Verfahrens Kenntnis von der Erwerbssituation des Beschwerdegegners erlangte, stellt sich die Frage, ob sie ihn ausreichend über die mit seinem Status als Selbstständigerwerbender verbundenen Risiken hinsichtlich seines Leistungsanspruchs aufgeklärt hat oder hätte aufklären müssen. 
3. 
3.1 Gemäss Art. 27 des - im vorliegenden Fall anwendbaren - Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 sind die Versicherungsträger und Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen verpflichtet, im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches die interessierten Personen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären (Abs. 1). Jede Person hat Anspruch auf grundsätzlich unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten. Dafür zuständig sind die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Für Beratungen, die aufwändige Nachforschungen erfordern, kann der Bundesrat die Erhebung von Gebühren vorsehen und den Gebührentarif festlegen (Abs. 2). Stellt ein Versicherungsträger fest, dass eine versicherte Person oder ihre Angehörigen Leistungen anderer Sozialversicherungen beanspruchen können, so gibt er ihnen unverzüglich davon Kenntnis (Abs. 3). 
 
Nach der gleichzeitig mit dem ATSG am 1. Januar 2003 in Kraft gesetzten Ausführungsbestimmung des Artikels 19a AVIV klären die in Art. 76 Abs. 1 lit. a bis d AVIG genannten Durchführungsstellen die Versicherten über ihre Rechte und Pflichten auf, insbesondere über das Verfahren der Anmeldung und über die Pflicht, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und zu verkürzen (Abs. 1). Die Kassen klären die Versicherten über die Rechte und Pflichten auf, die sich aus dem Aufgabenbereich der Kassen ergeben ([Art. 81 AVIG]; Abs. 2). Die kantonalen Amtsstellen und die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) klären die Versicherten über die Rechte und Pflichten auf, die sich aus den jeweiligen Aufgabenbereichen ergeben ([Art. 85 und 85b AVIG]; Abs. 3). 
 
Die Kasse kann einen Fall der kantonalen Amtsstelle zum Entscheid unterbreiten, wenn Zweifel bestehen, ob der Versicherte anspruchsberechtigt ist (Art. 81 Abs. 2 lit. a AVIG). Im Kanton Zürich ist gemäss § 1 der Verordnung vom 26. Oktober 2000 zum Einführungsgesetz zum Arbeitslosenversicherungsgesetz (Zürcher Gesetzessammlung 837.11) das Amt für Wirtschaft und Arbeit zuständige kantonale Amtsstelle für den Vollzug des Arbeitslosenversicherungsgesetzes. 
3.2 Absatz 1 des Art. 27 ATSG stipuliert eine allgemeine und permanente Aufklärungspflicht der Versicherungsträger und Durchführungsorgane, die nicht erst auf persönliches Verlangen der interessierten Personen zu erfolgen hat, und hauptsächlich durch die Abgabe von Informationsbroschüren, Merkblättern und Wegleitungen erfüllt wird. Der im hier zu beurteilenden Fall relevante Absatz 2 derselben Bestimmung beschlägt dagegen ein individuelles Recht auf Beratung durch den zuständigen Versicherungsträger. Jede versicherte Person kann vom Versicherungsträger im konkreten Einzelfall eine unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten verlangen. Absatz 3 konkretisiert die in Absatz 2 umschriebene Beratungspflicht und weitet sie zugleich gegenüber dem letztgenannten Absatz aus (vgl. dazu Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999, BBl 1999 S. 4582 f.; Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000, Zürich 2003, S. 315 ff.; Jacques-André Schneider, La partie générale du droit des assurances sociales, Colloque de Lausanne 2002, Lausanne 2003, S. 74 ff.; Edgar Imhof/Christian Zünd, ATSG und Arbeitslosenversicherung, in: SZS 2003 S. 291 ff., S. 306 f. und 315 ff.; Andreas Freivogel, Zu den Verfahrensbestimmungen des ATSG, in: Schaffhauser/Kieser, Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], St. Gallen 2003, S. 89 ff., S. 94 f.; Raymond Spira, Du droit d'être renseigné et conseillé par les assureurs et les organes d'exécution des assurances sociales [art. 27 LPGA], in: SZS 2001 S. 524 ff.; Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl., Bern 2003, S. 430 ff.). 
 
Mit der Einführung dieser allgemeinen Aufklärungs- und Beratungspflicht der Sozialversicherer auf den 1. Januar 2003 wurde in der Arbeitslosenversicherung die Bestimmung des Art. 20 Abs. 4 AVIV (in der ab 1. Januar 1997 gültig gewesenen Fassung) aufgehoben, wonach die zuständige Amtsstelle den Versicherten auf seine Pflichten nach Art. 17 AVIG aufmerksam machte, insbesondere auf seine Pflicht, sich um Arbeit zu bemühen. 
3.3 Im Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999 (BBl 1999 4523 ff.) wird in Bezug auf den Anpassungsbedarf von Einzelgesetzen im Zusammenhang mit der Einführung einer allgemeinen Aufklärungs- und Beratungspflicht der Sozialversicherer durch das ATSG festgehalten, dass nur gerade das KVG in Artikel 16 eine Art. 35 Entwurf ATSG (heutiger Art. 27 ATSG) entsprechende Norm kenne, welche (mit In-Kraft-Treten des ATSG) aufgehoben werden könne, und sich in den übrigen Zweigen - auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe - Vorschriften fänden, die als Konkretisierungen von Teilen der an sich umfassenden Aufklärungs- und Beratungspflicht nach ATSG verstanden werden könnten (BBl 1999 4583 unten). An anderer Stelle (BBl 1999 4583 oben) wird ausgeführt, dass die in Absatz 2 stipulierte Beratungspflicht eine Kodifizierung der bisherigen Praxis darstelle (vgl. auch Votum Rechsteiner, Amtl. Bull. N 1999 1243 f.). 
 
Nach der vor In-Kraft-Treten des ATSG ergangenen (und mithin für die dem ATSG unterstehenden Sozialversicherungszweige heute überholten) Rechtsprechung (BGE 124 V 220 Erw. 2b; ARV 2002 S. 113, 2000 Nr. 20 S. 98 Erw. 2b) bestand indessen keine umfassende Auskunfts-, Beratungs- und Belehrungspflicht der Behörden (unter Vorbehalt von Art. 16 KVG in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung), namentlich auch nicht gestützt auf den verfassungsmässigen Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. auch Rhinow/ Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 74 B/Vb S. 229). Unter der damals herrschenden Rechtslage brauchten die Organe der Arbeitslosenversicherung daher - vorbehältlich des vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Art. 20 Abs. 4 AVIV (bis Ende 1996 Art. 19 Abs. 4 AVIV) - nicht von sich aus - spontan, ohne vom Versicherten angefragt worden zu sein - Auskünfte zu erteilen oder auf drohende Rechtsnachteile aufmerksam zu machen. Dies galt auch für drohende Verluste sozialversicherungsrechtlicher Leistungen. Eine in ihrer Tragweite beschränkte Abweichung davon ergab sich aus Art. 20 Abs. 4 AVIV (in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung), welche Bestimmung den den Arbeitsämtern gesetzlich zugewiesenen Informationsauftrag klar umriss. Die Anwendung dieser Grundsätze führte beispielsweise dazu, dass die Verwaltung den Versicherten nach einer mit Vermittlungsunfähigkeit begründeten Ablehnungsverfügung nicht von sich aus auf die Notwendigkeit, sich den Kontrollvorschriften zu unterziehen, hinzuweisen hatte, wenn für sie der Rechtsirrtum des Versicherten, er sei mangels feststehender Anspruchsberechtigung nicht befugt, sich den Kontrollvorschriften zu unterziehen, nicht erkennbar war (unveröffentlichtes Urteil W. vom 10. Dezember 1996, C 31/96), ebenso wenig wie die ALV-Durchführungsstelle den Versicherten von sich aus über die Folgen der Aufnahme einer Zwischenverdiensttätigkeit (unveröffentlichtes Urteil L. vom 4. Juli 1997, C 181/96), namentlich der Aufnahme einer Zwischenverdiensttätigkeit, bei welcher ein unter dem orts- und berufsüblichen liegender Lohn erzielt wurde (ARV 2000 Nr. 20 S. 95), zu informieren hatte oder bei einer einmaligen Vorsprache von sich aus auf die Notwendigkeit der Stempelkontrolle und die Möglichkeit des Bezuges von Arbeitslosenentschädigung aufmerksam zu machen hatte (ARV 1979 Nr. 13 S. 82, 1976 Nr. 13 S. 85). 
3.4 In der Lehre wird - anders als im Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999 - einhellig die Auffassung vertreten, dass mit Art. 27 ATSG eine wesentlich weiter gehende Beratungspflicht (welche namentlich auch Leistungsansprüche gegenüber anderen Sozialversicherungen umfassen kann; Abs. 3) stipuliert wird und die Bestimmung eine bedeutende Neuerung darstellt (vgl. Kieser, a.a.O., S. 323 unten f.; Imhof/Zünd, a.a.O., S. 306 unten f.; Spira, a.a.O., S. 527 unten f.; Locher, a.a.O., S. 430 f.). Nach der Literatur bezweckt die Beratung, die betreffende Person in die Lage zu versetzen, sich so zu verhalten, dass eine den gesetzgeberischen Zielen des betreffenden Erlasses entsprechende Rechtsfolge eintritt. Dabei sei die zu beratende Person über die für die Wahrnehmung der Rechte und Pflichten massgebenden Umstände rechtlicher oder tatsächlicher Art zu informieren, wobei gegebenenfalls ein Rat bzw. eine Empfehlung für das weitere Vorgehen abzugeben sei (Kieser, a.a.O., S. 319; Schneider, a.a.O., S. 80 ff.; vgl. auch zur Bestimmung des bis 31. Dezember 2002 in Kraft gewesenen Art. 16 KVG: Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, S. 225 Rz 405). 
 
Die Norm des Art. 27 Abs. 2 ATSG ist § 14 des deutschen Sozialgesetzbuches (SGB) nachgebildet (vgl. Spira, a.a.O., S. 525 f.), gemäss welcher Bestimmung jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch hat (Satz 1) und zuständig für die Beratung die Leistungsträger sind, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind (Satz 2). Dabei wird unter Beratung das individuelle Gespräch mit dem Einzelnen zur gezielten und umfassenden Unterrichtung über seine Rechte und Pflichten nach dem SGB verstanden (Burdenski/von Maydell/Schellhorn, Kommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, Darmstadt 1976, S. 121, N 11 zu § 14). Sie dient dazu, dem Berechtigten positiv den Weg aufzuzeigen, auf dem er zu der gesetzlich vorgesehenen Leistung gelangt (Peter Mrozynski, Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil [SGB I], Kommentar, 2. Aufl., München 1995, S. 119, N 13 zu § 14). Der Umfang der Beratung richtet sich in erster Linie nach der Kompliziertheit des jeweiligen Normenkomplexes und sodann nach dem Grad der Angewiesenheit des Sozialleistungsberechtigten auf beratende Hilfe (Mrozynski, a.a.O., S. 117, N 8 zu § 14). Nach dem Kommentar von Burdenski/von Maydell/Schellhorn (a.a.O., S. 121, N 12 zu § 14) hat der Leistungsträger die ihm aus dem Gesprächszusammenhang ersichtliche Situation des Ratsuchenden im Blick auf den in Frage stehenden besonderen Teil des SGB möglichst erschöpfend zu klären und gegebenenfalls durch eigene Fragen den Ausgangssachverhalt weiter aufzuklären. Im von Bley et al. herausgegebenen Gesamtkommentar zum Sozialgesetzbuch (Band 1, Erstes Buch, Allgemeiner Teil, S. 192/1) wird sodann unter Hinweis auf Rechtsprechung und Lehre ausgeführt, dass der Versicherungsträger den Versicherten bei jeder gebotenen Befassung mit dessen Versicherungsangelegenheit auf Befugnisse zur Gestaltung seines Versicherungsverhältnisses, die offen zutage liegen und von jedem Versicherten verständigerweise ausgeübt würden, von Amtes wegen hinzuweisen habe, selbst wenn fraglich sei, ob der Versicherte die Gestaltungsmöglichkeit tatsächlich nutzen könne und werde (vgl. auch Mrozynski, a.a.O., S. 117, N 8 zu § 14). 
 
Wo die Grenzen der in Art. 27 Abs. 2 ATSG statuierten Beratungspflicht in generell-abstrakter Weise zu ziehen sind, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Auf Grund des Wortlautes ("Jede Person hat Anspruch auf [...] Beratung über ihre Rechte und Pflichten."; "Chacun a le droit d'être conseillé [...] sur ses droits et obligations."; "Ognuno ha diritto [...] alla consulenza in merito ai propri diritti e obblighi.") sowie des Sinnes und Zwecks der Norm (Ermöglichung eines Verhaltens, welches zum Eintritt einer den gesetzgeberischen Zielen des betreffenden Erlasses entsprechenden Rechtsfolge führt) steht fest, dass es auf jeden Fall zum Kern der Beratungspflicht gehört, die versicherte Person darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Verhalten den Leistungsanspruch gefährden kann (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil F. vom 14. September 2005, C 192/04). 
4. 
Unterbleibt eine Auskunft entgegen gesetzlicher Vorschrift oder obwohl sie nach den im Einzelfall gegebenen Umständen geboten war, hat die Rechtsprechung dies der Erteilung einer unrichtigen Auskunft gleichgestellt (BGE 124 V 221, 113 V 71 Erw. 2, 112 V 120 Erw. 3b; ARV 2003 S. 127 Erw. 3b [Urteil L. vom 12. Juli 2002, C 417/00], 2002 S. 115 Erw. 2c [Urteil K. vom 5. März 2001, C 239/99], 2000 Nr. 20 S. 98 Erw. 2b; vgl. auch Meyer-Blaser, Die Bedeutung von Art. 4 Bundesverfassung für das Sozialversicherungsrecht, in: ZSR NF 111 [1992] II S. 299 ff., S. 412 f.). Abgeleitet aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, welcher den Bürger in seinem berechtigten Vertrauen auf behördliches Verhalten schützt, können falsche Auskünfte von Verwaltungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen eine vom materiellen Recht abweichende Behandlung des Rechtsuchenden gebieten. Gemäss Rechtsprechung und Doktrin ist dies der Fall, 1. wenn die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat; 2. wenn sie für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder wenn die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; 3. wenn die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres erkennen konnte; 4. wenn sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können, und 5. wenn die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat (BGE 127 I 36 Erw. 3a, 126 II 387 Erw. 3a; RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223 [Urteil S. vom 9. Mai 2000, K 23/98]; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 121 V 66 Erw. 2a mit Hinweisen). In analoger Anwendung dieser Grundsätze (wobei die dritte Voraussetzung diesfalls lautet: wenn die Person den Inhalt der unterbliebenen Auskunft nicht kannte oder deren Inhalt so selbstverständlich war, dass sie mit einer anderen Auskunft nicht hätte rechnen müssen) wurde in Fällen unterbliebener Auskunftserteilung unter anderem entschieden, dass es einer versicherten Person nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn die Verwaltung sie nicht auf die Pflicht, sich möglichst frühzeitig, spätestens jedoch am ersten Tag, für den sie Arbeitslosenentschädigung beansprucht, zur Arbeitsvermittlung zu melden und die Kontrollvorschriften zu erfüllen, hinweist (Urteil A. vom 13. August 2003, C 113/02) oder wenn ihr das Arbeitsamt entgegen gesetzlicher Vorschrift anlässlich der Anmeldung keine Stempelkarte abgibt, weil dies einer unterbliebenen mündlichen Belehrung gleichkommt (nicht veröffentlichtes Urteil Z. vom 21. August 1995, C 94/95). 
 
Wie dem noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteil F. vom 14. September 2005, C 192/04, zu entnehmen ist, sind keine Gründe ersichtlich, diese Gleichstellung von pflichtwidrig unterbliebener Beratung und unrichtiger Auskunftserteilung nach der Kodifizierung einer umfassenden Beratungspflicht im ATSG aufzugeben, dies um so weniger als diese Folgen einer Verletzung der Beratungspflicht in den Sitzungen der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 8. Mai (Protokoll S. 9) und 11./12. September 1995 (Protokoll S. 12) diskutiert worden sind. Im Übrigen wird auch in der Lehre die Auffassung vertreten, dass eine ungenügende oder fehlende Wahrnehmung der Beratungspflicht gemäss Art. 27 Abs. 2 ATSG einer falsch erteilten Auskunft des Versicherungsträgers gleichkommt und dieser in Nachachtung des Vertrauensprinzips dafür einzustehen hat (Kieser, a.a.O., Rz 17 zu Art. 27 [S. 320]; Imhof/Zünd, a.a.O., S. 317; Freivogel, a.a.O., S. 96; zu aArt. 16 KVG: Eugster, a.a.O., Rz 406 und FN 1031). 
5. 
5.1 Nachdem die Kasse den Fall am 23. Juni 2003 im Sinne von Art. 81 Abs. 2 AVIG dem AWA zum Entscheid unterbreitet hatte, wurde das Amt vom Beschwerdegegner mittels des ausgefüllten Fragebogens vom 25. September 2003 umfassend darüber informiert, weshalb er sich nach seiner letzten Anstellung auf den 1. September 2002 selbstständig gemacht und aus welchen Gründen er am 19. Mai 2003 Antrag auf Arbeitslosenentschädigung gestellt hat. Der Beschwerdegegner hielt im Fragebogen ausserdem fest, dass er seine selbstständige Erwerbstätigkeit sofort einstellen würde, falls er eine Vollzeitanstellung antreten könnte. Indem der Versicherte im Weiteren ausführte, er wolle durch die selbstständige Erwerbstätigkeit wirtschaftliche und unternehmerische Unabhängigkeit erreichen, gab er aber auch klar zu erkennen, dass seine selbstständige Beschäftigung grundsätzlich auf Dauer angelegt war. Nach Einholung dieser zusätzlichen Auskünfte, somit Ende September 2003, war die Verwaltung erstmals in der Lage, sich ein Bild über die erwerbliche Situation des Beschwerdegegners zu machen. Dabei kam sie zum Ergebnis, ein Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung sei mit Blick auf die andauernde selbstständige Erwerbstätigkeit zu verneinen. Dementsprechend erliess das AWA am 10. Oktober 2003 eine leistungsablehnende Verfügung. 
5.2 Dem noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteil F. vom 14. September 2005, C 192/04, lag ein anderer Sachverhalt zu Grunde: Der Versicherte gab anlässlich des Erstgesprächs (vom 18. Dezember 2003) an, er beabsichtige, im Februar 2004 einen fünfmonatigen Sprachaufenthalt im Ausland anzutreten. Daraufhin verfügte das von der Arbeitslosenkasse um Prüfung der Vermittlungsfähigkeit angefragte RAV (am 20. Januar 2004), der Versicherte sei im Hinblick auf die nur gerade zweieinhalb Monate betragende Zeit zwischen Antragstellung und Beginn des Sprachaufenthaltes ab Antragstellung (d.h. ab 21. November 2003) nicht vermittlungsfähig gewesen. Ausgehend von diesem Verlauf entschied das Eidgenössische Versicherungsgericht, dass die Verwaltung die versicherte Person in Nachachtung von Art. 27 Abs. 2 ATSG darauf hätte aufmerksam machen müssen, dass ihr Verhalten eine der Voraussetzungen des Leistungsanspruchs gefährden könne. Im vorliegenden Fall geht es demgegenüber nicht um ein künftiges Verhalten der versicherten Person, sondern um die bisher ausgeübte selbstständige Erwerbstätigkeit. Ein Hinweis der Verwaltung, eine beabsichtigte - den Leistungsanspruch gefährdende - Handlung zu überdenken, war darum nicht möglich. Das AWA hatte die Aufgabe, über die Anspruchsberechtigung des Versicherten zu entscheiden. Dabei stellte es zu Recht auf die Sachlage ab, wie sie sich nach seinen zusätzlichen Abklärungen Ende September 2003 präsentierte. Aus der Aufklärungs- und Beratungspflicht gemäss Art. 27 ATSG kann nicht abgeleitet werden, dass der versicherten Person vorgängig einer ablehnenden Verfügung Gelegenheit zur Änderung der angetroffenen Situation eingeräumt wird, falls die bisherigen Verhältnisse auf das Fehlen einer Anspruchsvoraussetzung zum Bezug von Arbeitslosentaggeldern schliessen lassen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. November 2004 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Unia Arbeitslosenkasse, Zürich, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 21. Dezember 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: