Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1B_472/2021
Urteil vom 22. März 2022
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichter Chaix, Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Haag, Müller,
Gerichtsschreiber Hahn.
Verfahrensbeteiligte
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20,
Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________ AG,
Beschwerdegegnerin
vertreten durch Rechtsanwalt Hannes Streif,
Gegenstand
Strafverfahren; Entschädigungsbegehren,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 2. August 2021 (SBE.2021.23).
Sachverhalt:
A.
A.a. Am 1. Juli 2020 wurde bei der Kantonspolizei Aargau ein Portemonnaie abgegeben, das in einem Abfalleimer in der Toilette eines Restaurants in U.________ gefunden worden war. In der Folge konnte die Besitzerin des Fundstücks ausgemacht werden. Sie gab an, im Portemonnaie habe sich Bargeld in der Höhe von Fr. 730.-- befunden. Sie sei am 30. Juni 2020 in V.________ in einen Bus der Linie Nr. xxx der A.________ AG eingestiegen. Dabei habe sie das Portemonnaie in einer nicht verschlossenen Umhängetasche mit sich geführt. Kurze Zeit nach der Busfahrt habe sie den Verlust bemerkt.
Gestützt auf diesen Sachverhalt erliess die Staatsanwaltschaft Baden am 3. Juli 2020 eine Editionsverfügung. Damit forderte sie die A.________ AG auf, die am 30. Juni 2020 zwischen 13:10 und 13:30 Uhr gemachten Aufzeichnungen der Überwachungskamera des Wagens Nr. yyy (Linienbus Nr. xxx) herauszugeben. Nachdem die A.________ AG dieser Aufforderung nachgekommen war, forderte sie von der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 9. Juli 2020 eine Entschädigung für die Beweismitteledition in der Höhe von Fr. 250.--.
Mit Verfügung vom 14. Juli 2020 wies die Staatsanwaltschaft das Entschädigungsbegehren ab.
A.b. Auf eine Beschwerde der A.________ AG hin hob das Obergericht des Kantons Aargau diese Verfügung am 5. Januar 2021 auf (Entscheid des Vizepräsidenten der Beschwerdekammer in Strafsachen).
A.c. Mit Verfügung vom 31. März 2021 übernahm die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau das Verfahren der Staatsanwaltschaft. Zugleich sprach sie der A.________ AG im Zusammenhang mit der Beweismitteledition eine Entschädigung von Fr. 50.-- zulasten der Staatskasse zu.
B.
Das Obergericht (Vizepräsident der Beschwerdekammer in Strafsachen) hiess mit Entscheid vom 2. August 2021 eine hiergegen erhobene Beschwerde der A.________ AG vom 16. April 2021 gut. Es erhöhte die von der Oberstaatsanwaltschaft zugesprochene Entschädigung auf Fr. 250.--.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 31. August 2021 beantragt die Oberstaatsanwaltschaft beim Bundesgericht, unter Aufhebung der Entscheide des Obergerichts vom 5. Januar und 2. August 2021 sei das Entschädigungsbegehren der A.________ AG abzuweisen. Eventualiter fordert die Oberstaatsanwaltschaft, der Entscheid vom 2. August 2021 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neufestsetzung der Entschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die A.________ AG beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht verzichtet auf Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Zulässigkeit der Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 II 153 E. 1.1).
1.2. Die beiden angefochtenen Entscheide betreffen Entschädigungsforderungen einer Drittperson in einem Strafverfahren. Sie unterliegen grundsätzlich der Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG.
1.3. Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). Das rechtlich geschützte Interesse der Staatsanwaltschaft (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG) leitet sich aus dem staatlichen Strafanspruch ab, den sie zu vertreten hat. Mithin ist die Staatsanwaltschaft im Verfahren vor Bundesgericht (unter allen Rechtstiteln nach Art. 95-98 BGG ; BGE 134 IV 36 E. 1.4.3 f.) beschwerdebefugt, wenn es um die Durchsetzung des Strafanspruchs als solchen oder um damit zusammenhängende materiell- und prozessrechtliche Belange geht (BGE 134 IV 36 E. 1.4.3 und E. 1.4.5; Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.3; nicht publ. in BGE 145 IV 114; vgl. BGE 137 IV 340 E. 2.3 [betreffend Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts]; zur Frage der Legitimation der Staatsanwaltschaft im kantonalen Berufungsverfahren [Art. 398 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 381 Abs. 1 StPO]: BGE 143 IV 40 E. 3.2.2). Zwar sind diese Voraussetzungen und damit die materielle Beschwer der Staatsanwaltschaft in der Regel gegeben (vgl. Urteil 1B_526/2020 vom 4. Februar 2021 E. 1). Das rechtlich geschützte Interesse kann jedoch nicht pauschal bejaht, sondern muss im Einzelfall durch die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft begründet werden, sofern es nicht offensichtlich gegeben ist (Art. 42 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 289 E. 1.3; Urteile 6B_519/2020 vom 27. September 2021 E. 1.2; 1B_526/2020 vom 4. Februar 2021 E. 1).
1.4. Die beschwerdeführende Oberstaatsanwaltschaft wehrt sich vorliegend gegen eine dem Kanton Aargau auferlegte Verpflichtung, der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung für den ihr im Rahmen der laufenden Strafuntersuchung entstandenen Schaden zu leisten. Bezüglich solcher Fragen der Kostenbemessung und -verlegung eines Strafverfahrens liegt ihre Beschwerdebefugnis nicht offensichtlich auf der Hand und die Staatsanwaltschaft muss deshalb ihr rechtlich geschütztes Interesse anderweitig besonders rechtfertigen (Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.3 mit Hinweisen; nicht publ. in BGE 145 IV 114).
Nach der Rechtsprechung kann die Staatsanwaltschaft beispielsweise die Höhe der Entschädigung für die private Verteidigung nach Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO anfechten (Urteil 6B_168/2012 vom 27. August 2012 E. 2 und 3), weil sich dieser Anspruch grundsätzlich gegen den Staat richtet (WEHRENBERG/FRANK, in: Basler Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2014, N. 34 zu Art. 429 StPO). Die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft ist weiter zu bejahen, wenn sie einen Entscheid über die Ausrichtung einer Entschädigung an die beschuldigte Person nach Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO anficht. Weil ein solcher Entscheid abhängig ist vom Entscheid betreffend die Verfahrenskosten, ist die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang auch berechtigt, vor Bundesgericht Beschwerde gegen den Verzicht auf die Auferlegung von Verfahrenskosten zu Lasten der beschuldigten Person zu erheben (vgl. Urteil 6B_1016/2021 vom 18. Oktober 2021 E. 1.3). Rechtsprechungsgemäss ist die Staatsanwaltschaft schliesslich auch dazu befugt, vor Bundesgericht die Bemessung der Höhe der Entschädigung für die amtliche Verteidigung anzufechten (BGE 139 IV 199 E. 2 und E. 4). Dies ergibt sich aus den divergierenden Interessen von Verteidiger und Verurteiltem (BGE 139 IV 199 E. 2) : Ersterer ist an einer hohen Entschädigung interessiert, Letzterer - da er bei Eintritt günstiger wirtschaftlicher Verhältnisse rückzahlungspflichtig wird (Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO) - grundsätzlich hingegen an einer tiefen Entschädigung; dies jedenfalls soweit eine solche nicht zu einer namhaften Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar führt, die er bei Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse an die Verteidigung nachzuzahlen hat (vgl. Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO). Während der amtliche Verteidiger den Entschädigungsentscheid einer zweiten kantonalen Instanz beim Bundesstrafgericht anfechten kann (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO), ist die amtlich verteidigte Person selber nicht befugt, jenen (an das Bundesgericht) weiterzuziehen (Urteil 6B_511/2016 vom 4. August 2016 E. 5.3). Die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft füllt diese Lücke (Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.3, nicht publ. in: BGE 145 IV 114).
Nicht zur Beschwerde berechtigt ist die Staatsanwaltschaft indessen, wenn es um die Kostenverlegung des Berufungsverfahrens geht. Die Bestimmung der Quote, anhand derer die Kosten des Berufungsverfahrens ausgangsgemäss auf die verurteilte Person einerseits und die Gerichtskasse andererseits verteilt werden, tangiert keinen legitimationsbegründenden Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft und damit kein von ihr wahrzunehmendes rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG (Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.4, nicht publ. in BGE 145 IV 114).
1.5. Streitgegenstand ist vorliegend die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs einer am Strafverfahren nicht beteiligten Drittperson gegenüber dem Staat. Im angefochtenen Entscheid bejahte die Vorinstanz einen entsprechenden Schadenersatzanspruch der Beschwerdegegnerin gestützt auf Art. 434 StPO im Umfang von Fr. 250.--. Diese Kosten sind im Sinne einer Kausalhaftung vom Staat zu tragen und können weder der beschuldigten Person noch der Privatklägerschaft auferlegt werden, da es hierfür an einer erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt (vgl. WEHRENBERG/FRANK, a.a.O., N. 7 zu Art. 434 StPO). Die Ausgangslage ist folglich vergleichbar mit jener der Kostenverlegung des Berufungsverfahrens. Auch im vorliegenden Fall geht es um Kosten zu Lasten der Gerichtskasse bzw. des Staats. Hat das Bundesgericht festgehalten, die Kostenverlegung des Berufungsverfahrens tangiere keinen Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft und damit kein von ihr wahrzunehmendes Interesse, hat dies auch hier zu gelten, zumal die Staatsanwaltschaft nicht ansatzweise darlegt, inwiefern die angefochtenen Entscheide die Durchsetzung des Strafanspruchs tangieren. Anders könnte es sich in einem Fall verhalten, in welchem der angefochtene Entscheid präjudizielle Bedeutung für die Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft hätte und dadurch bedeutende öffentliche Interessen auf dem Spiel stünden (vgl. [zur Beschwerdebefugnis nach Art. 89 Abs. 1 BGG] BGE 141 II 161 E. 2.1; 138 II 506 E. 2.1.1, je mit Hinweisen).
1.6. Zusammengefasst ist das rechtlich geschützte Interesse der Staatsanwaltschaft an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Entscheide zu verneinen. Auf ihre Beschwerde ist somit nicht einzutreten. Bei dieser Sachlage erübrigen sich Weiterungen zur Frage, ob es sich beim angefochtenen Entscheid vom 2. August 2021 um einen vor Bundesgericht anfechtbaren kantonal letztinstanzlichen Endentscheid (vgl. Art. 80 Abs. 1 und Art. 90 BGG ) oder Zwischenentscheid (vgl. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) handelt. Ebenso wenig muss sich das Bundesgericht dazu äussern, ob der angefochtene Entscheid vom 5. Januar 2021 einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG darstellt, der gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG mit der Beschwerde gegen den Entscheid vom 2. August 2021 mitangefochten werden kann.
2.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Aargau hat der Beschwerdegegnerin eine angemessene Entschädigung zu bezahlen ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ). Die vom Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin eingereichte Kostennote vom 18. Oktober 2021 im Betrag von Fr. 3'836.-- (inkl. MWST) ist indes übersetzt, da er die Beschwerdegegnerin schon im kantonalen Verfahren vertrat und damit bereits mit dem Fall vertraut war. Für das gesamte bundesgerichtliche Verfahren erweist sich eine pauschale Entschädigung von Fr. 2'500.-- (inkl. MWST) als angemessen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Aargau hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- (pauschal, inkl. MWST) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. März 2022
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Der Gerichtsschreiber: Hahn