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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_256/2021  
 
 
Urteil vom 22. Juli 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Merz, 
Gerichtsschreiberin Sauthier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Diego Reto Gfeller, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, Büro A-2, Postfach, 8953 Dietikon. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Dietikon, Zwangsmassnahmengericht, vom 20. April 2021 (GM190007-M/U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen des Verdachts des gewerbsmässigen Betrugs, des gewerbsmässigen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage, der Urkundenfälschung und der Fälschung von Ausweisen. Sie wirft ihm insbesondere vor, er habe in der Zeit von März 2017 bis Mai 2018 unter Angabe von falschen Personalien und Verwendung gefälschter Ausweise bei der B.________ AG und der C.________ AG diverse Kreditkarten beantragt und erhalten, die er für Zahlungen verwendet habe, ohne die entsprechenden Rechnungen anschliessend zu begleichen. Zudem habe er im März/April 2017 unter Verwendung falscher Personalien Benutzerkonten bei den Online-Portalen "D.________.ch" und "E.________.ch" errichtet sowie ein Bankkonto bei der F.________ eröffnet und darüber zahlreichen Personen Waren zum Kauf angeboten, die er trotz Bezahlung auf das besagte Konto nie geliefert habe. 
Anlässlich einer Hausdurchsuchung am Wohnort von A.________ am 22. Juli 2019 wurden diverse Datenträger (u.a. Mobiltelefone, Laptops, USB-Sticks, externe Festplatten etc.) und Gegenstände sichergestellt und, auf Antrag von A.________, gesiegelt. Am 29. Juli 2019 wurde eine weitere Hausdurchsuchung durchgeführt, wobei die sichergestellten Gegenstände auf Antrag von A.________ ebenfalls gesiegelt wurden. Die Staatsanwaltschaft stellte am 9. und am 28. August 2020 beim Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Dietikon Anträge auf Entsiegelung und Durchsuchung. Nach unter Mitwirkung von A.________ durchgeführten Triagen und einer Vereinigung der Verfahren nahm das Zwangsmassnahmengericht am 20. April 2021 vom Rückzug des Entsiegelungsgesuchs der Staatsanwaltschaft in Bezug auf verschiedene Gegenstände (u.a. vier Notizbücher) Vormerk und hiess es im Übrigen gut. Es entschied, der Staatsanwaltschaft sämtliche auf den gesiegelten Datenträgern vorhandenen Aufzeichnungen zur Durchsuchung und weiteren Verwendung in der laufenden Strafuntersuchung freizugeben. Davon ausgenommen seien die anlässlich der Triageverhandlungen entweder mit "Gesiegelt" oder "Freigabe mit Schwärzung" markierten Aufzeichnungen. Letztere würden in geschwärzter Form zu den Akten genommen und der Staatsanwaltschaft als Aktenkopien zur Durchsuchung und weiteren Verwendung freigegeben. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 18. Mai 2021 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 20. April 2021 sei aufzuheben und das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft sei abzuweisen bzw. nur im Sinne der Erwägungen gutzuheissen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Staatsanwaltschaft stellt keinen konkreten Antrag. Das Zwangsmassnahmengericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Der Beschwerdeführer nimmt erneut Stellung. 
 
C.  
Auf Gesuch des Beschwerdeführers hin erkannte das Bundesgericht der Beschwerde mit Präsidialverfügung vom 9. Juni 2021 die aufschiebende Wirkung zu. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Entsiegelung von Daten, die in einem Strafverfahren in Anwendung von Art. 246 ff. StPO sichergestellt wurden. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen. 
Es handelt sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht mehr korrigierbaren Eingriff in schutzwürdige Geheimnisinteressen des Beschwerdeführers mit sich bringen kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Der Beschwerdeführer bringt vor, bei den betreffenden Daten fehle es am Deliktszusammenhang und die Vorinstanz habe bei der Genehmigung der Entsiegelung gegen das Gebot der Verdachtssteuerung verstossen. Damit droht ihm ein nicht wieder gutzumachender Nachteil (BGE 143 IV 462 E. 1; Urteil 1B_394/2017 vom 17. Januar 2018 E. 1, nicht publ. in: BGE 144 IV 74; je mit Hinweisen). Als Inhaber des sichergestellten Datenträgers sowie der vom angefochtenen Entsiegelungsentscheid betroffenen Daten ist der Beschwerdeführer zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid erwogen, die Durchsuchung der Datenträger sei nur zulässig, wenn ein hinreichender Tatverdacht bestehe, der Inhalt der Unterlagen zum Beweis geeignet sei (Deliktskonnexität) und die Verhältnismässigkeit gewahrt bleibe. Der hinreichende Tatverdacht werde vom Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren nicht bestritten. Weiter sei die Untersuchungsrelevanz grundsätzlich bezüglich sämtlicher Datenträger zu bejahen. Eine Einschränkung in zeitlicher oder sachlicher Hinsicht habe nicht zu erfolgen. Angesichts der Vielfalt der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Delikte bzw. der zahlreichen beteiligten Personen bzw. Identitäten sei eine Eingrenzung nicht gerechtfertigt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass er noch andere ähnlich gelagerte Delikte begangen habe. Dies gelte umso mehr, als vorliegend unter anderem ein hinreichender Tatverdacht bezüglich gewerbsmässigem Betrug bestehe, was alleine schon eine gewisse Regelmässigkeit der Deliktsausführung impliziere. Die Entsiegelung der Aufzeichnungen - ausgenommen Anwaltskorrespondenz und die vom Beschwerdeführer bezeichneten offensichtlich nicht untersuchungsrelevanten Daten - erweise sich daher als verhältnismässig.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer anerkennt, dass gegen ihn ein hinreichender Tatverdacht besteht, auch wenn er die ihm vorgeworfenen Straftaten bestreitet. Er ist aber der Auffassung, die Vorinstanz hätte die Entsiegelung nicht integral gewähren dürfen. Dadurch habe sie Art. 248 i.V.m. Art. 197 Abs. 1 lit. c StPO verletzt. Die uneingeschränkte Entsiegelung verstosse gegen das Gebot der Verdachtssteuerung und stelle einen Angriff auf die Unschuldsvermutung dar. Seiner Ansicht nach hätte die Entsiegelung thematisch auf die physischen Unterlagen und elektronischen Daten eingeschränkt werden müssen, die einen direkten Bezug zu einer der in der Sachverhaltsschilderung erwähnten Firmen bzw. Plattformen (B.________ AG, C.________ AG, F.________, D.________.ch, E.________.ch) aufweisen würden.  
 
3.  
Die Durchsuchung von Aufzeichnungen nach Art. 246 StPO ist als strafprozessuale Zwangsmassnahme nur zulässig, wenn sie verhältnismässig ist. Erforderlich ist insbesondere, dass die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (Art. 197 Abs. 1 lit. c StPO); zudem muss die Bedeutung der Straftat die Massnahme rechtfertigen (Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO). Gemäss der Rechtsprechung müssen Aufzeichnungen, die durchsucht werden sollen, einen engen Sachzusammenhang zum Gegenstand der Strafuntersuchung haben bzw. für die angestrebten Untersuchungszwecke unentbehrlich sein (Urteile 1B_487/2020 vom 2. November 2020 E. 3.2; 1B_269/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 3.2; je mit Hinweisen). Ein hinreichender Deliktskonnex wird dabei bereits dann bejaht, wenn die Vermutung besteht, die zu untersuchenden Aufzeichnungen seien für den Zweck des Strafverfahrens erheblich ("utilité potentielle"; Urteile 1B_495/2020 vom 4. März 2021 E. 6.2; 1B_487/2020 vom 2. November 2020 E. 3.2; 1B_98/2018 vom 29. Mai 2018 E. 3.3; je mit Hinweisen). 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hat nachvollziehbar aufgezeigt, dass objektiv Anlass zur Annahme besteht, dass die fraglichen Aufzeichnungen auf den Datenträgern für den konkreten Zweck des Strafverfahrens wegen gewerbsmässigem Betrug, gewerbsmässigem betrügerischem Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage, Urkundenfälschung und Fälschung von Ausweisen erheblich sein können. Sie hat festgehalten, die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Delikte seien überwiegend über das Internet abgewickelt worden. Mit der Staatsanwaltschaft sei daher davon auszugehen, dass auf den Datenträgern Informationen zur verkauften Ware, zu Kontodaten und zur Korrespondenz mit unbekannten Geschädigten, zu den unter falschen Identitäten, mit gefälschten Ausweisen erlangten Kreditkarten, Korrespondenz mit Kreditkarteninstituten sowie allenfalls Aufzeichnungen zu den möglicherweise elektronisch erfolgten Urkundenfälschungen zu finden seien.  
Diese vorinstanzlichen Ausführungen legen jedenfalls den Schluss nahe, dass sich auf den gesiegelten Datenträgern beweisrelevante Daten betreffend die zahlreichen Tatvorwürfe befinden könnten. Dabei ist denkbar, dass der Beschwerdeführer auch bei anderen Kreditkarteninstituten möglicherweise missbräuchlich Kreditkarten beantragt bzw. über weitere Online-Plattformen als den bisher bekannten Waren zum Verkauf angeboten und in der Folge trotz Bezahlung nicht geliefert hat. Vor dem Hintergrund der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen grösstenteils gewerbsmässig begangenen Delikte hielt die Vorinstanz jedenfalls zu Recht fest, dass eine Eingrenzung weder in sachlicher noch in zeitlicher Hinsicht gerechtfertigt sei. Insbesondere der Vorwurf der Gewerbsmässigkeit lässt auf eine Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten Zeitraums schliessen (vgl. BGE 129 IV 188 E. 3.1.2; Urteil 6B_1302/2020 vom 3. Februar 2021 E. 2.2.1; je mit Hinweisen). Dass dabei verschiedene teilweise noch nicht bekannte Personen bzw. Unternehmen geschädigt wurden, liegt, wie erwähnt, nahe. 
Sodann ist auch die Erwägung der Vorinstanz nicht zu beanstanden, ein Abstellen auf einen unzuverlässigen bzw. manipulierbaren Zeitstempel in Meta-Daten sei nicht angezeigt. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer einen erheblichen Aufwand betrieben haben soll, um die ihm vorgeworfenen Delikte zu verschleiern. Ihm wird namentlich vorgeworfen, die Spuren auf seinen elektronischen Geräten insbesondere durch mehrere gefälschte Identitäten, Verwendung eines Tor-Browsers und Kryptowährungen zu verwischen versucht zu haben. Es kommt daher durchaus in Frage, dass der Beschwerdeführer allenfalls auch den Zeitstempel der Aufzeichnungen manipuliert hat, weshalb eine zeitliche Einschränkung ebenfalls nicht gerechtfertigt ist. 
Würde überdies der Forderung des Beschwerdeführers gefolgt und die Entsiegelung auf die am Anfang der Untersuchung bekannten Geschädigten bzw. den sich daraus ergebenden Deliktszeitraum eingeschränkt, wäre es weitgehend dem Zufall überlassen, was Untersuchungsgegenstand ist. Ein erst später bekannter Betrug bzw. Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage dürfte nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht mehr verfolgt bzw. untersucht werden. Dieser Auffassung kann indes nicht gefolgt werden. Stattdessen muss es der Staatsanwaltschaft vorliegend im Rahmen ihrer laufenden Strafuntersuchung wegen gewerbsmässigem Betrug etc. möglich sein, den Sachverhalt umfassend abzuklären. Dazu gehört es auch, allfällige weitere im Zusammenhang mit den zu untersuchenden Vorwürfen stehenden Delikte sowie Geschädigte, die ebenfalls Opfer der mutmasslichen Betrugsmaschen des Beschwerdeführers wurden, unter Zuhilfenahme der sichergestellten Aufzeichnungen zu ermitteln. 
Insofern kann auch nicht von einer unzulässigen Beweisausforschung bzw. einer "krassen Aushöhlung der Unschuldsvermutung" gesprochen werden. Es besteht vielmehr ein enger Sachzusammenhang zwischen den verfolgten Straftaten und den zu untersuchenden Aufzeichnungen, unter welchen sich vermutungsweise weitere untersuchungsrelevante Hinweise wie gefälschte Urkunden, Betrugsopfer etc. befinden. Auf die Ermittlung solcher Hinweise ist die angestrebte Entsiegelung gerichtet. Von einem fehlenden Deliktskonnex kann folglich nicht gesprochen werden und die Vorinstanz hat die Untersuchungsrelevanz der zu entsiegelnden Aufzeichnungen zu Recht bejaht. 
 
4.2. Weitere Gründe, die gegen die grundsätzliche Zulässigkeit der Durchsuchung sprechen würden, bringt der Beschwerdeführer nicht vor und sind nicht ersichtlich. Insbesondere erweist sich die Entsiegelung auch als verhältnismässig. Wie dem angefochtenen Entscheid entnommen werden kann, wurden anlässlich der zwei Triageverhandlungen vom 1. Dezember 2020 und vom 29. März 2021 unter Mitwirkung des Beschwerdeführers sämtliche Aufzeichnungen nach Anwaltskorrespondenz und sonstigen von ihm geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen durchsucht und diese, ebenso wie die offensichtlich nicht untersuchungsrelevanten Dateien, ausgesondert bzw. mit der Bezeichnung "Gesiegelt", "Freigabe mit Schwärzung" und "Freigabe" versehen. Darauf kann verwiesen werden (vgl. E. 3 sowie III. Triagierung des angefochtenen Entscheids).  
 
4.3. Es verstösst folglich nicht gegen Bundesrecht, dass die Vorinstanz - unter Ausnahme der anlässlich der Triageverhandlung mit "Gesiegelt" bzw. "Freigabe mit Schwärzung" markierten Aufzeichnungen - sämtliche auf den gesiegelten Datenträgern vorhandenen Aufzeichnungen zur Durchsuchung und weiteren Verwendung in der laufenden Strafuntersuchung freigegeben hat.  
 
5.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens würde der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er stellt indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, das gutzuheissen ist, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwalt Dr. iur. Diego R. Gfeller wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- (pauschal, inkl. MWST) entschädigt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis und dem Bezirksgericht Dietikon, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. Juli 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier