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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_497/2020  
 
 
Urteil vom 22. Juli 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Müller, Merz, 
Gerichtsschreiber Forster. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Erwin Leuenberger, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, Untere Grabenstrasse 32, 4800 Zofingen, 
 
1. B.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roland Schaub, 
2. C.________, 
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Carmine Baselice. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Parteistellung im Entsiegelungsverfahren, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 19. August 2020 (ZM.2020.92). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm führt eine Strafuntersuchung gegen B.________ und C.________ namentlich wegen mutmasslicher Wirtschaftdelikte. Im Strafverfahren hat sich A.________ als Privatklägerin konstituiert. Nachdem die Staatsanwaltschaft bei einer Hausdurchsuchung am Wohnort der Beschuldigten am 14. Mai 2020 Aufzeichnungen und Gegenstände zu Beweiszwecken sichergestellt und auf Verlangen der Beschuldigten gesiegelt hatte, stellte sie am 3. Juni 2020 beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau (ZMG) ein Entsiegelungsgesuch. Gleichentags reichte die Privatklägerin beim ZMG eine Stellungnahme dazu ein und beantragte die Gutheissung des Entsiegelungsgesuches. Am 20. Juli 2020 liess sie dem ZMG eine weitere Eingabe zukommen. Mit Verfügung vom 19. August 2020 stellte das ZMG fest, dass die Privatklägerin nicht als Partei des Entsiegelungsverfahrens zugelassen werde. Gleichzeitig wies das ZMG die Eingaben der Privatklägerin aus dem Recht. 
 
B.  
Gegen den Entscheid des ZMG vom 19. August 2020 gelangte die Privatklägerin mit Beschwerde vom 21. September 2020 an das Bundesgericht. Sie beantragt, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das ZMG hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Beschuldigte beantragt mit Eingabe vom 16. Oktober 2020, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten würde. Der Beschuldigte schliesst mit Vernehmlassung vom 26. Oktober 2020 (innert erstreckter Frist) ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten wäre. Von der Staatsanwaltschaft ist innert Frist keine Stellungnahme eingegangen. Auf eine Replik hat die Beschwerdeführerin am 16. November 2020 verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegenstand des angefochtenen Entscheides ist kein materieller Entsiegelungsentscheid, sondern ein selbstständig eröffneter förmlicher Prozessentscheid des ZMG, in dem dieses feststellt, dass die Beschwerdeführerin nicht als Partei des Entsiegelungsverfahrens zuzulassen sei und ihre Eingaben aus dem Recht gewiesen würden. 
Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass sie als Privatklägerin zu Unrecht nicht als Partei des Entsiegelungsverfahrens zugelassen worden sei. Sie rügt eine formelle Rechtsverweigerung und die bundesrechtswidrige Missachtung ihrer Parteistellung. Insofern droht ihr durch den angefochtenen Entscheid ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) und hat sie grundsätzlich ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des Entscheides (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). 
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG geben zu keinen Vorbemerkungen Anlass. Die Beschwerde ist materiell zu prüfen. 
 
2.  
Im angefochtenen Entscheid stellt das ZMG in tatsächlicher Hinsicht Folgendes fest: 
Die Beschwerdeführerin habe im vorinstanzlichen Parteizulassungsverfahren geltend gemacht, sie wolle das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft unterstützen. Unter den versiegelten Objekten befänden sich "mutmasslich Urkunden und Gegenstände", die "in ihrem Eigentum stünden". Daher sehe sie sich als zur Mitwirkung im Entsiegelungsverfahren legitimiert und auch als befugt an, das Entsiegelungsgesuch zu unterstützen. Auch die Staatsanwaltschaft habe sich für die Parteizulassung der Beschwerdeführerin im Entsiegelungsverfahren ausgesprochen und bestätigt, dass sich "möglicherweise" Akten und Urkunden der Privatklägerin unter den versiegelten Gegenständen befänden. Daher sei diese - nach Ansicht der Staatsanwaltschaft - als Partei des Entsiegelungsverfahrens zuzulassen. 
Weiter erwägt die Vorinstanz, Parteien des Entsiegelungsverfahrens seien die Staatsanwaltschaft, welche das Entsiegelungsgesuch gestellt habe, sowie grundsätzlich die Inhaber der sichergestellten und gesiegelten Gegenstände, nicht aber ohne Weiteres die übrigen Parteien des Strafverfahrens. Um den Verfahrenszweck eines wirksamen Geheimnisschutzes der Betroffenen zu gewährleisten, könnten nach der Praxis des Bundesgerichtes auch Geheimnisschutzberechtigte, die nicht selbst Gewahrsamsinhaber sind, als Parteien des Entsiegelungsverfahrens zugelassen bzw. von Amtes wegen zugezogen werden. In diesen Fällen könnten sowohl die Inhaber als auch indirekt Geheimnisschutzberechtigte Siegelungsbegehren stellen bzw. vor dem ZMG gesetzliche Entsiegelungshindernisse anrufen. Im vorliegenden Fall wehre sich die Privatklägerin nicht gegen die "Beschlagnahme" bzw. Sicherstellung und Entsiegelung. Vielmehr wolle sie im Entsiegelungsverfahren die Durchsuchung aller gesiegelten Gegenstände bewirken. Es bestehe hier keine Gefahr, dass - mangels einer Mitwirkung der Privatklägerin - relevante Entsiegelungs- und Durchsuchungshindernisse ungeprüft bleiben könnten. Folglich sei ihre Parteistellung im Entsiegelungsverfahren zu verneinen und seien ihre betreffenden Eingaben aus dem Recht zu weisen. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Bundesrecht, insbesondere ihrer in Art. 104 Abs. 1 lit. b bzw. Art. 248 Abs. 1 StPO definierten Parteistellung, sowie eine formelle Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV). Auf ihre weiteren Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen. 
 
4.  
 
4.1. Das Entsiegelungsverfahren vor dem ZMG dient im Vorverfahren der gerichtlichen Prüfung, ob rechtlich geschützte Geheimhaltungsinteressen im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO einer Durchsuchung von sichergestellten und versiegelten Gegenständen durch die Staatsanwaltschaft entgegen stehen (Art. 246-248 StPO). Berechtigt, ein Siegelungsbegehren zu stellen und als Parteien - oder als von Zwangsmassnahmen unmittelbar betroffene Dritte (Art. 105 Abs. 1 lit. f und Abs. 2 StPO) - am Entsiegelungsverfahren teilzunehmen, sind die Inhaberinnen und Inhaber der gesiegelten Aufzeichnungen und Unterlagen, die rechtlich geschützte Geheimnisinteressen rechtzeitig geltend machen (Art. 248 Abs. 1 StPO; BGE 144 IV 74 E. 2.2 S. 77; 142 IV 207 E. 11 S. 228, mit Hinweisen). Auch Geheimnisberechtigte, zum Beispiel von Berufsgeheimnissen geschützte Personen, die keinen direkten Gewahrsam an den versiegelten Gegenständen inne haben, können gegebenfalls legitimiert sein (vgl. BGE 140 IV 28 E. 4.3.4-4.3.5 S. 35-37; Urteil 1B_487/2018 vom 6. Februar 2019 E. 2.3 mit Hinweisen). Das Entsiegelungsverfahren dient hingegen nicht den rein prozesstaktischen Interessen von Beschuldigten oder der Privatklägerschaft im Hinblick auf eine möglichst restriktive oder extensive Erhebung von Beweismitteln. Soweit sie nicht in ihren eigenen rechtlich geschützten Geheimnisrechten betroffen werden, sind daher weder Beschuldigte noch die Privatklägerschaft berechtigt, Entsiegelungsentscheide anzufechten oder als Parteien am Entsiegelungsverfahren teilzunehmen (vgl. BGE 142 IV 207 E. 11 S. 228; zit. Urteil 1B_487/2018 E. 2.6-2.8).  
 
4.2. Im hier zu beurteilenden Fall verlangt die Beschwerdeführerin zwar ihre förmliche Zulassung als Partei im Entsiegelungsverfahren. Nach den Feststellungen des ZMG hat sie im vorinstanzlichen Parteizulassungsverfahren jedoch keine eigenen geschützten Geheimhaltungsinteressen an den versiegelten Aufzeichnungen und Gegenständen geltend gemacht, die einer Entsiegelung entgegen stehen könnten. Sie möchte denn auch - im Gegenteil - das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft als Partei im Entsiegelungsverfahren unterstützen. Entsiegelungshindernisse im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO hat sie vorinstanzlich gerade nicht geltend gemacht. Auch in der Beschwerdeschrift bestätigt sich nochmals, dass sie "die Entsiegelung und Durchsuchung bewirken wollte und will". Damit im Widerspruch stehen ihre neuen Vorbringen in der Beschwerdeschrift, wonach allenfalls geheimnisgeschützte "Bankunterlagen der Bankkonti der Privatklägerin" versiegelt worden sein könnten. Auf diese unzulässigen Noven ist nicht einzutreten (Art. 99 Abs. 1 BGG). Dass das ZMG die Beschwerdeführerin nicht als Partei im Entsiegelungsverfahren zugelassen hat, hält vor dem Bundesrecht stand.  
Daran ändert auch ihr Vorbringen nichts, obwohl die Sicherstellung nicht an ihrem Wohnort stattfand, sei sie möglicherweise Inhaberin bzw. Eigentümerin von gesiegelten Urkunden und Gegenständen. Wie bereits dargelegt, ist im Entsiegelungsverfahren über geschützte Geheimnisrechte als Durchsuchungshindernis zu befinden, nicht über zivilrechtliche Ansprüche von Betroffenen. Die angeblichen Eigentumsrechte der Beschwerdeführerin würden weder von einer Entsiegelung (oder Nicht-Entsiegelung) tangiert, noch von einer allfälligen Durchsuchung (oder Nichtdurchsuchung) durch die Staatsanwaltschaft. Ihre Zivilansprüche kann die Beschwerdeführerin nötigenfalls noch wirksam geltend machen, falls das ZMG im Entsiegelungsentscheid keine entsprechende Herausgabe an sie verfügen sollte, oder falls - nach erfolgter Entsiegelung und Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft - keine vollständige Herausgabe an die Beschwerdeführerin verfügt würde, sondern durchsuchte Gegenstände zu Beweis- oder Einziehungszwecken förmlich zu beschlagnahmen wären (vgl. Art. 263 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO; BGE 144 IV 74 E. 2.3 S. 78). 
 
4.3. Die übrigen Einlassungen der Beschwerdeführerin zur Frage ihrer Parteistellung im Entsiegelungsverfahren haben keine über das bereits Dargelegte hinausgehende selbstständige Bedeutung. Unbehelflich sind insbesondere ihre Vorbringen, die Privatklägerschaft werde in Art. 248 Abs. 1 StPO als Partei des Entsiegelungsverfahrens weder ausdrücklicn genannt, noch ausgeschlossen, im Haftverfahren vor dem ZMG habe die Privatklägerschaft zwar keine Parteistellung, wohl aber im gerichtlichen Hauptverfahren, oder, sie wolle eine möglichst umfassende Entsiegelung erwirken bzw. vermeiden, dass gewisse Beweismittel von der Staatsanwaltschaft und vom ZMG "nicht als solche erkannt" würden. Willkürliche entscheiderhebliche Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz werden von der Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar dargetan.  
 
4.4. In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin schliesslich noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Die Rüge erweist sich als unbegründet, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann:  
Zwar macht die Beschwerdeführerin geltend, es stehe ihr das prozessuale Grundrecht zu, "ihren Standpunkt ins Verfahren einbringen" zu können. Sie unterscheidet jedoch nicht ausreichend zwischen dem rechtlichen Gehör im (hier streitigen) Parteizulassungsverfahren, welches zur angefochtenen Verfügung führte, und der materiellen Frage ihrer Parteistellung im Entsiegelungsverfahren. Sie bestreitet die Sachverhaltsfeststellungen des ZMG nicht, wonach ihr Gelegenheit eingeräumt wurde, sich zur Frage ihrer Zulassung als Partei zu äussern, und sie dazu zwei schriftliche Eingaben vom 3. Juni 2020 und 20. Juli 2020 eingereicht hat, welche das ZMG für die Prüfung der Parteistellung mitberücksichtigte. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs erscheint insofern nicht ausreichend substanziiert (vgl. Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG). Ihre Vorbringen, sie habe sich im Entsiegelungsverfahren nicht als Partei äussern können, und ihre Eingaben zur Entsiegelungssache seien nach Durchführung des Parteizulassungsverfahrens aus dem Recht gewiesen worden, erschöpfen sich in der oben bereits behandelten materiellen Thematik der fehlenden Parteistellung. 
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ausserdem hat sie den beiden anwaltlich vertretenen privaten Beschwerdegegnern (Beschuldigten) je eine angemessene Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat sowohl der privaten Beschwerdegegnerin als auch dem privaten Beschwerdegegner je eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- (pauschal, inkl. MWST) zu entrichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. Juli 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Forster