Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_130/2022
Urteil vom 22. Juli 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Kölz,
Gerichtsschreiber Schurtenberger.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokatin Dr. Meret Rehmann,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft,
Erste Staatsanwältin,
Grenzacherstrasse 8, 4132 Muttenz.
Gegenstand
Ausstandsgesuch,
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 1. März 2022 (490 22 6).
Sachverhalt:
A.
Am 7. Januar 2022 erstattete A.________ Strafanzeige gegen Staatsanwältin B.________ sowie deren Vorgesetzte, mutmasslich C.________ und D.________, wegen übler Nachrede sowie der Anstiftung dazu.
B.
Zugleich mit der Anzeige stellte er den Antrag, sämtliche Mitglieder der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft seien in den Ausstand zu versetzen und es sei die Führung des Strafverfahrens betreffend die angezeigten Delikte an eine ausserkantonale Staatsanwaltschaft zu übertragen.
Mit Stellungnahme vom 20. Januar 2022 beantragte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft die Gutheissung des Ausstandsbegehrens und die Übertragung des Verfahrens an eine ausserkantonale Staatsanwaltschaft. Mit Beschluss vom 1. März 2022 trat das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, auf das Ausstandsgesuch nicht ein.
C.
Mit Eingabe vom 14. September 2022 erhob A.________ beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Gutheissung seiner vor der Vorinstanz gestellten Rechtsbegehren.
Die Vorinstanz hat unter Verweisung auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde beantragt, im Übrigen aber auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat mit Vernehmlassung vom 20. Oktober 2022 Antrag auf Abweisung der Beschwerde gestellt und dies mit dem Vorliegen veränderter Umstände begründet. Mit Stellungnahme vom 2. November 2022 replizierte der Beschwerdeführer. Die beschuldigte Staatsanwältin hat mit Vernehmlassung vom 13. Mai 2024 ausdrücklich darauf verzichtet, einen Antrag zu stellen, sich aber zur Sache geäussert.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein selbstständig eröffneter Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren (Art. 92 Abs. 1 BGG) im Rahmen eines Strafverfahrens. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen (siehe Art. 78 Abs. 1 BGG, Art. 59 Abs. 1 StPO und Art. 80 BGG). Die weiteren Eintretensvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt. Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten.
2.
Die Vorinstanz tritt auf das Ausstandsgesuch nicht ein, was der Beschwerdeführer als bundesrechtswidrig erachtet.
2.1. Die Vorinstanz hält zusammengefasst fest, die in Art. 56 StPO genannten Ausstandsgründe seien immer in der Person begründet, weshalb sich ein Ausstandsgesuch jeweils nur gegen die Mitwirkung einer in einer konkreten Sache tätigen einzelnen Person und nicht gegen die Gesamtbehörde richten könne. Gegebenenfalls könne ein Gesuch gegen eine Gesamtbehörde jedoch als einheitliches Ausstandsbegehren gegen alle Einzelmitglieder entgegengenommen werden, wobei dies entsprechend begründet sein müsse. Dieser Begründungspflicht sei der Beschwerdeführer, dessen Ausstandsgesuch sämtliche Mitglieder der Staatsanwaltschaft "in globo" erfasse, nicht hinreichend nachgekommen, weshalb auf das Ausstandsgesuch nicht eingetreten werden könne.
2.2. Ein gegen eine Gesamtbehörde gerichtetes Ersuchen kann nur dann als Ausstandsbegehren gegen alle Einzelmitglieder der Behörde entgegengenommen werden, wenn aufgezeigt wird, weshalb jedes Mitglied der Behörde einzeln im konkreten Fall befangen sein soll (Urteil 7B_167/2022 vom 13. November 2023 E. 3 mit Hinweis). Der Beschwerdeführer beschränkte sich bei der Begründung seines Ausstandsgesuchs vor der Vorinstanz darauf, vorzubringen, es verstehe sich von selbst, dass die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft kein Strafverfahren gegen ihre eigenen Staatsanwälte führen könne. Inwiefern dies den vorgenannten Anforderungen an die Begründungspflicht genügt, kann indessen offenbleiben. Denn die vom Ausstandsgesuch betroffene Staatsanwaltschaft hat in ihrer Vernehmlassung vor der Vorinstanz ausdrücklich beantragt, auf das Ausstandsgesuch einzutreten und dieses gutzuheissen. Wenn die Vorinstanz vor diesem Hintergrund das Ausstandsbegehren des Beschwerdeführers als nicht hinreichend begründet betrachtet, überdehnt sie die Anforderungen an die Begründungspflicht und verletzt mit ihrem Nichteintretensentscheid Bundesrecht.
2.3. In einer Eventualbegründung erwägt die Vorinstanz aber, wenn auf das Rechtsmittel einzutreten wäre, wäre es in materieller Hinsicht abzuweisen. In einer solchen Konstellation beurteilt das Bundesgericht auch die materielle Rechtslage und sieht aus prozessökonomischen Gründen davon ab, den angefochtenen Entscheid aufzuheben, wenn zwar zu Unrecht auf die Beschwerde nicht eingetreten wurde, die Eventualbegründung in der Sache aber zutreffend ist (vgl. BGE 144 II 184 E. 1.1; 139 II 233 E. 3.2).
3.
In der Sache rügt der Beschwerdeführer, der angefochtene Entscheid verstosse insoweit gegen Art. 56 StPO, als darin das Vorliegen von Ausstandsgründen verneint werde.
3.1. Die Vorinstanz hält in ihrer Eventualbegründung zusammengefasst fest, allein die Tatsache der Zugehörigkeit zur gleichen Behörde und ein darauf basierendes kollegiales Verhältnis begründeten noch keinen Ausstandsgrund, solange das sozial übliche Mass nicht überstiegen werde und keine stichhaltigen und konkreten Befangenheitsgründe im Sinne eines besonders gearteten Bezugs zwischen Angehörigen einer gleichen Organisationseinheit vorlägen. Es sei daher ganz allgemein zu erwarten, dass zumindest die heutigen (Leitenden) Staatsanwälte und Staatsanwältinnen der - neben der vormaligen Abteilung BM/OK (heute: Hauptabteilung Besondere Delikte) - übrigen Hauptabteilungen der Beschwerdegegnerin, aber vor allem auch die Erste Staatsanwältin, in der Lage seien, unvoreingenommen und unbefangen die eingangs erwähnte Strafanzeige zu behandeln. Daran vermöge auch der Hinweis der Beschwerdegegnerin nichts zu ändern, dass gleich mehrere bei ihr tätige Personen angezeigt worden seien und davon mindestens eine Person in der Geschäftsleitung tätig gewesen sei. Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass die heutige Hauptabteilung Besondere Delikte, mit der sich der Beschwerdeführer in einer Auseinandersetzung sehe, in örtlicher Hinsicht von den übrigen Hauptabteilungen der Beschwerdegegnerin getrennt sei, was umso mehr gegen die Annahme von Befangenheit bei den in den übrigen Hauptabteilungen der Beschwerdegegnerin tätigen Personen spreche. Stichhaltige und konkrete Befangenheitsgründe im Sinne eines besonders gearteten Bezugs zwischen der angezeigten und innerhalb der heutigen Hauptabteilung Besondere Delikte tätigen Staatsanwältin sowie deren damaliger Vorgesetzter einerseits und allen übrigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten innerhalb der Beschwerdegegnerin andererseits oder gar der Ersten Staatsanwältin, würden seitens des Beschwerdeführers nicht substanziiert geltend gemacht und seien auch nicht erkennbar. Im Ergebnis sei es daher mindestens der Ersten Staatsanwältin selbst möglich, das Strafverfahren unvoreingenommen und unbefangen zu führen.
3.2. Der Beschwerdeführer erachtet demgegenüber sowohl den Ausstandsgrund von Art. 56 lit. a StPO (persönliches Interesse) als auch jenen von Art. 56 lit. f StPO (andere Gründe) als erfüllt. Dies begründet er indessen einzig mit funktionell-organisatorischen Gegebenheiten, namentlich dem Umstand, dass Staatsanwälte, die gegen ihre Kolleginnen und Kollegen mit der erforderlichen Härte ermittelten, ihre eigene berufliche Stellung erheblich gefährden würden (Art. 56 lit. a StPO), und ein "Wir-Gefühl" unter den Mitgliedern derselben Behörde bestehe, das auch die verschiedenen Hauptabteilungen verbinde (Art. 56 lit. f StPO).
3.3. Nach der Rechtsprechung stellt ein kollegiales Verhältnis bzw. eine berufliche Beziehung zwischen der in der Strafbehörde tätigen Person und einer Verfahrenspartei oder deren Rechtsbeistand noch keinen Ausstandsgrund dar, sofern keine weiteren, konkreten Umstände auf mangelnde Unvoreingenommenheit schliessen lassen (BGE 144 I 159 E. 4.4; Urteile 7B_173/2023 vom 15. März 2024 E. 2.2.2; 7B_190/2023 vom 14. Dezember 2023 E. 4.3; 7B_156/2022 vom 7. September 2023 E. 4.5.1; je mit Hinweisen).
Derartige Umstände bringt der Beschwerdeführer nicht vor. Insbesondere verfängt der Vorwurf nicht, es bestehe ein Abhängigkeitsverhältnis, das eine Befangenheit nach Art. 56 lit. f StPO begründe, da allenfalls auch gegen eigene Vorgesetzte ermittelt werden müsste. Die Vorinstanz weist zu Recht darauf hin, dass wenigstens die Erste Staatsanwältin selbst unbefangen ist. Denn diese befindet sich auch gegenüber Personen mit Leitungsfunktion innerhalb der Staatsanwaltschaft weder in einem direkten noch indirekten Abhängigkeitsverhältnis. Ausstandsgründe, welche die Erste Staatsanwältin persönlich betreffen würden (z.B. das Vorliegen systematischen Fehlverhaltens innerhalb ihrer Behörde und ein damit einhergehendes dienstrechtliches Fehlverhalten ihrerseits), werden vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. Der angefochtene Beschluss ist daher nicht zu beanstanden, soweit er darauf beruht, dass wenigstens die Erste Staatsanwältin nicht befangen ist.
3.4. Daran vermag auch der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Umstand nichts zu ändern, wonach die Staatsanwaltschaft im vorinstanzlichen Verfahren noch selbst die Gutheissung des Ausstandsgesuchs und Einsetzung einer ausserkantonalen Strafverfolgungsbehörde beantragt habe.
Wohl ist die Stellungnahme der betroffenen Person nach Art. 58 Abs. 2 StPO beim Entscheid über das Ausstandsgesuch zwingend zu berücksichtigen (vgl. BGE 138 IV 222 E. 2.1; Urteil 7B_51/2023 vom 24. Juli 2023 E. 2.2). Dessen ungeachtet hat von Gesetzes wegen aber die nach Art. 59 Abs. 1 StPO zuständige Behörde über das auf Art. 56 lit. f StPO gestützte Ausstandsgesuch zu entscheiden und den Sachverhalt dabei von Amtes wegen festzustellen (Urteil 1B_599/2022 vom 18. April 2023 E. 4.3 mit Hinweis).
Die Erklärung der vom Ausstandsgesuch betroffenen Person, sie erachte sich selbst als befangen, kann zwar ihrerseits den Anschein der Befangenheit erwecken (vgl. BGE 116 Ia 28 E. 2c; Urteil 1B_94/2019 vom 15. Mai 2019 E. 2.4). Die vorliegende Situation ist indessen insoweit speziell gelagert, als gerade nicht die persönliche Befangenheit einzelner Personen zu beurteilen ist, sondern die Ablehnung sämtlicher Mitglieder der Staatsanwaltschaft aus institutionellen Gründen.
4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen und ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 66 und Art. 68 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Erste Staatsanwältin, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, und B.________, Liestal, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. Juli 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger