Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_232/2022, 7B_233/2022
Urteil vom 22. Juli 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Hofmann,
Gerichtsschreiber Clément.
Verfahrensbeteiligte
7B_232/2022
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Sophie Gerber,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Schmutz,
2. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern,
Beschwerdegegner,
und
7B_233/2022
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Schmutz,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
7B_232/2022
Versuchte Vergewaltigung, versuchte Nötigung,
7B_233/2022
Versuchte Vergewaltigung; Strafzumessung,
Beschwerden gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 20. Juni 2022 (SK 21 297).
Sachverhalt:
A.
Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach B.________ am 9. April 2021 von den Anschuldigungen der versuchten Vergewaltigung und der versuchten sexuellen Nötigung zum Nachteil von A.________ frei. Hingegen sprach es ihn schuldig der versuchten Nötigung, begangen Ende Juli 2019, und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 144 Tagessätzen zu Fr. 130.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren und zu einer Verbindungsbusse von Fr. 4'680.--, ersatzweise zu 36 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung. Weiter befand es über die Zivilforderungen und die Kosten- und Entschädigungsfolgen.
B.
B.a. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 20. Juni 2022 die erstinstanzlichen Freisprüche. Es verurteilte B.________ wegen versuchter Nötigung, begangen Ende Juli 2019 und am 6. August 2019, zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 140.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren. Weiter befand es über die Zivilforderungen und die Kosten- und Entschädigungsfolgen.
B.b. Dem angefochtenen Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: B.________ und A.________ führten eine aussereheliche Liebesbeziehung, die letztere gegenüber ihren Angehörigen, namentlich auch gegenüber ihrem Ehemann, geheim hielt. A.________ habe diese Beziehung beendet. B.________ habe ihr in der Folge am 6. August 2019 einen Mitte Juli 2019 nach einer erfolglosen Aussprache verfassten Brief an ihren Arbeitsplatz gelegt, welcher unter anderem folgende Passage enthalten habe:
Du willst spielen? Let's play!!
Es ist jetzt folgendermassen:
Ich habe ein Schreiben für C.________ erstellt, ein ziemlich krasses Schreiben. Willst du, dass er alles erfährt, inkl. Fotos und Beweise? Willst du, dass es auch deine Eltern erfahren, dein Vater, bei dem du dich so bemühst, um Anerkennung zu bekommen und auch deine Schwester? Es würde massiven Schaden anrichten, für alle Beteiligten, aber das ist mir egal, so wie dir auch vieles egal ist was andere betrifft. Ich werde es tun. Und? Wie fühlt sich das an? Du hast jetzt eine einzige Chance, dies zu verhindern. Wir werden es so beenden wie es angefangen hat, mit Stil und geklärt, im V.________ Hotel, Zimmer yyy. Ich will offene und ehrliche Antworten! Wir werden uns im Hotel treffen und uns vergnügen ohne Gefühle (sollte ja kein Problem sein für dich) aber mach es gut, lass dir was einfallen - und dann gebe ich dir das Schreiben. Du kannst es gleich dort vernichten, wir gehen auseinander und dann will ich dich NIE mehr wiedersehen. Du organisierst und bezahlst es. Check-in 16:00 Check-out 22:00 Das ist dein Exit-Ticket aus dieser Geschichte. Ist das genug spielen für dich? Schick mir dafür binnen 2 Tagen einen Outlook-Termin für einer dieser 4 Daten und organisiere es. Es wird dir bestimmt eines dieser Daten möglich sein.
Mittwoch: 14. oder 21. August
Freitag: 16. oder 23. August
Erhalte ich keinen Termin bis am Do-Mittag, 8. August, wählst Du die andere Variante. Ich kann beide Wege gehen, ist mir egal. Du hast freie Wahl. Überlege gut- und entscheide klug.
B.________
Das Obergericht erwog, mit dem Brief habe B.______ A.________ gedroht, die Beziehung namentlich gegenüber deren Ehemann "C.________" (in einem krassen Brief) zu offenbaren, sofern sie seinem Ansinnen, ein letztes Mal Geschlechtsverkehr im V.________ Hotel, an den von ihm genannten Daten zu vollziehen, nicht nachkomme. Er hätte den an den Ehemann verfassten Brief nach Vollzug des Geschlechtsverkehrs an A.________ ausgehändigt. B.________ habe sich damit an A.________ für die Beendigung der Beziehung rächen und diese unter Druck ("Sex oder Offenbarung der Affäre") setzen wollen, zumal das erste klärende Gespräch nach Beendigung der Beziehung nicht nach seinen Vorstellungen verlaufen sei. Auch wenn er ein konstruktives Gespräch und einvernehmlichen Sex wohl bevorzugt hätte, habe er, koste es, was es wolle, ein letztes Mal intimen Kontakt mit A.________ haben wollen. B.________ habe mit seinem Brief bezweckt, mit A.________ sexuell zu verkehren, dies auch gegen deren Willen. Die Äusserungen seien wohlüberlegt gewesen, nachdem B.________ zwei Wochen mit der Deponierung des Briefes zugewartet habe. A.________ sei den Aufforderungen nicht nachgekommen und habe die aussereheliche Liebesbeziehung gegenüber ihrem Ehemann am 8. August 2019, d.h. zwei Tage nach Erhalt des Briefes, gezwungenermassen und unter dem Eindruck der im Brief enthaltenen Drohung, offengelegt.
C.
C.a. A.________ führt Beschwerde in Strafsachen (Verfahren 7B_232/2022). Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 20. Juni 2022 sei aufzuheben. B.________ sei nebst dem bereits ausgefällten Schuldspruch schuldig zu sprechen der versuchten Vergewaltigung und der versuchten sexuellen Nötigung (Deliktsdaten jeweils Ende Juli 2019 und 6. August 2019). Er sei angemessen zu bestrafen. Sodann sei er zur Bezahlung einer ins richterliche Ermessen gestellten Genugtuung, mindestens aber zu Fr. 4'000.-- nebst Zins zu 5% seit 7. August 2019 zu verpflichten. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
C.b. Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern führt ebenfalls Beschwerde in Strafsachen (Verfahren 7B_233/2022). Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 20. Juni 2022 sei bezüglich der Freisprüche, der Bemessung der Strafe und der Kosten- und Entschädigungsfolgen aufzuheben. B.________ sei zusätzlich zum ausgefällten Schuldspruch schuldig zu erklären der versuchten Vergewaltigung (Deliktsdaten Ende Juli 2019 und 6. August 2019). Er sei gestützt auf diesen Schuldspruch zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten bedingt, bei einer Probezeit von 2 Jahren und zu den erst- und oberinstanzlichen Verfahrenskosten zu verurteilen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil in den erwähnten Punkten aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die kantonalen Akten wurden beigezogen. Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:
1.
1.1. Auf die frist- und grundsätzlich formgerecht eingereichten Beschwerden in Strafsachen gegen das Urteil einer letzten kantonalen Instanz ist einzutreten (Art. 42, 78 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a, 80 Abs. 1, 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und Ziff. 5, 90, 100 Abs. 1 BGG).
1.2. Die Beschwerden in den Verfahren 7B_232/2022 und 7B_233/2022 richten sich gegen denselben Entscheid und haben dieselben Fragen zum Gegenstand. Es rechtfertigt sich deshalb, die genannten Verfahren gestützt auf Art. 71 BGG in sinngemässer Anwendung von Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP (SR 273) zu vereinigen und die Sache in einem einzigen Urteil zu behandeln.
2.
2.1. Die Beschwerdeführerinnen rügen, die Vorinstanz verletze Bundesrecht, indem sie annehme, die Schwelle zum versuchten Sexualdelikt (Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 1 StGB bzw. sexuelle Nötigung nach Art. 189 Abs. 1 StGB, jeweils in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB) sei noch nicht überschritten. Die Vorinstanz verlange zu Unrecht einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zwischen dem Druck und der Tat. Der Beschwerdegegner hätte im Hotelzimmer keine weitere Gewalt ausüben und keine weiteren Nötigungen begehen müssen, um die Tat auszuführen. Er habe das Nötigungsmittel mit der Deponierung des Briefes eingesetzt, der Motivationszusammenhang zwischen dem Schreiben und den verlangten sexuellen Handlungen sei gegeben. Dies gelte ungeachtet dessen, dass das beabsichtigte Treffen erst eine bis zwei Wochen später hätte stattfinden sollen, zumal die Zwangslage unverändert angedauert hätte. Zudem erfülle er die subjektiven Tatbestandsmerkmale. Damit habe er die Versuchsschwelle überschritten.
2.2.
2.2.1. Eine Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 1 StGB begeht, wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht. Eine sexuelle Nötigung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter eine Person zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer ähnlichen Handlung nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht. Die in beiden Tatbeständen beispielhaft genannten Nötigungsmittel stimmen vollständig überein.
2.2.2. Ein Versuch nach Art. 22 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende führt oder der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht eintritt oder nicht eintreten kann.
2.2.3. Die sexuellen Nötigungstatbestände verbieten den Angriff auf die sexuelle Freiheit. Sie gelten als Gewaltdelikte und sind damit prinzipiell als Akte physischer Aggression zu verstehen. Dabei stellt aber die Tatbestandsvariante des "Unter-psychischen-Druck-Setzens" klar, dass sich die tatbestandsmässige Ausweglosigkeit der Situation auch ergeben kann, ohne dass der Täter eigentliche Gewalt anwendet. Es kann vielmehr genügen, dass dem Opfer ein Widersetzen unter solchen Umständen aus anderen Gründen nicht zuzumuten ist. Diese Umstände müssen eine Qualität erreichen, die sie in ihrer Gesamtheit als instrumentalisierte, sogenannte strukturelle Gewalt erscheinen lassen. Das heisst, der psychische Druck, welchen der Täter durch die Schaffung einer Zwangslage erzeugen muss, hat von besonderer Intensität zu sein. Zwar wird nicht verlangt, dass er zur Widerstandsunfähigkeit des Opfers führt. Die Einwirkung auf dasselbe muss aber immerhin erheblich sein und eine der Gewaltanwendung oder Bedrohung vergleichbare Intensität erreichen. Dies ist der Fall, wenn vom Opfer unter den gegebenen Umständen und in Anbetracht seiner persönlichen Verhältnisse verständlicherweise kein Widerstand erwartet werden kann bzw. ihm ein solcher nicht zuzumuten ist, der Täter mithin gegen den Willen des Opfers an sein Ziel gelangt, ohne dafür Gewalt oder Drohungen anwenden zu müssen. Zu denken ist dabei namentlich an die Drohung mit Gewalt gegen Sympathiepersonen oder, in Beziehungen, auch an Situationen fortbestehender Einschüchterung aufgrund früherer Gewalterfahrungen, andauernder Tyrannisierung bzw. nachhaltigen Psychoterrors, in denen es im Einzelfall keiner erneuten Gewalt oder Bedrohung bedarf, um die Gefügigkeit des Opfers zu erzwingen. Ob die tatsächlichen Verhältnisse die tatbeständlichen Anforderungen eines Nötigungsmittels erfüllen, lässt sich erst nach einer umfassenden Würdigung der konkreten Umstände entscheiden (BGE 131 IV 167 E. 3.1; 131 IV 107 E. 2.2; Urteile 6B_1193/2021 vom 7. März 2023 E. 2.3.2; 6B_1265/2019 vom 9. April 2020 E. 3.3.2, nicht publ. in: BGE 146 IV 153; je mit Hinweis[en]). Erwachsenen mit entsprechenden individuellen Fähigkeiten ist eine stärkere Gegenwehr zuzumuten als Kindern (BGE 128 IV 106 E. 3a.bb; 122 IV 97 E. 2b S. 101).
2.2.4. Das Bundesgericht hat die Intensität des psychischen Drucks nach Art. 189 und Art. 190 StGB in einem Fall bejaht, als der Täter einer Frau mit Gewalt und Tod gegenüber ihren Kindern und ihrem Ehemann gedroht und im Gegenzug sexuelle Handlungen verlangt hat. Es erwog, dass die nötigenden Handlungen und die sexuellen Übergriffe zeitlich nicht unmittelbar aufeinander gefolgt seien, ändere nichts an der Tatbestandsmässigkeit. Entscheidend sei, dass die vom Täter insgesamt geschaffene und aufrechterhaltene Zwangslage derart nachhaltig gewirkt habe, dass sie unvermindert über den Vollzug der verlangten sexuellen Handlungen hinaus angedauert habe (BGE 131 IV 167 E. 3.3).
Im Urteil 6B_1057/2021 vom 10. Februar 2022 hatte das Bundesgericht einen Fall zu beurteilen, in welchem der Beschuldigte eine junge Frau über Facebook aufforderte, ihm Nacktbilder zu schicken. Dieser Aufforderung kam die Frau nach, worauf er von ihr sexuelle Handlungen verlangte mit der Androhung, sonst die Nacktfotos zu veröffentlichen. Die Frau blockierte mehrfach die falschen Profile des Beschuldigten, der nicht aufhörte, sie zu belästigen. Letztlich fügte sie sich seinen Forderungen. Das Bundesgericht führte aus, man könne der Frau nicht vorwerfen, die Polizei nicht gerufen zu haben, zumal sich Opfer in ihrer Situation, in welcher sie selbst Sexbilder an den Täter geschickt hätten, häufig schämten (E. 2.2). Nicht mehr zu beurteilen waren in diesem Fall die Delikte, wegen derer in der ersten bundesgerichtlichen Beurteilung im Verfahren 6B_981/2019 (vgl. nachfolgend) eine Gutheissung erfolgte.
Im Verfahren 6B_385/2012 vom 21. Dezember 2012, schützte das Bundesgericht die Verurteilung eines Lehrmeisters, der erheblichen Druck auf seine Lernende ausübte, indem er von ihr sexuelle Handlungen verlangte, widrigenfalls er dafür sorge, dass ihre jüngere Schwester, mit welcher sie ein sehr gutes Verhältnis hatte, wieder in einem Heim platziert werde. Dies reichte bei einem unsicheren jungen Mädchen mit einem fehlenden sozialen Netz aus, um hinreichenden Druck im Sinne des Gesetzes zu erzeugen.
Im Entscheid 6B_1040/2013 vom 18. August 2014 hatte das Bundesgericht sodann einen Täter zu beurteilen, der vom Opfer sexuelle Handlungen abverlangte, unter der Androhung, ein Video mit früheren einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Opfers zu veröffentlichen. Das Bundesgericht erwog, auch in dieser Konstellation sei der psychische Druck geeignet gewesen, das Opfer gefügig zu machen.
Im Kontrast zu den genannten Entscheiden gelangte das Bundesgericht in Urteil 6B_981/2019 vom 12. November 2020 (E. 3.2 mit Hinweis) zum Schluss, der einfache Versand von Nachrichten mit der Forderung nach sexuellen Handlungen sei zeitlich und örtlich zu weit von der Vollendung des sexuellen Aktes entfernt, um die Schwelle zum strafbaren Versuch zu überschreiten. Ebenso ging es in einem anderen Entscheid davon aus, dass anonymes Chatten im Chatroom mit einem Kind nicht ausreiche, um die Grenze zum Versuch der sexuellen Handlungen zu überschreiten (BGE 131 IV 100 E. 8.1).
2.2.5. Zur Frage, wann das Versuchsstadium erreicht ist, führte das Bundesgericht im Urteil 7B_6/2023 (vom 28. November 2023 E. 3.1.3 mit Hinweisen) aus, die Schwelle zum Versuch sei zweifellos überschritten, wenn der Täter mit dem Entschluss zu handeln ein objektives Tatbestandsmerkmal verwirklicht habe. Ein Beginn der Ausführung liegt gemäss dieser Rechtsprechung vor, wenn der Täter eine Handlung vornimmt, die in seiner Vorstellung den letzten und entscheidenden Schritt zur Verwirklichung der Straftat darstellt, von welchem es im Prinzip kein Zurück mehr gebe, ausser äussere Umstände erschwerten die Fortsetzung des Vorhabens bzw. machten sie unmöglich. Die Unterscheidung zwischen vorbereitenden Handlungen und Handlungen, die den Beginn der Ausführung der Straftat darstellen, müsse anhand von objektiven und subjektiven Kriterien getroffen werden. Insbesondere dürfe die Schwelle, ab der ein Versuch vorliege, nicht zu lange vor der eigentlichen Ausführung der Straftat liegen. Mit anderen Worten, der direkte Beginn der Tatausführung erfordere Handlungen, die sowohl in Bezug auf den Ort als auch auf den Zeitpunkt in der Nähe der Straftat lägen (Urteil 7B_6/2023 vom 28. November 2023 E. 3.1.3 mit Verweis auf BGE 131 IV 100 E. 7.2.1; Urteile 6B_1317/2022 vom 27. April 2023 E. 4.3; 6B_1122/2018 vom 29. Januar 2019 E. 5.1). Bei einer Vergewaltigung sei die Schwelle zum Versuch überschritten, wenn der Täter beginne, eine Zwangslage zu schaffen (Urteil 6B_981/2019 vom 12. November 2019 E. 3.1). Diese Schwelle müsse sowohl zeitlich als auch räumlich nahe an der eigentlichen Tatausführung liegen (a.a.O. mit Hinweis auf BGE 131 IV 100 E. 8.2). Dies sei der Fall, wenn der Täter sein Opfer einsperre, um es zu missbrauchen, sehr aggressiv werde und direkte Drohungen ausspreche (BGE 119 IV 224 E. 2). Eine versuchte Vergewaltigung liege auch vor, wenn der Täter versuche, seinem Opfer die Hose herunterzuziehen (Urteil 6B_981/2019 vom 12. November 2020 E. 3.1).
2.2.6. Bei der Frage, ob die Androhung, kompromittierende Umstände bekannt zu machen, unter die Tatbestandsvariante des "unter psychischen Druck Setzens" im Sinne von Art. 189 und Art. 190 StGB fällt, handelt es sich um einen Grenzfall (so auch Ulrich Weder, N. 12 zu Art. 189 StGB, in: StGB JStG Kommentar, Orell Füssli Verlag, 21. Aufl., Zürich 2022).
Gemäss Maier dürfe bei Drohungen die zeitliche Realisierbarkeit des angekündigten Übels nicht in allzu weiter Ferne liegen. Hinsichtlich des Unter-psychischen-Druck-Setzes erachtet dieser Autor vier Elemente als erforderlich: (1) Das Opfer müsse aufgrund der konkreten Umstände befürchten, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden; (2) der Täter müsse tatsituativ, d.h. kurz vor oder während der sexuellen Handlung eine (3) Zwangssituation schaffen; (4) zum Tatzeitpunkt dürften keine zumutbaren Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers mehr bestehen (Philipp Maier, in: Basler Kommentar Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 26 und N. 30 zu Art. 189 StGB).
Schwaibold erachtet es ganz generell als nicht tatbestandsmässig, wenn der Druck im Hinblick auf eine sexuelle Nötigung/Vergewaltigung über Internet bzw. Chats erfolgt, da sich dann das Opfer noch zum Täter begeben müsse und weder in der Bewegungsfreiheit noch in der Selbstschutzmöglichkeit eingeschränkt sei (Matthias Schwaibold, Eine folgenschwere Dummheit, Bemerkungen zum Urteil des Bundesgerichts vom 18. August 2014, 6B_1040/2013, in: forumpoenale 4/2016, S. 237 ff.).
Scheidegger pflichtet der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in Urteil 6B_1040/2013 vom 18. August 2014 bei (Nora Scheidegger, Das Sexualstrafrecht in der Schweiz, Grundlagen und Reformbedarf, Diss., Bern 2018, S. 194 ff.) Sie verneint die Erforderlichkeit eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der nötigenden Handlung und dem sexuellen Übergriff (Nora Scheidegger, N. 10 zu Art. 189 StGB, in: StGB Annotierter Kommentar, Stämpfli Verlag, Bern 2020, mit Verweis auf BGE 131 IV 167 E. 3.2).
Omlin führt aus, die sogenannte "Chantage", d.h. die Drohung, Nachteiliges bekanntzumachen, sei nicht als hinreichender psychischer Druck zu qualifizieren. Sie erreiche nicht die für Sexualgewaltdelikte erforderliche Intensität und sei nicht mit einer Bedrohung gleichzusetzen (Esther Omlin, Intersubjektiver Zwang & Willensfreiheit, Diss., Basel 2002, S. 98).
Toepel führt zum Tatbestand der Nötigung des deutschen Strafgesetzbuches aus, wenn der Zeitpunkt des abgenötigten Verhaltens innerhalb von Wochen oder Monaten zwischen der Gewaltanwendung und dem verlangten Opferverhalten liege, so sei die Drohung in der Regel nicht mehr gegenwärtig. Während in der Vorauflage noch festgehalten wurde, es bestehe die Erwartung, dass der Drohung "in besonnener Selbstbehauptung" standgehalten werde, bei der Information des Ehemannes über die ehebrecherische Beziehung seiner Ehefrau (Friedrich Toepel, N. 106 f. zu § 240 des deutschen Strafgesetzbuches, in: NomosKommentar Strafgesetzbuch Band 3, 5. Aufl. 2017), wird dies in der aktuellen 6. Auflage offengelassen.
Eisele geht davon aus, die Drohung mit der Information des Ehemannes über ein intimes Drittverhältnis seiner Ehefrau könne eine Bedrohung mit einem empfindlichen Übel sein (Jörg Eisele, N. 9 zu § 240 des deutschen Strafgesetzbuches, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 30. Aufl. 2019; gl.M. in der Neuauflage: Friedrich Toepel, N. 107 zu § 240 des deutschen Strafgesetzbuches, in: NomosKommentar Strafgesetzbuch Band 3, 6. Aufl. 2023). Ob dieser Drohung "in besonnener Selbstbehauptung" standgehalten werden muss, lässt er offen.
2.2.7. Grundsätzlich besteht Einigkeit, dass die Bestimmung des psychischen unter-Druck-Setzens im Sinne von Art. 189 und 190 StGB zurückhaltend interpretiert werden muss (BGE 128 IV 106 E. 3a/aa; Nicolas Queloz/Federico Illànez, N. 34 zu Art. 189, in: Commentaire Romand Code pénal II, Basel 2017; Stefan Trechsel/Carlo Bertossa, N. 6 zu Art. 189 StGB, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch Praxiskommentar, 4. Aufl., Zürich/St. Gallen 2021), zumal sie nicht klar definiert ist. Eine tatbeständliche Drucksituation kommt nur bei ungewöhnlich grosser kognitiver Unterlegenheit oder emotionaler wie sozialer Abhängigkeit in Betracht (Ulrich Weder, a.a.O., N. 15 zu Art. 189 StGB, Gunhild Godenzi, N. 7 zu Art. 189 StGB, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch Handkommentar, 4. Aufl., Bern 2020). Für die Frage, ob ein tatbestandsmässiges psychisches Unter-Druck-Setzen vorliegt, muss die gesamte Situation einbezogen werden (BGE 128 IV 106 E. 3a/aa; Philipp Maier, a.a.O. N. 31; Nicolas Queloz/Federico Illànez, a.a.O., N. 34; Ulrich Weder, a.a.O., N. 12 zu Art. 189 StGB). Insoweit erscheint es statthaft zulässig, die zeitliche und räumliche Distanz der nötigenden Handlung in die Gesamtwürdigung einzubeziehen.
2.2.8. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 148 V 366 E. 3.1; 146 IV 88 E. 1.3.2 mit Hinweisen).
2.3. Die Vorinstanz durfte zum Schluss gelangen, die Grenze zum Versuchsstadium einer sexuellen Nötigung und einer Vergewaltigung sei noch nicht überschritten, ohne Bundesrecht zu verletzen. Wie das Bundesgericht stets betont hat, ist für die Bejahung eines tatsituativen Zwangs, d.h. einer psychischen Zwangslage, ein erheblicher Druck im Hinblick auf die Abnötigung der gewünschten sexuellen Handlung erforderlich, der mit Gewalt oder einer Drohung vergleichbar ist. Ein solch erheblicher Druck ist im vorliegenden Fall zu verneinen.
Der Beschwerdegegner verlangte von seinem Opfer brieflich, innert zwei Tagen in einen der vier vorgeschlagenen Termine einzuwilligen und ihm eine Outlook-Terminbestätigung für ein Treffen im V.________ Hotel in W.________ zu schicken. Weiter verlangte er vom Opfer die Vornahme von sexuellen Handlungen anlässlich dieses persönlichen Treffens. Beide Aufforderungen (Terminbestätigung und persönliches Treffen mit sexuellen Handlungen innerhalb von einer bis zwei Wochen nach Erhalt des Briefes) verband er mit der Androhung, dass er andernfalls das aussereheliche Verhältnis gegenüber dem Ehemann und der Familie des Opfers offenlegen werde. Er gab ausdrücklich an, es sei ihm egal, ob sich das Opfer für ein Treffen oder für die Preisgabe des ausserehelichen Verhältnisses entscheide. Das Opfer, eine erwachsene und besonnene Frau, wandte sich als Folge des Täterhandelns an die Stellvertreterin ihres Vorgesetzten und den betriebsinternen psychologischen Dienst.
Angesichts dieser konkreten Umstände kann nicht gesagt werden, der aufgesetzte Druck sei hinreichend intensiv gewesen, um eine tatsituative Zwangssituation zu bejahen. Die Vorinstanz durfte in ihre Würdigung miteinbeziehen, dass Erwachsenen wie der Beschwerdeführerin 1 eine stärkere Gegenwehr zuzumuten ist als Kindern. Weiter durfte sie bei ihrer Gesamtwürdigung die zeitliche und räumliche Distanz zu den abverlangten sexuellen Handlungen berücksichtigen. Für eine Verurteilung wegen versuchter sexueller Nötigung bzw. versuchter Vergewaltigung wäre im vorliegenden Fall erforderlich gewesen, dass der Beschwerdegegner nach seinem Schreiben den Zwang im Hinblick auf die von ihm gewünschten sexuellen Handlungen aktualisiert. Dies gilt umso mehr, als er sich im Brief, den er der Beschwerdeführerin am 6. August 2019 an den Arbeitsplatz gelegt hat, dahingehend äusserte, es sei ihm egal, ob sich die Beschwerdeführerin 1 für oder gegen ein (letztes) Treffen entscheide. Das angefochtene Urteil steht im Ergebnis in Einklang mit Bundesrecht, wenn es zum Schluss gelangt, der Beschwerdeführer habe die Schwelle zur versuchten Vergewaltigung und zur versuchten sexuellen Nötigung nicht überschritten.
3.
3.1. Die Beschwerdeführerin beantragt im Verfahren 7B_233/2022 für den Fall der Gutheissung des Schuldspruchs eine andere Strafzumessung. Angesichts des Ausgangs des Verfahrens ist darauf nicht weiter einzugehen.
3.2. Die Beschwerdeführerin im Verfahren 7B_232/2022 verlangt eine Genugtuung von mindestens Fr. 4'000.-- nebst Zins zu 5% seit dem 7. August 2019. Sie befasst sich dabei mit keinem Wort mit den vorinstanzlichen Erwägungen, sondern begründet in freiem Vortrag ihre Auffassung, warum die von ihr beantragte Genugtuungshöhe die richtige sei. Weder behauptet sie eine Bundesrechtsverletzung, noch begründet sie eine solche. Darauf ist nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG).
3.3. Den Antrag auf Abänderung der vor Vorinstanz verlegten Kosten und Entschädigungen stellt die Beschwerdeführerin im Verfahren im Verfahren 7B_232/2022 für den Fall ihres Obsiegens vor Bundesgericht. Darauf ist aufgrund des Verfahrensausgangs nicht einzugehen.
4.
Die Beschwerden sind abzuweisen. Die unterliegende Beschwerdeführerin im Verfahren 7B_232/2022 wird kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Kanton sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verfahren 7B_232/2022 und 7B_233/2022 werden vereinigt.
2.
Die Beschwerden in den Verfahren 7B_232/2022 und 7B_233/2022 werden abgewiesen.
3.
Im Verfahren 7B_232/2022 werden die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Für das Verfahren 7B_233/2022 werden keine Kosten erhoben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. Juli 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Clément