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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_333/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 22. August 2014  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kernen, Präsident, 
Bundesrichterinnen Pfiffner, Glanzmann, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,  
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Zimmermann, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 1. April 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1921 geborene, im Regionalen Pflegezentrum B.________ wohnhafte A.________ bezieht gemäss Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Aargau vom 1. Juli 2012 seit 1. Mai 2012 Ergänzungsleistungen zur Altersrente in der Höhe von Fr. 2'618.- im Monat. Gestützt auf die von der Versicherten eingereichten Belege setzte die Ausgleichskasse die Ergänzungsleistungen mit Verfügung vom 8. April 2013 mit Wirkung ab 1. März 2013 neu auf Fr. 3'097.- im Monat fest. Auf Einsprache von A.________ hin ging die Ausgleichskasse nunmehr per 1. Januar 2013 noch von einem Vermögen von Fr. 125'030.- (statt Fr. 132'610.-) aus. Dementsprechend setzte sie die Ergänzungsleistung mit Einspracheentscheid vom 7. Juni 2013 ab 1. März 2013 auf neu Fr. 3'163.- im Monat fest. 
 
B.   
A.________ liess Beschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des Einspracheentscheides sei ihr bei der Neuberechnung der Ergänzungsleistung ab 1. März 2013 ein Vermögen von höchstens Fr. 109'596.85 anzurechnen. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau gelangte zur Auffassung, dass vom rohen Vermögen der Versicherten per 1. Januar 2013 von Fr. 132'610.- die noch nicht bezahlten Wohn- und Betreuungskosten für die Monate November und Dezember 2012 im Gesamtbetrag von Fr. 16'038.15 als Schulden abzuziehen seien. Das daraus resultierende Reinvermögen von Fr. 116'571.85 sei für die Berechnung des EL-Anspruchs bereits ab 1. Januar 2013 zu berücksichtigen. Dementsprechend hob das kantonale Gericht den Einspracheentscheid vom 7. Juni 2013 in teilweiser Gutheissung der Beschwerde auf und wies die Sache zur neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen an die Ausgleichskasse zurück (Entscheid vom 1. April 2014). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Ausgleichskasse, der vorinstanzliche Rückweisungsentscheid sei aufzuheben und die Neuberechnung der Ergänzungsleistungen sei ab 1. März 2013 unter Berücksichtigung eines Vermögens von Fr. 124'985.- vorzunehmen. Ferner ersucht sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung. 
 
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen selbstständig anfechtbaren Zwischenentscheid, da er für die Ausgleichskasse einen irreparablen Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 133 V 477 E. 5.2.4 S. 484 f.; zur Publikation in BGE 140 X vorgesehenes Urteil 8C_217/2014 vom 12. Mai 2014 E. 4.2 mit weiteren Hinweisen). 
 
2.   
Streitig ist die Höhe des anrechenbaren Vermögens, das der Berechnung der Ergänzungsleistung der Beschwerdegegnerin zugrunde zu legen ist. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Schulden zu berücksichtigen sind. 
Die Ergänzungsleistung wird in der Regel für die Dauer eines Jahres festgesetzt (Art. 3 Abs. 1 lit. a ELG; Art. 9 Abs. 1 ELG; BGE 128 V 39) und somit jährlich neu berechnet (BGE 139 V 570 E. 3.1 S. 572). Nach Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG wird bei Altersrentnerinnen ein Zehntel des Reinvermögens, soweit es bei alleinstehenden Personen Fr. 37'500.- übersteigt, als Einnahmen eingerechnet, was bedeutet, dass die Schulden des EL-Ansprechers abzuziehen sind. Die Schuld muss tatsächlich entstanden, aber noch nicht fällig sein ( RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: SBVR Band XIV, Soziale Sicherheit, 2. Auflage 2007 S. 1793 N. 220). Für die Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung sind in der Regel die während des vorausgegangenen Kalenderjahres erzielten anrechenbaren Einnahmen sowie das am 1. Januar des Bezugsjahres vorhandene Vermögen massgebend (Art. 23 Abs. 1 ELV). Laut Art. 25 Abs. 1 ELV ist die jährliche Ergänzungsleistung zu erhöhen, herabzusetzen oder aufzuheben bei Eintritt einer voraussichtlich längere Zeit dauernden Verminderung oder Erhöhung der vom ELG anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen sowie des Vermögens; massgebend sind die neuen, auf ein Jahr umgerechneten dauernden Ausgaben und Einnahmen und das bei Eintritt der Veränderung vorhandene Vermögen (lit. c 1. Teilsatz) sowie bei der periodischen Überprüfung, wenn eine Änderung der vom ELG anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen sowie des Vermögens festgestellt wird (lit. d 1. Teilsatz). Art. 30 ELV bestimmt sodann, dass die mit der Festsetzung und Auszahlung der Ergänzungsleistungen betrauten Stellen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bezüger periodisch, mindestens aber alle vier Jahre zu überprüfen haben. 
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hat vom rohen Vermögen, das laut Einspracheentscheid am 1. Januar 2013 Fr. 132'610.- betrug, die gegenüber dem Regionalen Pflegezentrum B.________ bestehenden Schulden in der Höhe von Fr. 16'038.15 für die in den Monaten November und Dezember 2012 erbrachten, von der Beschwerdegegnerin noch nicht bezahlten Leistungen in Abzug gebracht. Dadurch reduzierte sich das anrechenbare Vermögen per 1. Januar 2013 auf Fr. 116'571.85. Dieses ist sodann der Auffassung des kantonalen Gerichts zufolge bei der Berechnung des EL-Anspruchs bereits ab 1. Januar 2013 zu berücksichtigen. Es gehe nicht um eine Anpassung der Verfügung während des laufenden Kalenderjahres nach Art. 25 ELV. Vielmehr habe die Ausgleichskasse den EL-Anspruch im Rahmen der jährlichen Überprüfung auf diesem Zeitpunkt neu festsetzen müssen. Der mit der Verfügung vom 1. Juli 2012 festgestellte EL-Anspruch habe nur für das Jahr 2012 Rechtsbeständigkeit entfaltet.  
 
3.2. Die Ausgleichskasse wendet ein, erst eine periodische Überprüfung nach Art. 30 ELV gebe Anlass für eine umfassende Kontrolle der Anspruchsvoraussetzungen. Zwar werde die Ergänzungsleistung für die Dauer eines Jahres festgesetzt, und der Anspruch sei grundsätzlich jährlich neu zu berechnen. Dies bedeute nicht, dass die EL-Durchführungsstellen jährlich sämtliche Berechnungspositionen zu überprüfen hätten; vielmehr sei eine standardisierte Anpassung an politische und gesetzliche Änderungen vorzunehmen. Eine jährliche Überprüfung der Vermögenswerte sei nicht erforderlich. Die Ergänzungsleistung der Beschwerdegegnerin sei auf den 1. Januar 2013 an die geänderten gesetzlichen Grundlagen und die Rentenerhöhung angepasst worden. Erst nach Eingang verschiedener Unterlagen habe die Ausgleichskasse eine neue Berechnung zufolge Änderungen im Vermögen ab 1. März 2013 vorgenommen. Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, es sei nicht zulässig, die am 1. Januar 2013 bestehenden Schulden gegenüber dem Regionalen Pflegezentrum B.________ vom Vermögen abzuziehen. Die Rechnungen vom 5. Dezember 2012 und 8. Januar 2013 beträfen Lebenshaltungskosten, die als anerkannte Ausgaben nach Art. 10 ELG von den Ergänzungsleistungen gedeckt, d.h. damit zu bezahlen sind. Nur über die anerkannten Ausgaben hinausgehende Kosten seien bei der Berechnung des Vermögens abzuziehen.  
 
4.  
 
4.1. Soweit die Vorinstanz per 31. Dezember 2012 Abzüge vom anrechenbaren Vermögen für die noch nicht bezahlten Rechnungen des Regionalen Pflegezentrums B.________ vornimmt, ist ihr Vorgehen bundesrechtswidrig. Wie das Bundesgericht im Urteil 9C_396/2013 vom 15. Oktober 2013 E. 6.1 (SZS 2014 S. 64) dargelegt hat, gelten Lebenshaltungskosten, soweit sie anerkannte Ausgaben im Sinne von Art. 10 ELG darstellen, von den Ergänzungsleistungen als gedeckt, das heisst sie sind damit zu bezahlen, was eine Berücksichtigung von diesbezüglich am Ende des Kalenderjahres bestehenden Schulden in Form eines Abzuges vom Vermögen zur Berechnung des Vermögensverzehrs nach Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG ausschliesst. Vorliegend fällt daher der Abzug der Ende 2012 offenen Rechnungen des Pflegezentrums vom anrechenbaren Vermögen insoweit ausser Betracht, als es sich dabei um anerkannte Ausgaben gemäss Art. 10 ELG handelt.  
 
4.2. Beizupflichten ist der Vorinstanz hingegen insoweit, als sie feststellt, die Neuberechnung der Ergänzungsleistung sei bereits mit Wirkung ab 1. Januar 2013 statt erst ab 1. März 2013 durchzuführen. Wie im angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt wird, ist nicht die im März 2013 erfolgte Meldung über ihren Vermögensstand massgebend, geht es doch nicht um eine (revisionsweise) Anpassung der Ergänzungsleistung während des laufenden Kalenderjahres im Sinne von Art. 25 ELV. Vielmehr hatte die Ausgleichskasse die Ergänzungsleistung der Beschwerdegegnerin aufgrund der jährlichen Überprüfung unter Berücksichtigung des anrechenbaren Vermögens und damit des Vermögensverzehrs neu festzusetzen, weil die Verfügung vom 1. Juli 2012 nur für das Jahr 2012 Rechtsbeständigkeit entfaltete (BGE 128 V 39 E. 3b S. 40 f.; Urteile 8C_94/2007 vom 15. April 2008 E. 3 und 4 und P 55/03 vom 5. März 2004 E. 2.2.1). Die beschwerdeweise vorgetragene Auffassung der Ausgleichskasse, die EL-Durchführungsstellen hätten jährlich lediglich "eine standardisierte Anpassung an politische und gesetzliche Änderungen vorzunehmen", findet in ELG und ELV keine Stütze (vgl. dazu BGE 139 V 570 E. 3.1 S. 572, wonach bei einer Neuberechnung der EL die dazu Anlass gebenden Änderungen tatsächlicher oder rechtlicher Natur zu berücksichtigen sind). In diesem Punkt bleibt es somit beim angefochtenen Entscheid. Die Ausgleichskasse, an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird über den EL-Anspruch der Beschwerdegegnerin ab 1. Januar 2013 nach Massgabe einer Neuberechnung des anrechenbaren Vermögens zu diesem Zeitpunkt im Sinne der Erwägungen neu verfügen.  
 
5.   
Mit dem Entscheid in der Hauptsache wird das Gesuch der Ausgleichskasse, es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos. 
 
6.   
Die Beschwerdeführerin obsiegt in Bezug auf den Abzug der Schulden, der weitestgehend unzulässig ist, unterliegt hingegen hinsichtlich des Zeitpunkts, ab welchem die Ergänzungsleistung neu zu berechnen ist. Es ist daher gerechtfertigt, die Gerichtskosten den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat infolge teilweisen Obsiegens Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 1. April 2014 und der Einspracheentscheid vom 7. Juni 2013 aufgehoben werden. Die Sache wird an die Ausgleichskasse des Kantons Aargau zurückgewiesen, damit sie den Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Ergänzungsleistungen ab 1. Januar 2013 im Sinne der Erwägungen neu berechne und darüber neu verfüge. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden den Parteien je zur Hälfte auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 22. August 2014 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kernen 
 
Der Gerichtsschreiber: Widmer