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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_773/2021  
 
 
Urteil vom 22. November 2022  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter von Werdt, 
nebenamtliche Bundesrichterin Reiter, 
Gerichtsschreiber Sieber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Sandor Horvath, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. B.B.________, 
2. C.B.________, 
beide vertreten durch Rechtsanwältin Ursula Engelberger-Koller, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Entzug des Rechts auf persönlichen Verkehr, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 20. August 2021 (3H 21 20 / 3U 21 18). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. B.B.________ (geb. 2007) ist das Kind der unverheirateten und getrennt lebenden Eltern C.B.________ (Kindsmutter) und A.________ (Kindsvater). Das Kind steht unter der alleinigen Sorge und Obhut der Kindsmutter.  
 
A.b. Mit Entscheid vom 8. August 2019 entzog die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Hochdorf (KESB) dem Kindsvater das Recht auf persönlichen Verkehr mit der Tochter und ordnete an, dass der Entzug jährlich zu überprüfen sei, erstmals per 1. September 2020. Gleichzeitig hob sie eine vorbestehende Beistandschaft auf und erteilte den Kindseltern Weisungen zwecks Fortsetzung einer Psychotherapie für das Kind.  
Am 6. April 2021 entzog die KESB dem Kindsvater soweit hier interessierend das Recht auf persönlichen Verkehr dauerhaft und hob die jährliche Überprüfung von dessen Entzug auf. Ausserdem entzog sie dem Kindsvater das Auskunftsrecht gegenüber Drittpersonen. Die Weisungen an die Kindseltern im Zusammenhang mit der Psychotherapie des Kindes wurden ebenfalls aufgehoben. Verschiedene Anträge des Kindsvaters im Zusammenhang mit der erneuten Errichtung einer Besuchsbeistandschaft schrieb die Behörde als erledigt vom Verfahren ab. Das Kind lebte im Zeitpunkt dieses Entscheids nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der KESB. 
 
B.  
Dagegen erhob der Kindsvater am 29. April 2021 Beschwerde beim Kantonsgericht Luzern. Mit Entscheid vom 20. August 2021 (eröffnet am 27. August 2021) wies das Kantonsgericht das Rechtsmittel ab, soweit es darauf eintrat (Dispositivziffer 1). Die Verfahrenskosten auferlegte es dem Kindsvater (Dispositivziffer 4). 
 
C.  
Mit Beschwerde in Zivilsachen und eventuell subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 21. September 2021 gelangt der Kindsvater (Beschwerdeführer) an das Bundesgericht. Er beantragt unter Kosten- und Entschädigungsfolge in allen Instanzen, es seien in Gutheissung der Beschwerde die Dispositivziffern 1 und 4 des Entscheids des Kantonsgerichts aufzuheben und es sei im Sinne der in der Beschwerde enthaltenen Ausführungen neu zu entscheiden. Weiter sei die Nichtigkeit der Entscheide des Kantonsgerichts und der KESB festzustellen. Im Eventualstandpunkt beantragt er zusammengefasst im Wesentlichen, es sei ihm in teilweiser Aufhebung der Entscheide des Kantonsgerichts und der KESB ein schrittweise auf den gerichtsüblichen Umfang auszudehnendes Besuchsrecht bei der Tochter einzuräumen. Zwecks dessen Organisation, Überwachung und Begleitung sei ausserdem eine Besuchsrechtsbeistandschaft zu errichten. Subeventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren sei dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung zu gewähren. 
Am 9. Mai 2022 beantragt das Kantonsgericht unter Verzicht auf eine Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Auch die KESB verzichtet mit Eingabe vom 12. Mai 2022 auf eine Vernehmlassung. Die Kindsmutter und die Tochter (Beschwerdegegnerinnen) beantragen mit Beschwerdeantwort vom 14. Juni 2022 die Abweisung der Beschwerde soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdeführer hält am 29. Juni 2022 an seinen Anträgen fest. Sämtliche Eingaben wurden den Verfahrensbeteiligten zugestellt. Im Übrigen hat das Bundesgericht die Akten des kantonalen Verfahrens eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist der Endentscheid (Art. 90 BGG) eines oberen kantonalen Gerichts, das als Rechtsmittelinstanz (Art. 75 BGG) über den persönlichen Verkehr zwischen dem minderjährigen Kind und dem nicht obhutsberechtigten Elternteil sowie eine Beistandschaft und damit der Beschwerde in Zivilsachen unterliegende Angelegenheiten (Art. 72 Abs. 1 und Abs. 2 Bst. b Ziff. 6 BGG) ohne Streitwert entschieden hat. Die Beschwerde in Zivilsachen ist das zutreffende Rechtsmittel, womit die ebenfalls erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht zulässig ist (Art. 113 BGG). Der Beschwerdeführer ist nach Art. 76 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt, die er auch fristgerecht erhoben hat (Art. 100 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde ist unter Vorbehalt der nachfolgenden Ausführungen einzutreten.  
 
1.2. Unzulässig sind die Anträge des Beschwerdeführers in Bezug auf den Entscheid der KESB vom 6. April 2021. Der erstinstanzliche Entscheid bildet im bundesgerichtlichen Verfahren kein taugliches Anfechtungsobjekt (BGE 134 II 142 E. 1.4). Vielmehr ist die Beschwerde in Zivilsachen - unter Vorbehalt hier nicht gegebener Ausnahmen - nur gegen Urteile oberer Gerichte zulässig, die letztinstanzlich auf Rechtsmittel hin entschieden haben (Art. 75 BGG; BGE 141 III 188 E. 4.1). Auf die Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten.  
 
2.  
 
2.1. Mit der Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und prüft mit freier Kognition, ob der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Es befasst sich dabei grundsätzlich aber nur mit formell ausreichend begründeten Einwänden. In der Beschwerde muss in gedrängter Form dargelegt werden, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdeführer muss auf den angefochtenen Entscheid eingehen und aufzeigen, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt; er soll im Schriftsatz mit seiner Kritik an den Erwägungen der Vorinstanz ansetzen, die er als rechtsfehlerhaft erachtet. Allgemein gehaltene Einwände, die ohne aufgezeigten oder erkennbaren Zusammenhang mit bestimmten Entscheidungsgründen vorgebracht werden, genügen nicht (BGE 143 II 283 E. 1.2.2; 140 III 86 E. 2). Für Vorbringen betreffend die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gilt ausserdem das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 143 II 283 E. 1.2.2; sogleich E. 2.2).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann die rechtsuchende Partei nur vorbringen, die vorinstanzlichen Feststellungen seien offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich (Art. 9 BV), oder würden auf einer anderen Bundesrechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG (z.B. Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV oder Art. 8 ZGB) beruhen. In der Beschwerde ist überdies darzutun, inwiefern die Behebung der gerügten Mängel für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Es gilt das strenge Rügeprinzip nach Art. 106 Abs. 2 BGG. Das Bundesgericht prüft daher nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Vorbringen. Auf ungenügend substantiierte Rügen und rein appellatorische Kritik am Sachverhalt tritt es nicht ein (BGE 141 IV 317 E. 5.4; 140 III 264 E. 2.3).  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer macht vorab die Nichtigkeit der Entscheide beider kantonaler Instanzen geltend. Die KESB sei zum Erlass der streitbetroffenen Anordnung örtlich nicht zuständig gewesen, was das Kantonsgericht zwar erkannt, zu Unrecht aber nicht berücksichtigt habe. Hierdurch hätte die Vorinstanz ausserdem verschiedentlich gegen das Gesetz und die Verfassung verstossen. Namentlich habe sie Art. 444 Abs. 1 und 2 ZGB missachtet und seinen Anspruch auf Beurteilung durch ein zuständiges Gericht verletzt.  
 
3.2. Das Kantonsgericht führt diesbezüglich aus, die KESB sei zum Erlass des Entscheides vom 6. April 2021 örtlich nicht zuständig gewesen. Das betroffene Kind habe seit August 2019 einen Wohnsitz ausserhalb des Zuständigkeitsbereichs der KESB. Im Zeitpunkt des Wohnsitzwechsels sei kein Verfahren mehr hängig gewesen. Jenes betreffend Entzug des Rechts auf persönlichen Verkehr zwischen Vater und Tochter sei bereits abgeschlossen gewesen, woran auch die Anordnung der jährlichen Prüfung der Massnahme und die weiter getroffenen Anordnungen nichts geändert hätten, und das (aktuelle) Verfahren betreffend Überprüfung des Besuchsrechts sei erst später angehoben worden. Somit habe bei Wohnsitzwechsel keine Zuständigkeit der KESB bestanden, die hätte perpetuiert werden können, und die Behörde wäre verpflichtet gewesen, die Angelegenheit an die neu zuständige Kindesschutzbehörde zu überweisen. Ein wichtiger Grund, von diesem Vorgehen abzusehen, habe nicht bestanden. Allerdings habe der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer den Einwand der örtlichen Unzuständigkeit erst im Rechtsmittelverfahren erhoben, obgleich er die entsprechende Problematik bereits während des Verfahrens vor der KESB hätte erkennen können. Es sei unter diesen Umständen treuwidrig den Einwand der fehlenden Zuständigkeit erst vor dem Kantonsgericht zu erheben und das entsprechende Vorbringen sei verspätet.  
 
3.3. Zuständig für den Erlass einer Massnahme ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz der betroffenen Person. Ist ein Verfahren rechtshängig, so bleibt die Zuständigkeit bis zu dessen Abschluss auf jeden Fall erhalten (Art. 314 Abs. 1 i.V.m. Art. 442 Abs. 1 ZGB). Wechselt eine Person, für die eine Massnahme besteht, ihren Wohnsitz, so übernimmt die Behörde am neuen Ort die Massnahme ohne Verzug, sofern keine wichtigen Gründe dagegen sprechen (Art. 314 Abs. 1 i.V.m. Art. 442 Abs. 5 ZGB). Die Kindesschutzbehörde prüft ihre Zuständigkeit von Amtes wegen (Art. 314 Abs. 1 i.V.m. Art. 444 Abs. 1 ZGB). Die Zuständigkeitsbestimmungen sind zwingender Natur und eine Einlassung fällt grundsätzlich ausser Betracht (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht], BBl 2006 7001 ff., S. 7076).  
Entscheidet eine örtlich unzuständige Kindesschutzbehörde, führt dies grundsätzlich zur Aufhebung des mit einem Rechtsmittel angefochtenen Entscheids von Amtes wegen. Auf dieses Vorgehen kann aus prozessökonomischen Gründen unter der doppelten Voraussetzung verzichtet werden, dass die fehlende Zuständigkeit im Rechtsmittelverfahren nicht gerügt wird und aufgrund der Aktenlage in der Sache entschieden werden kann (vgl. betreffend ein örtlich unzuständiges Sozialversicherungsgericht BGE 142 V 67 E. 2.1; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, N. 1103 f.; je mit Hinweisen). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, kann auf die Aufhebung des Entscheids auch dann nicht verzichtet werden, wenn sich dies aus prozessökonomischen Gründen aufdrängen würde. 
 
3.4. Unbestritten war die KESB örtlich nicht zuständig, den streitbetroffenen Entscheid zu fällen (vgl. E. 3.1 und 3.2 hiervor). Der Beschwerdeführer hat die fehlende örtliche Zuständigkeit der Behörde sodann bereits im Rechtsmittelverfahren vor dem Kantonsgericht gerügt. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz nach dem Ausgeführten nicht auf die Aufhebung des Entscheids der KESB verzichten. Für ein abweichendes Ergebnis mit Verweis auf Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) bleibt im Zusammenhang mit der von Amtes wegen zu beachtenden örtlichen (Un-) Zuständigkeit kein Raum: Vorliegend steht ein Entscheid in Frage, der mit einer Beistandschaft die (potentielle) Unterstellung der betroffenen Person unter die Behörde zum Gegenstand hat. Beim Entscheid einer unzuständigen Behörde müsste daher gegebenenfalls eine sofortige Übertragung der getroffenen Massnahme erfolgen (vgl. Art. 442 Abs. 5 ZGB), was wenig Sinn ergibt und die Berücksichtigung der Zuständigkeitsfrage bereits im hier betroffenen Rechtsmittelverfahren nötig macht. Etwas anderes mag in jenen Bereichen des materiellen Zivilrechts gelten, in denen die Kindesschutzbehörde nur als vollziehende Behörde in einem Zweiparteienverhältnis tätig wird. Da eine Einlassung nicht möglich ist, bleibt vorliegend auch unerheblich, ob der Beschwerdeführer die örtliche Unzuständigkeit im Verfahren vor der KESB gerügt hat oder nicht.  
 
4.  
Nach dem Ausgeführten erweist die Beschwerde sich als begründet und ist sie gutzuheissen. Bei diesem Ergebnis braucht auf die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers, namentlich die Rüge der Nichtigkeit, nicht mehr eingegangen zu werden. Der angefochtene Entscheid vom 20. August 2021 ist im beantragten Umfang (Dispositivziff. 1 und 4) aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Kantonsgericht zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG). 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin 2 aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ausserdem hat diese dem Beschwerdeführer die Parteikosten zu ersetzen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; zum Rückweisungsentscheid vgl. BGE 141 V 281 E. 11.1). Die Entschädigung ist praxisgemäss dem Anwalt auszurichten (Urteil 5A_734/2015 vom 17. Dezember 2015 E. 3, nicht publiziert in: BGE 142 III 36). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird damit gegenstandslos und ist abzuschreiben (Art. 32 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Die Ziffern 1 und 4 des Entscheids des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 20. August 2021 werden aufgehoben und die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Kantonsgericht zurückgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos geworden abgeschrieben. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdegegnerin 2 auferlegt. 
 
4.  
Die Beschwerdegegnerin 2 hat Rechtsanwalt Sandor Horvath mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Hochdorf und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. November 2022 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Sieber