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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_625/2013 {T 0/2}  
   
   
 
 
 
Urteil vom 23. Januar 2014  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Maillard, 
Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
H.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph Senti, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Arbeitslosenkasse syndicom,  
Looslistrasse 15, 3027 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen 
vom 26. Juni 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1963 geborene H.________ ist seit 1. März 2009 als Kranken- und Hauspflegerin bei der Hausbetreuungsdienst ________ AG in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis auf Abruf tätig. Nachdem auf den 1. Oktober 2011 ein von ihr betreutes Ehepaar in eine Alterswohnung umgezogen war, meldete sie sich aufgrund des dadurch entstandenen Beschäftigungseinbruchs am 7. Oktober 2011 bei der Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an. Die Arbeitslosenkasse syndicom, Zürich, verneinte am 10. November 2011 einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 8. Oktober 2011, da H.________ keinen anrechenbaren Arbeits- und Verdienstausfall erlitten habe. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 15. Mai 2012). 
 
B.   
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 26. Juni 2013 ab. 
 
C.   
H.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihr in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und des Einspracheentscheids vom      15. Mai 2012 Arbeitslosenentschädigung zuzusprechen. Eventualiter sei die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Im angefochtenen Gerichtsentscheid werden die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung    (Art. 8 Abs. 1 AVIG), insbesondere diejenigen der ganzen oder teilweisen Arbeitslosigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit. a und Art. 10 AVIG) sowie des anrechenbaren Arbeitsausfalls (Art. 8 Abs. 1 lit. b und Art. 11 Abs. 1 AVIG), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
2.2. Bei der Arbeit auf Abruf besteht keine Garantie für einen bestimmten Beschäftigungsumfang, sodass die Person während der Zeit, in der sie nicht zur Arbeit aufgefordert wird, keinen Arbeits- und Verdienstausfall nach Art. 11 Abs. 1 AVIG erleidet, dies deshalb, weil ein anrechenbarer Ausfall an Arbeitszeit nur entstehen kann, wenn zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer eine wöchentliche Normalarbeitszeit vereinbart war.  
Von diesem Grundsatz kann jedoch abgewichen werden, wenn der auf Abruf erfolgte Einsatz während längerer Zeit im Wesentlichen mehr oder weniger konstant war. In diesem Fall ist die effektiv absolvierte Arbeitszeit als normal zu betrachten. Nach der Rechtsprechung kann der Beobachtungszeitraum dabei umso kürzer sein, je weniger die Arbeitseinsätze in den einzelnen Monaten schwanken, und er muss länger sein, wenn die Arbeitseinsätze sehr unregelmässig anfallen oder wenn die Arbeitsdauer während der einzelnen Einsätze starken Schwankungen unterworfen ist (BGE 107 V 59 E. 1 S. 61 unten f.; SVR 2006 ALV 29 S. 99, C 9/06 E. 1.3; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2224 Rz. 151). 
In Bezug auf langjährige Arbeitsverhältnisse wurde höchstrichterlich regelmässig erkannt, dass auf die Arbeitsstunden pro Jahr und die Abweichungen vom Jahresdurchschnitt abgestellt werden kann (SVR 2008 ALV Nr. 3 S. 6, C 266/06 E. 3.2; SVR 2006 ALV Nr. 29 S. 99,   C 9/06 E. 3.3; ARV 1995 Nr. 9 S. 45, C 1/93 E. 3b). Das Abstellen auf die Arbeitsstunden pro Jahr und die Abweichungen vom Jahresdurchschnitt rechtfertigt sich umso mehr, als im Arbeitsvertragsrecht in jüngerer Zeit vermehrt von der Massgeblichkeit einer Jahresarbeitszeit ausgegangen wird, welche es den Arbeitgebern erlaubt, flexibler auf saisonale oder anderweitige Beschäftigungsschwankungen zu reagieren (SVR 2006 ALV Nr. 29 S. 99, C 9/06 E. 3.3 i.f.; Urteil 8C_417/2013 vom 10. Dezember 2012 E. 5.2.2). 
 
3.  
 
3.1. Es steht nicht infrage, dass beim vorliegenden Arbeitsverhältnis, bei dem die Arbeit jeweils vereinbarungsgemäss nur auf Aufforderung der Arbeitsgeberin hin (ohne Zusicherung eines durchschnittlichen oder minimalen Beschäftigungsgrades) aufgenommen wird, grundsätzlich die auf dieser besonderen Vereinbarung beruhende Arbeitszeit als normal gilt, weshalb die Versicherte während der Zeit, da sie nicht zur Arbeit aufgefordert wird, keinen anrechenbaren Arbeitsausfall erleidet. Strittig ist hingegen, ob die vor Beschäftigungseinbruch geleistete Arbeit während längerer Zeit regelmässig und ohne erhebliche Schwankungen war, sodass in Abweichung vom Grundsatz eine Normalarbeitszeit abgeleitet werden kann.  
 
3.2. Arbeitslosenkasse und Vorinstanz verneinten dies, da mit Blick auf Randziffer B97 der AVIG-Praxis ALE des SECO vom Oktober 2012 die Beschäftigungsschwankungen in den einzelnen Monaten des Arbeitsverhältnisses im Beobachtungszeitraum von 12 Monaten (Oktober 2010 bis September 2011) im Verhältnis zu den im Monatsdurchschnitt geleisteten Arbeitsstunden höchstens 20 % nach unten oder nach oben ausmachen dürften, hier jedoch Abweichungen von 30 % nach oben und 27 % nach unten bestünden.  
 
3.3. Die Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, dass die Vorinstanz für die Ermittlung der Einsatzschwankungen auf den monatlichen Bruttolohn, mithin ohne Berücksichtigung der ausgerichteten Ferienentschädigung und den (relativ) unabhängig zu den Arbeitsstunden ausgerichteten Spesen- und Dienstleistungsentschädigungen, abgestellt habe. Zudem sei auf die Arbeitsstunden pro Jahr und die Abweichungen vom Jahresdurchschnitt abzustellen. Bei einer Beschäftigungsdauer von insgesamt 30 Monaten habe sie durchaus ein regelmässiges Jahreseinkommen mit Abweichungen nach oben oder unten von lediglich rund 5 % erzielt, weshalb sich auch unter diesem Blickwinkel eine Normalarbeitszeit errechnen liesse.  
 
3.4. Im Zeitpunkt des Einsatzverlusts beim zu pflegenden Ehepaar war die Beschwerdeführerin seit zwei Jahren und sieben Monaten (1. März 2009 bis 30. September 2011) bei der Hausbetreuungsdienst ________ AG in einem Arbeitsverhältnis auf Abruf. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht einwendet, ist es gerechtfertigt - im Sinne der dargelegten Rechtsprechung zur Berechnung der Normalarbeitszeit bei langjährigen Arbeitsverhältnissen (E. 2.2) -, auf die Arbeitsstunden pro Jahr und die Abweichung vom Jahresdurchschnitt abzustellen. Damit ist der Beobachtungszeitraum auf 31 Monate (1. März 2009 bis 30. September 2011) und die massgebende Vergleichsperiode auf ein Jahr auszudehnen. Die grundsätzliche Berechnungsweise basierend auf der Bruttolohnsumme anstelle einer Ermittlung der Schwankungen anhand der durchschnittlichen Arbeitsstunden lässt sich nicht beanstanden. Dass darin bei der von Verwaltung und Vorinstanz vorgenommenen Berechnungsweise in der Bruttolohnsumme eine prozentuale Ferienentschädigung von 8,33 % sowie die Positionen ¨Grund- und Behandlungspflege¨ enthalten sind, fällt bei der nachstehenden Berechnung nicht ins Gewicht, weshalb nicht näher darauf einzugehen ist.  
 
3.5. Gemäss Arbeitgeberbescheinigung vom 31. Oktober 2011 verdiente die Versicherte demnach während 31 Monaten insgesamt       Fr. 164'600.40, was einen Jahresdurchschnitt von Fr. 63'716.30 ergibt. Die Schwankungen des ersten Jahres (1. März 2009 bis 28. Februar 2010) betragen bei einer Bruttolohnsumme von Fr. 61'174.25 lediglich 4 % nach unten, die des zweiten Jahres (1. März 2010 bis 28. Februar 2011) bei einem Bruttoverdienst von Fr. 58'340.05 ebenfalls nur 8.5 % nach unten.  
 
3.6. Bei diesen Werten, die sich auf die Arbeitsstunden pro Jahr und die Abweichungen vom Jahresdurchschnitt beziehen, lässt sich eine individuelle Normalarbeitszeit ermitteln, weshalb die Beschwerdeführerin mit dem Beschäftigungseinbruch im Oktober 2011 einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitt. Die Sache ist daher an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen, damit sie die übrigen Anspruchsvoraussetzungen prüfe und anschliessend über den Arbeitslosenentschädigungsanspruch neu entscheide.  
 
4.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Dem Prozessausgang entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Juni 2013 und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse syndicom vom 15. Mai 2012 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Arbeitslosenkasse syndicom zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung neu verfüge. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem beco Berner Wirtschaft schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 23. Januar 2014 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla