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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
H 176/04 
 
Urteil vom 23. Februar 2005 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiberin Keel Baumann 
 
Parteien 
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
K.________, 1930,Beschwerdegegner, vertreten 
durch die B.________ AG 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 17. August 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
K.________ ist der Ausgleichskasse der Aargauischen Industrie- und Handelskammer seit 1. September 1987 als Selbstständigerwerbender angeschlossen. Nach Eingang der Steuermeldung vom 14. Mai 1992 erliess die Kasse am 25. Mai 1992 zwei Beitragsverfügungen für die Perioden 1987 (1. September bis 31. Dezember) und 1988, wobei sie der Beitragsbemessung die in den Jahren 1987 und 1988 erzielten (und auf ein Jahr umgerechneten) Einkommen von je Fr. 188'728.- zugrunde legte. Aufgrund der gleichen Einkommensfaktoren wurden auch die Beiträge für die Jahre 1989 bis 1991 festgesetzt. Die entsprechende Beitragsverfügung vom 1. Dezember 1994 erwuchs ebenso wie die Verfügungen vom 25. Mai 1992 unangefochten in Rechtskraft. 
Nach Eingang einer rektifizierten Steuermeldung vom 12. Dezember 2002, in welcher das (auf ein Jahr umgerechnete) Einkommen 1987 und 1988 mit je Fr. 78'383.- beziffert wird, teilte die Ausgleichskasse K.________ in Form einer Verfügung am 15. Mai 2003 mit, dass eine Korrektur der Verfügungen vom 25. Mai 1992 und vom 1. Dezember 1994 betreffend die für die Jahre 1987 bis 1991 geschuldeten Beiträge infolge Verjährung bzw. Verwirkung nicht mehr möglich sei. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 29. September 2003 fest. 
B. 
Die von K.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 17. August 2004 gut, hob den Einspracheentscheid sowie die Beitragsverfügungen vom 25. Mai 1992 und 1. Dezember 1994 auf und wies die Sache an die Kasse zurück, damit diese die Beiträge für die Zeit vom 1. September 1987 bis 31. Dezember 1991 im Sinne der Erwägungen neu festsetze. 
C. 
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des kantonalen Entscheides. 
K.________ lässt sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Die Ausgleichskasse verweist in ihrer Stellungnahme auf ihre im kantonalen Verfahren eingereichte Vernehmlassung. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz die Verwaltung zu Recht zur Revision ihrer Beitragsverfügungen für die Jahre 1987 (ab 1. September) bis 1991 vom 25. Mai 1992 und 1. Dezember 1994 verpflichtet hat. 
1.1 Gemäss Art. 53 des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 (welche Bestimmung vorliegend Anwendung findet, entsprechend dem Grundsatz, dass neue Verfahrensvorschriften mangels anders lautender Übergangsbestimmungen mit dem Tag des In-Kraft-Tretens sofort und in vollem Umfang zu berücksichtigen sind: BGE 130 V 4 Erw. 3.2 mit Hinweis) müssen formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war (Abs. 1; zur vor In-Kraft-Treten des ATSG ergangenen Rechtsprechung BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen). Der Versicherungsträger kann auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (Abs. 2; zur vor In-Kraft-Treten des ATSG ergangenen Rechtsprechung: BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen). 
1.2 Die Ausgleichskasse führte zur Begründung ihrer Verfügung vom 15. Mai 2003, mit welcher sie eine Wiedererwägung der Verfügungen vom 25. Mai 1992 und 1. Dezember 1994 ablehnte, aus, dass bis zum 1. Januar 1997 die Beitragsverfügungen gemäss aArt. 16 Abs. 1 Satz 2 AHVG fünf Jahre nach Ablauf des Beitragsjahres verjährten und diese Bestimmung erst mit der 10. AHV-Revision dahingehend geändert worden sei, dass die Ausgleichskasse ihre Forderung innert einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft der massgebenden Steuerveranlagung geltend machen könne. Gestützt auf lit. b Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur 10. AHV-Revision gelte die neue Regelung gemäss Art. 16 Abs. 1 AHVG nur für nicht bereits verjährte Beiträge. Da die bis 1991 geschuldeten Beiträge am 1. Januar 1997 bereits verwirkt gewesen seien, könnten die entsprechenden Verfügungen nicht korrigiert werden. 
1.3 Entgegen der von der Verwaltung vertretenen Auffassung steht die Festsetzungsverwirkung (d.h. die Verwirkung des Anspruches, Beiträge zu erheben) gemäss Art. 16 Abs. 1 AHVG einem Rückkommen auf die Verfügungen vom 25. Mai 1992 und 1. Dezember 1994 unter dem Titel der Wiedererwägung (oder der Revision) nicht im Wege. Denn nach der Rechtsprechung ist bei rechtzeitiger Zustellung der Verfügung die Verwirkung für die Beitragsfestsetzung ein für alle Mal ausgeschlossen und behält die rechtzeitig zugestellte Verfügung ihre die Verwirkung ausschliessende Kraft selbst dann, wenn sie nach Fristablauf vom Gericht oder wiedererwägungsweise von der Verwaltung aufgehoben wird und durch eine andere ersetzt werden muss; jedoch dürfen mit der berichtigenden Verfügung keine höheren als die fristgemäss verfügten Beiträge einverlangt werden (ZAK 1992 S. 316 Erw. 4a; EVGE 1965 S. 232; Käser, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl., Bern 1996, S. 335 Rz 16.6; vgl. auch Rz 4030 f. der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherung über den Bezug der Beiträge [WBB]). Diese Voraussetzung wäre vorliegend erfüllt, wurde doch mit dem Rektifikat vom 12. Dezember 2002 (Einkommen von Fr. 78'383.-) im Vergleich zur Steuermeldung vom 14. Mai 1992 (Einkommen von Fr. 188'728.-) eine Korrektur des Einkommens nach unten vorgenommen, sodass mit neuen Verfügungen auf jeden Fall tiefere Beiträge als in den Verfügungen vom 25. Mai 1992 und 1. Dezember 1994 erhoben worden wären. Aus diesem Grunde wäre die Frist für die Festsetzungsverwirkung gemäss Art. 16 Abs. 1 AHVG auf jeden Fall gewahrt gewesen und unter diesem Blickwinkel einem Rückkommen auf die Verfügungen vom 25. Mai 1992 und 1. Dezember 1994 nichts im Wege gestanden. Ob sämtliche Revisionsvoraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt gewesen wären, kann jedoch offen gelassen werden, wie sich aus nachstehender Erwägung ergibt. 
2. 
Was den Anspruch auf Rückerstattung der für die Jahre 1987 (ab 1. September) bis 1991 allenfalls zu viel geleisteten Beiträge anbelangt, vertreten die Ausgleichskasse und das BSV die Auffassung, dieser sei verwirkt, während die Vorinstanz davon ausgeht, dass eine Rückerstattung erfolgen müsse, solange es noch möglich sei, auf eine Verfügung revisions- oder wiedererwägungsweise zurückzukommen. 
2.1 Wer nicht geschuldete Beiträge entrichtet, kann diese von der Ausgleichskasse zurückfordern; vorbehalten bleibt die Verjährung (recte: Verwirkung; vgl. AHI 1996 S. 283 f.) gemäss Art. 16 Abs. 3 AHVG (Art. 41 AHVV in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 lit. c AHVG in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung). Der Anspruch auf Rückerstattung zu viel bezahlter Beiträge erlischt mit Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Leistungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge bezahlt wurden (Art. 16 Abs. 3 Satz 1 AHVG). Mit dieser Regelung stimmt, abgesehen von redaktionellen Unterschieden, Art. 25 Abs. 3 Satz 1 und 2 ATSG überein (vgl. BBl 1999 S. 4576 ff., 4757), gemäss welcher Bestimmung zu viel bezahlte Beiträge zurückgefordert werden können und der (Rückforderungs-)Anspruch mit dem Ablauf eines Jahres erlischt, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Zahlungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge bezahlt wurden. 
Auf welche Rechtsgrundlagen im vorliegenden Fall abzustellen ist, in welchem der Einspracheentscheid zwar nach dem In-Kraft-Treten des ATSG ergangen ist, die Rückerstattung aber vor dem 1. Januar 2003 entrichtete Beiträge betrifft, kann offen gelassen werden, weil die nach ATSG für die Rückerstattung von Beiträgen Selbstständigerwerbender entscheidenden Grundsätze der bisherigen Rechtslage entsprechen (vgl. BGE 130 V 318 für die Rückerstattung unrechtmässig bezogener Leistungen gemäss Art. 25 Abs. 1 und 2 ATSG mit Hinweisen auf die Lehre). 
2.2 Nach Auffassung der Vorinstanz findet die Verwirkungsregelung des Art. 16 Abs. 3 Satz 1 AHVG (bzw. Art. 25 Abs. 3 Satz 2 ATSG) vorliegend schon deshalb keine Anwendung, weil es sich bei den für die Zeit vom 1. September 1987 bis 31. Dezember 1991 geschuldeten Beiträgen nicht um formlos festgesetzte, sondern um rechtskräftig verfügte Beiträge handle. Bei Beiträgen, welche durch eine in Rechtskraft erwachsene Verfügung festgesetzt worden seien, könne nicht von einer Nichtschuld im Sinne von Art. 41 AHVV (in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung) die Rede sein. Vielmehr seien in diesem Falle die Rechte des Beitragspflichtigen mit der Einräumung des Beschwerderechts gewahrt und bestehe bei formell rechtskräftig verfügten Beiträgen lediglich noch die Möglichkeit, die Verwaltung um Wiedererwägung zu ersuchen, wobei ein Rechtsanspruch auf eine solche - vorbehältlich eines Revisionsgrundes - nicht bestehe. In BGE 106 V 78 sei die Nichtanwendbarkeit von Art. 16 Abs. 3 AHVG auf verfügte Beiträge ausdrücklich bestätigt worden. Die Rückerstattbarkeit persönlicher Beiträge auch ausserhalb der in Art. 16 Abs. 3 AHVG genannten Verjährungs- bzw. Verwirkungsfrist scheine besser begründet und verständlicher. Geradezu stossend wäre es, wenn die Verwaltung zwar auf die Verfügung zurückkommen könnte, die sich daraus ergebende Rückerstattung dann aber verweigern müsste. 
2.3 Es trifft zu, dass die Beitragsrückerstattung gemäss Art. 41 AHVV (in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung; vgl. auch Art. 25 Abs. 3 Satz 1 ATSG) auf rechtskräftig verfügte Beiträge insoweit keine Anwendung findet, als die Rechtskraftwirkungen der Beitragsverfügungen - mittels Wiedererwägung oder Revision - beseitigt werden müssen (vgl. dazu Erw. 1 hievor), bevor eine Beitragsschuld neu festgesetzt und anschliessend eine Beitragsrückerstattung geprüft werden kann (vgl. BGE 106 V 78; vgl. auch Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, N 33 zu Art. 25). Anders als die Vorinstanz annimmt, verdrängt die Aufhebung einer Beitragsverfügung mittels eines Rückkommenstitels (Revision oder Wiedererwägung) indessen die Ordnung der Rückerstattungsverwirkung nach Art. 16 Abs. 3 AHVG (vgl. auch Art. 25 Abs. 3 Satz 2 ATSG) nicht (vgl. ZAK 1988 S. 242 Erw. 3). Vielmehr schafft die (wiedererwägungs- oder revisionsweise) Beseitigung der Rechtskraftwirkungen der Verfügung bloss die notwendige Voraussetzung, damit grundsätzlich über Schuld oder Nichtschuld neu befunden und gestützt darauf eine Rückerstattung geprüft werden kann. Entgegen der im angefochtenen Entscheid vertretenen Auffassung kann deshalb nicht gesagt werden, eine Beitragsrückerstattung sei ungeachtet der Bestimmung über die Rückerstattungsverwirkung möglich, solange eine rechtskräftige Beitragsverfügung wiedererwägungs- oder revisionsweise korrigiert werden kann. Mit dem klaren Wortlaut des vorliegend anwendbaren Gesetzes lässt sich die von der Vorinstanz getroffene Lösung, welche eine durch nichts gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen formlos (d.h. nicht aufgrund einer Verfügung) und aufgrund einer Verfügung bezogenen Beiträgen schaffen würde, jedenfalls nicht vereinbaren. 
2.4 Da die Beiträge für die Jahre 1987 bis 1991 nach den Angaben des Beschwerdegegners "weitgehendst [...] 1992 bezahlt" und weder geltend gemacht wird noch Anhaltspunkte bestehen, dass diese erst nach 1997 entrichtet worden sind, war der Rückerstattungsanspruch gemäss Art. 16 Abs. 3 Satz 1 AHVG (vgl. auch Art. 25 Abs. 3 Satz 2 ATSG) auf jeden Fall bereits verwirkt, als er im Jahr 2002 geltend gemacht wurde, weshalb die Ausgleichskasse die Rückerstattung zu Recht abgelehnt hat. 
3. 
Da es weder um die Bewilligung noch um die Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Seinem Ausgang entsprechend werden die Gerichtskosten dem Beschwerdegegner auferlegt (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG). 
Das BSV als obsiegende Behörde hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 135 OG Verbindung mit Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 17. August 2004 aufgehoben. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und der Ausgleichskasse der Aargauischen Industrie- und Handelskammer zugestellt. 
Luzern, 23. Februar 2005 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: