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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1C_12/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 23. Mai 2016  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Gebhard, 
 
gegen  
 
Staatssekretariat für Migration. 
 
Gegenstand 
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 19. November 2015 des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der aus dem Irak stammende, 1982 geborene A.________ reiste am 8. Januar 2002 in die Schweiz ein und ersuchte tags darauf unter falscher Identität um Asyl. Anfangs 2005 lernte er die gleichaltrige Schweizerin B.________ kennen und heiratete sie am 29. Juli 2005. Daraufhin erhielt A.________ eine Aufenthaltsbewilligung. Im September 2005 wurde das Asylverfahren zufolge Rückzug des Gesuchs abgeschrieben. 
Am 11. August 2008 ersuchte A.________, erleichtert eingebürgert zu werden. Am 11. Juni 2009 unterzeichneten die Ehegatten A.________ und B.________ die gemeinsame Erklärung, in einer tatsächlichen, stabilen, auf die Zukunft gerichtete Gemeinschaft an derselben Adresse zu leben. Am 25. Juni 2009 wurde A.________ erleichtert eingebürgert. 
Am 22. März 2010 trennten sich die Ehegatten. Am 30. März 2010 reichte B.________ Strafanzeige gegen ihren Ehemann ein wegen sexueller Nötigung und häuslicher Gewalt während der ganzen Ehedauer. Das Strafverfahren wurde grösstenteils eingestellt, wegen Verjährung, verspäteten Strafantrags oder weil sich die Vorwürfe nicht erhärten liessen. Verurteilt wurde A.________ hingegen am 12. Juli 2011 wegen einer am 13. Februar 2010 begangenen Tätlichkeit - er drückte seiner Frau die flache Hand ins Gesicht - zu einer Busse von 200 Franken. 
Am 11. September 2012 eröffnete das Bundesamt für Migration (BFM; heute: Staatssekretariat für Migration, SEM) A.________, dass es ein Verfahren auf Nichtigerklärung seiner erleichterten Einbürgerung eröffnet habe. 
Am 15. Januar 2013 wurden die Eheleute A.________ und B.________ geschieden. 
Am 18. Juni 2014 erklärte das BFM die erleichterte Einbürgerung von A.________ für nichtig. 
Am 19. November 2015 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde von A.________ gegen die Verfügung des BFM ab, soweit es darauf eintrat. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, diese Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts und des BFM aufzuheben und die Nichtigerklärung seiner Einbürgerung aufzuheben. Bezüglich der Kosten- und Entschädigungsfolgen seien ihm für beide Verfahrensabschnitte keine Kosten aufzuerlegen und seien ihm angemessene Parteientschädigungen zuzusprechen. Eventuell sei die Sache zu neuem Entscheid an eine der Vorinstanzen zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. 
 
C.  
Am 3. Februar 2016 erkannte der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu. 
 
D.  
Das SEM beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Die Ausnahme der ordentlichen Einbürgerungen nach Art. 83 lit. b BGG erstreckt sich nicht auf die Nichtigerklärung der Einbürgerung. Es liegt auch keine der übrigen Ausnahmen von Art. 83 BGG vor. Der Beschwerdeführer hat sich am Verfahren vor der Vorinstanz beteiligt und ist beschwerdelegitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Unzulässig ist allerdings der Antrag, die Verfügung des BFM aufzuheben. Diese ist im Rahmen des Streitgegenstands durch das angefochtene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ersetzt worden (Devolutiveffekt) und gilt als inhaltlich mitangefochten (BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde unter diesem Vorbehalt einzutreten ist. 
 
2.  
 
2.1. Gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG kann ein Ausländer nach der Eheschliessung mit einer Schweizerin ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit der Schweizerin lebt. Art. 26 Abs. 1 BüG setzt ferner in allgemeiner Weise voraus, dass der Bewerber in der Schweiz integriert ist (lit. a), die schweizerische Rechtsordnung beachtet (lit. b) und die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (lit. c). Alle Einbürgerungsvoraussetzungen müssen sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch in demjenigen der Einbürgerungsverfügung erfüllt sein (BGE 140 II 65 E. 2.1).  
 
2.2. Nach Art. 41 Abs. 1 BüG kann die Einbürgerung vom Bundesamt mit Zustimmung der Behörde des Heimatkantons nichtig erklärt werden, wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist. Das blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen genügt nicht. Die Nichtigerklärung der Einbürgerung setzt vielmehr voraus, dass diese "erschlichen", das heisst mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt worden ist (BGE 132 II 113 E. 3.1 S. 115). Arglist im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbestands ist nicht erforderlich. Immerhin ist notwendig, dass der Betroffene bewusst falsche Angaben macht bzw. die Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu informieren (BGE 135 II 161 E. 2 S. 165; 132 II 113 E. 3.1 S. 115).  
Bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung ist deshalb von der Behörde zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und der Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde. Im Wesentlichen geht es dabei um innere Vorgänge, die der Behörde oft nicht bekannt und schwierig zu beweisen sind. Sie kann sich daher veranlasst sehen, von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) zu schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 485 f.). Der Betroffene ist bei der Sachverhaltsabklärung mitwirkungspflichtig (BGE 135 II 161 E. 2 S. 166; 130 II 482 E. 3.2 S. 486). 
 
2.3. Die tatsächliche Vermutung betrifft die Beweiswürdigung und bewirkt keine Umkehrung der Beweislast (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 486). Begründet die kurze Zeitspanne zwischen der erleichterten Einbürgerung einerseits und der Trennung oder Einleitung einer Scheidung andererseits die tatsächliche Vermutung, es habe schon bei der Einbürgerung keine stabile eheliche Gemeinschaft mehr bestanden, so muss der Betroffene deshalb nicht das Gegenteil beweisen. Es genügt, wenn er einen Grund anführt, der es als plausibel erscheinen lässt, dass er bei der Erklärung, wonach er mit seiner Schweizer Ehepartnerin in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft lebt, nicht gelogen hat. Bei diesem Grund kann es sich um ein ausserordentliches, nach der Einbürgerung eingetretenes Ereignis handeln, welches zum raschen Scheitern der Ehe führte, oder um das fehlende Bewusstsein des Gesuchstellers bezüglich bestehender Eheprobleme im Zeitpunkt der Einbürgerung (BGE 135 II 161 E. 2 S. 166 mit Hinweisen).  
 
2.4. Gemäss dem hier anwendbaren, am 1. März 2011 in Kraft getretenen Art. 41 Abs. 1bis BüG (in der Fassung vom 25. September 2009; AS 2011 347) kann die Einbürgerung innert zwei Jahren, nachdem das Bundesamt vom rechtserheblichen Sachverhalt Kenntnis erhalten hat, spätestens aber innert acht Jahren nach dem Erwerb des Schweizer Bürgerrechts nichtig erklärt werden. Nach jeder Untersuchungshandlung, die der eingebürgerten Person mitgeteilt wird, beginnt eine neue zweijährige Verjährungsfrist zu laufen. Die Fristen stehen während eines Beschwerdeverfahrens still. Die Neuregelung löste die frühere fünfjährige Frist ab (vgl. AS 1952 1087; BGE 140 II 65 E. 2.3).  
 
3.  
 
3.1. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer anfangs 2005, als er über keine gesicherte Aufenthaltsberechtigung verfügte, eine gleichaltrige Schweizerin kennenlernte, die wegen ihrer geistigen Behinderung eine IV-Rente bezog, und sie wenige Monate später, am 29. Juni 2005, heiratete. Unmittelbar nach Ablauf der dafür von Art. 27 Abs. 1 lit. c BüG festgelegten dreijährigen Frist stellte er ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung, welchem am 25. Juni 2009 entsprochen wurde. Am 13. Februar 2010 beging er gegen seine Ehefrau eine Tätlichkeit, und am 22. März 2010 trennten sich die Eheleute.  
 
3.2. Die Chronologie der Ereignisse erweckt starke Zweifel daran, dass die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner damaligen Ehefrau am 11. Juni 2009, als sie gemeinsam erklärten, in einer stabilen Ehe zu leben, effektiv intakt bzw. auf Dauer angelegt war. Bereits der Umstand, dass der Beschwerdeführer, dessen Asylgesuch damals erstinstanzlich abgewiesen worden war, nach relativ kurzer Bekanntschaft eine geistig behinderte Schweizerin heiratete mit der Konsequenz, dass er dadurch eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz erhielt, ist jedenfalls ein Indiz dafür, dass die Legalisierung seines Aufenthaltes in der Schweiz für ihn ein wichtiger Grund zum Eingehen der Ehe war. Ein weiteres Indiz dafür, dass dies für ihn der hauptsächliche oder ausschliessliche Zweck der Ehe war, ist deren Scheitern wenige Monate nach Abgabe der gemeinsamen Erklärung, sie sei intakt und auf die Zukunft gerichtet.  
 
3.3. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sich aus diesen Fakten der Schluss ziehen lässt, er sei die Ehe nur zum Zwecke der Erlangung des Schweizer Bürgerrechts eingegangen und habe nicht die Absicht gehabt, sie über die dafür erforderliche Frist hinaus, auf Dauer weiterzuführen. Diese Vermutung werde jedoch widerlegt durch den Umstand, dass sich seine Frau im Februar 2010 in einen anderen Mann verliebt und mit diesem eine heimliche Liebesbeziehung geführt habe. Erst dieses, rund 8 Monate nach der "gemeinsamen Erklärung" eingetretene Ereignis habe die (zuvor intakte) Ehe zum Scheitern gebracht.  
 
3.4. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, seine damalige Ehefrau habe einen Seitensprung begangen, der die zuvor intakte Ehe quasi "aus heiterem Himmel", ohne vorbestehende Zerrüttung, zum Scheitern gebracht habe. Eine weitere Liebesbeziehung wie hier geht man dagegen ein, wenn die bisherige Beziehung unbefriedigend - also instabil - geworden ist. Der Beschwerdeführer verwechselt daher Ursache und Wirkung, wenn er behauptet, die Fremdbeziehung seiner damaligen Ehefrau hätte die Ehe zu Scheitern gebracht. Diese ist im Gegenteil ein starkes Indiz dafür, dass sich die Eheleute bereits auseinandergelebt hatten, die Ehe des Beschwerdeführers mithin bereits längere Zeit zuvor instabil war. Dafür sprechen auch die im Wesentlichen unbestritten gebliebenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts (E. 9.2 S. 10 ff.), wonach die Ehe praktisch von Anfang an unter grossen Spannungen stand, zum Teil wegen der zufolge ihrer geistigen Behinderung geringen Belastbarkeit der Ehefrau, zum Teil wegen unterschiedlicher Auffassungen der Gatten in Bezug auf die Gestaltung des Intim-, aber auch des Alltagslebens. Diese Konflikte konnten durch eine Beraterin der Pro Infirmis 2009 zeitweise entschärft werden, wobei nach deren Aussage auch eine Trennung von beiden Ehegatten als mögliche Lösung ins Auge gefasst wurde. Der Umstand, dass die damalige Ehefrau des Beschwerdeführers eine Liebesbeziehung einging, ist damit nicht geeignet, die (begründete) Vermutung zu widerlegen, die Ehe sei bereits im Zeitpunkt der "gemeinsamen Erklärung" acht Monate zuvor, entgegen deren Inhalt, schon nicht mehr intakt und auf unbestimmte Dauer angelegt gewesen. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet.  
 
4.  
Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches gutzuheissen ist, da die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war und die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen scheint (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen: 
 
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwalt Roger Gebhard wird für das bundesgerichtliche Verfahren als amtlicher Rechtsvertreter eingesetzt und mit Fr. 2'000.- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staatssekretariat für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Mai 2016 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi