Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1B_221/2023
Urteil vom 23. Mai 2023
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
Bundesrichter Chaix, Haag, Müller, Kölz,
Gerichtsschreiberin Kern.
Verfahrensbeteiligte
Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 15, 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwältin Dominique Jud,
Gegenstand
Sicherheitshaft,
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer,
vom 25. April 2023 (SB230222-O/Z1/js).
Sachverhalt:
A.
Das Jugendgericht des Bezirksgerichts Winterthur sprach A.________ mit Urteil vom 7. Juli 2022 des Menschenhandels, der mehrfachen, teilweise versuchten Vergewaltigung, der mehrfachen sexuellen Nötigung, der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern, der mehrfachen Pornografie sowie der versuchten Anstiftung zur Pornografie, der fortgesetzten Erpressung sowie der mehrfachen, teilweise versuchten Erpressung, des mehrfachen, teilweise versuchten Raubes, der Veruntreuung, des versuchten Diebstahls sowie der mehrfachen, teilweise versuchten Anstiftung zum Diebstahl, der Hehlerei, der mehrfachen Urkundenfälschung und der versuchten Nötigung schuldig. Von einigen weiteren Vorwürfen sprach es ihn frei. Zudem stellte es das Verfahren hinsichtlich einiger weiterer Vorwürfe ein. Das Jugendgericht verurteilte ihn zu acht Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe und legte ihm ein fünfjähriges Kontakt- und Annäherungsverbot zur Privatklägerin auf. A.________ meldete Berufung gegen dieses Urteil an.
B.
A.________ wurde am 17. Februar 2020 festgenommen und in Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft versetzt. Diese wurde monatlich verlängert, letztmals mit Beschluss des Jugendgerichts vom 3. April 2023 bis zum 8. Mai 2023 wegen Fluchtgefahr. Daraufhin beantragte A.________ die Entlassung aus der Sicherheitshaft. Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich hiess diesen Antrag mit Präsidialverfügung vom 25. April 2023 gut und ordnete seine Freilassung per 26. April 2023 an (Dispositiv-Ziffer 1). Sie untersagte A.________, mit der Privatklägerin direkt oder indirekt über Drittpersonen Kontakt aufzunehmen, namentlich auf telefonischem, schriftlichem oder elektronischem Weg (Dispositiv-Ziffer 2).
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich vor Bundesgericht, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem sei A.________ gestützt auf Art. 104 BGG und Art. 237 Abs. 2 lit. g StPO für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens und bis zum neuen Entscheid der Vorinstanz zu untersagen, mit der Privatklägerin direkt oder indirekt über Drittpersonen Kontakt aufzunehmen, namentlich mündlich, telefonisch, schriftlich oder elektronisch.
Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdegegner beantragt, nicht auf die Beschwerde einzutreten. Andernfalls sei ihm eine Frist zur erneuten Vernehmlassung anzusetzen.
Erwägungen:
1.
1.1. Gegen letztinstanzliche kantonale Haftentscheide steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen.
1.2. Zu prüfen ist, ob die Oberjugendanwaltschaft zur Beschwerde gegen die Haftentlassung des Beschwerdegegners berechtigt ist.
1.2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG zur Beschwerde legitimiert, da sie am Verfahren vor Vorinstanz teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides habe. Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach der Staatsanwaltschaft gemäss Art. 222 StPO kein kantonales Beschwerderecht gegen die Entlassung der beschuldigten Person aus der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft zustehe, ändere hieran nichts. Diese Rechtsprechung betreffe nämlich nur die Auslegung von Art. 222 StPO und nicht die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft bzw. Oberjugendanwaltschaft vor Bundesgericht.
1.2.2. Der Beschwerdegegner macht dagegen insbesondere geltend, der gesetzgeberische Wille zum Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft in Haftsachen gebiete "eine entsprechende inhaltliche Auslegung von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG". Eine solche komme keiner unstatthaften Vorwirkung der Gesetzesänderung gleich. Demnach sei die Beschwerdeführerin nicht zur Beschwerde legitimiert.
1.2.3. Am 10. Januar 2023 hat das Bundesgericht anlässlich einer öffentlichen Urteilsberatung entschieden, per sofort die bisherige Praxis aufzugeben, wonach entgegen dem Wortlaut von Art. 222 StPO auch die Staatsanwaltschaft zur Beschwerde gegen Haftentscheide des Zwangsmassnahmengerichts berechtigt war. Zur Begründung führte es aus, es handle sich nicht um eine echte Vorwirkung der am 1. Januar 2024 in Kraft tretenden Revision von Art. 222 StPO. Im konkreten Fall werde nämlich keine neue Rechtsnorm vor ihrer Inkraftsetzung angewendet, sondern dem bereits bisher geltenden Gesetzestext zum Durchbruch verholfen. Das geltende Recht sehe bereits heute keine kodifizierte Beschwerdemöglichkeit der Staatsanwaltschaft vor. Eine solche habe das Bundesgericht in Ergänzung zum gesetzlichen Wortlaut von Art. 222 StPO durch Richterrecht geschaffen. Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für das Haftbeschwerderecht der Staatsanwaltschaft bestehe indessen nicht. Der geltende Gesetzestext besage bereits heute nur, dass "die verhaftete Person Entscheide über die Anordnung, die Verlängerung oder die Aufhebung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft anfechten [könne]". Es gebe - so das Bundesgericht weiter - mithin keine Rechtsnorm, die materiell geändert werde. Stattdessen habe der Gesetzgeber lediglich eine inhaltliche Klarstellung vorgenommen. Damit liege eine seltene Situation vor, die in ihrer Wirkung einer sogenannten authentischen Interpretation entspreche. Der Gesetzgeber habe die Norm mithin insofern präzisiert, als er das Wort "einzig" eingefügt habe, ohne aber den Artikel materiell zu ändern. Denn die bisherige bundesgerichtliche Praxis werde nicht in das Gesetz übernommen (Urteil 1B_614/2022, 1B_628/2022 vom 10. Januar 2023 E. 2.4, zur Publikation vorgesehen).
1.2.4. Die Beschwerdeführerin geht zu Recht davon aus, dass sich diese Rechtsprechung nicht auf das Haftbeschwerdeverfahren vor Bundesgericht bezieht und sich auch nicht darauf übertragen lässt. Art. 81 BGG sieht in der heute geltenden Fassung ausdrücklich vor, dass die Staatsanwaltschaft zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt ist (Abs. 1 lit. b Ziff. 3). Wird diese Bestimmung mit dem Inkrafttreten der Revision dahingehend geändert, dass das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft bei Entscheiden über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft ausgeschlossen wird, stellt dies keine blosse "inhaltliche Klarstellung" einer Rechtsnorm, sondern eine Gesetzesänderung dar. Diese entfaltet keine Vorwirkung (vgl. etwa Urteil 6B_532/2022 vom 20. März 2023 E. 2.4; grundsätzlich zur Vorwirkung: BGE 136 I 142 E. 3.2; 129 V 455 E. 3; 125 II 278 E. 3c; je mit Hinweisen).
In diesem Sinne ist das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft in Haftsachen vor Bundesgericht bis zum Inkrafttreten der geänderten Bestimmung grundsätzlich zu bejahen (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG). In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, dass gegen Haftentscheide der Verfahrensleitung des Berufungsgerichts bereits bisher kein kantonales Rechtsmittel zur Verfügung stand (Art. 232 f. StPO). Im Übrigen ist zu beachten, dass das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG lediglich gegen Haftentscheide der Verfahrensleitung des Berufungsgerichts oder der Beschwerdeinstanz zum Tragen kommt, wogegen eine direkte Anfechtung von Haftentlassungen des Zwangsmassnahmengerichts beim Bundesgericht ausser Betracht fällt (siehe Art. 80 Abs. 2 BGG sowie dazu THOMMEN/FAGA, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 4a und 5 zu Art. 80 BGG). Die hieraus resultierende Rechtslage steht in Widerspruch zu Art. 111 Abs. 1 BGG, wonach die zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigte Partei sich am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen beteiligen können muss. Dies ist für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des revidierten Art. 81 BGG jedoch hinzunehmen.
1.2.5. Der Beschwerdegegner macht geltend, die Beschwerdeführerin verfüge über kein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Beschwerde, da er bereits am 26. April 2023 um 9:15 Uhr aus der Sicherheitshaft entlassen worden sei. Er beruft sich auf das Urteil 1B_136/2010 vom 22. Juli 2010, welches einen ähnlichen Fall betreffe (vgl. auch Urteil 1B_232/2011 vom 12. Juli 2011 E. 1, nicht vollständig publiziert in BGE 137 IV 230). Wie es sich damit verhält, nachdem die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht ausdrücklich nicht beantragt hat, die sofortige Haftentlassung des Beschwerdegegners zu verhindern, kann an dieser Stelle offen bleiben. Denn die Beschwerde erweist sich - wie nachfolgend aufzuzeigen ist - ohnehin als unbegründet.
2.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 241 E. 2.3.1 mit Hinweis).
3.
Untersuchungs- oder Sicherheitshaft sind gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist (sog. allgemeiner Haftgrund) und zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Fluchtgefahr; lit. a), Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (Kollusions- oder Verdunkelungsgefahr; lit. b) oder durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Wiederholungsgefahr; lit. c). Nach Art. 221 Abs. 2 StPO ist Haft auch zulässig, wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen (Ausführungsgefahr). Überdies muss die Haft verhältnismässig sein (vgl. Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV , Art. 197 Abs. 1 lit. c und d sowie Art. 212 Abs. 2 lit. c StPO). Strafprozessuale Haft darf nur als "ultima ratio" angeordnet oder aufrechterhalten werden. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer abgesehen werden und an ihrer Stelle müssen solche Ersatzmassnahmen verfügt werden (Art. 212 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 237 f. StPO; vgl. BGE 145 IV 503 E. 3.1; 142 IV 367 E. 2.1; 140 IV 74 E. 2.2).
4.
Die Vorinstanz hat die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Fluchtgefahr verneint. Zu prüfen ist, ob sie damit Bundesrecht verletzt hat.
4.1. Fluchtgefahr als besonderer Haftgrund setzt ernsthafte Anhaltspunkte dafür voraus, dass die beschuldigte Person sich dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion durch Flucht entziehen könnte. Sie darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Es braucht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die beschuldigte Person, wenn sie in Freiheit wäre, dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Zu berücksichtigen sind insbesondere der Charakter der beschuldigten Person, ihre moralische Integrität, ihre finanziellen Mittel, ihre Verbindungen zur Schweiz, ihre Beziehungen zum Ausland und die Höhe der ihr drohenden Strafe. Die Schwere der drohenden Strafe darf als Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen (siehe BGE 145 IV 503 E. 2.2; 143 IV 160 E. 4.3; je mit Hinweisen).
4.2. Die Vorinstanz hielt im angefochtenen Entscheid fest, der Beschwerdegegner sei Schweizer Staatsbürger und in Winterthur geboren und aufgewachsen. Er habe bei seiner Anhörung erklärt, dass sich sein gesamtes Umfeld in der Schweiz befinde und er seine persönliche und berufliche Situation regeln wolle, damit er an der Berufungsverhandlung "etwas vorzuweisen" habe. Der im Kosovo lebende Vater des Beschwerdegegners sei - so die Vorinstanz weiter - seine einzige belegte Verbindung ins Ausland; zu diesem habe er aber nach eigenen Angaben keinen Kontakt. Weiter bestünden keine Anhaltspunkte, dass sich der Beschwerdegegner dem Strafverfahren bzw. dem Strafvollzug entziehen könnte. Er habe zwar noch eine langjährige Reststrafe zu verbüssen, nach der Rechtsprechung vermöge dies allein aber noch keine Fluchtgefahr zu begründen, weshalb diese verneint werden müsse.
4.3. Die Beschwerdeführerin macht dagegen geltend, nebst der drohenden mehrjährigen Freiheitsstrafe, die ein Fluchtindiz darstelle, sei auch zu berücksichtigen, dass der Albanisch sprechende Beschwerdegegner sporadischen Kontakt zu seinem Vater im Kosovo halte und dort auch weitere Verwandte habe, bei denen er auch schon Ferien verbracht habe. Weiter seien seine Lebensverhältnisse in der Schweiz instabil. So habe er Schulden und erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Die Vorinstanz sei mit der "pauschalen Verneinung" von Fluchtgefahr in Willkür verfallen. Die Beschwerdeführerin verweist zudem auf das in einem früheren Haftverfahren ergangene Urteil 1B_548/2021 vom 26. Oktober 2021, mit welchem die Verlängerung der Sicherheitshaft wegen Fluchtgefahr vom Bundesgericht geschützt worden sei. Abgesehen davon macht sie geltend, die Vorinstanz habe ihr rechtliches Gehör verletzt, indem sie ihr vor Ablehnung der Fluchtgefahr keine Gelegenheit gewährt habe, Ersatzmassnahmen zur Bannung der Fluchtgefahr anstelle von Haft zu beantragen.
4.4. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, der Beschwerdegegner verfüge, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, über Kontakte ins Ausland, wendet sie sich gegen deren Sachverhaltsfeststellung. Da die Beschwerdeführerin nicht darlegt, inwiefern diese willkürlich sein bzw. Bundesrecht verletzen soll, kann auf ihre Kritik nicht weiter eingegangen werden. Dasselbe gilt für ihre Ausführungen zur finanziellen Situation des Beschwerdegegners. Im angefochtenen Entscheid finden sich hierzu keine Sachverhaltsfeststellungen. Hält die Beschwerdeführerin die finanzielle Situation des Beschwerdegegners für entscheidrelevant und den Sachverhalt dementsprechend für unvollständig, hat sie dies vor Bundesgericht entsprechend zu rügen und zu begründen (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; siehe E. 2 hiervor). Dies tut sie nicht.
Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern die Verneinung der Fluchtgefahr Bundesrecht verletzen soll: Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer persönlich angehört und keine Anhaltspunkte dafür ausmachen können. Für Fluchtgefahr spräche somit einzig die Schwere der dem Beschwerdegegner drohenden Reststrafe. Diese vermag jedoch für sich allein nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts keinen Haftgrund zu begründen, wie die Vorinstanz zutreffend erwägt. Unter diesen Umständen durfte sie Fluchtgefahr verneinen. Hieran ändert auch der Hinweis auf das Urteil 1B_548/2021 nichts, hat die Vorinstanz damals doch noch willkürfrei mitberücksichtigt, dass die Lebensverhältnisse des Beschwerdegegners instabil seien und dieser sporadischen Kontakt zu seinem im Kosovo lebenden Vater habe (E. 2.6).
Schliesslich erweist sich auch die Gehörsrüge als offensichtlich unbegründet, hatte die Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren doch hinreichend Gelegenheit, sich zur Möglichkeit von Ersatzmassnahmen zur Bannung der von ihr geltend gemachten Fluchtgefahr zu äussern.
5.
Damit bleibt zu prüfen, ob die Vorinstanz weitere Haftgründe, namentlich Wiederholungsgefahr, hätte prüfen und bejahen müssen, wie die Beschwerdeführerin bemängelt.
Es obliegt grundsätzlich der Staatsanwaltschaft als Garantin des Strafverfahrens, dafür zu sorgen, dass dessen Fortführung nicht durch die Freilassung der beschuldigten Person erschwert oder vereitelt wird (vgl. BGE 142 IV 29 E. 3.4). Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz berief sich die Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren einzig auf Fluchtgefahr. Weitere Haftgründe trug sie nicht vor, und die Vorinstanz war somit auch nicht gehalten, solche zu prüfen. Die Beschwerde geht auch in diesem Punkt fehl.
6.
Nach dem Dargelegten ist d ie Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Dadurch wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um vorsorgliche Massnahmen (Art. 104 BGG) hinfällig. Da die Beschwerde in Strafsachen in der Regel keine aufschiebende Wirkung hat (Art. 103 Abs. 1 BGG) und diese im vorliegenden Verfahren auch nicht beantragt wurde, war der mit Dispositiv-Ziffer 2 des angefochtenen Entscheids übereinstimmende Antrag der Beschwerdeführerin um Erlass eines vorsorglichen Kontaktverbots ohnehin redundant.
Bei diesem Ausgang erübrigt es sich, auf das Gesuch des Beschwerdegegners um Gewährung einer Nachfrist zur Ergänzung seiner Vernehmlassung einzugehen.
Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat der Rechtsvertreterin des obsiegenden Beschwerdegegners eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren wird damit gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich hat der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin Dominique Jud, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- auszurichten.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. Mai 2023
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kneubühler
Die Gerichtsschreiberin: Kern