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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_737/2020  
 
 
Urteil vom 23. Juli 2021  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Abrecht, 
Gerichtsschreiber Grünvogel. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Erich Züblin, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Invalideneinkommen), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 22. Oktober 2020 (VBE.2020.195). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1980 geborene A.________ ist gelernter Steinbildhauer und Steinmetz. Im Rahmen seiner Tätigkeit bei Bildhauer B.________ war er bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 23. Juli 2018 stürzte er von einer Leiter und zog sich Verletzungen an der Wirbelsäule (Deckplatten-Impressionsfraktur BWK11 und LWK 1) zu. Die Suva übernahm die Heilbehandlung und richtete ein Taggeld aus. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2019 teilte sie A.________ mit, diese Leistungen per 31. Dezember 2019 einzustellen und nunmehr die Ansprüche auf eine Invalidenrente und Integritätsentschädigung zu prüfen. Mit Verfügung vom 9. Dezember 2019, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 27. März 2020, sprach sie A.________ eine Integritätsentschädigung auf der Basis einer Integritätseinbusse von 5 % zu, während sie den Anspruch auf eine Invalidenrente verneinte. 
 
B.  
Die gegen die Verweigerung der Rente erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 22. Oktober 2020 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und des Einspracheentscheids sei ihm eine Invalidenrente auszurichten. 
Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit und die Vorinstanz verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2 mit Hinweis).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend Ermittlung des Invaliditätsgrads bei Erwerbstätigen nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) sowie diejenigen der Bemessung des Invalideneinkommens nach den Tabellenlöhnen der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) (BGE 143 V 295 E. 2.2; Urteil 8C_111/2021 vom 30. April 2021 E. 4.2.1 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
Zu ergänzen ist Folgendes: Wenn die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität nicht auf ihren angestammten Beruf zurückgreifen kann, rechtfertigt sich bei der Bemessung des Invalideneinkommens das Abstellen auf den Totalwert im Kompetenzniveau 2 gemäss LSE nur dann, wenn sie über besondere Fertigkeiten und Kenntnisse verfügt, anderenfalls ist der im Kompetenzniveau 1 ausgewiesene Wert entscheidend (Urteile 8C_5/2020 vom 22. April 2020 E. 5.3.2; 8C_732/2018 vom 26. März 2019 E. 8.2.1; 8C_457/2017 vom 11. Oktober 2017 E. 6.3). 
 
3.  
Streitig ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es einen Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung verneinte. In Frage gestellt und daher einer näheren Prüfung zu unterziehen ist allein die Höhe des bei der Invaliditätsbemessung dem Valideneinkommen in der Höhe von Fr. 74'697.35 gegenüberzustellenden hypothetischen Verdienstes als Invalider im Jahre 2019 (E. 1.1 hievor). 
 
4.  
Die korrekte Anwendung der LSE-Tabellen, namentlich die Wahl der Tabelle wie auch der Beizug der massgeblichen Stufe (Kompetenzniveau), ist eine Rechtsfrage, welche vom Bundesgericht ohne Einschränkung der Kognition frei überprüft wird (BGE 143 V 295 E. 2.4; 132 V 393 E. 3.3). 
 
5.  
 
5.1. Das kantonale Gericht stellte auf das Kompetenzniveau 2 (praktische Tätigkeiten wie Verkauf/Pflege/Datenverarbeitung und Administration/Bedienen von Maschinen und elektronischen Geräten/Sicherheitsdienst/Fahrdienst) der Tabelle TA1, privater Sektor, der LSE 2016 ab. Den dort für Männer in der Zeile "Total" ausgewiesenen Monatsverdienst von Fr. 5646.- passte es unter Berücksichtigung des zusätzlichen Pausenbedarfs von 2,5 Stunden pro Woche der Lohnentwicklung bis in das Vergleichsjahr 2019 an, was zu einem Invalideneinkommen von Fr. 67'608.82 führte. Das Kompetenzniveau 2 sei anwendbar, da das von Dr. med. C.________, Kreisärztin, definierte Anforderungsprofil mannigfaltige Beschäftigungen erlaube. Dieses umfasse auch mittelschwere Tätigkeiten. Ausserdem zeige sowohl die vom Beschwerdeführer absolvierte Berufsausbildung als Steinmetz als auch die 1998/1999 abgeschlossene einjährige Ausbildung als Krankenpflege-Helfer, dass sich der Beschwerdeführer in verschiedene Arbeitsgebiete einzuarbeiten vermöge. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer nur noch die im Kompetenzniveau 1 (einfache Tätigkeiten körperlicher oder handwerklicher Art) angesiedelten einfachsten Hilfsarbeiten verrichten könne.  
 
5.2. Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, dass die Vorinstanz bei der Bemessung des Invalideneinkommens auf den Tabellenlohn gemäss Kompetenzniveau 2 abgestellt hat. Die von der Rechtsprechung geforderten besonderen Fertigkeiten und Kenntnisse, welche die Anwendung von LSE-Kompetenzniveau 2 rechtfertigen würden (vgl. E. 2 in fine hievor), sind nicht ausgewiesen. Zwar ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass das von Dr. med. C.________ definierte Anforderungsprofil, welches auch mittelschwere Tätigkeiten umfasst, mannigfaltige Beschäftigungen erlaubt. Sollte jedoch damit gemeint sein, es sei bereits eine zur Anwendung des Kompetenzniveaus 2 führende besondere Fertigkeit, wenn eine versicherte Person noch mittelschwere Tätigkeiten auszuführen vermag, kann dem nicht gefolgt werden. Dass der Beschwerdeführer beispielsweise über Führungserfahrung verfügt oder erfolgreich eine selbständige Tätigkeit ausgeübt hätte, was für die Anwendung von Kompetenzniveau 2 sprechen würde (dazu vgl. Urteil 8C_732/2018 vom 26. März 2019 E. 8.2.2), ist nicht erstellt. Ebenso wenig kann allein angesichts des Umstands, dass er in Deutschland vor Jahren einmal eine einjährige Ausbildung als Krankenpflege-Helfer absolviert hat, von einer über jene als Steinbildhauer und Steinmetz hinausgehenden vielfältigen beruflichen Erfahrung gesprochen werden, die zu einem höheren Verdienst als dem Kompetenzniveau 1 entsprechend führt. Zumindest ist damit nicht hinreichend belegt, dass er sich deswegen gewinnbringend in verschiedene Arbeitsgebiete einzuarbeiten vermag (dazu vgl. Urteil 8C_5/2020 vom 22. April 2020 E. 5.3.2).  
 
5.3. Nach dem Gesagten ist bei der Bemessung des Invalideneinkommens auf das Kompetenzniveau 1 abzustellen.  
Der in der LSE 2016 in TA1 unter Totalwert für im Kompetenzniveau 1 tätige Männer ausgewiesene Monatsverdienst beträgt Fr. 5340.-. Angepasst an die noch mögliche Wochenarbeitszeit von 39,2 Stunden und an die Lohnentwicklung bis 2019 ergibt dies ein Invalideneinkommen von jährlich Fr. 63'935.13 ([12 x Fr. 5340.-] : 40 x 39.2 x 1.004 [2017] x 1.005 [2018] x 1.009 [2019] [T1.1.10, Nominallohnindex, Männer, Totalwert]). 
 
5.4. Die Gegenüberstellung (Art. 16 ATSG) des unbestritten geblieben Valideneinkommens und des errechneten Invalideneinkommens führt zu einem Invaliditätsgrad von gerundet 14 % ([Fr. 74'697.35 - Fr. 63'935.13] : Fr. 74'697.35 x 100). Damit hat der Beschwerdeführer gemäss Art. 19 UVG ab dem 1. Januar 2020 Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung aufgrund eines Invaliditätsgrads von 14 %. Die Beschwerde ist gutzuheissen.  
 
6.  
Die Beschwerdegegnerin hat als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 22. Oktober 2020 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) vom 27. März 2020 werden dahingehend abgeändert, dass der Beschwerdeführer ab dem 1. Januar 2020 Anspruch auf eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 14 % hat. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2000.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 23. Juli 2021 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünvogel