Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_459/2023
Urteil vom 23. August 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichter Koch, Hofmann,
Gerichtsschreiber Hahn.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Oskar Luginbühl,
Beschwerdeführer,
gegen
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel,
2. Amt für Justizvollzug des Kantons Basel-Stadt, Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug, Spiegelgasse 12, 4051 Basel,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Entschädigung (stationäre Massnahme),
Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, vom 6. Dezember 2022 (BES.2022.4).
Sachverhalt:
A.
A.a. Das Strafgericht Basel-Stadt verurteilte A.________ am 16. April 1997 wegen Mordes und Diebstahls zu einer langjährigen Freiheitsstrafe und einer ambulanten Massnahme. Diese wurde mit Beschluss des Strafgerichts Basel-Stadt vom 7. September 2016 in eine stationäre Massnahme umgewandelt.
A.b. Am 10. Mai 2021 beantragte die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug des Amtes für Justizvollzug des Kantons Basel-Stadt die Verlängerung der stationären therapeutischen Massnahme um drei Jahre. Das Strafgericht verlängerte die Massnahme mit Beschluss vom 14. Dezember 2021 um zweieinhalb Jahre. Hiergegen erhob A.________ Beschwerde. Infolge eines Ausstandsbegehrens, zweimaliger Verschiebung der Hauptverhandlung und Flucht des Beschwerdeführers aus dem Massnahmenvollzug vom 23. Juni 2022 bis zur Festnahme vom 8. Juli 2022 in Berlin bzw. bis zur Auslieferung an die Schweiz am 5. Oktober 2022 verlängerte sich die Dauer des Beschwerdeverfahrens.
A.c. Mit Entscheid vom 12. Oktober 2022 ordnete das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt Sicherheitshaft über A.________ an und stellte fest, dass er sich vom 14. Dezember 2021 bis zum 12. Oktober 2022 mit einem fluchtbedingten Unterbruch ohne gültigen Hafttitel in einer freiheitsentziehenden Massnahme befunden habe.
B.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die Beschwerde von A.________ mit Entscheid vom 6. Dezember 2022 teilweise gut und verlängerte die stationäre psychiatrische Behandlung um eineinhalb Jahre ab dem 7. September 2021, d.h. bis zum 6. März 2023. Es wies die Anträge auf Haftentlassung, Genugtuung und Entschädigung ab und befand über die Kosten- und Entschädigungsfolgen.
C.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der Entscheid des Appellationsgerichts vom 6. Dezember 2022 sei hinsichtlich der Haftentschädigung (betreffend den Zeitraum vom 14. Dezember 2021 bis zum 12. Oktober 2022, abzüglich der Zeitspanne seiner Flucht vom 23. Juni 2022 bis zum 7. Juli 2022) aufzuheben und es sei ihm eine angemessene Entschädigung für unrechtmässige Haft (288 Tage) in der Höhe von Fr. 52'750.-- (Fr. 200.-- pro Tag für die erste Zeitspanne von 191 Tage und Fr. 150.-- pro Tag für die zweite Zeitspanne seiner Haft in Deutschland und nach der Rückschaffung in der Schweiz von 97 Tagen) nebst Zins zu 5% ab mittlerem Verfall zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Festsetzung der Entschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen. A.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Die kantonalen Akten wurden beigezogen. Die Vorinstanz, das Amt für Justizvollzug und die Staatsanwaltschaft haben mit Eingabe vom 3., 6. und 19. Juni 2024 je auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Auf die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und grundsätzlich formgerecht (Art. 42 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde eines Verurteilten (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG) gegen einen Endentscheid (Art. 90 BGG) eines letztinstanzlichen kantonalen Gerichts (Art. 80 Abs. 1 BGG) betreffend einen Entscheid in Strafsachen (Art. 78 Abs. 1 BGG) ist unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen einzutreten.
2.
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Vorinstanz äussere sich nicht hinsichtlich seines Entschädigungsanspruchs für die zu Unrecht erlittene Haft betreffend die Zeit, zu welcher er sich in Deutschland in Auslieferungshaft befunden habe.
2.2. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK) folgt die Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen. Das Gericht muss in seiner Begründung wenigstens kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen es sich hat leiten lassen und auf die es seinen Entscheid stützt. Es darf sich auf die massgebenden Gesichtspunkte beschränken und muss sich nicht mit jeder tatsächlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen und diese widerlegen (BGE 147 IV 409 E. 5.3.4; 146 IV 297 E. 2.2.7; je mit Hinweisen). Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann (BGE 143 III 65 E. 5.2).
2.3. Der Beschwerdeführer hat vor Vorinstanz eine angemessene Entschädigung für die rechtswidrige Haft beantragt. Die Vorinstanz weist das Entschädigungsbegehren vollumfänglich ab.
Aus den vorinstanzlichen Erwägungen ergeben sich die relevanten Sachverhaltselemente und rechtlichen Überlegungen, welche der Abweisung des Anspruchs zugrunde liegen. Die Vorinstanz hält in diesem Zusammenhang fest, dass die Haftrichterin festgestellt habe, der Beschwerdeführer habe sich vom 14. Dezember 2021 bis zum 12. Oktober 2022 mit einem fluchtbedingten Unterbruch ohne Hafttitel in einer freiheitsentziehenden Massnahme bzw. Haft befunden. Aufgrund der Verlängerung der Massnahme ab dem 7. September 2021 bis zum 6. März 2023, d.h. einem Zeitraum, welcher die unrechtmässige Haft abdeckt, und der Feststellung der Unrechtmässigkeit der Haft im Dispositiv der Haftrichterin sieht die Vorinstanz von einer Entschädigung gänzlich ab. Sie geht davon aus, mit der Feststellung der Unrechtmässigkeit der Haft sei dem Beschwerdeführer hinreichend Genugtuung verschafft worden.
Gestützt auf diese vorinstanzlichen Erwägungen war der Beschwerdeführer in der Lage, das vorinstanzliche Urteil sachgerecht anzufechten. Eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor. Nachdem die Vorinstanz einen Anspruch insgesamt verneint hat, war sie nicht gehalten, für einzelne Zeitperioden eine gesonderte Begründung zu liefern.
3.
3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Freiheitsentzug vom 14. Dezember 2021 bis zum 12. Oktober 2022 verstosse gegen Art. 5 EMRK. Die Verweigerung einer Haftentschädigung hierfür verletze die genannte Bestimmung sowie die "einschlägigen Vorschriften der StPO", da der Hafttitel vorübergehend gefehlt habe.
Hinsichtlich der Haftentschädigung während des Auslieferungsverfahrens stütze sich sein Begehren auf Art. 14 und 15 IRSG .
3.2.
3.2.1. Sind gegenüber der beschuldigten Person rechtswidrig Zwangsmassnahmen angewandt worden, so spricht ihr die Strafbehörde eine angemessene Entschädigung und Genugtuung zu (Art. 431 Abs. 1 StPO). Im Fall von Untersuchungs- und Sicherheitshaft besteht der Anspruch, wenn die zulässige Haftdauer überschritten ist und der übermässige Freiheitsentzug nicht an die wegen anderer Straftaten ausgesprochenen Sanktionen angerechnet werden kann (Art. 431 Abs 2 StPO).
3.2.2. Sind gegenüber der beschuldigten Person rechtswidrig Zwangsmassnahmen angewandt worden, so beurteilt sich der Entschädigungs- und Genugtuungsanspruch nach Art. 431 Abs. 1 StPO. Unter den Begriff der Zwangsmassnahme nach Art. 196 StPO fällt jede Art von Freiheitsentzug bis zur Rechtskraft einer Verurteilung. Zwangsmassnahmen sind rechtswidrig, wenn zum Zeitpunkt ihrer Anordnung oder Fortsetzung die materiellen oder formellen gesetzlichen Voraussetzungen nach Art. 196 ff. StPO nicht erfüllt waren. Wird hingegen erst im Nachhinein festgestellt, dass die Zwangsmassnahme ungerechtfertigt war, weil die beschuldigte Person freigesprochen oder deren Strafverfahren eingestellt wird, waren aber zum Zeitpunkt der Anordnung der Zwangsmassnahme deren Voraussetzungen gegeben, stützt sich der Entschädigungs- bzw. Genugtuungsanspruch auf Art. 429 StPO (Urteil 6B_672/2021 vom 15. Mai 2023 E. 5.2.3 mit Hinweisen).
Bei rechtswidriger Anwendung von Zwangsmassnahmen hat die beschuldigte Person unabhängig von ihrem Verhalten Anspruch auf eine angemessene Entschädigung und gegebenenfalls auch auf Genugtuung. Art. 430 StPO - der unter bestimmten Voraussetzungen die Herabsetzung oder Verweigerung der Entschädigung oder Genugtuung ermöglicht - kommt in dieser Konstellation nicht zur Anwendung (Urteil 6B_672/2021 vom 15. Mai 2023 E. 5.2.4 mit Hinweisen).
3.2.3. Hinsichtlich der Art und des Umfangs der auf Art. 429 ff. StPO basierenden Entschädigung ist es nicht ausgeschlossen, sich an den allgemeinen Regeln von Art. 41 ff. OR zu orientieren (vgl. BGE 140 I 246 E. 2.6). Diese Bestimmungen räumen dem Richter einen weiten Ermessensspielraum ein, den das Bundesgericht nur zurückhaltend überprüft. Gemäss Art. 43 OR ist eine Wiedergutmachung in Naturalien nicht ausgeschlossen (BGE 142 IV 245 E. 4.1 mit Hinweisen).
Art. 5 Abs. 5 EMRK sieht vor, dass jede Person, die Opfer einer konventionswidrigen Haft ist, Anspruch auf Entschädigung hat. Diese Bestimmung gewährt dem Beschwerdeführer keine weitergehenden Garantien als jene, die sich aus Art. 431 StPO ergeben, und räumt ihm insbesondere nicht das Recht ein, die Art der Wiedergutmachung zu wählen (BGE 142 IV 245 E. 4.2 mit Hinweisen).
3.3. Die Rüge des Beschwerdeführers, wonach die Verlängerung der stationären Massnahme keinen Einfluss darauf habe, ob eine finanzielle Entschädigung gewährt werde, ist berechtigt. Das Bundesgericht hat in einem Verfahren mit vergleichbarer Konstellation erwogen, infolge der festgestellten Unrechtmässigkeit der Inhaftierung im Haftprüfungsentscheid stelle sich bloss die Frage nach der Art der Wiedergutmachung, nicht aber ob eine Entschädigung geleistet werde (Urteil 6B_1420/2022 vom 10. März 2023 E. 2.3.3 und 2.4 mit Hinweisen). Nachdem die blosse Feststellung der Unrechtmässigkeit der Haft im erwähnten Bundesgerichtsurteil nicht als hinreichende Entschädigung gewertet wurde, gilt Gleiches für das vorliegende Verfahren. Die Unrechtmässigkeit der Haft berechtigt den Beschwerdeführer ganz grundsätzlich zu einer finanziellen Entschädigung. Die Vorinstanz wird sich mit der Frage der Art und der Höhe der Wiedergutmachung befassen und hierbei berücksichtigen müssen, dass sich der Beschwerdeführer mangels formeller Anordnung von Sicherheitshaft auch während des Auslieferungsverfahrens zu Unrecht in Haft befand, wie er zutreffend vorbringt.
4.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 8. Dezember 2022 ist aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese über den dem Beschwerdeführer zustehenden Entschädigungsanspruch befindet. Es sind keine Gerichtskosten zu Lasten des Kantons Basel-Stadt zu erheben (Art. 66 Abs. 2 BGG). Hingegen ist dieser zu verpflichten, dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist bei diesem Ausgang des Verfahrens gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 6. Dezember 2022 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos abgeschrieben.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Der Kanton Basel-Stadt hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Jürg Oskar Luginbühl, eine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. August 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Hahn