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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_329/2022  
 
 
Urteil vom 23. September 2022  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Kiss, May Canellas, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Vago, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, 
Beschwerdegegner 1 
 
B.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michel Wehrli, 
Beschwerdegegnerin 2. 
 
Gegenstand 
Anwaltshaftung; unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, 
vom 17. Juni 2022 (RB220008-O/U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (Kläger, Beschwerdeführer) wurde mit Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12. April 2018 strafrechtlich verurteilt. 
In der Folge widerrief das Migrationsamt des Kantons Zürich mit Verfügung vom 15. April 2019 die Niederlassungsbewilligung des Klägers und sprach seine Wegweisung aus. Der Kläger beauftragte die B.________ AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin 2), gegen diese Verfügung einen Rekurs bei der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich einzureichen. Dieser Rekurs wurde mit Entscheid vom 6. Dezember 2019 abgewiesen, soweit er nicht für gegenstandslos befunden wurde. Dagegen legte Rechtsanwältin C.________ - eine für die Beklagte tätige Rechtsanwältin - namens und im Auftrag des Klägers Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ein. Die vom Verwaltungsgericht angesetzte Frist zur Leistung eines Kostenvorschusses lief indes ungenutzt ab, weshalb das Verwaltungsgericht mit Verfügung vom 9. März 2020 androhungsgemäss nicht auf die Beschwerde eintrat. Ein Fristwiederherstellungsgesuch blieb erfolglos. 
Mit Verfügung vom 31. März 2021 sprach das Staatssekretariat für Migration ein Einreiseverbot gegen den Kläger für die Dauer vom 14. April 2021 bis 13. April 2025 aus. Am 10. April 2021 wurde der Kläger aus der Haft entlassen mit der Aufforderung, die Schweiz unverzüglich zu verlassen. Am 13. April 2021 ist er in den Kosovo gezogen. 
 
B.  
 
B.a. Am 22. Juni 2021 reichte der Kläger beim Bezirksgericht Zürich eine (Teil-) Klage gegen die Beklagte gestützt auf Anwaltshaftung ein (im Folgenden: Haftpflichtprozess). Er warf ihr vor, ihm die Kostenvorschussaufforderung des Verwaltungsgerichts nicht weitergeleitet und damit den Nichteintretensentscheid vom 9. März 2020 verschuldet zu haben. Als Folge dieser anwaltlichen Pflichtverletzung sei der Widerruf der Niederlassungsbewilligung rechtskräftig geworden, habe er nicht in der Schweiz verbleiben können und insbesondere seine Arbeitsstelle verloren.  
Mit seiner Teilklage fordert der Kläger Ersatz für entgangenen Lohn, Anwaltskosten sowie eine Genugtuung, insgesamt Fr. 312'735.45 nebst Zins, unter Vorbehalt der Nachklage. Ausserdem stellte er ein Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege samt gerichtlicher Bestellung eines Rechtsbeistands. 
 
B.b. Mit Beschluss vom 21. Februar 2022 wies das Bezirksgericht das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ab, zufolge Aussichtslosigkeit seiner Begehren im Haftpflichtprozess. Ausserdem setzte das Bezirksgericht Frist an, um den Kostenvorschuss zu leisten und zum Antrag der Beklagten auf Leistung einer Sicherheit für die Prozessentschädigung Stellung zu nehmen.  
 
B.c. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss und Urteil vom 17. Juni 2022 ab.  
 
C.  
Der Kläger verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, der Beschluss und das Urteil des Obergerichts vom 17. Juni 2022 seien aufzuheben und es sei ihm die "ungeteilte unentgeltliche Rechtspflege" zu gewähren. Ausserdem beantragte er die Erteilung der aufschiebenden Wirkung sowie (auch) für das bundesgerichtliche Verfahren die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege (inkl. Rechtsverbeiständung). 
Mit Verfügung vom 8. September 2022 wurde der Beschwerde mangels Opposition die aufschiebende Wirkung gewährt. 
In der Sache wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer hält die Vereinigung mit dem bundesgerichtlichen Verfahren 4A_327/2022 für "angezeigt". In jenem Beschwerdeverfahren ging es um den Ausstand der im Haftpflichtprozess mitwirkenden Gerichtspersonen des Bezirksgerichts Zürich und bildete ein anderes Urteil des Obergerichts Anfechtungsobjekt der Beschwerde an das Bundesgericht. Da die Beschwerde offensichtlich unzulässig respektive offensichtlich nicht hinreichend begründet war, trat das präsidierende Mitglied mit Urteil vom 21. September 2022 im vereinfachten Verfahren nach Art. 108 Abs. 1 lit. a und b BGG nicht darauf ein. Entsprechend erfolgt keine Vereinigung der Verfahren. 
 
2.  
Mit dem angefochtenen Urteil wies die Vorinstanz als letzte kantonale Instanz (Art. 75 BGG) die Beschwerde gegen den Beschluss des Bezirksgerichts ab, mit welchem die Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege verweigert wurde. Es handelt sich um einen Vor- und Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (BGE 133 IV 335 E. 4; 129 I 129 E. 1.1). 
Bei Vor- und Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache (BGE 137 III 261 E. 1.4; 133 III 645 E. 2.2). In der Hauptsache geht es um eine Zivilrechtsstreitigkeit mit einem Streitwert von über Fr. 30'000.-- und ist demnach die Beschwerde in Zivilsachen gegeben (siehe Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass ihm die unentgeltliche Rechtspflege hätte bewilligt werden müssen.  
 
3.2. Es besteht nur dann Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn die Rechtsbegehren in der Sache nicht aussichtslos erscheinen (Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 117 lit. b ZPO). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Begehren als aussichtslos anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 142 III 138 E. 5.1 mit Hinweisen).  
 
3.3. Bei der Überprüfung der vorinstanzlichen Beurteilung der Erfolgsaussichten ist es nicht Aufgabe des Bundesgerichts, dem Sachgericht vorgreifend zu prüfen, ob das von der beschwerdeführenden Partei im kantonalen Verfahren gestellte Begehren zu schützen sei oder nicht. Die prognostische Beurteilung der Erfolgsaussichten eröffnet dem mit der Sache befassten Gericht einen Beurteilungsspielraum, in den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift. Erforderlich ist, dass das Sachgericht von anerkannten Rechtsgrundsätzen abgewichen ist, dass es Umstände berücksichtigt hat, die für die Prognose im Einzelfall keine Rolle spielen dürfen, oder umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen (Urteile 4A_231/2022 vom 26. August 2022 E. 3.4; 4A_638/2021 vom 20. Mai 2022 E. 3.1.1; 4A_111/2021 vom 26. Februar 2021 E. 3.1).  
 
4.  
 
4.1. In der Sache begehrt der Beschwerdeführer Ersatz des Schadens, der ihm als Folge der anwaltlichen Pflichtverletzung im Verfahren vor Verwaltungsgericht (verpasste Frist zur Leistung des Kostenvorschusses) entstanden sei.  
 
4.2. Die Vorinstanz kam zum Ergebnis, dass dieses Schadenersatzbegehren aussichtslos sei. Denn erstens habe der Beschwerdeführer in der Klage den Schaden nicht hinreichend substantiiert: Er habe einfach "den entgangenen Lohn während einer Zeitdauer von vier Jahren" als Schaden bezeichnet (zufolge Wegweisung aus der Schweiz und damit verbundenem Verlust der Arbeitsstelle), ohne im Sinne der Differenztheorie den gegenwärtigen Vermögensstand dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte, gegenüberzustellen. Die ebenfalls als Schadensposten geltend gemachten Anwaltskosten seien überdies nur mangelhaft belegt. Zweitens habe der Beschwerdeführer auch nicht aufgezeigt, dass der Prozess vor Verwaltungsgericht bei sorgfaltsgemässer Führung ein günstigeres Ergebnis gezeitigt hätte, mithin eine relevante Pflichtverletzung vorliege. Im Gegenteil fehlten in der Klage sachdienliche Ausführungen zu den Erfolgsaussichten seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Diese beiden Umstände (unzureichende Substantiierung des Schadens, Nichtdarlegung einer relevanten anwaltlichen Pflichtverletzung) begründeten je für sich allein die Aussichtslosigkeit der Klage.  
 
4.3. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen, schon gar nicht mit Blick auf die bundesgerichtliche Zurückhaltung bei der Überprüfung der sachgerichtlichen Abschätzung der Erfolgsaussichten (Erwägung 3.3) :  
 
4.3.1. In Bezug auf das erste Argument (Substantiierung des Schadens) erwidert der Beschwerdeführer, er habe keine "überhöht[e] Forderung" eingeklagt, wobei er auf die "Lebenshaltungskosten im Kosovo" verweist und den Umstand, dass seine "Restfamilie in die Sozialhilfe gerutscht" sei. Ohnehin mache "ein generelles Überklagen den Prozess nicht aussichtslos".  
Der Beschwerdeführer verkennt, dass das Obergericht die Aussichtslosigkeit der Klage nicht aufgrund eines Überklagens, sondern mangels Substantiierung des Schadens bejaht hat. Dass aber die Vorinstanz von unzutreffenden Substantiierungsanforderungen ausgegangen wäre, macht der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar geltend. 
Hinsichtlich der mangelhaft belegten Anwaltskosten verweist der Beschwerdeführer sodann einzig pauschal auf eine vor Vorinstanz offerierte "Zeugenbefragung [seiner] Ehefrau" und "Quittungen mit Stempel der Anwaltskanzlei B.________", ohne näher zu spezifizieren, was sich daraus konkret entnehmen lassen soll. Dabei hat es sein Bewenden. 
 
4.3.2. Was das zweite Argument - das Vorliegen einer relevanten anwaltlichen Pflichtverletzung - anbelangt, kritisiert der Beschwerdeführer, dass eine solche allein aufgrund des Fristversäumnisses zu bejahen sei. Entgegen dem angefochtenen Urteil komme es nicht darauf an, ob der ursprüngliche Prozess vor Verwaltungsgericht bei sorgfaltsgemässer Führung ein für ihn günstigeres Ergebnis hervorgebracht hätte.  
Dies trifft nicht zu: Eine anwaltliche Pflichtverletzung im Rahmen der Prozessführung ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur dann von Bedeutung, wenn der Ausgang des Verfahrens bei pflichtgemässem Vorgehen aus Sicht des Auftraggebers besser ausgefallen wäre. Das Obergericht hat zu Recht festgehalten, dass im Haftpflichtprozess zwischen Auftraggeber und Anwalt zu prüfen ist, wie das ursprüngliche Verfahren ohne anwaltliche Sorgfaltspflichtverletzung ausgegangen wäre. Der Auftraggeber führt somit eine Art Schattenprozess, in dem die eigentlichen prozessualen Vorbringen darauf abzielen, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der ursprüngliche Prozess bei sorgfältiger Prozessführung ein für ihn günstigeres Ergebnis gebracht hätte (Urteile 4A_187/2021 vom 22. September 2021 E. 3.1.2; 4A_659/2018 vom 15. Juli 2019 E. 3.1.3 mit Hinweisen). Die These des Beschwerdeführers, wonach der "sogenannte Schattenprozess" hier nicht geführt werden könne und müsse, weil das verwaltungsgerichtliche Urteil "nicht vorweggenommen" werden dürfe, hat demnach weder Hand noch Fuss. 
 
4.4. Die Vorinstanz hat - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - keine "überspannten Anforderungen an die Erfolgsaussichten des Begehrens" gestellt. Sie gelangte vielmehr zur Erkenntnis, dass der Beschwerdeführer den geltend gemachten Schaden nicht substantiiert und ausserdem eine relevante anwaltliche Pflichtverletzung nicht aufgezeigt habe. Dementsprechend hat sie die Aussichtslosigkeit des gegen die (damalige) anwaltliche Vertretung geführten Haftpflichtprozesses zu Recht bejaht, und war das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen. Dies ist nicht zu beanstanden (Art. 117 lit. b ZPO).  
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Dem Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren kann nicht entsprochen werden, da die Beschwerde aussichtslos ist (siehe Art. 64 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer wird kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, und der B.________ AG schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. September 2022 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Hohl 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle