Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
9C_429/2013
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Urteil vom 23. Oktober 2013
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Glanzmann,
Gerichtsschreiber R. Widmer.
Verfahrensbeteiligte
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. Mai 2013.
Sachverhalt:
A.
Die 1990 geborene B.________ bezieht eine Waisenrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV). Sie studiert an der Universität X.________ und ist als Untermieterin in einer möblierten Wohnung in G.________ wohnhaft. Für Miete und Nebenkosten bezahlt sie Fr. 990.- monatlich. Am 22. September 2011 meldete sie sich für Ergänzungsleistungen zur Waisenrente an. Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 sprach die EL-Durchführungsstelle B.________ für die Monate Oktober bis Dezember 2011 eine Ergänzungsleistung von monatlich Fr. 1'470.-, ab Januar 2012 eine solche von Fr. 1'492.-, zu. Bei der Berechnung anerkannte sie als Ausgaben u.a. einen Mietzins von jährlich Fr. 9'840.- und einen Lebensbedarf von Fr. 9'945.-.
Auf Einsprache hin änderte die Ausgleichskasse die Verfügung vom 10. Januar 2012 zum Nachteil der Versicherten ab. Mit der Begründung, B.________ sei es mit Blick auf ihre Schadenminderungspflicht zuzumuten, während der Dauer ihres Studiums bei ihrem Vater zu wohnen, würden anstelle des Mietzinses der hälftige Eigenmietwert der Liegenschaft des Vaters und lediglich der tiefere Lebensbedarf für Kinder angerechnet. Gemäss Entscheid vom 11. April 2012 resultierte eine monatliche Ergänzungsleistung von Fr. 1'120.- (Oktober bis Dezember 2011) und von Fr. 1'142.- (ab Januar 2012).
B.
Die von B.________ hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 8. Mai 2013 teilweise gut, hob den Einspracheentscheid vom 11. April 2012 auf und wies die Sache zu neuer Berechnung des Anspruchs im Sinne der Erwägungen und neuer Verfügung an die Ausgleichskasse zurück.
C.
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt zur Hauptsache, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
Während B.________ auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Personen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz haben u.a. Anspruch auf Ergänzungsleistungen, wenn sie Anspruch auf eine Waisenrente der AHV haben (Art. 4 Abs. 1 lit. a bis ELG). Nach Art. 9 Abs. 1 ELG entspricht die jährliche Ergänzungsleistung dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen. Laut Art. 9 Abs. 2 ELG werden die anerkannten Ausgaben sowie die anrechenbaren Einnahmen von Personen mit rentenberechtigten Waisen, die im gleichen Haushalt leben, zusammengerechnet. Art. 10 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 und 3 ELG setzen den Betrag fest, der bei zu Hause lebenden alleinstehenden Personen und bei rentenberechtigten Waisen als Ausgaben für den allgemeinen Lebensbedarf anerkannt werden. In Art. 10 Abs. 1 lit. b ELG wird der Betrag, der für den Mietzins einer Wohnung und die damit zusammenhängenden Nebenkosten angerechnet wird, bestimmt.
2.
2.1. Die Vorinstanz gelangte zur Auffassung, von der Beschwerdegegnerin könne nicht verlangt werden, mit ihrem Vater zusammenzuleben. Es könne ihr nicht auferlegt werden, bei einem Verwandten zu leben, um die eigenen Ausgaben zu minimieren. Eine derart weitgehende Schadenminderungspflicht finde im Gesetz keine Stütze. Die gesetzliche Begrenzung der Mietkosten und des allgemeinen Lebensbedarfs verhinderten, dass übermässige Ausgaben mittels Ergänzungsleistungen bestritten werden. Zusätzliche Kürzungen wären als zu einschneidend zu qualifizieren und nicht zulässig, zumal Niederlassungsfreiheit und persönliche Lebensführung eingeschränkt würden.
2.2. Die Beschwerdeführerin macht unter Hinweis auf die Schadenminderungspflicht geltend, es sei üblich, dass Studierende bei ihren Eltern leben, solange sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst oder mit Unterstützung der Eltern zu finanzieren vermöchten und der Weg zur Ausbildungsstätte nicht zu lang sei. Andernfalls würden häufig Wohngemeinschaften begründet oder Einzelzimmer gemietet, wogegen es selten vorkomme, dass ein Student oder eine Studentin alleine einen Haushalt führen. Sei es aber üblich, dass Studierende bei ihren Eltern leben und betrage die Fahrzeit, wie bei der Beschwerdegegnerin von Y.________, dem Wohnort ihres Vaters, nach G.________, nur knapp eine halbe Stunde, sei es dieser ohne weiteres zumutbar, im Haus ihres Vaters zu wohnen. Eine andere Studentin in gleichen oder sogar markant vorteilhafteren finanziellen Verhältnissen könne es sich nicht leisten, eine eigene Wohnung zu mieten. Es sei nicht zulässig, studierenden EL-Bezügern mittels Steuergeldern einen höheren Lebensstandard zu ermöglichen, als er bei nicht rentenberechtigten Studierenden üblich ist.
3.
3.1. Der Auffassung der EL-Durchführungsstelle, der Beschwerdegegnerin wäre es in Nachachtung der ihr obliegenden Schadenminderungspflicht zumutbar, im Haus ihres Vaters in Y.________ zu wohnen und dadurch dazu beitragen, dass tiefere Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden müssten, ist beizupflichten. Weder im angefochtenen Entscheid noch in der Vernehmlassung finden sich stichhaltige Argumente, die eine andere Sichtweise nahelegen würden. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht, sind einem Leistungsansprecher im Rahmen der Schadenminderungspflicht Massnahmen zuzumuten, die ein vernünftiger Mensch in der gleichen Lage ergreifen würde, wenn er keinerlei Entschädigung zu erwarten hätte (BGE 133 V 504 E. 4.2 S. 509). Nach der Rechtsprechung betreffend Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung darf sich die Verwaltung bei den Anforderungen, die unter dem Titel Schadenminderungspflicht an eine versicherte Person gestellt werden, nicht einseitig von öffentlichen Interessen an einer sparsamen und wirtschaftlichen Versicherungspraxis leiten lassen, sondern sie hat auch die grundrechtlich geschützten Betätigungsmöglichkeiten des Leistungsansprechers in seiner Lebensgestaltung angemessen zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die Schadenminderungspflicht sind dort strenger, wo eine erhöhte Inanspruchnahme der Versicherung in Frage steht. Wie das Bundesgericht in Bereich der Eingliederungsmassnahmen erkannt hat, kann die Verlegung oder Beibehaltung des Wohnsitzes nach wie vor, auch unter Berücksichtigung grundrechtlicher Gesichtspunkte, eine zumutbare Massnahme der Schadenminderung sein, wenn der Verzicht auf schadenmindernde Vorkehren Rentenleistungen auslösen oder zu einer grundlegend neuen Eingliederung Anlass geben würde (BGE 113 V 522 E. 4d S. 32 f., bestätigt im Urteil 8C_48/2010 vom 20. September 2010). Diese Rechtsprechung lässt sich sinngemäss auf den vorliegenden Fall übertragen. Es lässt sich daraus ableiten, dass die Versicherte das ihr Zumutbare zu unternehmen hat, um die Kosten, welche mittels Ergänzungsleistungen zu vergüten sind, möglichst tief zu halten (vgl. Urteil 8C_227/2007 vom 23. November 2007); angesichts der hohen Inanspruchnahme der Ergänzungsleistungen bestehen dementsprechend hohe Anforderungen an die Versicherte hinsichtlich der Schadenminderungspflicht. Zu den zumutbaren Vorkehren gehört auch, dass die Beschwerdegegnerin auf eine eigene Wohnung in G.________ verzichtet und stattdessen mit ihrem Vater zusammen in dessen Haus lebt. Dadurch reduzieren sich die in die Berechnung einfliessenden Ausgaben für den Mietzins erheblich. Dass es sich dabei grundsätzlich um keine unzumutbare Massnahme handelt, zeigt die Tatsache, dass erfahrungsgemäss sehr viele Studentinnen und Studenten während der Ausbildung bei den Eltern leben, sei es, weil Eltern und Studierende auch gemeinsam ausserstande wären, für die Kosten eines Studiums mit auswärtigem Aufenthalt aufzukommen, sei es zwecks Reduktion der gesamthaft anfallenden Ausbildungskosten. Weder im angefochtenen Entscheid noch in der Vernehmlassung der Versicherten werden rechtlich relevante Gründe namhaft gemacht, die auf eine Unzumutbarkeit des Wohnens beim Vater schliessen liessen. Insbesondere bringt die Beschwerdegegnerin nicht vor, einem Zusammenleben mit ihrem Vater stünden persönliche Gründe entgegen. Schliesslich bieten die aus Steuergeldern von Bund und Kantonen finanzierten Ergänzungsleistungen (Art. 13 Abs. 1 ELG), die zur Deckung des Existenzbedarfs gewährt werden (Art. 2 Abs. 1 ELG), keine Handhabe, EL-Bezüger im Vergleich zum grossen Anteil der keine Rente der AHV oder Invalidenversicherung beziehenden Studierenden, für welche die Miete einer auswärtigen Wohnung aus finanziellen Gründen nicht in Frage kommt, besser zu stellen. Inwieweit Grundrechte wie die Niederlassungsfreiheit gemäss Art. 24 BV eingeschränkt werden sollen, wenn der Beschwerdegegnerin keine Wohnung zu Lasten der Ergänzungsleistungen finanziert wird, vermag nicht einzuleuchten. Wie die Ausgleichskasse zu Recht bemerkt, wird die Beschwerdegegnerin in ihren Freiheiten nicht eingeschränkt. Lediglich bei der Wahl ihrer Wohnung hat sie zu beachten, dass die Ergänzungsleistungen je nach dem von ihr bevorzugten Wohnort unterschiedlich hoch ausfallen. Diesem Umstand entspricht allerdings die Tatsache, dass auch ein grosser Teil der Bevölkerung, welcher keine AHV- oder Invalidenrente bezieht, die Wohngemeinde nicht beliebig frei wählen kann, sondern auch pekuniäre Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat.
3.2. Da der Beschwerdegegnerin nicht der Mietzins für die eigene Wohnung in G.________ anzurechnen, sondern für die EL-Berechnung davon auszugehen ist, dass sie bei ihrem Vater in dessen Haus in Y.________ lebt, ist unter den anerkannten Ausgaben der Betrag für den allgemeinen Lebensbedarf nach Art. 10 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 ELG (rentenberechtigte Waisen) anzurechnen.
4.
Die Frage, ob der Beschwerdegegnerin die Aufnahme einer Nebenerwerbstätigkeit während des Studiums zumutbar wäre, hat die Vorinstanz verneint und daher die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens als unzulässig erachtet, obwohl die Ausgleichskasse im Einspracheentscheid vom 11. April 2012 darüber nicht entschieden, sondern nur festgehalten hat, bei künftigen EL-Berechnungen sei unter dem Gesichtspunkt der Schadenminderungspflicht allenfalls ein hypothetisches Einkommen in die Berechnung aufzunehmen. Die Frage nach der Berücksichtigung eines hypothetischen Erwerbseinkommens mit entsprechender Herabsetzung und Neuberechnung der Ergänzungsleistungen gehört damit weder zum Anfechtungs- noch zum Streitgegenstand des kantonalen und des bundesgerichtlichen Verfahrens (BGE 125 V 413 E. 1 S. 414), weshalb die Vorinstanz nicht darüber befinden durfte. Ebensowenig kann das Bundesgericht vorliegend darüber entscheiden. Ein Anlass, die Frage in einem obiter dictum zu klären, besteht nicht, zumal es auch in einem solchen Fall an einer verbindlichen letztinstanzlichen Beurteilung dieser Rechtsfrage fehlen würde. Auf den Antrag der Beschwerdeführerin, es sei festzustellen, dass Erwägung 3 des angefochtenen Entscheids nicht verbindlich ist, ist demzufolge nicht einzutreten.
5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
In Gutheissung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist, wird der Entscheid des Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen vom 8. Mai 2013 aufgehoben.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 23. Oktober 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kernen
Der Gerichtsschreiber: Widmer